Im Käsebergwerk
Österreichs erster Höhlenkäse kennt keinen blauen Schimmel. Aber dafür Quarzit, Feldspat, Grünschiefer und eine Prise Silber.
Text von Florian Holzer · Fotos von Ingo Pertramer
Höhle und Käse, das ist generell eine gute Kombination. Weiß man etwa in Roquefort-sur-Soulzon im Languedoc schon seit vielen hundert Jahren; oder in Asturien, wo man ins Kalkgestein der Picos Höhlen grub, in denen der Cabrales reift; oder in der Lombardei, wo so mancher Gorgonzola in den Genuss des Höhlenklimas kommt; oder in Luzern, wo der Schweizer Marktführer Emmi seit den 90ern Emmentaler und Gruyère der Topkategorie reifen lässt – gerade erst wurden die unterirdischen Anlagen auf 10.000 Quadratmeter vergrößert.
In Österreich hat Höhlenkäse keine Tradition. Erstens, weil es in Österreich um Käsetraditionen ohnehin nicht so gut bestellt ist, zweitens, weil man’s, wenn es um Käse geht, gern so berechen- und kontrollierbar wie möglich hat, und da klingt „Höhle“ doch ein bisschen nach Anarchie, und drittens, weil wahrscheinlich noch niemand auf die Idee gekommen ist.
Franz Möstl kam auf die Idee. 2007 war das, als es nämlich darum ging, das Nebenprodukt des recht erfolgreichen Almochsen-Projektes „Almo“ – die hochwertige Almmilch – einigermaßen sinnvoll zu nutzen. Möstl ist hauptberuflich Anlagenbauer, spezialisiert auf Fruchtsafterzeugung, Brauereien, Molkerei und Milchverarbeitung, sein Unternehmen befindet sich in der Nähe des malerischen Bergbauortes Arzberg, in dem vom Mittelalter bis 1927 Bleiglanz, Galenit und Zinkblende abgebaut wurden, um Silber, Blei und Zink zu gewinnen, seit 1995 wird das alte Bergwerk als Schaustollen genutzt – Voraussetzungen, die man nur noch gut kombinieren musste.
Möstl konnte auf Klimamessdaten zurückgreifen, die ein paar Jahre zuvor anlässlich der Idee, aus dem alten Bergwerk einen Heilstollen zu machen, erhoben wurden. Und er konnte den Geologen, Geowissenschafter und Initiator des Schaubergwerks Univ.-Prof. Dr. Leopold Weber von seiner Idee, Käse in einem Bergwerksstollen reifen zu lassen, begeistern. Den Käse für seine ersten Versuche, die er in einem kleinen Nebenstollen des Schaubergwerks durchführte, kaufte er von der Obersteirischen Molkerei in Knittelfeld, ein paar hundert Sieben-Kilo-Hartkäselaibe, die eineinhalb bis zwei Jahre in der Höhle reifen sollten.
40.000 Euro investierte Möstl während der Anfangszeit in das Projekt, ohne zu wissen, ob das Ganze überhaupt funktionieren würde. Mittlerweile wurden daraus ein paar Millionen Investitionsvolumen (genaue Zahlen gibt das Unternehmen nicht preis) , aus dem kleinen Versuchsstollen von 2007 wurde ein eigenes, neues Käsereifungsbergwerk namens „Franz-Leopold-Stollen“ (Franz für Franz Möstl, Leopold für Prof. Leopold Weber) und die Käse erhielten in den vergangenen drei Jahren Goldmedaillen bei prestigeträchtigen Bewerben in London, Birmingham und Wisconsin. „Seit 2012 können wir jetzt sagen, dass es sich dabei also um keinen Zufall handelt“, sagt Käse- und Stollenmeister Alexander Luttenberger.
