Glasweise
Das bleibt vom Shutdown: Die Geschäftsidee Take-away hat den Spitzengastronomen Appetit gemacht. Und viele ihrer Gäste zu Abhängigen. Sie sollen weiterhin mit ihrer Droge zum Nach-Hause-Nehmen versorgt werden.
Was gibt’s heute zu essen?“ Wenn jemand diese Frage stellte und wenn als Antwort „Take-away“ kam, war das Programm klar. Der raffinierte Genuss würde dezent zurücktreten und der pragmatischen Sättigung den Vortritt lassen. Frische Pizza in einen Karton zu packen, ist so ziemlich das Schlimmste, was man einer Pizza antun kann. Sushi hat in Plastik eine Halbwertszeit von etwa einer halben Stunde. Asiatische Nudeln aus einem Pappendeckelbecher sind die Höchststrafe für eine Untat, die da lautet: keine Zeit und keine Lust zu kochen oder ins Restaurant zu gehen. Take-away war in unseren Breiten stets eine geschmackliche Drohung. Wer Spitzenküche von Spitzenköchen in den eigenen vier Wänden haben wollte, musste über ein wenig Kleingeld und genügend Räumlichkeiten verfügen, und das hieß dann nicht Take-away, sondern Catering. So war es. Bis die Corona-Krise kam.
Österreich, Ende März dieses Jahres. Das Land und seine Restaurants im kompletten Shutdown. In Wiens Bezirken innerhalb des Gürtels freie Parkplätze im Überfluss. Die Bevölkerung schaut im Fernsehen Regierungspressekonferenzen und Infektionskurven. Berthold Obauer erzählt, wie es vor ein paar Monaten war: „Angefangen hat alles mit den Videos, die wir gleich am ersten Tag gemacht haben. Wir haben die Zeit der Quarantäne bei uns auf der Alm verbracht, die ganze Familie. Der Papa hat gekocht, ich habe gefilmt. Uns war wichtig, nicht einfach Spitzenküche zu machen, sondern gutes Essen.“ Die Videos gingen online, der Appetit der Österreicher auf die einfach nachvollziehbaren Rezepte war enorm.
Eine Geschäftsidee aus der Not geboren
Berthold Obauer weiter: „Als es von der Regierung hieß, die Zeit der Schließung würde länger dauern als bis Ostern, beschlossen wir, Take-away anzubieten, Gerichte zum Aufwärmen und zum Kaltessen. Sachen, die man auch im Kühlschrank aufbewahren kann.“ Die Idee des E.G.G.S. war gleich geboren, darunter läuft auch das Take-away. E.G.G.S. steht für Essen, gut, gesund und schnell. Eine Idee aus der Not geboren, wie Rudi Obauer sagt: „Wenn die Obauers den Hauch spüren, sind sie besonders gut.“ Manche Speisen sind so schön angerichtet, dass man sie gleich aus dem Glas essen möchte, etwa der Couscous-Salat mit Pfeffer-Lachsforelle unter ein paar Blüten und Tomaten. „Unser Prinzip ist außerdem: kein Styropor, kein Plastik, alles wiederverwertbar. Viele Stammkunden bringen die Gläser zurück. Vor allem für Familien ist das Essen zu Hause mit den Kindern ja viel einfacher, das funktioniert angenehm und unkompliziert“, sagt Berthold Obauer. Das Restaurant hat auch Angebote für Selbstkochende wie Salatmarinaden und Saucen, und es gibt sogar Brot und Aufstriche, wie den wunderbaren „Linsus“ aus Linsen und Gewürzen, im Programm. Ist Take-away eigentlich eine Konkurrenz fürs Restaurantgeschäft? „Das Geschäft läuft besser denn je, eine Konkurrenz findet nicht statt“, sagt Berthold Obauer und fügt hinzu: „Wir haben zurzeit so viele Gäste wie sonst nur während der Festspiele. Viele neue Kunden haben wir auch über die Kochvideos gewonnen.“
Take-away als Einstiegsdroge
