Mehr als nur Spam

Vom Versuch, selbst Dosenfleisch einen feinschmeckerischen Akzent zu verleihen, von der Corned Beef-Verwirrung und von Ländern, in denen man mit diesem Produkt echt was anzufangen weiß.

Text von Forian Holzer

Eine Portion war immer hinten im Eiskasten“, erinnert sich Peter Spak, Chef des gleichnamigen Wiener Traditionsherstellers von Mayonnaiseprodukten sowie des Pasteten-Erzeugers Hink. Corned Beef, das gepresste Pökel-Rindfleisch, sei eine durchaus angenehme Erinnerung an seine Kindheits- und Jugendtage, sagt er, an spätes Heimkommen, an Heißhunger, an Nach-Mitternachts-Snacks. Aber wie gesagt, Corned Beef wurde doch eher in den hinteren Winkel des Kühlgeräts geräumt.

Weil stolz war man ja nie darauf, die Dose mit dem salzigen, rosigen, sulzig-festen Fleischblock zu öffnen. Dosenfleisch aß man eigentlich immer allein, in Momenten und Zuständen, da einem das Image des Produkts völlig egal war, da man gerade Lust darauf hatte, da es in diesem Augenblick gerade Corned Beef sein musste. Und vielleicht auch gerade nichts anderes da war.

Dosenfleisch ist fraglos eines der Lebensmittel mit demgeringsten Renommee, die einem so in den Sinn kommen, irgendwo bei Surimi und Analogkäse angesiedelt. Nicht umsonst wurde „Spam“, der Markenname eines Produkts (ein Akronym aus Spiced Ham) des amerikanischen Erzeugers und Dosenfleisch-Pioniers Hormel Foods aus Minnesota, zur Bezeichnung für unerwünschte Massen-Mails (das allerdings auch erst aufgrund eines genialen Sketches der britischen Komiker-Truppe Monty Python aus dem Jahr 1970). Man assoziiert damit Massenherstellung, Separatorenfleisch, Nitritpökelsalz, Konservierungsmittel und verletzte Finger beim Öffnen dieser speziellen konischen Dose mit dem angelöteten Schlüssel. Und den Geruch von Hundefutter …

Es ist somit hoch an der Zeit, dem guten Ruf des Corned Beef Genüge zu tun. Womit einmal der Begriff erläutert werden sollte, und das ist schon gar nicht so einfach. Corned Beef bedeutet nämlich zuerst einmal gepökeltes Fleisch, Dose ist da noch nicht mitgemeint. Und hier kommt dann die babylonische Corned Beef-Verwirrung ins Spiel, denn in England und Irland, wo Pökelfleisch als Verpflegung für Seefahrer lange Tradition hatte und im frühen 19. Jahrhundert auch eine Industrie für eingedostes Pökelfleisch entstand, versteht man unter Corned Beef ungefähr das Gleiche wie bei uns, wobei nicht ganz, denn in Irland wird Corned Beef durchaus auch in Fleischereien selbst hergestellt, verkauft und von den Iren dann zu Feiertagen wie dem St. Patrick’s Day mit Kohl verzehrt.

In den USA, konkret in den großen Städten der Ost-Küste, ist keineswegs von Dosenfleisch die Rede, wenn es um Corned Beef geht. Dort bedeutet die Bezeichnung trocken gepökelte, gekochte Rinderbrust („Brisket“), also quasi den Bruder der auch noch geräucherten und stärker gewürzten Pastrami, die dort auch ähnlich verwendet wird wie diese: in dünne Scheiben geschnitten und in das legendäre Reuben-Sandwich gefüllt. Corned Beef ist in New York, Boston, Philadelphia und New Jersey unverzichtbarer Bestandteil der Deli-Kultur und war als Traditionsgericht Neu-Englands, so wird berichtet, früher auch Bestandteil auf den Speisekarten der Grand Hotels. Wird Corned Beef aber auch in den USA in Dosen verpackt? Kaum, wobei das wiederum keine Frage der Prinzipien ist, sondern dem Umstand geschuldet, dass Dosenfleisch für den amerikanischen sowie den internationalen Markt heute hauptsächlich in Brasilien hergestellt wird.

Und es wären nicht die 20er-Jahre des 21. Jahrhunderts, wenn es nicht auch am Dosenfleisch-Sektor Versuche mit der Verfeinerung von Produktqualität und Verarbeitung gäbe: Die japanische Konservenfabrik Nozaki’s hat etwa ein Corned Beef vom Wagyu¯ im Sortiment (das bestellte Exemplar passierte ­leider den Zoll nicht), die deutsche Traditions-Großfleischerei Sostmann füllt für Manufactum Bio-Angus-Weiderind in ­Dosen, und vor einem Jahr brachte auch Hink ein „Edel-Roastbeef“ auf den Markt: aus dem Tafelstück vom oberösterreichischen Jungstier mit vier verschiedenen Pfeffersorten.

Die Idee sei gar nicht so neu, sagt Peter Spak, schon vor zehn Jahren habe er im Auftrag von Johann Lafer Corned Beef in drei Geschmacksrichtungen hergestellt und in Gläser gefüllt. Auch für Fisch-Händler und Bio-Rinderzüchter Franz Aibler wurde eine exklusive Kleinserie von sechs Fleischkonserven im Glas aufgelegt, darunter auch ein Corned Beef aus Hüferschwanzel, Hüftsteak und Hüferscherzel. Nun aber die Dose, erstens, weil Pökelfleisch im Glas doch dazu neige, an der Oberfläche grau zu werden, und zweitens, weil die Dose halt das Original ist und außerdem bis in die 80er-Jahre bei Hink hergestellt und in die markante weiße Quader-Dose gefüllt wurde. „Beim Fisch (2016 launchte Hink eine Serie von Süßwasser-Dosenfisch) haben wir gesehen, dass der Konsument bereit für ein hochqualitatives Produkt in der Dose ist und auch willens, dafür etwas zu zahlen. Da haben wir uns gedacht: Probieren wir’s.“

Natürlich habe er versucht, diese typische Corned Beef-Dose für sein Jungstier-Pökelfleisch zu bekommen, „aber die Erzeuger solcher Dosen haben nicht einmal auf meine Mails geantwortet, unter 100.000 Stück geht da gar nichts“. Und das Hink-Corned Beef wird in Chargen von 600 bis 700 fabriziert, Stück, nicht tausend.

