Lobster Roll & Thermidor

In Europa gilt der Hummer als Inbegriff der pompösen Schlemmerei. In Nordamerika indessen pflegt man einen demokratischeren Umgang mit dem Krustentier. Ein Besuch an den Hummerküsten dies- und jenseits des Atlantiks.

Foto von Georges Desrues
Text von Georges Desrues

Der Fischer Peter Boston freut sich, dass es mit dem Harry’s Shack nun endlich ein Lokal am Strand seiner Heimatstadt Portstewart gibt, an das er seinen Fang liefern kann. „Zuvor ging fast ausnahmslos alles, was wir fischten, in Richtung Kontinent“, erzählt Boston, während er seine Hummerkörbe aus dem North Channel vor der Küste Nordirlands zieht. Stark verändert hat sich die Situation bis heute allerdings nicht. Nach wie vor wird der Großteil der gefangenen irischen Krustentiere in Länder wie Spanien und vor allem Frankreich exportiert. Dass die Iren ihren Hummer nicht selber essen, liege schlicht und ergreifend daran, dass Krusten- und Weichtiere in seinem Land nicht so wahnsinnig populär seien, erklärt Boston. „Das meiste Meerestier, das hier bei uns gegessen wird, sind nun einmal frittierte Fischfilets mit Pommes“, so der Fischer.

Dabei ist die irische Hummer-Fischerei eine der bedeutendsten Europas. Gefischt wird nahezu ausschließlich mit kleinen Booten in Küstennähe und nach strikten Regeln, um den Bestand zu schützen. So müssen etwa Tiere ins Meer zurückgeworfen werden, die ein bestimmtes Mindestmaß nicht erreichen, genau wie Weibchen, die Eier tragen. Bei der lokalen Spezies handelt es sich um den Europäischen Hummer (Homarus gammarus), der sich allein schon durch die leuchtend blaue Farbe seines Panzers von seinem rötlich-braunen nordamerikanischen Artgefährten (Homarus americanus) unterscheidet. Knallrot färben würden sich beide Arten nämlich erst dann, wenn man sie kocht, betont Boston.

Ein weiterer Unterschied ist der Preis. In Pariser Fischrestaurants, die nicht selten beide Arten anbieten, kostet ein Europäischer Hummer, der dort auch „Blauer“ oder, mit ruf­gerechtem französischen Selbstverständnis, „Bretonischer“ Hummer genannt wird, oft gut und gerne das Doppelte von seinem nordamerikanischen Verwandten. Geschmacklich indessen unterscheiden sich die Arten kaum – so sie denn gleichermaßen frisch sind. Und nicht etwa tiefgekühlt, wie das bei nordamerikanischer Exportware häufig der Fall ist. Überhaupt ist es ja weniger der Geschmack als vielmehr die charmante, fest-knackige Konsistenz seines Fleisches, die, neben dem exotischen Gesamt­erscheinungsbild und der imposanten Größe, das Schalentier so begehrt und zum Symbol für festliches Dinieren und die gehobene Küche im Allgemeinen machte.

Fragwürdiges Luxusimage
Doch als Luxussymbol hat er in den letzten Jahren etwas an Glanz verloren. In angesagten Fine-­Dining-Restaurants findet sich das Krustentier heutzutage nämlich immer seltener. Was zum einen wohl dem etwas verstaubten hedonistischen Image aus einer anderen Zeit geschuldet ist und zum anderen den Ambitionen vieler zeitgenössischer Küchenchefs, die auf derlei bourgeoise Edeldelikatessen gerne verzichten und ihr Können lieber an Zutaten von eher plebejischem Ruf demonstrieren. In Österreich kommt erschwerend hinzu, dass etliche Spitzenköche Meerestier kategorisch ablehnen und stattdessen auf Fische aus heimischen Gewässern setzen.

Allerdings gibt es wohl noch ein weiteres Problem. Und da geht es ums Tierwohl, also um Haltung, Transport und Zubereitung der Hummer, die man bekanntlich – auch das wieder im Sinne der bestmöglichen Konsistenz – so frisch wie möglich, also am besten lebend, kaufen und verarbeiten sollte. In diesem Bereich werden die gesetzlichen Vorschriften unter dem Druck von Tierschutzorganisationen zunehmend strikter. Doch scheint man sich in Europa nicht ganz einig zu sein, was nun wirklich das Beste ist, um ein Krustentier möglichst schonend zu behandeln. Und so unterscheiden sich die Vorschriften je nach Staat.

