Käse-Rassen

Reblochon

Nicht nur bei Weinen, sondern auch bei französischen Käsen geben Etiketten weit mehr Auskunft als nur über das ­Herkunftsgebiet. Und genau wie beim Wein setzen sie ­einiges Wissen voraus, um richtig verstanden zu werden.

Text & Fotos von Georges Desrues

Um an die Milch seiner Kühe zu gelangen, ist der Milchbauer Géraud Delorme auf deren Kälber angewiesen. Darum zieht er sie groß und lässt sie von Frühjahr bis Herbst auf der Weide grasen – anstatt sie bald nach der Geburt zu verkaufen oder zu schlachten, wie das Milchproduzenten üblicherweise tun. „Es sind Rinder einer uralten Rasse, die in unserer Gegend seit Jahrhunderten, womöglich seit Jahrtausenden gezüchtet werden“, sagt Delorme auf dem Weg zu seiner Weide. Sein Hof liegt im Département Cantal in der Auvergne, dieser dünnbesiedelten Region Zentralfrankreichs mit ihren versiegten Vulkanen, den weitläufigen Hochplateaus und den atemberaubenden Rundumblicken.

Neben dem berühmten und gleichnamigen Käse wird im Cantal auch ein weiterer erzeugt, der sich Salers nennt und damit denselben Namen trägt wie die Rasse, die Delorme züchtet. Auf den ersten Blick ähneln sich ein Cantal- und ein Salers-Laib wie ein Ei dem anderen: Beide sind hohe Trommeln, mit einer grau-silbernen Rinde, die an die Steinarchitektur der Dörfer in dieser landwirtschaftlich geprägten Gegend erinnert. Doch sind sie erst einmal angeschnitten, geben die Käse ihre Unterschiede preis. In seinem Inneren ist der Salers von saftigem Gelb, dunkler in der Farbe und schmieriger in der Konsistenz, mit intensiveren und komplexeren Aromen.

„Das liegt an der Milch der Salers-Rasse, die in dem Käse verarbeitet wird, sie ist fetthaltiger und überhaupt gehaltvoller als jene der modernen Rassen, die im Cantal-Käse zum Einsatz kommt“, erklärt Delorme, während er seinen Pick-up auf einem Feldweg parkt. Rechts des Weges grasen eingezäunt die erwachsenen Rinder, links davon deren Kälber, die mit spürbarer Nervosität De­lormes Ankunft registrieren. Salers-Rinder sind wunderschöne Tiere, die allein optisch schon sehr gut in die Landschaft passen, mit rotbraunem, langhaarigem und leicht gelocktem Fell; und langen geschwungenen Hörnern in Form einer Lyra, wie man hier sagt.

Als Delorme das Gatter öffnet, galoppieren die Kälber wie wild über den Feldweg zu ihren Müttern, wo sie Delormes Sohn Gilbert in einen Pferch treibt. Darin drängeln sie nun und warten ungeduldig darauf, an die Euter ihrer Mütter gelassen zu werden. „Es ist eine Eigenart dieser uralten Rasse, dass man die Kühe nur dann melken kann, wenn sie ihre eigenen Kälber erkennen“, erklärt Gilbert und führt die ersten Kühe in den Melkstand. Kurz nachdem das erste Kalb zu saugen begonnen hat, zieht der Züchter es weg und schickt es zurück in den Pferch. Erst jetzt kann die Melkmaschine angesetzt werden. Sollte ein Kalb sterben, etwa an Krankheit oder weil es verunglückt, gibt seine Mutter keine Milch mehr. Auch nicht an ein fremdes Kalb. „In solchen Fällen ziehen wir dem toten Kalb das Fell ab und legen es einem anderen um. Die Mutter hält es für das ihre und kann wieder gemolken werden“, erzählt der Züchter lapidar.