Wie ein Besuch in Senns Restaurant in Salzburg setzen auch der Konsum und die Zubereitung des Take-away-Menüs ein wenig kulinarische Bildung voraus. Denn die letzten zehn Prozent vor dem Finish erledigt der Gast beziehungsweise Kunde bei sich daheim. Es gibt großartige Ware, Dinge, an die der normale Konsument gar nicht herankommt. Das Mise en Place für drei bis vier Gänge ist perfekt, alles ist schön verpackt und mit exakten Anleitungen fürs Finale daheim versehen. Andreas Senn über bisher nicht gehabte Möglichkeiten, neben seinen Stammgästen auch Gäste zu erreichen, die selbst noch nie in seinem Restaurant waren. Er sagt: „Es läuft weiterhin gut. Wir bieten ein drei bis viergängiges Menü an, das daheim fertigzustellen ist. Was mich besonders überrascht und freut: Es kommen auch Leute, die sonst nicht zu uns kommen, viele junge Leute. Darunter Pärchen, die das bei sich daheim genießen, vielleicht beim ersten Date.“ Das Take-away ist ein Auszug des aktuellen Menüs. Geplant ist ab jetzt auch eine wiederverwertbare Verpackung. Senn sagt: „In Corona-Zeiten mussten wir auf Plastik setzen, das wird jetzt umgestellt.“ Senns Motivation fürs Take-away gleicht jener vieler Kollegen: „In der Corona-Zeit haben wir kein großes Geld verdient, es ging mehr darum, präsent zu sein.“ Und jetzt sei das Take-away eine schöne Erweiterung des Angebots, die nicht mehr wegzudenken sei.
Das Take-away als Auszug des aktuellen Angebots
Im Wiener Stadtpark konnte man während der Corona-Zeit trotz Ausgehverbots vereinzelt Menschen in Masken beobachten, huschende Gestalten auf dem Weg in die Meierei des Steirerecks. Dort hatten die Reitbauers einen kleinen Shop eingerichtet, in dem man sich mit herrlicher Steirereck-Küche versorgen konnte. Manchen Gästen, die sich nicht aus dem Haus trauten, brachten Birgit Reitbauer und ihr Team die Mahlzeit auch nach Hause. Steirereck-Beuschel mit dem bekannten dottergelben Schnittlauchknödel in den eigenen vier Wänden, ein guter Riesling aus dem eigenen Keller, für viele Wiener war ein feuchter Ess-Traum wahr geworden.
Loyal gegenüber Lieferanten
Seither wartet das Steirereck mit ständig neuen Ideen im Glas auf, großartig das Rindfleisch mit eingelegten Gemüsen und Zitrus, fantastisch das Paprikahendl. Prächtig die Variation von dunkler und heller Schokomousse mit Preiselbeeren, wobei ein für ein bis zwei Personen vorgesehenes Glas eine ganze Familie satt machte. Heinz Reitbauer: „Wir haben damit eigentlich nicht das große Geschäft gemacht und haben das auch nicht vor.“ Er sah die Idee eher als Statement, als Botschaft des Steirerecks an die Gäste und die, die es werden wollten (es gab tatsächlich viele sogenannte „Neukunden“). Reitbauer: „Wir haben innerhalb von zwei Tagen einen Onlineshop aus dem Boden gestampft. Normalerweise braucht man dafür mehrere Wochen.“
Birgit Reitbauer sagt: „Die Take-aways gibt es weiterhin, entweder auf Bestellung nach Hause geliefert oder natürlich auch bei uns im Shop für spontane Kunden.“ Im Sommer ändert sich jetzt das Angebot. Es gibt etwa Tomaten-Melonen-Kaltschale oder verschiedene Salate. „Die Take-away-Kreationen entstehen gemeinsam mit den Ideen für die aktuelle Speisenkarte.“ Steirereck-Patron Heinz Reitbauer empfand die Loyalität zu seinen Lieferanten als wichtiges Motiv für sein Projekt. „Das hat uns am Anfang angetrieben, die Frage, was machen wir aus den herrlichen Gemüsen, den Fischen und dem Lamm, das auf einmal da war.“
Serbische Kutteln, Morchelsauce und Lammsugo
Max Stiegl war bereits im Februar während einer Asienreise klar geworden, dass da etwas auf Europa, auf Österreich zukommt. Stiegl und seine kleine Mannschaft kochten, was das Lokal in Purbach berühmt gemacht hat, serbische Kutteln etwa, oder Kalbsbeuschel. Ganz famos war das Gulasch mit butterzarten Stücken vom X.O.Beef, ein lebensrettendes Gericht an kalten Corona-Tagen. Was war besonders erfolgreich? „Wir haben 35.000 Glas -Paprikahendl verkauft“, antwortet Stiegl. Stiegl kochte in Purbach und mietete eine Küche in Wien an. Die Mitarbeiter waren hochmotiviert. Die Pläne fürs Weitermachen liegen in Purbach auf dem Küchentisch. Wer nach Purbach zum Essen reist, sollte dies mit einem kleinen Platz im Kofferraum seines Autos tun. Für Stiegl-Fans aus dem Ausland gab und gibt es das alles auch mit dem Lieferservice.