Nach Zufall sieht das hier auch wirklich nicht aus, ganz im Gegenteil. Vielmehr sieht es so aus, als hätte Dr. No beschlossen, die Weltherrschaft mittels Käse an sich reißen zu wollen, so sehr erinnert der insgesamt 280 Laufmeter lange Stollen – ein Hauptgang und sechs Nebenstollen, die da 2009 ins Gestein getrieben wurden – an eine James-Bond-Kulisse: Eine Melange aus Nirosta-Stahl, Computersteuerung, Stahltüren und einer Jahrmillionen alten Gesteinsmischung aus Grünschiefer, Quarzit und Feldspat, das sich in spektakulären Wellen und kaskadenartigen Strukturen durch das Bergmassiv zieht.
Hat man sich erst einmal an das filmreife Ambiente gewöhnt, stellt sich natürlich die Frage: Und warum der Aufwand? Warum im Stollen? Einerseits wegen der absolut gleichmäßigen Temperatur von etwa 11 °C, erklärt Luttenberger, vor allem aber wegen der Luftfeuchtigkeit von 96 bis 97 Prozent, „das ist das Spezielle“.
Diese Feuchtigkeit und die poröse Oberfläche des Gesteins schaffen ein Klima, das der Käse liebt, in der sich eine Flora bilden kann, die guten Käse zu erstklassigem Käse werden lässt. „Künstlich wäre das so nicht herzustellen“, erklärt der Käsemeister. Der Silberanteil wäre da natürlich auch noch zu erwähnen, der in Spurenelementen sicher vorhanden ist und als antibakteriell eingestuft werden könnte, „Mutter Natur gibt uns da jedenfalls etwas, womit wir arbeiten können“.
Ein Klima, das in seiner extremen Besonderheit Alexander Luttenberger und seine beiden Kollegen aber auch dazu verpflichtet, jeden Käse täglich zu kontrollieren, und abzuwägen, wo welcher Laib liegen soll. Der in Edelstahl gefasste Boden des Käsebergwerks wird zwar tiefengereinigt und weitgehend steril gehalten, dennoch ist ein Stollen eben etwas Anderes als eine in Fliesen gekleidete Käserei, die nach Bedarf mit Dampfstrahler gereinigt werden kann. „Uns darf hier einfach nichts passieren“, so Luttenberger, „einen Stollen zu sterilisieren, ist ein Ding der Unmöglichkeit.“ Was hier übrigens nicht nur von der Lebensmittelbehörde kontrolliert wird, sondern auch vom Bergbauamt – in dieser Kombination höchstwahrscheinlich einzigartig in Österreich.
33 bis 34 Tonnen Käse reifen derzeit im Arzberger Franz-Leopold-Stollen, bei einem Preis zwischen 23 und 31 Euro pro Kilo eine Menge gebundenes Kapital. Etwa drei Viertel der Rohkäse, die hier ihre Reifung erfahren, stammen aus der mit dem Almenland Stollenkäse assoziierten Sennerei Leitner in Tulwitz, ebenfalls nur ein paar Autominuten von Arzberg entfernt und 2009 mit modernster Verarbeitungstechnik aus dem Hause Möstl errichtet. Der Rest kommt nach wie vor aus Knittelfeld, Ziegenrohkäse stammen aus der Bundesanstalt für Alpenländische Milchwirtschaft Rotholz in Jenbach, einem der führenden heimischen Betriebe in Sachen Ziegenmilchverarbeitung. Seit Juni reifen auch Emmentaler aus der brandneuen, ebenfalls mit Möstls Technik ausgestatteten Großmolkerei SalzburgMilch Lamprechtshausen im Stollen, um zu schauen, wie sich das feuchte Höhlenklima auf diesen Käsetypus auswirkt. Aus Südtirol bezieht man Parmesanlaibe, die hier dann ein Jahr Stollenluft atmen.
