Kein Stück gleicht dem anderen

Wenn Küchenkonzepte noch individueller werden sollen, spielt immer öfter handgefertigtes Geschirr von heimischen Keramikern eine Rolle. Was österreichischer Ton und Sojasauce miteinander zu tun haben, warum Regionalismus nicht bei den Lebensmitteln endet und warum Servicemitarbeiter Armmuskeltraining brauchen.

Text von Anna Burghardt · Fotos von Julia Stix

Die Hand kommt bei jedem Stück durch.“ Eveline Lehner hält eine flache Schüssel mit ausgebeultem Rand in besagter Hand, begutachtet nachdenklich ihr Werk. „Genau deswegen passt’s mit dem Walter so gut. Man merkt, dass seine Küche Handarbeit ist, dass da wer dahintersteckt.“ Die Keramikerin, die in Schützen am Gebirge lebt und arbeitet, fertigt seit den Achtzigerjahren fast das gesamte Geschirr für Walter Eselböcks Taubenkobel. „Sie kommt mit dem Produzieren nicht nach“, sagt dieser. „Wir würden es ja auch in der Greißlerei verkaufen, wenn sie mehr machen könnte.“

Die Zusammenarbeit der beiden ist ein frühes Beispiel für eine Tendenz, die langsam die Gastronomie zu erfassen scheint: Geschirr, das eigens von heimischen Handwerkern für ein Restaurant angefertigt wird, soll die Individualisierung einer Küchenlinie forcieren. Der in Japan ausgebildete Keramiker Matthias Kaiser macht seit einigen Monaten Teller, Kaffeebecher und Weinkühler für das winzige Mochi in der Wiener Praterstraße. Silicium, das Label von Anne Wolf und Holger Meißner, stattet das Prato in Graz mit Geschirr aus. Hier kocht seit kurzem der junge Roman Wurzer, der auch selbst Hand an die Stücke legt. Norbert Payr indes ist Wirt, Koch und Gestalter in Personalunion: In seinem Gasthaus Zum lustigen Bauern im niederösterreichischen Zeiselmauer bekommen die Gäste seit vielen Jahren die Desserts auf selbst dekorierten Tellern serviert.

Für Walter Eselböck ist klar, warum Kooperationen dieser Art zunehmen: „Wir leben in einer Zeit, in der jeder etwas haben will, was kein anderer hat.“ Er, der Individualismus und Avantgardedenken immer schon gern betont hat, beschloss gleich in den Anfängen des Taubenkobel, dass für sein Restaurant keine Porzellan-Massenware infrage kommt. Nicht umsonst hat Eselböck mit Eveline Lehner gleich am Anfang die Abmachung getroffen, dass sie für keinen anderen Gastronomiebetrieb Geschirr machen darf. „Schrecklich, eine Zeit lang haben alle dieselben geschwungenen Villeroy&Boch-Teller gehabt“, muss sich Eselböck aufregen, „später diese mit den Löchern von Hering Berlin.“ Er gibt freilich zu, dass die rechteckige Form der Teller mit dem türkisgrünen Rand, die jüngere Generation aus der Werkstatt Eveline Lehners ein paar Häuser weiter, auch ein bisschen zeitgeistig ist. Die Keramikerin selbst mag diese eckigen Stücke, für die Ton in eine Gipsform gedrückt wird, nicht so gern, „an der Töpferscheibe ist es einfach ein ganz anderes Arbeiten“. Bei den runden, auf der Scheibe gedrehten Tellern und Schüsseln sei die Handarbeit viel sichtbarer. Die ausgebeulten flachen Schüsseln, in denen die Küche etwa ein Kerbel-Schwarzwurzel-Dessert für das Foto anrichtet, werden zunächst auf der Scheibe glattgedreht, dann trocknen sie kurz an, dann werden sie von Eveline Lehners Hand ausgebeult. Und zweimal glasiert, einmal bei 980 °C, einmal bei 1.160 °C, wodurch sie sehr widerstandsfähig werden – „das ist ganz wichtig!“, wirft Eselböck ein, „in Spanien oder Marokko findet man auch sehr schönes Geschirr, aber das hält nicht lang“.