Was auf Außenstehende wie ein brutales Täuschungsmanöver wirkt, ist in Wahrheit althergebrachtes Wissen im Umgang mit ihrem Vieh, das sich die Bauern im Laufe der Jahrhunderte angeeignet haben. „Natürlich ist es viel aufwendiger, solche Tiere zu halten“, sagt Delorme, „auch wegen ihrer geringeren Milchleistung, aber die Mühe zahlt sich aus. Und die Arbeit ist erfüllender.“ Noch vor vierzig Jahren war die Salers die einzige Rasse im gesamten Département“, so Delorme weiter. Dann wurden die ersten Kühe aus modernen Holstein-Züchtungen eingeführt. Angetan von deren viel höherer Milchleistung, versprachen sich die Bauern gesteigerte Umsätze bei weniger Arbeit. Inzwischen hat ein Umdenken eingesetzt. „Viele haben erkannt, dass sie mit der Industrie-Produktion sowieso nicht mithalten können und sind wieder umgestiegen auf die alte Rasse“, sagt der Züchter.

Dass die Salers überhaupt bis heute überlebt hat, ist in erster Linie dem Idealismus von Leuten wie Delorme zu schulden. Und der Tatsache, dass der Salers-Käse heute wieder einen höheren Preis erzielt als der Cantal. „Gäbe es nicht die geschützte Gebietsbezeichnung Salers, die verlangt, dass der Käse mit Milch von Salers-Kühen erzeugt wird, dann wäre die Rasse mit Sicherheit schon verschwunden“, bestätigt Delorme.

Es ist eine wenig bekannte Besonderheit so mancher französischer Käsesorten, dass sich ihre Herkunftsbezeichnung nicht nur auf eine bestimmte Gegend bezieht, sondern auch auf die Herstellungsmethode und die Tierrasse, deren Milch verarbeitet wird. So darf beispielsweise auch der berühmte Blauschimmelkäse Roquefort nur aus der Milch von Schafen der lokalen Lacaune-Rasse erzeugt werden, die ebenfalls im Zentralmassiv und in einem Umkreis von 100 Kilometern um die Ortschaft Roquefort gehalten werden. Doch auch in den französischen Alpen sind einige Käsesorten an örtliche Rassen gebunden. „Das ist ein wunderbares System, weil es den Züchtern und Erzeugern höhere Verkaufspreise für ihre Produkte verschafft“, sagt etwa der Bauer und Käsemacher Jean-Marc Girard, „und zudem der Erhaltung der biologischen Vielfalt dient.“

Girards Bergbauernhof und Hofkäserei liegt in der Vallée d’Abondance, deren schöner Name wörtlich übersetzt Tal der Üppigkeit bedeutet und außer dem Tal und einer Ortschaft auch eine Rinderrasse sowie einen Käse bezeichnet. Die Gegend hat Postkartencharakter – hohe felsgraue Berge, hölzerne Bauernhöfe, grüne Weiden und darauf die dunkelbraun-weißen Rinder, deren Milch der Bauer zu einem würzigen Hartkäse verarbeitet. „Theoretisch kann man für den Abondance auch die Milch von Montbéliard oder Tarine verwenden, die beides ebenfalls alte und gut an die lokalen Bedingungen angepasste Rassen sind“, sagt Girard und steigt einen steilen Hang zu seinen Tieren hinauf, „aber in meiner Familie haben wir immer nur Abondance-Rinder gezüchtet, diese Tradition will ich beibehalten.“ Außerdem legten die meisten seiner Kunden, darunter einige Wirte von Spitzenrestaurants, viel Wert auf ein möglichst traditionelles Produkt und auf reinrassige Milch, fügt er an.

