Geteilte Freude ist manchmal die halbe Freude

Plate Sharing ist eine neue Idee in der Gastronomie, die manchmal spannende Miteinander ergibt, dann aber wieder die Gäste nur verwundert den Kopf schütteln lässt.

Text von Alexander Rabl Foto: Shutterstock

Geteilte Freude ist doppelte Freude. Ein schöner, vom Humanismus geprägter Gedanke. In der modernen Wirtschaft zu erleben als Carsharing und Airbnb. Neuerdings hat der Sharinggedanke auch im Restaurant Platz genommen. Also werden Dashi, Tatar, Bowl, das Fermentierte, Ceviche, Sushi und der Lamm­rücken gleichzeitig serviert. Die Gäste zücken das Besteck. Unterschiedliche Teller zu den aromatisch oft sehr divergierenden Portionen spart sich das Lokal, das ermöglicht ungeahnte geschmackliche Erlebnisse. Ein paar Minuten später hat jeder seine Kostprobe am Teller, der Tisch erinnert an einen Meeresstrand nach der Sturmflut. Die ­gerade noch sorgfältig angerichteten Tupfer von der Avocadocreme sind unkenntlich, Salatblätter zieren den Tisch, auf den Tellern findet sich erkaltete Lammsauce nebst abgenagten Knochen, Suppenschaum, Fischtatar, Spuren von Karfiol und gehacktem Rindfleisch. Der optisch sensible Gast denkt sich: I would prefer not to.

Die Idee der geteilten Mahlzeit und des gemeinsamen Genusses an sich ist vermutlich älter als die Geschichte vom letzten Abendmahl. Und es ist eine gute Idee, wenn es richtig gemacht wird. Mittagstisch mit Blick auf den Graben. Doch die Gäste des Meinls Restaurant blicken in eine andere Richtung. An einem Sechsertisch wird der im Ganzen gegarte Steinbutt präsentiert. Die Hälse der Gäste kriegen jetzt giraffenartige Ausmaße. Zwei Serviceleute machen sich ans Teilen und Anrichten des stattlichen Butts, der vor Kurzem noch im Meerwasser geschwommen ist. Dazu Champagnerrisotto und Beurre blanc. Küchenchef Alexander David kommt aus dem alten Joachim-Gradwohl-Team und ist ein Meister der Saucen. Dieser Butt ist Sharing vom Feinsten, vergleichbar dem Huhn in der Blase, wie es das bei Paul Bocuse in Lyon (und neuerdings bei Max Stiegl in Purbach) gibt. Vergnügungen dieser Art sind nur möglich, wenn sich mehrere Gäste auf ein Gericht einigen können und der Chef in der Küche Zeit hatte, die Mahlzeit vorzubereiten.

Köche wie Andreas Caminada haben sich Gedanken gemacht, wie die feine Küche unserer Zeit und der Verzicht auf Zeremoniell mit der Idee der geteilten Mahlzeit vereinbar sind. Sein Igniv-Konzept war von Anfang an erfolgreich. Er sagt: „Ich fand es spannend, das Sharingkonzept aus dem mittleren Osten in die Schweiz zu bringen. Sharing auf Fine-Dining-Level. Vorbilder waren das Zuma und das Hakkasan, was die entspannte Atmosphäre betrifft.“ Die Reaktionen in der konservativen Schweiz waren gleich euphorisch, vielleicht auch, weil der Name Caminada hinter dem Konzept stand. „Viele Gäste waren überrascht, aber positiv überrascht“, sagt Caminada. „Auf Ästhetik haben wir natürlich großen Wert gelegt. Und auf die Dramaturgie. Vom Geschirr bis zur Anrichteweise.“ Wie läuft das dann ab? „Wir beginnen mit den Snacks, besprechen mit den Gästen die Zahl der Gänge. Die meisten der Gäste nehmen dann ein 3-Gänge-Sharing mit 15 Komponenten. Auch beim Wein tendieren wir eher zu Großflaschen, nicht zur klassischen Weinbegleitung. Das wäre zu viel.“ Das Beispiel Igniv hat mittlerweile Nachahmer gefunden. Caminada sagt: „In Zürich ist Sharing mittlerweile Alltag, oft auch im Bistrostil, und sehr erfolgreich.“

Wenn man von gemeinsam verspeisten Braten oder der geviertelten Pizza absieht, kommt die Idee des Teilens nicht aus Europa. Ein Besuch ­Simon Xie Hongs in seiner China Bar an der Wien, und es wird klar: Manche Küchen eignen sich hervorragend für den geteilten Genuss, andere weniger, und die asiatische ist dafür perfekt. Wir steigen ein mit Innereien und Tofu in einer würzig-wärmenden Sauce mit Okra und Chili, später gibt es Tintenfischringe auf Salat, dann kalten Nudelsalat mit Chili, Koriander und Oktopus. Kalter Tofu kommt mit chinesischem Ei, später noch Schweinebauch, in Stücke geschnitten, plus Tofu, Chili und Gemüse. Alle Gerichte, ob kalt oder warm, sind ähnlich aufgebaut. Diese durcheinanderzuessen, Texturen, Temperaturen sowie Schärfegrade zu wechseln, steigert das Vergnügen. Dass man dabei nicht das Besteck wechseln muss, weil es nur Stäbchen gibt, trägt das seine bei. Und auch die Tat­sache, dass es zu dieser Art von Essen nur Reis gibt, und sonst nichts. Sharing ist großartig, wenn der Koch Chinese oder Thailänder ist. Und, wie Simon Xie Hong sagt, die chinesische Küche sei auf gesellschaftliches Essen ausgelegt. Wer alleine durch China reise, würde sich schwertun, in die Tiefe der dortigen Kochkunst einzudringen, fügt der Gastronom hinzu. Die Portionen seien groß, von kleinen Imbisslokalen abgesehen, die oft nach dem Self-Service-Konzept funktionieren, ist da nichts auf den Einzelgast ausgelegt.