Also nahm er die ganz normale runde Standarddose, aus der der Fleischblock natürlich nicht so appetitlich herausflutscht und die auch nicht die spezielle Schlüssel-Öffnungs-Zeremonie bereithält. Aber dafür legten Spak und sein Chefkoch Sascha Huber gleich noch einmal nach und brachten die Serie Corned Boar vom Wildschwein-Schlögl und die Serie Corned Deer vom Hirsch heraus. Vier bis fünf Chargen à 400 Stück habe er seit Frühling schon verkauft, nicht schlecht für ein mit über zehn Euro doch recht teures Billigprodukt. Ob er diese Produkte als Füllung für einen „Austro-Reuben“ oder Bestandteil eines „Gebirgssee-Labskaus“ propagiere? „Nein, wir vermarkten die Corned-Dosen ganz traditionell als ,Jause‘“, so Spak.

Apropos Dosenfleisch und Jause: Ein riesiger Markt für Dosenfleisch – sei es Corned Beef oder Schweinefleisch-Spam (bei uns als „Frühstücksfleisch“ bekannt) – sind die Philippinen und erstaunlicherweise Südkorea. Das sei nach dem Korea-Krieg mit den amerikanischen Besatzungssoldaten ins Land gekommen, weiß Österreichs prominenteste koreanische Küchenchefin Sohyi Kim, und habe sich vor allem in Form des Dosirak, der koreanischen Version der Bento-Box, etabliert. Für die Fleisch-Komponente dieser portablen Mahlzeit werden meistens Würstchen oder Dosenfleisch-Scheiben in gequirltes Ei getaucht und gebraten, „wie ein Pariser Schnitzel“, lacht Sohyi Kim, und dann mit Ei, Kimchi, Reis und Gemüse kombiniert. Auch von einer Art scharfem Eintopf mit Dosenfleisch, der am Schluss anstrengender Projekte gemeinsam gegessen wird, weiß Kim, „mir ist das meistens zu fett“. Bei jungen Leuten in Korea, die nicht mehr aufwendig kochen können oder wollen, sei Dosenfleisch jedenfalls sehr beliebt, roh esse man es aber nie, „es wird immer zubereitet oder verarbeitet“.

Wir fragen Peter Spak, ob es nach Stier, Wildschwein und Hirsch noch andere Projekte im Corned-Köcher gibt? Lamm, Ziege oder Büffel etwa?

„Irgendein Blödsinn wird uns sicher einfallen …“

Hink, Corned Beef vom österreichischen Jungstier

210 g, 8,10 €
www.hink.wien
8/10
Die flache Dose ist bis zum Rand gefüllt, Aspik zeigt sich hier kaum. Die Farbe des gepökelten Jungstiers tendiert leicht ins Purpur, vor allem aber macht die grobe, ansatzweise fasrige Struktur klar, dass es sich hier trotz Dose um echtes Fleisch vom echten Tier handelt. Das Pökelsalz hinterlässt durchaus den Wunsch nach einem kühlen Getränk, vornehmlicher Geschmackseindruck ist aber die Pfeffer-Vielfalt mit ihrer kühlen Schärfe, die diesem Dosenfleisch den Hauch des Besonderen verleiht. Fülle fürs Reuben? Durchaus denkbar.



Hink, Corned Deer vom österreichischen Hirschen

210 g, 10,95 €
www.piccantino.at, www.hink.wien
8/10
Das dunkelste Kapitel des Hink Corned-Programms: Purpur mit leichten Oxid-Akzenzen. Konsistenzmäßig wieder fleischiger, fester im Biss, wobei Peter Spak generell empfiehlt, die
Produkte zu kühlen, da so natürlich wie möglich gearbeitet wird und die Festigkeit bei Wärme natürlich nachlässt. Trotz starker Würzung mit Pökelsalz, diversen weihnachtlichen Aromen und Portwein-Reduktion kommt der Wildbret-Geschmack durchaus zum Tragen. Vielseitig anwendbar.



Hink, Corned Boar vom österreichischen Wildschwein

210 g, 9,90 €
www.hink.wien
6/10
Fleisch vom Wildschwein-Schlögel, gepökelt und gewürzt, also eigentlich Edel-Spam. Altrosa, weniger fasrig und „fleischig“ als der Stier, cremiger, erinnert ein wenig an groben Aufstrich.
Vom Geschmack des Fleisches merkt man nur mehr wenig, Gin und Wacholder geben den Ton an. Will eher ein würziger Brotbelag sein, ist es auch.



Manufactum Bio-Corned Beef

200 g, 8,90 €
www.manufactum.at
6/10
Das Corned Beef des deutschen Versenders von Qualitätsprodukten mit Wahrhaftigkeitsanspruch wohnt in einer kleineren, höheren Dose, schimmert rosig, ist mit einer Aspik-Schicht abgedeckt. Im Biss erinnert es eher an etwas fest geratenes Sugo, im Mund ist es cremig, verfügt über das typische Aroma, ist recht mild gesalzen und bietet keinerlei zusätzliche Aroma-Features.