Während der Hummer etwa in Deutschland nur getötet werden darf, indem man ihn ­lebend in kochendes Wasser taucht, muss er in ­Österreich zuvor betäubt werden. Ob das Tier tatsächlich Schmerzen empfindet, ist wissenschaftlich bis dato nicht restlos geklärt. Aber zugegeben: Ein lebender Hummer in kochendem Wasser stirbt zwar in wenigen Sekunden, ist ansonsten aber nicht gerade ein vergnüglicher Anblick. Was zum einen an den heftigen Zuckungen des Schwanzes liegt, bei denen es sich in Wahrheit nur um Reflexreaktionen handelt. Und zum anderen an dem manchmal hörbaren Pfeifen, das er auszustoßen scheint, das aber eigentlich die aus dem Panzer entweichende Luft erzeugt. Das Betäuben kann durch einen kräftigen Schlag auf den Kopf erfolgen oder aber durch Elektroschocks mit einem eigens dafür konzipierten Gerät namens Crustastun, das aber wohl kaum ­jemand in seiner Küche stehen hat. Zumal es mehr als doppelt so teuer ist wie ein Thermomix und doch deutlich weniger vielfältig einsetzbar.

Jenseits des Atlantiks fehlen derlei Regelungen weitestgehend, wenngleich auch dort neue Gesetze in Planung sind. An den Ostküsten der USA und Kanadas wimmelt es geradezu von Hummern, und die Hummerfischerei ist ein bedeutender Wirtschaftszweig, der nicht nur den Export, sondern im großen Stil auch die eigenen Märkte versorgt. So strömen vor allem während der Sommermo­nate Heerscharen von Amerikanern an die Küsten Neuenglands, um sich an den Krustentieren gütlich zu tun. Eine der beliebtesten und spektakulärsten Arten der Zubereitung ist der sogenannte Lobster oder Clam Bake. Traditionell werden dabei die Tiere zusammen mit diversen Muschelsorten, ­Kartoffeln, Maiskolben, Gemüse und Seetang in Meerwasser und in einem Erdloch gedämpft. Wobei in den meisten Restaurants heute ein Ofen das Erdloch ersetzt.

Als weiterer Sommerklassiker gilt die Lobster Roll, also eine Art Hotdog-Weckerl, das, abgesehen vom Krustentierfleisch, auch mit Butter beziehungsweise Mayo, Salat, und was einem sonst noch so einfällt, gefüllt ist. Europäische Puristen werden sich freilich stoßen an der Herabstufung des edlen Tieres, sollten aber auch bedenken, dass es sich ­dabei meist um dessen unzugänglichere, weniger gepriesene Teile handelt, die anderenfalls oft einfach im Panzer zurückbleiben und entsorgt werden. In manchen hummerreichen Jahren gibt’s das Weckerl sogar bei McDonald’s. Aus solchen üppigen Jahrgängen stammen auch jene Exemplare, die rund um die Weihnachtszeit in den Tiefkühlregalen europäischer Billig-Supermärkte landen und dann um wenige Euros zu haben sind.

Frische und Konsistenz
Mit den prächtigen, lebenden Blauen Hummern, die Peter Boston in Irland fängt, hat die Supermarktware freilich wenig zu tun. Inzwischen hat der Fischer seinen Fang beim befreundeten Wirt Harry abgeliefert, der den nach ihm benannten „Shack“ in Portstewart betreibt. Das Setting ist durchaus ­eindrucksvoll: in einer großzügig geschwungenen Bucht mit imposanten Dünen und meilenlangem Sandstrand. Das Harry’s Shack ist ein Gebäude ganz aus Holz, aber lang nicht so eine wackelige Hütte, wie man von einem Shack erwarten könnte. Es ist viel los an diesem für irische Verhältnisse nur leicht bewölkten Sommertag.