Der Ton für das Geschirr des Taubenkobels, in dem man sich schon immer dem Regionalismus verschrieben hat, stammt passenderweise ebenfalls aus dem Burgenland, aus Stoob. Aus dem Steinbruch St. Margarethen kommen zusätzlich noch Sandsteinschüsseln und -platten, „statt der Schieferplatten, die alle haben“, sagt Alain Weissgerber in der Küche, als er die unterschiedlichen Kollektionsteile vorführt. Eine befreundete Firma, die auch an derRestaurierung des Stephansdoms beteiligt ist, fertigt diese Sandsteinstücke exklusiv für den Taubenkobel an. Die ersten Taubenkobel-Teller, erzählt Weissgerber, seien die weißen mit dem rohen, tonbraunen Rand gewesen, erst später seien jene eckigen Stücke mit grünem Rand dazugekommen, auf denen heute viele Speisen serviert werden. Der Sous-Chef hält inzwischen seinen Lieblingsteller in die Höhe: groß, flach, weiß. „Die Formate der eckigen Teller sind so, dass man sie für verschiedene Elemente eines Gerichts immer irgendwie ineinanderstellen kann“, sagt Alain Weissgerber und ordnet sie demonstrativ an, „längs oder quer“. Die grünrandenen Stücke – manchmal kommt auch der braune Ton an den Kanten noch durch und bildet mit der grünen, mit dem Pinsel aufgetragenen Glasur eine ansprechende Melange – stechen zwar ins Auge, weil sie anders sind als übliches Geschirr, drängen sich aber nicht auf. „Das Geschirr darf nie so im Vordergrund stehen“, ist sich Keramikerin Eveline Lehner bewusst.

Sie erarbeitet auch eigene Entwürfe, die sie sich für das Lokal vorstellen kann – „dann wird man sehen, ob sie’s wollen“. Zurzeit lagern in ihrer Werkstatt in Schützen etwa flache Schüsseln mit einer einzigen Ausbeulung, in die man beim Tragen bequem den Finger legen kann. Das sei nämlich auch ein Teil des Perfektionierens ihres Handwerks, sagt Eveline Lehner: „Man muss nicht nur den Ton und die Glasur kennen, sondern auch wissen: Wie geht der Service damit um?“

Unsere Leute im Service sind schon gut trainiert“, sagt Norbert Payr vom Wirtshaus Zum lustigen Bauern und bricht wieder einmal in lautes Lachen aus. „Unsere Teller sind natürlich schwerer als solche aus Porzellan, aber das ist Übungssache. Dafür halten manche schon seit 1994!“ Der Wirt aus Zeiselmauer gestaltet gemeinsam mit einem Freund, dem Ernst-Fuchs-Schüler Ferdinand Karl, die Oberfläche von dicken tiefen Tellern, auf denen im Wirtshaus die Desserts serviert werden. Jeder Gast bekommt einen anderen, was nicht nur für Gesprächsstoff am Tisch sorgt. Norbert Payr weckt damit auch Neugierde und heizt die latente Sammelalbenfaszination der Stammgäste an: Welchen Teller hatte ich noch nicht, welchen bekomme ich wohl beim nächsten Mal?

