Typänderung

Das maskuline Rollenbild der Köche im Wandel der Zeit. Wer heute noch in der Küche brüllt und das aggressive Alphatier gibt, ist hoffnungslos im Out. Nicht nur bei den Mitarbeitern, sondern auch bei den Gästen.

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Text von Eva Biringer
© 2022 20th Century Studios All Rights Reserved.

Was für eine Geräuschkulisse:
Das nervtötende Piepen der ­Registrierkasse mischt sich mit ohrenbetäubendem Gitarrenrock. Handys klingeln, Dinge gehen zu Bruch und „fuck“ kommt eigentlich in jedem Satz vor, den sich die Anwesenden um die Ohren hauen. Kein Wunder, dass da manch einer von Atemproblemen geplagt wird oder sich vor jeder Schicht übergeben muss. Es sind Szenen aus der äußerst erfolgreichen Disney-Plus-Serie The Bear – King of the Kitchen, die, Fiktion hin oder her, viel über den Zustand in Profiküchen verrät. Nach dem Selbstmord seines medikamenten­abhängigen Bruders übernimmt der Protagonist Carmen Berzatto ­dessen Chicagoer Sandwichshop. Als Chef im doppelten Sinn, als Koch ebenso wie als Personalführer, ist der volltätowierte Wuschelfrisurträger dauerüberlastet. Mal setzt er die Küche durch das Anzünden einer Zigarette am Gasherd in Brand, mal schmeißt er dem Patissier dessen Donuts entgegen. Ob mit derart niederschmetternden Berufseinblicken das Problem des Fachkräftemangels beseitigt werden kann? Völlig an der Realität vorbei­erzählt ist The Bear jedenfalls nicht.

Die Struktur heutiger Profiküchen stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert. Damals führte Georges Auguste Escoffier das sogenannte Brigade-System ein, nach militärischem Vorbild. Anstatt dass wie bislang alle ­alles machten, übernahmen von nun an Experten einzelne Posten, der ­Ro­tis­seur etwa ist fürs Grillen zuständig, der Poissonnier für den Fisch, der Tournant ist eine Art Laufbursche. Praktischerweise setzte sich Escoffier selbst an die Spitze, was ihm den Beinamen King of Chefs and Chef of Kings einbrachte. Dieses System hat sich bis heute bewährt, vorausgesetzt, es gibt genug Mitarbeitende. Leider ebenso bewährt hat sich in manchen Küchen die Unart, nach unten zu treten. Der Chef schreit den Souschef an, der Souschef den Chef de Partie und der den Commis.

Lange Zeit gehörte ein rauer Ton zum Soundtrack einer Küche so selbstverständlich dazu wie das Töpfeklappern und Messerhacken. Einige der ganz Großen waren legendär für ihre Wutausbrüche: der dem Rock-’n’-Roll-Lifestyle zugeneigte Brite Marco Pierre White etwa, der in seinem ­eigenen Restaurant in eine Schlägerei verwickelt war, die Augenzeugen zufolge einer Western-­Szene glich; sein Landsmann Gordon Ramsay, der ­Mitarbeiter als „Idiotensandwiches“ bezeichnete; oder Mario Batali, ehemals Herr über ein amerikanisches Gastro-Imperium, dessen Thron zu wackeln begann, als mehrere Frauen ihn des sexuellen Missbrauchs beschuldigten.

Um es mal vorsichtig zu formulieren: Zeitgemäß ist so ein (männliches) Despotentum nicht. Wie schlimm es noch immer in manchen Profiküchen zugeht, deckten in den vergangenen Jahren einige große Medien auf. 2021 berichtete Julia Moskin in der New York Times von den Zuständen im auf einer abgelegenen Insel gelegenen Willows Inn. Löhne wurden nicht bezahlt und minderjährige Aushilfskräfte, betäubt durch Drogen und Alkohol, zum Sex mit der Küchenbrigade gezwungen. Chefkoch Blaine Wetzel war bekannt dafür, ­seinem Unmut durch Schreien, Treten sowie rassistische und sexistische Sprache Ausdruck zu verleihen. Vergangenen Dezember stellte das Willows Inn seinen Betrieb ein, kurz nachdem auf dessen Instagram-Seite ein Post mit der Überschrift „Teamwork is everything“ aufgetaucht war.

Ebenfalls 2021 erschien in der Wochenzeitung Die Zeit eine umfassende Investigativrecherche über das systemische Herabwürdigen von Angestellten der deutschen Fine-Dining-Branche. Der Münchner Tohru Nakamura, der seine Mitarbeiter bei schlechter Performance zur Strafe in den Keller schickte, kam ebenso vor wie Christian Lohse (Eigenbeschreibung: „Koch, der für Menschen kocht“), der einige Auszubildende als „Huren“ beschimpfte und andere als „Loser“, „Arschloch“ oder „Spasti“. Über Christian Jürgens, Dreisternekoch vom Tegernsee, wurde bekannt, dass er seinen Angestellten 80 Wochenstunden zumutet und sie bei Fehlverhalten zur Strafe sein Auto putzen lässt. Eineinhalb Jahre ist die Veröffentlichung des Textes her, und alle drei Köche stehen noch immer am Herd. Ob sich etwas getan hat?

