Harte Schale, weicher Kern

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Flusskrebse mitten im Wald züchten? Ja, das geht. Mit einem einzigartigen Projekt im Südburgenland hat Gernot Heigl Signalkrebse zur gefragten Delikatesse gemacht.


Text von Claudia Schemerl-Streben Fotos von Stephanie Golser

Wenn Gernot Heigl seinen Schützlingen Erlenblätter ins Becken wirft, wurlt’s. Mit flinken Schwanzbewegungen steuern die kleinen Tierchen, denen mit unabhängig voneinander beweglichen Stielaugen und 360-Grad-Gesichtsfeld nichts entgeht, zielgerichtet auf ihre Beute zu. Hell- bis dunkelbraun ist ihr glatter, fester Panzer, markant ihr weiß-türkisfarbener Fleck auf der Unterseite ihrer kräftigen roten Scheren, mit denen sie fest zupacken, während sie sich mit ihren Kauwerkzeugen über die servierte Mahlzeit hermachen.

Stegersbach im Südburgenland. Eine sanfte Hügellandschaft, üppiger Mischwald und mittendrin eine Lichtung, auf der eine Halle steht. Die Bewohner des freistehenden Konstrukts: Flusskrebse, Bachforellen und Saiblinge. Den speziellen Lebensraum hat sich Gernot Heigl ausgedacht. Im Jahr 2010 wagte der ehemalige Journalist den Versuch, ein in der EU einzigartiges Projekt durchzuführen und mit einer Indoor-Zuchtanlage in Betrieb zu gehen, die wissenschaftlich begleitet wird. Mit einem Bagger trug er am Grundstück seiner Eltern tonnenweise Erde einer Böschung ab, baute eine 200 Quadratmeter große Halle aus doppelwandigen Grobspanplatten mit Dämmwollfüllung und montierte 24, eigens nach seinen Vorstellungen konzipierte, glasfaserverstärkte Polyester-Becken, in die er mit einer Pumpe aus dem hauseigenen Brunnen mit Stegersbacher Quellwasser einspeist. Außergewöhnlich macht die Anlage vor allem die angewandte High-End-Technologie: Gereinigt wird das Wasser mechanisch und biologisch, über zwei UV-Filter-Geräte, die bisher nur für die Ansprüche der hochempfindlichen Koi-Fische im Einsatz waren, und die in Kombination mit einer vollbiologischen Kläranlage und einer Sauerstoffpumpe Trinkwasserqualität garantieren.

Die überwiegende Mehrheit seiner Becken besiedelte der Autodidakt mit Flusskrebsen. Nach Gewichtsklassen getrennt wimmeln dort Exemplare zwischen zweieinhalb und 16 Zentimeter Länge in Tanks mit bis zu zwei Metern Durchmesser und einem Wasserstand, der zwischen 60 und 80 Zentimetern variiert. Eine leichte Strömung sorgt dafür, dass Nahrungsreste in ein Abflussgitter am Boden gewirbelt werden und im Anschluss gereinigt als Dünger auf der Wiese neben der Halle landen. Ausgestattet sind die Unterwasserwohnungen der Süßwasserkrebse mit Körben – sie dienen als Höhlen, in denen sich die Tiere zurückziehen können –, von denen Heigl jeweils sechs Stück am Beckenrand angebracht hat und die im Wasser zu schweben scheinen. Im Gegensatz zu konventionellen Zuchtanlagen, die für diesen Zweck Lochziegel verwenden, schwört Heigl auf seine Verstecke Marke Eigenbau. „In die Ziegel kommt kein Sauerstoff hinein und die Wasserzirkulation ist unzureichend.“ Der Züchter kaufte stattdessen ein Kubikmeter große Würfel, die aus neben- und übereinanderliegenden Netzröhren bestehen, schnitt sie auf kleine Kästen zusammen und verpasste ihnen eine Rückwand aus Kunststoffnetzen. Nach vorne hin geöffnet können sich die Tiere in den Gittergängen verkriechen. Der mehrfache Nutzen dieser Schwebekörper rechtfertigt für Heigl den Aufwand: Wenn ein Flusskrebs das Bedürfnis nach Ruhe hat, kann er sich von seinen Kollegen absentieren; Jungtiere – die nach der Abnabelung von der Mutter noch winzig sind – ernähren sich von darauf abgelagerten Mikroorganismen und sind gleichzeitig vor größeren, ihnen überlegenen Artgenossen geschützt, die kannibalistisch ausgerichtet sind.

