Nix für Jausengegner

„Die einfachen Genüsse sind die letzte Zuflucht komplizierter Menschen“, lässt Oscar Wilde im Bildnis des Dorian Gray den Lord Henry sagen. Der hätte hier wahrscheinlich die hausgemachten ­Gabelbissen gemocht. Und den Wurstsalat.

Text von Thomas Maurer Foto von Ingo Pertramer

Natürlich suchen leidenschaftliche Fresser immer nach dem neuen Erlebnis, dem überraschenden Geschmack, dem ungekannten Kick. Nach bislang übersehenen oder unbekannten Genüssen wird ruhelos gefahndet, jeder neue Trend ausnahmslos geprüft, selbstlos werden Bankkonto und Bundweite in ein reziprokes Verhältnis zueinander gesetzt.

Und so lässt man sich womöglich von drogentoleranten kalifornischen Chefs durch eine mit fermentierten Kochbananen, Dashifond und Pringles-Parfait komplettierte Tarte Tatin überraschen oder von ganzkörpertätowierten brandenburgischen Punkköchen einen in ungesalzenem Wasser gesottenen Wirsing­strunk auf den Teller knallen.

Und das kann dazu führen, dass man sich dann doch fühlt wie ein Fashion Victim, das blöd genug war, eine provokante aus Leder, Alufolie und Stacheldraht geschneiderte Prêt-à-porter-Kreation nicht nur zu kaufen, sondern auch tatsächlich auf der Straße anzuziehen: Eine große Sehnsucht nach gediegener, vertrauter Normalität entsteht.

Ist man dann noch zufällig in Graz daheim, so erwächst aus diesem allgemeinen Wunsch nach Gediegenem und Vertrautem ziemlich sicher der konkrete Plan, doch wieder einmal zum Frankowitsch zu gehen. Auf ein Roastbeefbrötchen. Und eins mit Wurstsalat. Und mit serbischem Aufstrich auch eins. Und dann vielleicht noch was Süßes.

Der Frankowitsch ist, wie mittlerweile wohl auch Nichtgrazer erraten haben, eine Grazer Imbiss-Institution. Und wie es sich für Institutionen gehört, wirkt das Geschäftslokal mit seinen dunklen Regalen und dem durchgehend verlegten, zeitlos gediegenen Terrazzoboden wie immer schon da gewesen.

Eröffnet wurde es auch immerhin schon 1932, allerdings auf viel kleinerer Fläche als heute. Hobbymäßige Architekturhistoriker können an den diversen den Geschäftsplafond segmentierenden Überlagerungen die allmähliche Erweiterung der Verkaufsfläche über die Jahrzehnte verfolgen, und der erwähnte, viel zum Effekt der Zeitlosigkeit beitragende Terrazzoboden stammt überhaupt erst aus dem Jahr 1991.

Und streng genommen ist der Frankowitsch eigentlich ein Heissenberger.

1989, also zwei Jahre vor dem Verlegen des Terrazzobodens, übernahmen Erika und Josef Heissenberger, die davor eine mit Spar kooptierte Greißlerei im dezidiert unglamourösen Bezirk Liebenau betrieben, das von Herbert Frankowitsch gegründete Innenstadtgeschäft; und dessen Namen, weil sich die unter ihm verkauften Brötchen bereits einen solchen gemacht hatten, gleich mit.

Und obwohl der Betrieb seither kräftig gewachsen ist – in zwei Schichten arbeiten 55 Angestellte, „davon 53 Frauen aus allen Kontinenten außer Australien“ –, sind nach wie vor etliche historische Originalrezepte tragende Säulen des Brötchenruhms.

Eher berüchtigt hingegen war der Original-Frankowitsch dafür nach Aussage von Zeitzeugen für den dort ausgeschenkten Wein, der nicht nur denkbar bescheidener Herkunft war, sonder darüber hinaus in einem unklimatisierten Lagerraum seiner Finalform abwechselnd entgegensimmerte und entgegenfröstelte. Hier entschieden sich die Heissenbergers doch zum radikalen Traditionsbruch, insbesondere seit mit den Brüdern Stefan und Christof die zweite Generation übernommen hat.

Christof zeichnet nicht nur für eine beachtliche Weinauswahl samt Bourgogne-Schwerpunkt verantwortlich, sondern betreibt auch im von Schieferböden dominierten Sausal das lediglich zwei Hektar große Weingut Kåarriegel. Der namensgebende karge Riegel gibt den Weinen eine komplexe Mineralität, die sie, gemeinsam mit einem gar nicht auf steirisch-klassische Fruchtigkeit abzielenden Ausbaustil, einige Kategorien über das hebt, was man so als glasweise ausgeschenkten Hauswein erwarten würde, und sie auch neben einem vielfach teuereren Chablis noch sehr gut aussehen lässt.