Wie von Boston angekündigt, sitzen die allermeisten Gäste bei Fish & Chips. Dem Besucher jedoch bringt der joviale Harry gratinierten Hummer. Übrigens gleichfalls mit Chips, also den grob geschnittenen britischen Pommes. Und mit einem Haufen Bröseln bedeckt. Seltsamerweise fehlen dem Krustentier die Scheren. Auch der Fischer wundert sich. „Die sind eh da“, sagt Wirt Harry mit schelmischem Augenzwinkern, „wir haben sie nur ausgelöst und klein gehackt, weil die allermeisten Gäste sie nicht sehen wollen.“

Dafür hat Konstantin Filippou, wie die meisten Liebhaber des Krusten­tieres, keinerlei Verständnis. „Beim Hummer geht es vornehmlich um die Konsistenz“, bestätigt der Wirt und Küchenchef, „und die ist beim Fleisch der Scheren am aufregendsten.“ Filippou ist einer der Wenigen seines Fachs und seiner Generation, der immer wieder mit Hummer arbeitet. Wohlgemerkt, nicht wie in einem Seafood Shack oder einem Meeresfrüchtelokal, indem er ihn im Ganzen oder halbiert serviert, sondern um das Fleisch in ­seine Gerichte zu integrieren. „Das erlaubt uns, die Scheren auch eine Spur länger zu kochen als den Rest, was nach meinem Dafürhalten auch notwendig ist“, so Filippou, der ausschließlich Europäischen Hummer verarbeitet, wie er betont, und in Sachen Konsistenz und Geschmack der kanadisch-amerikanischen Unterart weit überlegen sei. „Das Wichtigste ist, ihn nur so kurz wie möglich zu kochen“, fügt er an, „damit eben diese besondere Konsistenz bewahrt bleibt. Denn trauriger als ein zerkochtes Krustentier ist wohl kaum etwas.“

Hummer – die zwei Arten
Die beiden wirtschaftlich bedeutendsten Hummerarten sind der Europäische Hummer (Homarus gammarus), auch Bretonischer oder Blauer Hummer genannt, der sowohl im Atlantik als auch im Mittelmeer vorkommt. Und der Amerikanische Hummer (Homarus americanus), der an der Ostküste der USA und Kanadas gefangen wird. Wie nahe verwandt die beiden Arten wirklich sind, misst sich daran, dass sie theoretisch Nachwuchs erzeugen könnten, dieser dann jedoch steril wäre.

Während in den USA das ganze Jahr über Hummer gefischt wird, herrschen in Kanada striktere Gesetze. Dort, etwa in der Provinz Nova Scotia, die zu den größten Produzenten zählt, gibt es geregelte Fangzeiten, die sich nach der Häutung der Tiere richten. Folglich darf nur ab November, wenn die Hummer ihren alten Panzer bereits seit mehreren Wochen abgeworfen und genug Zeit gehabt haben, um in den neuen hineinzuwachsen, gefischt werden. Dadurch sei ihr Hummer „voller“, wie die Kanadier sagen, und sein Fleisch kompakter, was, zumindest in Kanada, als Qualitätsmerkmal gewertet wird.

In den USA indessen, also etwa im Bundesstaat Maine, fischt man am meisten im Sommer, wenn die Nachfrage am höchsten, die Qualität aber etwas geringer ist. Was daran liegt, dass die Tiere ihren Panzer da gerade erst gewechselt haben, wodurch sie auch leichter zu fangen sind, da sie sich mehr bewegen. In dieser Zeit sind sie auch leichter zu schälen, was ­wiederum in den USA als bedeutendes Verkaufsargument gilt. Hummer überleben auch außerhalb des Wassers ziemlich lang, verlieren dabei aber an Gewicht. Während Europäischer Hummer diesseits des Atlantiks fast ausschließlich lebend gehandelt wird, ist sein nordamerikanischer Verwandter in Europa sowohl ­lebend als auch tiefgekühlt (sowohl roh als auch gekocht) erhältlich.

Schließlich gibt es seit einigen Jahren auch ein Verfahren, das vorwiegend in Kanada angewandt wird und sich High Pressure nennt. Dabei werden die Tiere wenige Sekunden lang extrem hohem Druck ausgesetzt, was den Vorteil hat, dass sie nicht erhitzt werden, sich dennoch lange halten und einfacher zu schälen sind. Tierfreundlicher ist das Ver­fahren freilich ebenso, allerdings auch recht teuer. Weswegen für so einen High ­Pressure nahezu derselbe Preis verlangt wird wie für einen lebenden, er aber den Vorteil mitbringt, dass man sich die ganzen gesetzlichen Auflagen erspart. —

Eine Mindestgröße ist für den Fang sowohl in Europa als auch in Nordamerika vorgeschrieben.
Hummerfischer vor Galway an Irlands ­Westküste
Beide Sorten Hummer auf einem italienischen Fischmarkt – rotbraun der Amerikanische, blau der Europäische.
Nach dem Kochen sind sie – zumindest farblich – alle gleich: leuchtend rot.