Als Schutzbunker dienen die Netz-Kästen den vornehmlich nachtaktiven Flusskrebsen auch bei Wachstumsschüben – im 1. Lebensjahr sind es bis zu zehn, ab dem 4. Lebensjahr ein bis zwei jährlich –, für die sie ihren Panzer ablegen, um einen neuen zu bilden. Vor der sogenannten Häutung stellt der Flusskrebs vorbereitend seine Nahrungsaufnahme ein und entwickelt unter seinem alten Panzer eine samtige Haut. Nachdem der erwachsene Flusskrebs nahezu eine Woche Vorbereitungszeit benötigt und dabei immer aggressiver wird, nimmt er während des Häutungsvorgangs eine seitlich gekippte Lage ein, in der er seinen Rückenpanzer nach oben klappt, während seine Scheren- und Beinteile aufbrechen. Durch rhythmisches Pumpen zwängt der Flusskrebs seine Scheren aus der Hülle, zieht seinen Vorderleib aus dem Panzer und wirft den Rest durch schnelle Schwanzbewegungen ab. Das Ergebnis: ein schimmernder Krebs, der auch als Butterkrebs bekannt ist und in dieser Phase leicht verletzt werden kann, da seine neue Panzerschicht noch nicht ausgehärtet ist. Je nach Alter benötigt der Krebs für die Bildung des neuen Panzers zwischen 24 Stunden und zwei Tagen, dann „ist er auf der sicheren Seite“ und eine Nummer größer.

Vier Jahre dauert es, bis ein Flusskrebs zwischen 80 und 100 Gramm auf die Waage bringt. Das langsame Wachstum ließe sich steigern, sorgt aber für geschmackliche Einbußen. Züchter Heigl, der in der Anfangsphase mit Fischmehl-Pellets experimentiert hat, konnte dieser Methode nichts abgewinnen: Während zu Beginn eines Fütterungsversuchs zunächst „nur“ ein unangenehmer Geruch feststellbar war, wirkte sich die längere Verabreichung der Trockennahrung auch negativ auf den Geschmack der Krustentiere aus, die erst nach mehreren Tagen Diät wieder genießbar waren. Um den Flusskrebsen diese Mästung mit abschließender Radikalkur zu ersparen und gleichzeitig garantieren zu können, dass sein Slow-Food auch fangfrisch schmeckt, verbannte er Fischmehl aus der Nahrungskette. Er bietet den Tieren stattdessen eine abwechslungsreiche Melange aus abgestorbenen Pflanzenteilen – ihrer ausgeprägten Vorliebe für Erlenblätter kommt Heigl dabei nach –, frisch gefangenen Bachforellen oder Saiblingen aus der eigenen Zucht, Erdäpfelscheiben und Kürbis-Presskuchen an. Auch der Einsatz von Antibiotika ist für ihn tabu – verzichten kann er darauf nicht nur wegen der gewährleisteten hohen Wasserqualität, sondern auch aufgrund der geringen Besatzdichte und des geschlossenen Systems, mit dem Heigl wetterunabhängig 365 Tage im Jahr arbeiten kann.

Eine Änderung nahm der Flusskrebszüchter bei seiner Spezialisierung vor. Von der ursprünglichen Idee, den heimischen Edelkrebs (Astacus astacus) für kulinarische Zwecke zu nützen, ließ er rasch ab. Vermehrt wird die gefährdete Krebsart mittlerweile lediglich, um sie in österreichischen Gewässern wiederzubesetzen. Als potenter Speisekrebs erwies sich hingegen der aus Nordamerika stammende Signalkrebs (Pacifastacus leniusculus), der erstmals im Jahr 1970 nach Österreich importiert wurde und als Überträger der Krebspest für ein Massensterben heimischer Populationen sorgte. Der Immigrant selbst ist gegen die Krebspest immun, wesentlich robuster als der hiesige Süßwasserkrebs und fühlt sich auch in wärmeren, stehenden Gewässern wohl. Während wildlebende Signalkrebse nicht immer von hohem kulinarischen Wert sind und manchmal modrig schmecken – sie fühlen sich auch in schlammigem Untergrund wohl –, entwickeln sie unter den von Heigl geschaffenen Bedingungen einen besonders feinen Geschmack, der sich von jenem des Edelkrebses – selbst von sensiblen Gaumen – nicht eindeutig unterscheiden lässt.