Fast alle der Stollenkäse sind mit Rotschmierkultur infiziert, Weißschimmel oder Blauschimmel wären unter den Stollenbedingungen unmöglich. Bei Vermischung wäre Chaos die Folge – Alexander Luttenberger wirkt nicht sehr entspannt, wenn er darüber nachdenkt. Die erste Station aller Stollenkäse – egal ob aus Kuh-, Schaf- oder Ziegenmilch, egal ob Weich-, Schnitt- oder Hartkäse – ist der Salzbad-Stollen. 30 bis 40 Stunden kommen die Rohlinge hier in die 23-gradige, gesättigte Salzlake, der Computer überwacht, dass Temperatur und Füllniveau stimmen. Die nächste Stufe ist die so genannte „Kinderstube“, der Rotkulturstollen, in dem sich die Käse – akribisch nach Sorte und Datum geordnet, auf weißen Kunststoffregalen arrangiert – mit der Kultur infizieren. Die sitzt hier nach sieben Jahren natürlich schon in jeder Ritze des Gesteins, Luttenberger und seine Kollegen helfen aber sicherheitshalber dennoch nach: Anfangs wird jeder Käse täglich gewaschen und gewendet, später etwa einmal pro Woche. Zehn Wochen bleiben die Laibe hier in der Käsekeimzelle, nehmen Farbe an, entwickeln ihre Rinde und ihr Aroma. Und was für ein Aroma – der Stollen duftet nach frischen Waldpilzen, nach knuspriger Brotrinde, nach Kakaobohnen.
Im hintersten und längsten Stollen reifen die Weich- und halbfesten Schnittkäse zwischen acht Wochen und fünf Monate. Der Capellaro etwa, ein zartmilchiger Ziegenweichkäse mit feinsandiger Rinde, Aurum, der cremig angelegte Schnittkäse aus Schafmilch, Bellino, der weich-würzige Schafkäse mit elegantem Champignon-Aroma, und schließlich der Argentum, ein aus Heumilch gekäster Weichkäse, der schon in seiner Jugend extrem verführerisch, nussig, milchig schmeckt, dem man aber unbedingt die Chance auf eine aromatische Grenzerfahrung geben sollte. Da wächst er dann nämlich über sich hinaus.
Auch der Teichalmer, ein halbharter Schnittkäse aus Kuhmilch und bis zehn Monate gereifter, intensiver, klassischer Rotkulturkäse, und der Knappenkäse, ein bis zwölf Monate gereifter Schafkäse, besitzen einen eigenen Stollen. Der wirkliche Star aber ist der Erzherzog Johann, ein mindestens 18 Monate bis zu zwei Jahre gereifter Hartkäse aus Kuhmilch, der sowohl „klassisch“ als auch mit einer in Rotwein gewaschenen Rinde hergestellt wird, „Blaufränkisch aus dem Burgenland und noch eine Geheimzutat dabei“, erfährt man. Dieser Käse ist groß. Bei Blindverkostungen toppe er immer wieder die Gruyères aus der Schweiz und die Comtés aus Savoyen, erzählt Alexander Luttenberger mit vor Stolz geschwellter Brust. Diese spezielle Feuchtigkeit, die sich in einer ganz eigenen Elastizität äußert, die für ein wirklich außerordentlich cremiges Mundgefühl sorgt, das sorgt für die Medaillen bei Bewerben und für großes Staunen unter Käse-Freunden. Diese Karamellnoten, Milchcreme und Vanille, dazu die rasante Würzigkeit, die feinen Kristalle, die zwischen den Zähnen bersten – alles Indikatoren für hochreifen Bergkäse, nur eben nicht splitternd und hart, sondern geschmeidig, elastisch – verblüffend. Und das – man vergisst es fast – nicht mit Rohmilchkäse, sondern mit Ausgangsware, die aus thermisierter Milch gemacht wurde, „vielleicht gleicht der Stollen das wieder aus“, meint Luttenberger.