Angefangen hat das Ganze mit einem Wettbewerb fürs Staatsgeschirr des Bundespräsidenten“, erinnert sich Payr. „Wir haben damals Testbildteller gemacht, mit Ausschnitten vom ORF-Testbild, die dann aber nie eingereicht.“ Das Duo fand jedoch Gefallen am gemeinsamen Werken. Am Anfang übten sich Payr und Karl auch noch im Töpfern selbst, gossen Porzellan oder pressten Ton in Formen, „aber wir hatten das Equipment nicht, und nach dem Brand ist wegen irgendwelcher Lufteinschlüsse viel zu viel zerbrochen“. Mittlerweile kaufen die beiden die Rohware von einem Keramiker in Wien zu, die Oberfläche der Teller ist ihre Leinwand. Meistens gestalten sie die Stücke noch immer gemeinsam. Und wenn man Payrs Lachen während seiner Erzählungen richtig interpretiert, dürften die beiden es beim Werken immer ziemlich lustig haben. Auch die Ergebnisse, die einmal an Werke von Miró, einmal an Zeichnungen aus der Sammlung Gugging erinnern, lassen diesen Schluss zu. „Wir haben die Farbe auch schon mit Drucktluftpistolen verblasen. Oder wir schneiden aus Plexiglas einen Schriftzug aus. Wenn wir direkt auf die Teller schreiben, dann immer mit der linken Hand, obwohl wir beide Rechtshänder sind, damit es etwas Kindlich-Naives bekommt.“ Nachdem die Oberfläche der Rohteller von Norbert Payr und Ferdinand Karl gestaltet wurde, werden die Stücke zum Glasieren wieder nach Wien gebracht, danach sind sie auch spülmaschinenfest. „Wir kommen da mit unseren angespritzten, angerotzten Sachen, die verfallen immer in der Werkstatt“, erzählt der Kreativ-Wirt und muss wieder einmal laut lachen. „Unsere Teller müssen auch extra gebrannt werden, wegen der vielen Farben. Blau reagiert im Ofen irgendwie anders als Rot.“

Nachdem die wild gestalteten Teller auch schon als Give-away bei Firmenessen beliebt sind, gibt es in manchen Jahren sehr viel Bedarf. Im Wirtshaus selbst sind an die vierzig Teller im Gebrauch. Früher gab es beim „Lustigen Bauern“ auch Kaffeetassen aus eigener Hand, auf deren Unterseite man Dinge geschrieben hat wie „I hob an Kaffee, du ned“. Die Tassen hat Norbert Payr aber mittlerweile aufgelassen, die Gebrauchsspuren seien schon zu stark gewesen. Und eine neue Tassengeneration ist für ihn nicht drin, denn „die dicken Espressotassen, wie wir sie ja brauchen, gibt’s nicht als Hobby-Rohware. Es gibt nur größere, dünne Tassen für die Wettitant’, die einen Hibiskus mit einem Schmetterling draufmalt, aber das sind andere, als wir sie brauchen“.

In der Küche werden die äußerst unterschiedlich bemalten Teller übrigens für die Desserts so zufällig genommen, wie sie im Regal stehen, „wir nehmen da nicht einen mit roter Bemalung für ein Erdbeerdessert“, sagt Payr. „Alles, was echt ist, passt zusammen.“

Für Roman Wurzer, den jungen Küchenchef des Prato in Graz, und Patron Michael Pech war von Anfang an klar, dass auf die Tische des Restaurants keine Massenware gehört, sondern eigens angefertigtes Geschirr. „Uns interessiert nicht, was alle haben. Überall, wo man hinschaut, sieht man Hering Berlin und Kahla“, sagt Wurzer. „Wir verwenden Lebensmittel aus der Region, warum also sollten wir Geschirr aus Berlin importieren, statt eines aus der Region zu nehmen?“ Michael Pech und er suchten also nach Produzenten in der Umgebung. Und stießen auf das in Attendorf beheimatete Label Silicium, hinter dem Anne Wolf und Holger Meißner stecken. „Die hatten in Graz auch einen Stand am Markt, wir haben mit ihnen Probestücke vereinbart. Und die haben uns gefallen“, zeichnet Wurzer die Entstehung der Kooperation nach. Im Moment – das ganze Konzept ist noch recht neu – kommt nur ein Teil des Geschirrs von Silicium, bestimmte Gerichte werden darauf serviert. Nach und nach sollen mehr Stücke die jetzigen ergänzen. „Im Moment haben wir nur weiße Teller, da kommt aber sicher noch Farbe rein“, kündigt Roman Wurzer an. Nachdem das Küchenkonzept vorsieht, historische Gerichte ins Jetzt zu übertragen – konkret: solche aus dem Süddeutschen Kochbuch der Katharina Prato –, fand man, dass der Schwerpunkt auf dem Historischen auch am Geschirr sichtbar werden soll: „Es hat halt ein bissl was Altmodisches auch.“