Ebenfalls in Savoyen und etwa 100 Auto-Kilometer südlich vom Abondance-Tal liegt der Hof von Emmanuel Missillier. Er und seine Frau Nathalie erzeugen Reblochon, einen weichen Rotschmierkäse, der gleichfalls aus der Milch jener drei alpinen Rassen erzeugt werden muss, die für den Abondance zugelassen sind. Doch auch die Missilliers konzentrieren sich nur auf eine einzige Rasse. Und zwar ebenfalls auf die Abondance. „Bei Reblochon ist die Qualität der Milch vermutlich noch bedeutender als bei anderen Käsen“, sagt Emmanuel Missillier, „vor allem dann, wenn man wie wir einen Reblochon fermier erzeugt.“

Anders als normaler Reblochon wird jener, der neben seinem Namen den Zusatz fermier am Etikett tragen darf, ausschließlich auf Bauernhöfen und nicht etwa in Milch-Kooperativen erzeugt. „Der Unterschied liegt in der Aufbewahrung der Milch“, erklärt Missillier, „während in den Kooperativen die Milch aus der Abendlieferung gekühlt und mit jener vermischt wird, die am nächsten Morgen eintrifft, verarbeiten wir nur die Milch unserer eigenen Herde. Und das zweimal am Tag, unmittelbar nach dem Melken.“ Was bedeutet, dass die rohe Milch nicht nur – wie bei jedem echten Reblochon üblich – nicht erhitzt, sondern zudem auch nicht gekühlt wird, folglich also körperwarm und ohne jegliche Behandlung zu Käse verarbeitet wird. „Genau wie das Erhitzen tötet auch das Kühlen Mikroben ab, die für Konsistenz und Geschmacksentwicklung des Käses von großer Wichtigkeit sind“, betont der Käser. Und tatsächlich schmeckt Missilliers Käse weit intensiver und ist dabei viel cremiger als herkömmlicher Reblochon.

Auch in Österreich wäre es freilich wünschenswert, könnte man ein System einführen, das lokale Rassen schützen und die Qualität der Milch garantieren würde, bestätigt der Lungauer Gunther Naynar, einer der unangefochten besten Hofkäser des Landes. „Nur ­leider gibt es in Österreich kaum mehr traditionell hergestellte Käse, die derart mit ihrer Region und ­einer bestimmten Tierrasse verwachsen sind, damit ein solches System anwendbar wäre“, sagt Naynar. Tatsächlich hat sich hierzulande die althergebrachte Hofkäserei irgendwann in den 1970er Jahren aufgehört, als die Bauern begannen, ihre Milch an die Kooperativen zu verkaufen und zu reinen Milchlieferanten wurden. Eine der wenigen Ausnahmen sei wahrscheinlich der Vorarlberger Bergkäse, fügt Naynar an. „Aber auch hier ist es vermutlich schon zu spät, um die alte Rasse des Montafoner Braunviehs zu schützen, aus dem der Käse in früheren Zeiten fast ausschließlich erzeugt wurde.“

Tatsächlich gibt es im Bregenzerwald heute nur mehr eine sehr geringe Zahl von Züchtern, die noch einige wenige Braunvieh-Rinder halten. „Um ihre Milchleistung zu steigern, wurden die meisten Kühe bei uns mit amerikanischen Brown-Swiss-Stieren gekreuzt“, sagt der Vorarlberger Käsemacher und Senner Anton Sutterlüty, „wodurch das Original Montafoner Braunvieh vermutlich bald aussterben wird.“ Abgesehen davon, würde unter der Kreuzung auch die Milchqualität leiden. Denn eine Kuh, die so viel Milch gibt, brauche, um diese Leistung auf Dauer zu bringen, bedeutende Mengen an Kraftfutter, das zum Großteil aus Getreide besteht, so Sutterlüty. Aber Kühe sind eben keine Getreide-, sondern Grasfresser. Was bedeutet, dass sie Getreide viel schlechter verdauen als Gras, das für die menschliche Ernährung ungeeignet wäre, von den Kühen in ihren vier Mägen aber in wertvolle Proteine umgewandelt werden kann – wie etwa in die Milch für den Käse.

Abondance, Montbéliard und Tarine
Der halbfeste Käse stammt aus der Haute-Savoie wird traditionell aus tagfrischer (teils ungekühlter – „Reblochon fermier“) Rohmilch hergestellt. Zugelassen ist die Milch der örtlichen ­Rinderrassen Abondance, Tarine und Montbéliard.