Längst herumgesprochen hat sich das in der Spitzengastronomie, die die Delikatesse regelmäßig bei Heigl bezieht. Wie etwa Richard Rauch vom SteiraWirt, der das winzige Tier derzeit von „Nose to Tail“ verarbeitet und sogar mit den Innereien etwas anfangen kann, die er als Creme zu gebackenem Scherenfleisch serviert. Kunde der ersten Stunde ist Harald Irka von den Saziani Stub’n im südoststeirischen Straden, der erstmals im Frühjahr 2013 mit einer Kostprobe konfrontiert wurde und seither nahezu jede Woche vom Züchter persönlich mit mehreren Kisten voller Krustentiere angefahren wird. Letzten Herbst kombinierte das aufstrebende Kochtalent ihr zartes Fleisch mit Kürbis, Limettenasche und Flusskrebsöl. Heuer hat er sich ein Gericht in zwei Gängen ausgedacht: Dazu löst er Schwänze und Scheren der kurz gekochten Krustentiere aus und verwendet die Karkassen für die Zubereitung einer Flusskrebsbutter, die er mit Raz-el-Hanout verfeinert und mit dem Flusskrebsfleisch, Frischkäse, fermentierten Mispeln und Sesamchips aus der Küche schickt. Für den zweiten Teller verwendet er die Schalen der Süßwassertiere für die Herstellung von Flusskrebsmehl. Dazu trocknet er die roten Karkassen, vermahlt sie fein und setzt sie als hocharomatische Unterlage für pochierten Eidotter ein, auf dem er ein Gramm Flusskrebskaviar – Irka wurde dafür mit einer limitierten Menge an Eiern von Heigl versorgt – platziert. Sind alle Tische im Restaurant besetzt, löst Irka an einem Tag 80 Flusskrebse fingerfertig in einem Rekordtempo von einer Stunde aus. Gelagert wird die frische, lebende Ware bei ihm dafür nicht im Kühlraum, sondern in einem eigenen Wassertank im Keller. Dass die kleinen Tiere bei Ausbruchsversuchen äußerst erfolgreich sind und ihnen auch an Land die Luft nicht ausgeht, konnte der Küchenchef schon mehrmals beobachten: Die Tierchen, die in freier Natur auch zwei Kilometer Wanderung auf sich nehmen, um ein anderes Gewässer zu erreichen, sind dann nämlich statt im Wassertank im Weinkeller des Hauses unterwegs.

Während Irka die ständige Verfügbarkeit für sich nützt und die Flusskrebse das ganze Jahr über verarbeitet, findet Alain Weissgerber vom Gourmetrestaurant Taubenkobel im burgenländischen Schützen am Gebirge die Spezialität nur für die warme Jahreszeit interessant. „Wir kombinieren Flusskrebse gerne mit Paradeisern, außerdem passen sie gut zum Sommer, weil sie mit ihrem feinen Geschmack und der zarten Fleischkonsistenz ein frisches, leichtes Gericht abgeben.“ Der Elsässer füllt das Schwanz- und Scherenfleisch der Krustentiere gemeinsam mit Bohnenkraut-Hollandaise und Sprossen in eine Kohlrabiknolle, die er zuvor von Ton ummantelt in einer Gusseisenpfanne zweieinhalb Stunden in seiner neuen, archaischen Kochstelle, einem Holzofen, gart. Dass Weissgerber mit dem Stegersbacher Krebs ein regionales Produkt auf die Karte setzen kann, passt gut in das Konzept des Hauses, das beim Einkauf nicht erst seit es zum Hype wurde auf die Umgebung zurückgreift. Eine Philosophie, die auch Helmut Rachinger konsequent lebt. Seit kurzer Zeit teilt er den Herd im Hideaway Mühltalhof im oberösterreichischen Neufelden mit seinem Sohn Philip, der zuvor durch Europa tourte – er arbeitete im Sketch Club von Kochgröße Pierre Gagnaire in London, stand als Souschef in der Küche des Londoner Clove Club und kochte im angesagten Pariser Bistro Saturne – und für neue kreative Impulse am Teller sorgt. Schon 20 Jahre lang verlässt sich Rachinger auf Lebensmittel aus der Region. Leinöl gehört genauso dazu, wie Gemüse von den Eferdinger Bauern oder Signalkrebse, die ein Jäger mit seinen Reusen (die Drahtkörbe haben sich beim Krebsfang als besonders effizient erwiesen) aus der Traun fischt. Am liebsten sind dem Kochduo Exemplare mit 60 Gramm – sie garantieren die größte Fleischausbeute im Verhältnis zum Gesamtgewicht. Sobald eine ausreichende Mengen an Flusskrebsen geliefert wird, stellen sie damit die Mühlviertler Version der französischen Bouillabaisse – ein Signature Dish des Hauses – her, die ohne Meeresgetier auskommt, ihren intensiven Geschmack aus kiloweise Flusskrebskarkassen, Safran, Knoblauch, Paradeisern, Fenchel und Kräutern entwickelt und mit Krebsfleisch- und Bachforelleneinlage ein herzhaftes Gericht abgibt, das man endlos löffeln könnte.

