Gurken haben keine Tränen

Kann eine Frucht mit bis zu 97 % Wasseranteil überhaupt nach etwas schmecken? Sie kann.

Text von Andrea Karrer Illustration von Peter Jani

Gurken haben keine Tränen, sang einst Dolores Schmidinger. Zum Weinen ist es trotzdem, denn der Gurke wurde übel mitgespielt, die Gurke wurde mehr und mehr zum Schimpfwort: als „Gurkentruppen“ im Fußball oder Parteienzwist, als „Rumgegurke“ auf der Autobahn. Die „Saure-Gurken-Zeit“ steht als Metapher für totale Ödnis. Seit 1980 wird der Negativpreis „Saure Gurke“ für besonders sexistische Fernsehbeiträge vergeben. Wofür im Tierreich das Schwein herhalten muss, gibt es in der Flora die Gurke: „Faule Sau“ oder „dumme Gurke“ sind Schimpfwörter von gleicher Abschätzigkeit. Die Mäkelei gipfelte 1989 in der europäischen Verordnung Nr. 1677/88/EWG: Eine Salatgurke der besten Güteklasse muss „gut geformt“ sein und darf eine „maximale Krümmung“ von zehn Millimetern auf zehn Zentimeter nicht überschreiten. Die gerade Gurke wurde für Jahre zum Symbol für die Regulierungswut der EU. Dabei waren in vielen Ländern – darunter auch Österreich – ähnliche Gesetze lange zuvor in Kraft. Auch nach der Abschaffung der ­Regelung 2009 krümmte sich kaum eine Gurke mehr in den Gemüse­regalen.

Unter Kaiser Tiberius (42 v. Chr. bis 37 n. Chr.) hätte es das nicht gegeben. Er war regelrecht süchtig nach der Gurke. Überlieferungen lassen sogar schlussfolgern, dass aufgrund des erhöhten Bedarfs des Kaisers die ersten Gewächshäuser von seinen Gärtnern erfunden wurden. So berichtet Plinius, dass Tiberius’ Gärtner die Gurken in „bewegbare Beete, die auf Rädern standen“, pflanzten. Diese konnten „an die Sonne vorgeschoben und bei kalter Witterung unter ein wohlverwahrtes Behältnis, das Fernster von Spekularstein hatte, zurückgezogen werden“. So musste der Kaiser auch auf seinen Feldzügen nicht auf seine geliebten Gurken verzichten.

Allerdings ist die Gurke schon deutlich älter. So wurden beispielsweise in Höhlen an der thailändisch-burmesischen Grenze bereits Gurkensamen mit einem Alter von 9.750 Jahren gefunden. Experten gehen davon aus, dass die Wildform der Gurke (Cucumis sativus var. hardwickii) bereits vor 4.000 Jahren im Norden Indiens kultiviert wurde. Dabei muss man jedoch berücksichtigen, dass die Gurke in alten Quellen nicht von Kürbissen und Melonen unterschieden wurde.

Was hat die Gurke mit Kürbissen zu tun? „Die Gurke (Cucumis sativus L. ssp. sativus) ist eine Art aus der Gattung der Gurken (Cucumis) und gehört damit zu der Familie der Kürbisgewächse (Cucurbitaceae)“, weiß Daniel Bauer, Sohn von Gärtnerlegende Michael Bauer, und fährt fort: „Genau ­genommen sind die Früchte der Gurkenpflanze Panzerbeeren, denn sie bekommen mit zunehmendem Reifegrad eine sehr feste Schale. Diese Beeren brauchen sehr viel Licht, um zu gedeihen, weshalb die Pflanze bevorzugt kletternd wächst. Dabei kann sie ein bis vier Meter lange Ranken bilden.“

Ein Großteil der einstigen Vielfalt der Gurken ist in Vergessenheit geraten oder sogar verschwunden. Der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt hat die Gurke zum Gemüse des Jahres für 2019 und 2020 ernannt (nutzpflanzenvielfalt.de). Damit will der Verein auch zur Erhaltung und Verbreitung samen­fester und damit nachbaufähiger Sorten anregen.

„Es gibt erstaunlich viele Gurkensorten, die wir aber selten zu Gesicht bekommen. So gibt es auch nahezu weiße Gurken, wie die Crystal Apple oder die schneeweiße White Wonder. Gerne verwenden wir auch die hell­gelbe Edmundson, eine Salatgurke, die im jungen Stadium hellgelb ist und vollreif rotorange. Neben den läng­lichen und walzenförmigen Typen gibt es auch keulenförmige sowie sehr kurze und kugelige Formen“, schwärmt Paul Ivic´, Küchenchef des vielfach ausgezeichneten vegetarischen Gourmetrestaurants Tian, leidenschaftlicher Gemüse-Koch und großer Befürworter biodynamischer Landwirtschaft. Bei Biogurken gibt es keine Hydrokultur, sie wachsen immer auf Erde. „Im Bioanbau kommen ­weder leicht lösliche mineralische Dünger noch chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel zum Einsatz. Stattdessen erfolgt die Düngung der Felder mit organischem Material wie Tiermist oder Kompost“, weiß Robert Brodnjak vom Biohof Krautwerk. Wer Importware kauft, sollte über­legen, wie viele Straßenkilometer in einer „frischen“ Gurke stecken und wie sinnvoll es ist, Gurken mit ihren 97 % Wasseranteil aus einem Land mit chronischem Wassermangel, wie z. B. Spanien, in wasserreiche Regionen zu transportieren.