Dass im eigenen Betrieb biologisch gearbeitet wird, schlägt sich auch in der sonstigen Sortimentszusammenstellung nieder, Christof Heissenberger schätzt, dass sich die Konsumation von Bio- und Natural-Weinen allmählich der Fünfzigprozentmarke nähert.

Das ist umso bemerkenswerter, als ansonsten die Ansprüche der Frankowitsch-Habitués einem gusseisernen Wertkonservativismus geschuldet scheinen: „Es kennen alle unsere Brötchen, die meisten von Kindheit an, und das heißt: Es wissen auch alle, wie’s gehört. Ganz genau. Wehe, das Gurkerl liegt falsch!“ An dieser erotisch aufgeladenen Produktbindung scheint nicht nur der Brötchenkultur-Expansionsversuch des Wiener Lokalgiganten Trzesniewski gescheitert zu sein, der seine Grazer Filialen sämtlich wieder geschlossen hat; auch andere Klein- und Großtrends sind an der Frankowitsch-Kundschaft abgeperlt wie das Wasser von der Ente: „Craft Bier zum Beispiel. Bei uns überhaupt kein Thema. Wir haben natürlich einiges angeboten, das ist aber weder im Verkauf noch im Ausschank gegangen. Die Leute wollen ihr Gösser Gold und fertig. Kaffee detto. Third-Wave-Zeug wird nicht nachgefragt. Wir haben den Illy, die dunkle süditalienische Röstung, da kann eh niemand sagen, dass der schlecht ist. Und wir brauchen auch keine zwanzig Gins mit sieben verschiedenen Tonics. Okay, wir haben immerhin Fever-Tree und Fentimans.“

Auf einen weiteren potenziellen Umsatzbringer wird nicht mangels Nachfrage, sondern aus Prinzip verzichtet: „To go gibt’s nicht. Kaffee und Wein soll man einfach nicht aus Pappbechern trinken.“

Aber so wie man Prince Charles spontan weniger mit dem Architekturtheoretiker als dem Thronprätendenten assoziiert, so denkt man bei Frankowitsch zu allererst an die Brötchen. Das mag ein wenig ungerecht gegenüber der Frankowitsch-Patisserie sein, ist aber so.

Die Grundlage dafür wurde noch in den frühen Dreißigerjahren vom Ehepaar Frankowitsch selbst gelegt. Man hatte sich im Frankreichurlaub in das dortige etwas süßere Sandwichbrot verliebt und wollte so etwas auch. Und so produziert seither die Grazer Traditionsbäckerei Sorger nach einem eigenen Rezept ein solches für die rund zwei- bis dreitausend Brötchen, die an normalen Tagen vor Ort gegessen, mitgenommen oder ausgeliefert werden.

Die Sandwichwecken werden von Hand geschnitten: „Ich glaub’, es waren sicher schon zehn Vertreter da, die uns automatische Systeme verkaufen wollten, aber die kommen alle nicht mit der leichten Unregelmäßigkeit im Durchmesser zurecht.“ Und weil auch die Kleinigkeiten zählen, haben sogar die Scherzerln eine Geschichte: „ Früher haben wir sie selber zu Bröseln verarbeitet, das war dann aber zu viel Aufwand, dann sind sie eine Zeit lang in die Bäckerei für Brösel zurückgegangen, und mittlerweile nimmt sie ein Lieferant von uns mit und füttert seine Viecher damit.“

Verlässt man das Geschäftslokal und steigt die Stiegen zum direkt darüberliegenden Fertigungs­bereich empor, wechselt die Atmosphäre nicht nur vom Ambiente, sondern auch vom Geruch her deutlich. Der senfunterfütterte Umamiduft scharf angebratenen Rindfleischs dominiert, was kein Wunder ist, werden doch täglich gut drei komplette kapitale Rindsrostbraten im Obergeschoß gebraten, aufgeschnitten und zu Roastbeefbrötchen verarbeitet.

An normalen Tagen. Zum Valentinstag sind es sechs, zu Weihnachten dann zwölf.

Oder, anders ausgedrückt: Das Roastbeefbrötchen erfreut sich zuverlässiger Beliebtheit, gefolgt von den unverwüstlichen Klassikern Wurstsalat, Serbischer Aufstrich und dem guten alten feuerlöscherroten Lachsschnitzel.

Trotz dieses eher kulturkonservativen Konsumverhaltens hat sich das Sortiment über die Jahrzehnte von den rund zwanzig original Frankowitsch’schen Urbrötchen auf rund vierzig verschiedene erweitert, ungeachtet einiger wieder aus dem Angebot verschwundener Flop-Kreationen: „Osso Collo ist merkwürdigerweise überhaupt nicht gegangen. Und was wir auch gestrichen haben, ist eine enorm aufwendige Spät-Achtzigerjahre-Kreation vom Vater: Schweinsmedaillon, Leberaufstrich und Orange.“

Doch eines eint alle Brötchen, die ausgelaufenen wie die aktuellen, die hochbeliebten wie die randständigen: der Zauberschmelz der Mayonnaise. Jeden Tag werden mindestens fünfzig Kilo davon angerührt, in großen Plastikkübeln zwischengelagert, in Dressiersäcke gefüllt und als zierliche Arabesken aufgetragen.