Im Sommer soll dem Vernehmen nach ein neuer Topkäse auf den Markt kommen, hierarchisch noch über dem „Erzherzog Johann“ angesiedelt, „uralte Methode“ ist alles, was man von Alexander Luttenberger erfährt. Und Franz Möstl lässt sich – prinzipiell – ohnehin nicht in die Karten blicken, „wir müssen erst schauen, ob’s funktioniert“. Er wird wohl mit ziemlicher Sicherheit etwas mit Rotschmierkultur zu tun haben und wohl auch geschmeidig sein …
Das Arzberger Stollenkäse-Projekt ist in seiner sowohl großzügig als auch qualitativ kompromisslos angelegten Art sicher einzigartig in Österreich. So einen Aufwand tun sich hier sonst nur Winzer an …
Käse aus Kellern, Höhlen, Tunnels und Stollen
Gleichmäßige Temperatur und Feuchtigkeit legen es ja grundsätzlich nahe, Käse in Höhlen und Stollen reifen zu lassen, sehr oft geschieht das in Österreich – mit Bergen und Felsen, die sich zu Reifungszwecken durchbohren ließen, durchaus gut ausgestattet – aber trotzdem nicht.
Diesbezüglich war in Österreich wohl die Tirol Milch in Wörgl Pionierin, die schon früh damit begann, Bergkäselaibe im Sieben-Kilo-Format in zwei alten Höhlen – seit 1995 einer in Wörgl und einer in Kundl – reifen zu lassen. Der sogenannte „Kundler Keller“ diente seit Mitte des 17. Jahrhunderts schon so manchem Zweck, etwa dem Kühlen von Bier oder als Schutz vor den Fliegerbomben des Zweiten Weltkriegs, ab dem Jahr 2001 wurde hier Käse mit Rotkultur gepflegt. 2013 konnte die Tirol Milch den relativ großen Lebenbergstollen in Kitzbühel übernehmen, der lange als Eiskeller der Kitzbüheler Brauerei gedient hatte. Hier reifen nun die Tiroler Felsenkellerkäse 200 Tage lang, die beiden „alten“ Höhlen dienen der Reifung anderer Käse. Insgesamt produziert die Tirol Milch jährlich 4.000 bis 5.000 Tonnen in Höhlen gereiften Käses.
Recht jung ist das Projekt des Kufsteiner Biokäse-Produzenten Herbert Plangger: Anfang 2015 wurde im Niederndorfer Ortsteil Sebi ein Tunnel in den Fels getrieben, der die Käsereifung in vier verschiedenen Klimazonen ermöglichen soll. Seit einigen Monaten ist der erste Käse aus der montanen Reifungsanlage im Handel, ein biologischer Tiroler Bergkäse.
Das jüngste – und nicht gerade unspektakuläre – Projekt ist eine vorarlbergerisch-wienerische Käsereifungsfusion: Anton Sutterlüty kommt aus einer Senner- und Käser-Familie im Bregenzerwald, arbeitet als Kunstvermittler und empfindet das Käsen mit archaischen Gepsen (Holzschüsseln, in denen die Abendmilch über Nacht reift und sich mit natürlichen Käsereibakterien infiziert, quasi ein „spontan vergorener“ Käse …) mittlerweile als philosophische Bestimmung. Er betreibt einen Stand am Karmelitermarkt und vertreibt seine Käse online. Bei einer Käselieferung in die Wiener Innenstadt entdeckte er den mittelalterlichen Ziegelgewölbekeller des „Kipferlhauses“ in der Grünangergasse und konnte den Hausbesitzer davon überzeugen, hier innerstädtisch Vorarlberger Käse reifen zu lassen. Und zwar bis zu fünf Jahre lang. Die lebendige Entwicklung der Bakterienflora und der Mikrokulturen in Kellern, Höhlen oder Stollen sind es, was ihn da reizt. In sterilen Reiferäumen hätte das lebendige Produkt Käse nicht die gleichen Voraussetzungen, so Sutterlüty.
Tirol Milch
Latellaplatz 1, 6300b Wörgl
Tel.: 05332/78 01-0
www.tirolmilch.at
Käserei Plangger
Durchholzen 22, 6344 Walchsee
Tel.: 05374/56 17
www.kaeserei.at
Stollenkäse aus dem Almenland
Arzberg 32, 8162 Passail
Tel.: 03179/230 50-0
www.almenland-stollenkaese.at
Verkaufsstelle in Wien:
Almenland Genussladen
Josefstädter Straße 60/5, 1080 Wien
Tel.: 01/402 34 87-0
Mo.–Fr. 10–19, Sa. 9–14 Uhr