Keramiker Matthias Kaiser und Koch und Zur-Hälfte-Chef Edi Dimant führen indes im Mochi vor, wie sehr die japanische Art des Genusses von Subtilitäten lebt. „Die japanische Art zu schauen ist eine völlig andere“, hat Matthias Kaiser in seinen Studienjahren in Japan gelernt. Keramik darf – oder vielmehr: soll Unregelmäßigkeiten haben, sowohl in der Form als auch im Ton und in der Glasur. Gesteinseinschlüsse im Ton bezeichnet man in Japan als Würze, Tsuchi-aji, was so viel bedeutet wie „Geschmack des Tons“. Im Mochi heißt es also seit Matthias Kaiser nicht nur Geschmack auf dem Teller, sondern auch Geschmack im Teller. Den Ton für die runden und eckigen Teller, die Kaiser seit kurzem für das kleine Wiener Lokal mit der kalifornisch-japanischen Küchenlinie anfertigt, sucht er sich selbst in Ostösterreich zusammen, eine fertig zu kaufende Tonmischung wäre ihm zu glatt, zu eintönig, zu steril. Die Zutaten für seine Glasuren lesen sich wie das Ergebnis eines Naturerlebnistages bei den Pfadfindern: etwa Schilfasche, Sand und Feldspat. Dennoch sind die Stücke geschirrspülertauglich.

Matthias Kaiser hatte für das Nachbarlokal Ansari im Auftrag von Architekt Gregor Eichinger die Fliesen für die Bar angefertigt, so lernten er und Edi Dimant, beide seit Jahren schwer mit dem Japan-Virus angesteckt, sich kennen. Ganz logisch sei es gewesen, Matthias Kaiser zu beauftragen, sagt Dimant. Mittlerweile geht der Koch bei Kaiser in die Lehre, was die japanische Tischästhetik angeht, borgt sich Bücher von ihm aus, in der japanische Tafeln erläutert werden. Kaffeebecher in zwei Größen, aus grobem braunen Ton mit grüner Glasur, seien die ersten Stücke der Zusammenarbeit gewesen, „eigentlich mein Weihnachtsgeschenk“, sagt Dimant, der im Mochi für die Küche verantwortlich ist, während Partner Tobi Müller den Service schupft. Rechteckige weiße Platten und dunkelbraune runde Teller kamen etwas später ebenso aus Matthias Kaisers Werkstatt wie massige, weiß glasierte Weinkühler, die manchmal auch als Vasen dienen, wenn ein Gast einmal einen Blumenstrauß am Leben zu erhalten hat. Sukzessive fertigt Matthias Kaiser mehr und mehr Stücke für das Mochi. Viele Gerichte werden hier freilich weiterhin auf japanischem Industriegeschirr serviert, das Dimant in Deutschland kauft. Diesem Geschirr, etwa graugrün glasierten Tellern in Melanzaniform, könnte man – typisch japanisch – fast abnehmen, dass es handgefertigt ist: Unregelmäßigkeiten sind auch bei Geschirr aus Massenproduktion Standard. Die Dellen sind allerdings bei tausend Tellern an exakt derselben Stelle; Ergebnis einer Schablone.

Mittlerweile sind an manchen Tellern, die Matthias Kaiser dem Mochi geliefert hat, schon Gebrauchsspuren zu sehen. Wasser ist zwischen Ton und Glasur gelangt, was nach japanischer Sichtweise aber nicht als Defekt, sondern vielmehr als Effekt gesehen wird. Das kann man auch daran ablesen, dass Keramiker Kaiser formuliert, dass das Wasser Flecken „zaubert“. „Natürlich muss man diese Ästhetik kennen und mögen.“ Edi Dimant tut das. Für die Wasserflecken gibt es übrigens wie für so vieles Subtiles in Japan einen eigenen Begriff, weiß Matthias Kaiser: amamori – löchriges Dach. Sein Lieblingsstück der Mochi-Kollektion: die Teller aus dickem braunen Ton mit einer fast unwirklich leuchtenden dunkelbraunen Glasur, die an dichte Sojasauce erinnert. Bestandteil der Mochi-Küche.