Asiatisch inspiriert tastet sich Andreas Senn an die Thematik Flusskrebs heran – und das mitten in Salzburg. Im Frühling packte der Küchenchef des Restaurants Heimatliebe im Luxusresort A-ROSA in Kitzbühel gemeinsam mit seiner Crew seine Sachen und verfrachtete das Küchenequipment inklusive Porzellan, Besteck und Gläsern mit dem LKW in das Objekt 6C der ehemaligen Salzburger Glockengießerei Gusswerk, wo er in einem Raum der Fabrikshalle neungängige Menüs auf nackten Tischen mit extravaganter Oberfläche serviert. In seinem Pop-Up-Restaurant, das Senn bis Mitte November dieses Jahres bespielt, richtet er Flusskrebsschwänze etwa in Kombination mit Sojagelee, Norichips und Gurkenschaummousse an und finalisiert das Gericht mit einer schneeweißen Kugel aus Sushireis, die er mit dem Fleisch der Scheren und Avocado füllt. Auch für die ganz heißen Tagen hat er eine Idee parat und kündigt an, das zarte Flusskrebsfleisch mit Gin-Tonic-Espuma, verschiedenen Texturen von der Gurke (eingelegt, als Granité und Mousse) und Marchfelder Artischocken als erfrischenden Gang aus der Küche zu schicken.
Überlegungen zur Verarbeitung stellt auch Züchter Heigl an. Neben den Eiern der Flusskrebse, die er seit kurzer Zeit als Kaviar abfüllt, geht es ihm dabei um die Schale der Tiere, der sie sich beim Häuten entledigen. Heigl sammelt das Material, trocknet es und zerkleinert die roten Panzer zu Flocken, mit denen er in einem Versuch seine Fische füttern will, um dem in konventioneller Fischzucht pur eingesetzten Farbstoff Astaxanthin zu entgehen. „Im Meer ernähren sich Lachse auch von Krillen und Garnelen und nehmen so auf natürliche Weise den Farbton an,“ gibt er sich zuversichtlich. Wenn die Übung gelingt, hat er ein weiteres Produkt, um das sich die Kochelite mit
Sicherheit reißen wird.

Mühltalhof
Unternberg 6, 4120 Neufelden
Tel.: 07282/62 58
www.muehltalhof.at

Heimatliebe Sommerlocation Gusswerk,
Hotel & Designwerkstatt
Söllheimerstraße 16, Obj. 6C, 5020 Salzburg
Tel.: 0676/843 86 83 00
www.heimatliebe-salzburg.at

Saziani Stub’n
8345 Straden 42
Tel.: 03473/86 51
www.neumeister.cc

Taubenkobel
Hauptstraße 31–33, 7081 Schützen am Gebirge
Tel.: 02684/22 97
www.taubenkobel.at

Flusskrebszüchter
Gernot Heigl
Grabenstraße 55, 7551 Stegersbach
Tel.: 0664/512 72 92
www.fischundkrebs.at