Die Gurken, die wir im Supermarkt finden, sind die glattschaligen bis zu 40 cm langen Salatgurken aus dem Glashaus, auch Schlangengurken genannt, seit einiger Zeit auch die knapp 10 cm langen Minigurken (sog. Snackgurken), außerdem die oft dickschaligen, dunkelgrünen Feldgurken und neuerdings mexikanische, olivenähnliche Minigurken.

Die Blüten der Gurke waren ursprünglich einhäusig, das heißt, sowohl weibliche als auch männliche Blüten sind in räumlicher Trennung voneinander auf einer Pflanze vorhanden. Diese Pflanzen sind in der Regel auf Bestäubung angewiesen. Deshalb setzt man heute bei der Gurkenzucht vor allem auf die Jungfernfrüchtigkeit (Parthenokarpie), also auf Gurkenpflanzen, welche ohne Bestäubung Früchte ausbilden können. Hierfür werden fast ausschließlich Pflanzen verwendet, die nur weibliche Blüten besitzen.

Diese „Mädels“ sind jedoch richtige Sensibelchen, wenn es um den Anbau geht. Denn zu kaltes Wetter und zu viel Wasser oder zu große Hitze und zu wenig Wasser, falscher Boden, falsche Düngung, zu wenig Licht … kann alles dazu führen, dass die Gurke bitter schmeckt. Die Bitterstoffe, sogenannte Cucurbitacine, befinden sich vor allem am Stielansatz. Aus dieser Tatsache wird oft geschlussfolgert, dass Gurken nicht vom Stiel ausgehend geschält werden sollten. Angeblich würden sich die Bitterstoffe dann über die gesamte Länge der Gurke verteilen.

Dass dies allerdings tatsächlich geschieht, wenn man die Gurke „falsch“ schält, ist wissenschaftlich nicht erwiesen und gilt als sehr unwahrscheinlich. Die heutzutage im Handel erhältlichen Gurken sind zudem so gezüchtet, dass sie ohnehin nur noch sehr wenige Bitterstoffe enthalten. Wenn man tatsächlich eine bittere Gurke erwischt, sollte man sie für eine Weile in Wasser legen und erneut probieren. Das Salzen von Gurken empfiehlt sich, sofern überhaupt, erst unmittelbar vor dem Essen. In älteren Rezepten empfiehlt man, die Gurken vor der Zubereitung zu salzen, um das Wasser ziehen zu lassen. Das war natürlich sinnvoll, als die Gurken noch Bitterstoffe enthielten. Bei den früher meist angebauten ­Bauerngarten-Gurken mit kräftigem Geschmack war es üblich, sie in ­verschiedenen Entwicklungsstadien zu verwenden: die jungen, kleinen eingelegt als Essiggurken, die großen ausgewachsenen als Salat-, die aus­gereiften mit festerem Fleisch und gelber Schale als Schmor- oder Senfgurken. Schale und Samen wurden entfernt, wie bei den Salatgurken, der Stielansatz großzügig abgeschnitten und scheibchenweise geprüft, ob die Gurke bitter ist. Meist betraf das nur wenige Zentimeter, und die Gurke konnte verwendet werden. Der Klassiker ist wohl auch heute noch der Gurkensalat. Aber die Gurke kann noch einiges mehr. Saure Gurken sind aufgrund der Milchsäuregärung besser verdaulich als rohe Gurken. „Den gleichen Effekt erhält man, wenn man Gurken dämpft oder kocht“, erklärt Paul Ivic´. So wird es beispielsweise in Indien, dem mutmaßlichen Herkunftsland der Gurke, gehandhabt. Hier wird die Gurke als Gemüse gekocht, und dazu werden Reis und Linsen gereicht. Roh behält die Gurke natürlich am meisten ihrer wertvollen Mikronährstoffe. Übrigens: Das Entkernen der Gurke ist nicht nötig. Vielmehr sind die Kerne sogar gesund, da sie viele Ballaststoffe enthalten.

Tian Gourmetrestaurant Wien
Himmelpfortgasse 23, 1010 Wien
www.tian-restaurant.com

Gemüsemanufaktur Bauer
Schulgasse 4B, 2100 Stetten
www.gemuese-bauer.at

Krautwerk
Füllersdorf 11, 2002 Großmugl
www.krautwerk.at

Lesenswert: Andreas Jandl „Gurke. kleine Gourmandise Nr. 35“, Mandelbaum Verlag

Geschmorte Gurken mit Fenchelgrün

Rezept von Paul Ivic, Restaurant Tian, Wien

Zutaten für 2 Portionen

2 Salatgurken
1 Schalotte
250 ml Wasser
3 EL Sonnenblumenöl
Salz
2 EL Fenchelgrün (alternativ Dill)

Zubereitung

Die Gurken waschen, schälen, längs halbieren und mit einem Teelöffel ­entkernen. Die Schalotte abziehen. Die Gurkenschalen und -kerne und die Schalottenschale mit dem Wasser aufkochen und ca. 5 Minuten auf ­kleiner Stufe auf 150 ml reduzieren lassen. Anschließend abseihen.

Die Gurkenhälften in ca. 1 cm dicke Halbmonde schneiden. Schalotte halbieren und in feine Streifen schneiden.

In einem Topf 2 EL Sonnenblumenöl leicht erhitzen. Die Schalotten darin 2 bis 3 Minuten auf mittlerer Stufe ­anschwitzen.

Die Gurkenstücke dazugeben, leicht salzen und mit dem Fond aufgießen. Abgedeckt 5 bis 10 Minuten schmoren.

Fenchelgrün waschen, fein schneiden und in den Topf geben. Die Schmorgurken mit 1 EL Öl aromatisieren.