Als Barbara Eselböck und Alain Weissgerber Ende März ihren WochenendMarkt eröffneten, war die Frage, ob man aus Wien einfach zum Esseneinkaufen nach Schützen fahren dürfe, noch nicht restlos geklärt. Die Polizei strafte lustvoll jeden, der auf Parkbänken saß oder sonstwie auffällig wurde. Mittlerweile ist es offiziell: Ein Einkauf im Taubenkobel ist auch für von weiter her Angereiste eine durchaus legale Angelegenheit. Zum Angebot der Greisslerei kommen jetzt Morcheln in einer Sauce, die man daheim mit Teigwaren genießen kann. Es gibt Salat von der Wiener Gärtnerei Bach. Der Taubenkobel ist wie andere Restaurants auch zu einem Mini-Vertrieb seiner Lieferanten geworden.
Weiter unten im Südburgenland zählen Lammsugo und Fischsuppe zu den Hits, die man bei Jürgen Csencsits gegen eine kurze Voranmeldung erwerben kann. Er sagt: „Die Wiener Kunden, die ich zweimal im Monat beliefert habe, sind immer noch ganz verrückt nach dem Lammsugo.“ Gerade tüftelt das kleine Csencsits-Team an neuen Kreationen. „Es gibt auch sehr viel Wild, gerade haben wir Reh.“ Csencsits’ südburgenländische Küche, die eine Küche der Aromen und der Gewürze ist, eignet sich hervorragend dazu, im Glas verpackt zu werden.
Grammelknödel und Pekingente
In Wien Meidling versorgt Heidi Ratzinger von der Wiener Wirtschaft am Markt als Ruferin beziehungsweise Köchin in der Wüste einen ganzen Wiener Bezirk und darüber hinaus andere Gäste mit gutem Essen. Sie sagt: „Wenn wir am Samstag gefüllte Kalbsbrust machen, stehen die Leute Schlange.“ Einfach unvergleichlich sind ihre Grammelknödel, die ihre Mama im Innviertel nach Ratzingers Rezept anfertigt. Diese köstlichen Knödel gibt es tiefgefroren, man muss sich daheim nur noch um die Begleitung, also Kraut, Bratensaft und Schnittlauch, kümmern. Das ist nicht wenig, aber Heidi Ratzingers Grammelknödel sind es wert.
Etwas Besonderes können sich die Gäste von Jin Loh erwarten, wenn sie rechtzeitig reserviert haben. Freitags und samstags gibt es in seinem Sinohouse in der Nußdorfer Straße Pekingente. Sie gilt für Kenner als beste Pekingente Wiens. Die Ente und das sie umgebende Brimborium kann man vor Ort genießen oder eben auch mit nach Hause nehmen.
Für manche Köche und Wirte waren Take-away und Lieferservice nicht nur ein Dienst an Gästen, sondern auch eine finanzielle Angelegenheit. Alexander Mayer und sein im Vorjahr gestarteter Bistro-Feinkostladen Mayer & Freunde verwöhnte seine Kunden mit Spargelsuppe und Garnele oder Huhn mit Zitrus und Champignons. Er und seine Kollegen lieferten selbst aus. Besonders rund ums Wochenende sind die Gläser mit dem feinen Inhalt auch weiterhin gefragt und begehrt. Für Mayer, dessen kleines Lokal nach wie vor unter den Coronabedingten Restriktionen leidet, eine willkommene Erweiterung seines Angebots.