Den dafür nötigen lockeren Schwung muss man sich übrigens erst einmal antrainieren, wie ich inzwischen aus erster, nämlich eigener Hand weiß. Hat man schon länger keinen Dressiersack mehr in dieser gehalten, ist es nahezu unvermeidlich, für das erste Dutzend selbstmayonnaisierter Brötchen ein kehliges Frauenlachen zu ernten, ergänzt von einem charmant steirischen: „Eh ned sou schlecht, aber verkaufen kemma de sou ned.“

Das Mayo-Auftragen ist übrigens entgegen meiner Erwartungen kein eigener Job, der von der Person mit der schönsten Dressiersackhandschrift erledigt wird; in der Brötchenmanufaktur herrschen generell prä-tayloristische Arbeitsbedingungen: Jedes Brötchen wird von einer Person mit sämtlichen Komponenten ­belegt, so wie man es daheim auch machen würde.

Oder eben nicht genau so: Natürlich gibt es einen Trick, das Schinkenblatt so zwei Mal um den Daumen zu legen, dass es in anmutigem Bogen auf dem Sandwich zu liegen kommt, und einen anderen für die Salamistanitzel und wieder einen für die Shrimpsanordnung. Alles keine Hexerei, aber doch mehr Aufwand, als man sich normalerweise selbst antut. Und unbedingt nötig im Sinne der Stammkundenpflege, denn, wir erinnern uns: „Wehe, das Gurkerl liegt falsch.“

Passiert man, vom Bereich der Brötchenherstellung kommend, eine offenbar einigermaßen geruchsdichte Tür, so umweht ­einen umgehend statt würzigem Roastbeefdunst milde Süße: Man ist in der Patisserie.

Und nicht in der Konditorei, wie Stefan Heissenberger, der selbst drei Jahre lang hier gearbeitet hat, klarstellt. Möglicherweise zieht der Genius Loci hier einfach frankophile Betreiber an. Was dem Gründer das Brot und dem Bruder der Wein, ist ihm das Naschwerk und somit auch gleich eine innige Schoko-Kooperation mit Valrhona.

Gerade werden hier die kunsthandwerklichen essbaren Dessertförmchen hergestellt, ein mehrtägiger Prozess, für den zunächst einmal diverse Schokolademuster mit dem Schokokamm geformt und dann schockgefrostet, mit Biskuitteig übergossen, gebacken, zurechtgeschnitten und in Förmchen gesteckt werden, ehe sie letztlich in Gestalt eines der über zwanzig Standard-Mignons das Licht der Süßigkeitenvitrine erblicken.

Und weil ja, wie eingangs erwähnt, der Frankowitsch vorbildlich das Bedürfnis nach gediegener, vertrauter Normalität erfüllt, ist auch das restliche Angebot nicht bemüht avantgardistisch: Rote Rübe kommt hier noch als rustikaler Aufstrich aufs Brot und nicht als Marmelade ins Mille-feuille; die süßen Hausklassiker heißen „Don Giovanni“ und „Tiffany-Torte“ und stehen, wenn auch aufwendiger und raffinierter, sozusagen mitten im Leben und somit auch den mayonnaisegesättigten Brötchen des Hauses in puncto Kaloriendichte um nichts nach. Herrlich.

Danach will man eigentlich nur noch mit einem Kaffee vor der Tür in der Sonne sitzen. Und das Leben als schön empfinden. Und als normal und gediegen.

www.frankowitsch.at

Gerade werden hier die kunsthandwerklichen essbaren Dessertförmchen hergestellt, ein mehrtägiger Prozess, für den zunächst einmal diverse Schokolademuster mit dem Schokokamm geformt und dann schockgefrostet, mit Biskuitteig übergossen, gebacken, zurechtgeschnitten und in Förmchen gesteckt werden, ehe sie letztlich in Gestalt eines der über zwanzig Standard-Mignons das Licht der Süßigkeitenvitrine erblicken.

Und weil ja, wie eingangs erwähnt, der Frankowitsch vorbildlich das Bedürfnis nach gediegener, vertrauter Normalität erfüllt, ist auch das restliche Angebot nicht bemüht avantgardistisch: Rote Rübe kommt hier noch als rustikaler Aufstrich aufs Brot und nicht als Marmelade ins Mille-feuille; die süßen Hausklassiker heißen „Don Giovanni“ und „Tiffany-Torte“ und stehen, wenn auch aufwendiger und raffinierter, sozusagen mitten im Leben und somit auch den mayonnaisegesättigten Brötchen des Hauses in puncto Kaloriendichte um nichts nach. Herrlich.

Danach will man eigentlich nur noch mit einem Kaffee vor der Tür in der Sonne sitzen. Und das Leben als schön empfinden. Und als normal und gediegen.

www.frankowitsch.at