Pauli – jung und wild

Foto von Pauli
Text von Florian Holzer

Das Viertel rund ums Ronacher besaß nicht immer den besten Ruf, ein bisschen zwielichtig, ein bisschen rotlichtig, des Essens wegen ging man – zumindest bis die Familie Huth hier ihr Imperium begründete – dort eher nicht hin. Wiens Gas­tronomie sorgte hier für eigenartige Blüten, eine Churrascaria etwa, ein Harley-Davidson-Café oder ein Lokal, in dem man per Tablet bestellen sollte (damals noch eine Sensation), das aber blöderweise nie funktionierte …

Reinhold Six, 13 Jahre in der Schweizer Spitzenhotellerie tätig, übernahm hier 2016 dennoch eine Liegenschaft, machte sie zur Brasserie Paul und hatte damit mittelmäßigen Erfolg. Dann übernahm er allerdings auch das Vereinslokal des Sportcenter Donaucity („Oide Donau“) und eröffnete im Sommer das ambitionierte Projekt Brasserie Poldie als Abendnutzung der Kantine eines Luxus-Seniorenheims am Wiener Tabor. Und beschloss, seine Brasserie Paul auch gleich neu zu positionieren, und zwar als „Pauli“: Ebenerdig befindet sich hier eine ­sogenannte „begehbare Weinkarte“ vulgo Vinothek mit ein paar Tischchen, an denen tagsüber auch ein paar sehr ansprechende Happen serviert werden.

Im Obergeschoß wird abends à la carte gekocht. Zur „begehbaren Weinkarte“ muss man dazusagen, dass es sich hierbei um eine Zweigstelle der renommierten Linzer Vinothek Weinturm handelt, das Sortiment ist also fantastisch, als spezielle Stärke will man aber auch tagsüber die Sommelier-Kompetenz ausspielen, das heißt, man sagt, was heute gekocht werden soll, und bekommt die adäquate Wein-Empfehlung. Und wenn’s mehr sein sollte, auch geliefert.

So weit, so önologisch, aber auch hinsichtlich fester Nahrung macht sich „Pauli“ interessant, weil hier nämlich vor Kurzem Roman Wurzer – einst preisgekrönt als „Junger Wilder“, dann unter anderem im At Eight und bei Lingenhel – als gas­tronomischer Leiter aller drei Lokale eingesetzt wurde und im Pauli ­außerdem selbst ein bisschen kocht. Einen warmen Bauernkrapfen mit Zwiebelmarmelade und Lardo als Auftakt zum Beispiel, sehr gut; gebeizter Seesaibling mit fermentiertem Kohlrabi dann eher auf der Liste der derzeit wohl unvermeid­lichen Gerichte. Die klare Erdäpfelsuppe (mit hohem Anteil kräftiger Rindsuppe) mit Blutwurst-„Sphäre“ und Zwiebelpüree ist grandios, Stör mit Karfiolcreme, knusprigen Grammeln und Buttermilchsauce klingt zwar auch extra-trendy, ist aber ein schönes Gericht. Das Beste an der „dekonstruierten Rindsroulade“ – Beiried vom XO-Beef, Karotte und Weißrübe gedämpft, diverse Mousses – war die Beilage: ein Erdäpfel im Salzteig gegart. Die Auswahl der glasweise servierten Weine ist erfreulich, wer das ganze Gebinde wählt, ist hier aber natürlich klar im Vorteil.

Küche: 3,5
Atmosphäre: 3
Weine: 5

Pauli
Johannesgasse 16, 1010 Wien
T 01/97 44 78 80
pauli.wien