Gulasch auch einmal griechisch
Wenn man die Küchenchefs befragt, welches ihrer Take-aways sich bei den Kunden besonders großer Beliebtheit erfreut, tritt zumindest im Osten des Landes die kulinarische DNA der Österreicher zum Vorschein. Es war nämlich das Gulasch, das alle während der Corona-Zeit besonders liebten. Konstantin Filippou ließ sich zum Thema etwas Naheliegendes einfallen. Statt Gulasch bereitet er Stifado zu, ein griechisches Ragout, bei dem neben Zwiebel und Lorbeerblatt auch Zimt, Gewürznelken und Kreuzkümmel in den Kochtopf kommen. Das Fleisch kam vom Blondvieh aus dem Waldviertel, es handelt sich um eine Kooperation mit dem Produzenten von hochwertigem Bio-Fleisch, Porcella. Zurzeit arbeitet die Mannschaft rund um Konstantin an einer neuen Linie, wobei dezidiert die griechische Küche Façon Filippou zum Ausdruck kommen soll. Manuela Filippou gibt einen Vorgeschmack auf das, was Filippou-Gäste erwarten dürfen: „Das letzte Tasting war sensationell.“
Obauer
Von einer eigenen Karte kann sich der Zuhause-Esser seine Gerichte aussuchen, die auf Vorbestellung für ihn zubereitet werden. Darunter etwa Habichtspilzcremesuppe mit Spargel, kaltes Roastbeef vom Jungrind mit Artischocken, Zitrone und Krautmayonnaise oder Werfener Lamm mit Sauerrahmrettich und Räucherschottennockerl.
www.obauer.com
SENNS.Restaurant
Andreas Senns Restaurant zählt zu den besten in Österreich, auch bei der Zusammenstellung seiner Take-aways lässt er sich anmerken, dass das Mittelmaß nicht Seines ist. Vor allem die Qualität der angebotenen Produkte ist erstaunlich. Sie bildet exakt das Niveau der Küche ab, das Senn-Gäste auch im Restaurant erwartet.
www.senns.restaurant/de
Steirereck im Stadtpark
Die Range der im Steirereck angebotenen Take-aways lässt auf den sprudelnden Erfindungsreichtum von Heinz Reitbauers Team schließen. Auch die hohe Qualität der Steirereck-Lieferanten findet sich in Verpackungen und Gläsern wieder.
www.steirereck.at
Wirtschaft am Markt
Das aktuelle Angebot des innovativen Marktbeisls kann man auf Vorbestellung auch mit nach Hause nehmen. Sehr gut sind Heidi Ratzingers Innviertler Grammelknödel.
www.wirtschaftammarkt.at
Mayer & Freunde
Je nach aktueller Marktlage und Blick auf die Lieferungen von Gärtnern und anderen Produzenten komponiert Alexander Mayer seine Gerichte, die es auf Vorbestellung gibt.
O Boufés
Im Weinbistro von Konstantin Filippou kann man nicht nur Stifado kaufen, sondern auch das aktuelle Speisenangebot mit nach Hause nehmen.
www.porcella.at
Sinohouse
Wiens beste Pekingente gibt es freitags und samstags auch auf Vorbestellung zum Mit-nach-Hause-Nehmen. Mit allen Beilagen, welche die Tradition dieses Rezepts vorsieht. Zu einem sagenhaften Preis übrigens.
www.sinohouse.at
Gut Purbach
Max Stiegl hat mit seiner pannonischen Küche in Gläsern im März ein wenig das Terrain aufbereitet. Besonders spannend auch weiterhin, was er zum Thema Innereien anbieten wird.
www.gutpurbach.at
Taubenkobel
In der Greisslerei erwartet Taubenkobel-Besucher und nimmersatte Gäste eine appetitanregende Palette an in Alain Weissgerbers Küche zubereiteten Köstlichkeiten, darunter Morchelsauce, geschmorter Kalbstafelspitz, Salatmischungen von Evi Bach sowie herrliche Desserts nach französischem Vorbild.
www.taubenkobel.com
Jürgen Csencsits
Der Leuchtturm-Küchenchef im Südburgenland setzt seine Lieferanten im Südburgenland in Take-away-Form in Szene. Darunter das südburgenländische Kaninchen oder etwa auch Huhn, als Curry oder als Coq au Vin.
www.csencsits.at