Seit 1958 ist der Reblochon AOC-geschützt. Ursprüng­lich wurde er aus der heimlich nachge­molkenen Milch, die besonders fettreich ist und der Melkkontrolle unter­schlagen wurde, hergestellt („reblocher“ ist ein alter ­savoyischer Ausdruck für „ein zweites Mal melken“). Seine trockene, gewaschene Rinde hat eine graurosa bis gelb­orange Farbe, das Innere des Käses soll ­sahnig-zerlaufend sein.
Das Aroma ist nussig, ­vollmundig und butterig.

Salers

Der Schnittkäse stammt aus der Auvergne. Er wird aus Milch der gleichnamigen Kühe hergestellt und trägt seit 1961 das AOC-Siegel. Salers wird nur während sich die Kühe auf den Sommerweiden befinden und ausschließlich in handwerklicher Tradition auf den ­Bauern- und Almhöfen der Region hergestellt. Von 1. Oktober bis Mai wird der Käse Cantal genannt. Das besondere Aroma erhält er vom traditionellen Bottich aus Kastanienholz. Der Teig ist schnittfest und geschmeidig. Er ist leicht säuerlich, herb und hat ein erdiges Aroma.

Abondance

Abondance (Montbéliard und Tarine)
Der aus dem Val d’Abondance (Haute-Savoie) stammende Hartkäse hatte bereits im Mittelalter einen hohen Stellenwert bei den Mönchen der dortigen Abtei. 1381 wurde er bei der Papstwahl in ­Avignon gereicht. Die Milch der gleichnamigen Kühe ist für eine außerordentlich hohe Qualität bekannt. 1990 erhielt der Abondance-Käse das französische Gütesiegel AOC und hat außerdem AOP-Status. Er hat eine bernsteinfarbene Rinde, eine leicht nach innen ­gewölbte Form und einen einzigartigen, vollmundigen Geschmack: fruchtig und nussig zugleich.

Roquefort

Lacaune-Schaf
Roquefort ist ein grün-blau marmorierter Blauschimmelkäse aus der Rohmilch des Lacaune-Schafs. Er wird in der ­Umgebung des französischen Dorfes Roquefort-sur-Soulzon in der kargen Region Rouergue im Département Aveyron hergestellt. Seit 1925 ist der „König der Käse“ (Diderot ) mit dem ­Gütesiegel AOC ausgezeichnet. Er ist somit der erste Käse in Frankreich mit einer geschützten Ursprungsbezeichnung. 1411 erteilte Karl VI. den Bewohnern von Roquefort das Monopol für die Käsereifung in Kalksteinhöhlen des Bergmassivs Combalou, wo die Käse noch heute über zwölf Stockwerk ­verteilt reifen.

Gunther Naynar, Hiasnhof
In Göriach im Lungau setzt der stille, leise Künstler-Aussteiger Gunther
Naynar sehr selbstbewusst auf Rohmilchkäse, was sowohl als politisches Statement als auch als künstlerischer Akt verstanden werden darf und soll. Er lebt hier abseits der industrialisierten, anonymisierten Lebensmittelwelt, als Selbstversorger nach regionalen Kreisläufen und seinen eigenen Vorstellungen von Wertschätzung der Rohstoffe und einem sorgsamen Umgang mit der Umwelt.

Aus der Milch der eigenen Ziegen und Kühe erzeugt der Leiter des Slow-Food-Conviviums Lungau zudem Käse, der zu den gefragtesten des Landes zäht. Das Sortiment umfasst Frisch-, Weich- und Schnittkäse. Darunter der rare, auf der eigenen Alm gereifte Ziegenkäse in Meisterwurzblättern oder der zwölf Monate gereifte Göriacher Hartkäse, der eine Hommage an den französischen ­Cantal ist (siehe Salers). Gäbe es in Österreich eine Herkunftsbezeichnung für Käse, er hätte sie verdient.
5571 Göriach 31, Tel.: 06483/219