Ein Besuch im Zuma in Kitzbühel: Der Tisch biegt sich vor Herrlichkeiten. Wer hier nur einzeln bestellt, bringt sich um das halbe Vergnügen. Und wieder sind Ästhetik und Konzept des Essens perfekt darauf ausgerichtet, dass mehrere Gäste sich bedienen, ohne dass sich deren Ess­stäbchen in die Quere kommen oder nach dem ­Essen Saucenpatzer den edlen Holztisch verunstalten. Sogar der fantastische Black Cod in Miso, das Signature Dish der populären panasiatischen High-End-Küche, lässt sich wunderbar, Lamelle für Lamelle, mit dem hölzernen Essbesteck teilen. Ach Asien, du hast es besser.

Der Mitteleuropäer hat sein Essen am liebsten alleine. Seine Erziehung verbietet ihm den ausschweifenden Genuss. Sein Motto: Bestellen, essen, satt sein, bezahlen und gehen. Die Angst, jemand könnte während des gesharten Essens mehr abkriegen als er, macht ihn nervös und raubt ihm das Vergnügen, obwohl sich keine Hungersnöte ankündigen. Der Gast in Deutschland, der Schweiz oder Österreich braucht Kontrolle über sein Essen. Ein Topf, aus dem sich alle bedienen, ist ihm suspekt. Das war nicht immer so. Der bäuerliche Tisch in der guten Stube war auch immer einer der gemeinsamen Mahlzeit. Aufwendige Riten hatten Hausverbot, es wurde serviert, es wurde gemeinsam genossen. Im Herrgottswinkel blickte der Sohn des Herrn in die Runde und sah, dass es gut war.

In der Poststube in Traunkirchen, der ehemaligen Taverne des Klosters, haben Lukas Nagl und sein Küchenchef das alte ländliche Ritual des Teilens zum modernen Konzept erhoben. Der Topf kommt in die Mitte des Tisches, die Gäste bedienen sich. Schöpfer und Löffel wandern von Hand zu Hand. Ungewohnt, aber es funktionierte. Theoretisch. Der Gast am Land betrachtet seinen Teller wie seinen kleinen Garten. Dass ein Fremder darin herumstochert oder gräbt, ist nicht ­vorgesehen. „Die Leute verstehen den Gedanken nicht. Es gilt immer noch: mein Teller, mein Teller.“ Einmal machten sie in der Poststube einen Paarlauf mit der Wiener Mochi-Mannschaft. Das lief gut. Jedenfalls gilt für Lukas Nagl: „Das Gericht muss mit dem Gedanken des Teilens kom­patibel sein, ideales Beispiel: Grammelknödel mit Zwiebel, sechs kleine Stücke, fertig.“ Und er fügt hinzu: „Es sollte mit den Fingern oder idealerweise mit Stäbchen gegessen werden.“ Die Österreicher und das Essen mit Stäbchen! Lukas Nagl muss freilich grinsen bei dem Gedanken.

Plate-Sharing in Österreich

Mochi
Der Urmeter des Sharing-Gedankens, man bestellt Maki und Sushi, Melanzani mit Bonito, Spieße mit ­Garnelen, jeder langt mit Stäbchen zu. Dazu gibt es Reis und sonst nichts.

China Bar
Simon Xie Hong serviert seinen Gästen am liebsten einen Teller nach dem ­anderen, bis alle satt sind. Die Teller sind so aufgebaut, dass kalt-warm-würzig-mild locker und vergnüglich ­nebeneinander und durch­einander probiert werden können.

Seven North
Der in der Levante nicht wegzudenkende Gedanke des Sharings dominiert das Konzept dieses Restaurants. Mezze sind nun mal am besten, wenn man große Teller davon gemeinsam ­genießt.

Poststube 1327
In Traunkirchen lassen sich österreichische Varianten zum Thema Sharing ­pro­bieren. Knödel und ­Sup­pentöpfe eigenen sich da ­besonders gut.

Meinls Restaurant
Das Grand Piece aus dem Meer oder aus der Bresse. Ein von perfektem Service begleitetes Vergnügen, ­welches es in Wien kaum ein zweites Mal gibt.

Zuma
Das Pop-up in Kitzbühel ist ein Best-Practice-Beispiel. Wer hier nicht teilt, hat nur das halbe Vergnügen.