Definitiv etwas getan hat sich im Noma, dem für manche besten Restaurant der Welt. Dessen extrem aufwendige Teller – Seeigel mit Rosenölcreme und „Schuppen“ aus handgeschälten Kürbiskernen – sind nicht ohne die sogenannten Stagiaires denkbar, Praktikanten, die monatelang dieselben stupiden Tätigkeiten ausführen, Kürbiskerne schälen etwa, ohne dafür bezahlt zu werden, und das in einer der teuersten Städte Europas. Hinzu kommt das aufbrausende Temperament des Chefkochs, nachzulesen in René Redzepis eigenem, 2015 im Food-Magazin Lucky Peach erschienenen Text, in dem es heißt: „Ich habe Menschen angeschrien und geschubst, ich war bisweilen ein furchtbarer Chef.“ 2020 folgte ein Nelson Mandela gewidmetes Buch mit dem philantropischen Titel I Know This to Be True: On Teamwork, Creativity and Kindness. Und dann das: Im Januar verkündete der Däne in einem Interview mit der New York Times, sein mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnetes, auf Monate ausgebuchtes Restaurant 2024 zu schließen, um sich fortan auf Pop-ups und eine Art Food-Labor zu konzentrieren. Grund sei die fehlende Wirtschaftlichkeit, wobei es ihm wichtig war zu erwähnen, dass dies nichts damit zu tun habe, dass er seit einigen Monaten seine Praktikantinnen und Praktikanten bezahle, immerhin monatliche Mehrkosten von 50.000 Dollar. Vielmehr schob Redzepi es auf das ganze System – ein Schlag ins Gesicht all jener, die in der gegenwärtigen, pandemie- und inflationsgebeutelten Zeit schwarze Zahlen schreiben.

Schon vergangenes Jahr gab es für die dänische Hauptstadt – in die jeder dritte Besucher aufgrund des Essens reist – Negativschlagzeilen in Form ­eines Artikels in der Financial Times, dessen Autorin Imogen West-Knights mit zahlreichen Gastronomiemitarbei­tenden sprach und so ein System von Ausbeutung und Machtmissbrauch aufdeckte. Da ist die Rede von Vollzeitkräften, die sich an ihren freien Tagen kaum mehr als einen Kaffee leisten können, während andere nach einer Verbrühung mit der French Press keine Erlaubnis bekommen, zum Arzt zu gehen. Einige kommen mit gebrochenen Rippen zur Arbeit, andere müssen im eiskalten Regen stundenlang Enten rupfen. Neben dem Noma standen auch das Alouette, das Koan und die Relæ-Gruppe in der Kritik.

Fest steht, dass es einiges am System Profiküche zu bemängeln gibt. Man muss dazu nicht gleich die ganze Bude in die Luft jagen, wie das im Film The Menu geschieht, in welchem ein in seinem Stolz gekränkter Promikoch am Ende eines Menüs Gäste, Personal und sich selbst in Brand setzt. Vorbild für den auf einer einsamen Insel gelegenen Genusstempel war übrigens das oben erwähnte Willows Inn. Viel Wahres steckt in dieser Satire, das Groupietum der Besucher, die Netflix-Optik der Speisen, das Despotische des Küchenchefs, der seinen Souschef in den Selbstmord treibt. Klingt übertrieben? Der Zeit-Artikel nennt einen Koch, der seinem Mit­arbeiter nahelegte, sich umzubringen, „um dem ­Betrieb und deinen Eltern einen Gefallen zu tun“.

Fraglos gibt es sie noch, die launenhaften Küchenberserker der alten Schule, die Pfannen oder Donuts auf ihre Mitarbeiter werfen, zu wenig schlafen und zu viel Kochwein saufen. Allerdings gehören sie einer aussterbenden Spezies an. Neben dem Zeitgeist gibt es dafür mehrere Gründe. Erstens die Tatsache, dass mehr und mehr Küchen zum Gastraum hin geöffnet sind, was zumindest im Service Tobsuchtsanfällen im Weg steht (in ­ihrem Kopenhagen-Bashing merkte die Financial Times allerdings an, dass manche Chefs dazu übergegangen seien, ihre Mitarbeiter gegen das Schienbein zu treten, unterhalb der Gastsichtachse). Zweitens, dass sich das System von innen heraus ändert, in Form von Initiativen wie #UnfuckGastronomy und der Kopenhagener Gastroschule MAD, die ihre Schülerinnen und Schüler zu „change makers“ ausbilden will, „um die Welt zu einem besseren Ort zu machen“, aber auch in Form von veränderten Arbeitszeiten, mehr freien Tagen und einer besseren Vereinbarkeit von Job und Familie. Manche fangen damit an, sich Zeit für ein Personalessen zu nehmen. Der dritte Grund ist, dass Profiküchen jünger und diverser werden, auch wenn die Zahl der weiblichen Spitzenköche noch immer beschämend gering ist, eine Tatsache, auf die beispielsweise die von Lukas Mraz, Philip Rachinger und Felix Schellhorn gegründete Healthy Boy Band wiederholt aufmerksam macht. Abgesehen davon ist dem Trio eine faire und diskriminierungsfreie Arbeitsatmosphäre wichtig, gerade weil sie es teilweise anders erlebt haben. Die Zeit im französischen Dreisterner L’Arnsbourg habe ihn, so Lukas Mraz, zu einem „Kampfhund“ gemacht. Zineb Hattab, die in Zürich mehrere vegane Restaurants betreibt, sagt, dass Rassismus und Sexismus in ihrer Küche keinen Platz haben. Periodenschmerzen akzeptiert sie als Grund für einen Fehltag genauso wie Hochzeitsfeiern. Ob sie ihre Praktikantinnen und Praktikanten bezahlt? Was für eine Frage.

Auch in der vorerst letzten Folge von The Bear stehen die Zeichen auf Veränderung. Ersparnisse tauchen in Tomatendosen auf und retten den Sandwichshop vor dem Ruin. Den Rest besorgt die hochtalentierte Sous­chefin – die allerdings auch ziemlich oft das Wort „fuck“ gebraucht. —

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Die Küche ist kein Ponyhof in Bullerbü. Die Disney-Serie The Bear – King of the Kitchen erzählt, warum.
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Die Filmindustrie hat das Küchenthema neu entdeckt.
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