Vegan, veganer, am vegansten

Fast alles geht. Aber wohin gehen wir? Ist Veganismus ein Zeichen von Dekadenz, die Rettung der Welt, der Untergang der Zivilisation … Oder geht das schon wieder zu weit?

Text von Eva Rossmann · Illustration von Nicolás Aznárez

Schatzi, komm, sonst wird das Essen welk!“ Haha. Veganerwitze. Inzwischen sind auch sie ein bisschen welk. Auch wenn es noch gar nicht lange her ist, dass Menschen, die auf tierische Produkte verzichten, als nervige Weltverbessererinnen oder schrullige Weicheier galten. Jetzt schwören Schauspieler und Sängerinnen auf pflanzliche Ernährung. So etwas mache schlank und fit und schön und gut. Sagen sie. Manchen bringt es wundersamerweise sogar noch Geld. Wer wirbt schon gratis? Auch in Österreich mutieren gestandene Köche zu Nahrungsmittelpazifisten. Und haben in diversen Seitenblicke-Medien plötzlich ein „Star“ vor dem Namen. Pubertierende geben sich nicht mehr ­damit zufrieden, kein Fleisch zu essen. Sie mögen auch kein Ei. Selbst auf der letzten Trophée Gourmet war es unüberhörbar: So gut wie alle nominierten Köchinnen und Köche haben davon geredet, wie gerne sie Gemüse verarbeiten.

„Wurscht“ ist der neue Hype so gut wie niemandem. Beim Buchinger haben wir seit Jahren einen „Vegetarischen Zwiebelrostbraten“ auf der Karte gehabt, er entstand aus dem Witz heraus, was gewisse Gäste nicht alles gerne hätten. Denn diese „Fast-wie-Fleisch-Gerichte“ sind schon eigenartig. Was jetzt? Gemüse oder lieber Fleisch? Nur dass man nicht „darf“? Und wer bestimmt das? Vor geraumer Zeit haben wir ihn übrigens auf „Veganen Zwiebelrostbraten“ umgetauft, weil er es ohnehin ­immer schon war. Manche wollen ihn ohne Zwiebel. Manche mit Fleisch. Und eine hätte ihn gerne schon vegan, doch glutenfrei und jedenfalls ohne schwarzen Pfeffer gehabt. Fast alles geht. Aber wohin gehen wir?
Es gibt – natürlich unter den Fleischessern – Stimmen, die Veganismus für ein Zeichen der Dekadenz, wenn nicht gar des Untergangs der Zivilisation halten. Hatten nicht auch die alten Römer absurde Essgewohnheiten, bevor sie von den Barbaren überrannt wurden? Ich kenne einen Koch, der sagt gerne: „Wer ka Fleisch isst, is ka Mensch.“ Auch nicht eben feinsinnig. Die trendigeren Beef-Tiger können sich Fleisch-Hochglanzmagazine für „Richtige Männer“ kaufen. Ob sie das Abendland retten?

Eigentlich wäre es am schönsten, alle dürften so leben und essen, wie es ihnen gefällt. Mir tut es nicht weh, wenn jemand auf Käse verzichtet. Mir täte es bloß weh, selbst keinen Ziegenkäse, keinen Provolone und keinen der neuen feinen Käsesorten aus dem Weinviertel zu genießen. Aber: Immer gibt’s die mit der Mission. Die tragen dann ihre Lebensan- und einsicht vor sich her wie die bleichen Typen mit dem „Wachturm“ in den U-Bahn-Stationen. Das Königreich wird kommen …

… WENN, ja, wenn Ihr euch vegan ernährt. Kein Tier wird mehr leiden, überhaupt wird alles gewaltfrei, und die Blümchen werden „pflück mich und iss mich!“ rufen. Endlich hätten wir die Chance, GUTE Menschen zu werden. Dafür muss man allerdings genau wissen, was man tut – und was man nicht tun darf. Das geht hin bis zu … zum Beispiel Backpulver aus Weinstein. So klar ist es nicht, ob das vegan und damit erlaubt ist. Auch wenn die Vegane Gesellschaft es mit ihrem großen „V“ geadelt hat, im Internet gibt’s Auseinandersetzungen. Weil Wein ja mit Gelatine geschönt werden kann. Das Eiweiß, das Trübstoffe bindet, wird dann zwar wieder entfernt, trotzdem könnte sich doch ein Eiweißmolekül verflogen haben, sich in einer Verkettung unglück­licher Umstände an den kristallisierten Weinstein anklammern und so eine reine Veganerin beschmutzen. JA. Gelatine kommt von Tieren, Tiere sollen nicht leiden, aber wie viel Prinzip in einem möglichen Molekül erhalten ist, darf schon auch gefragt werden.

Wobei es „die“ Veganer längst nicht mehr gibt. Es gibt den hippen Veganismus. Da schaut man darauf, was der Lieblingsstar (nicht) isst. Die sind ja alle so schön, und nachdem schon die Oma gesagt hat, dass man ist, was man isst, wird man auch total schön, wenn man so isst wie die. Außerdem kann man die Familie nerven und is(s)t was Besonderes. Laktoseunverträglichkeiten oder Ausschlag nach dem Verzehr von Erdbeeren hat ja wirklich fast schon jeder.

Dann gibt’s die Mitleidvollen. Früher haben sie gesagt: „Ich kann kein Tier essen, das ich kenne.“ Oder: „Ich kann kein Tier essen, dem ich in die Augen schaue.“ Also bloß Fischfilet. Den Kopf entsorgen andere. Oder das anonyme Schnitzel aus dem Supermarkt statt dem Kaninchen vom Nachbarn. Jetzt könnten sie weiter gehen. Jedes tierische Produkt bedeutet Tierleid und damit ihr Leid. Würden sie sich bloß gegen Massentierhaltung und ihre Auswüchse richten, ich wäre auf ihrer Seite. Aber die Parole lautet: Gar nichts von gar keinem Tier. Aus einem Ei wird ein Küken. Wie schön, eine Welt voller Hühner! So ein Huhn legt nämlich in der guten Jahreszeit wirklich jeden Tag ein Ei, und nachdem man unsere gefiederten Freunde auf keinen Fall schlachten darf, werden es ziemlich schnell ziemlich viele Hühner sein. Das macht nicht bloß Lärm, das stinkt auch ordentlich. – Oder gibt’s dann Geburtenkontrolle bei Hühnern? Und ist es tierleidfrei, wenn ich der Henne das Glück nehme, ständig Nachwuchs zu bekommen? Die Milch, die gehört laut den Mitleidsnichtessern bloß den Zicklein und den Lämmlein und den Kälbchen. Ohnehin eine gute Idee, dass sie auch ihnen gehört, aber was, wenn Mami-Tier, wie üblich, mehr Milch gibt, als der Nachwuchs trinken kann?

Von da zum religiösen Veganismus ist es jetzt nicht mehr weit. Er zeichnet sich, wie die meisten Religionen, durch ein strenges Regelwerk mit vielen Vorschriften und Verboten auf der einen Seite und vielen Heilsversprechungen auf der anderen Seite aus. Gefährlich wird er spätestens dann, wenn propagiert wird, nur so könne die Welt gerettet werden. Hatten wir schon zu oft. Jetzt gehe ich zwar nicht davon aus, dass in nächster Zeit Veganerinnen mit Selleriestangen auf Fleischesser mit Schweinsrippchen losgehen, aber alle Religionen haben einmal klein
angefangen.

Apropos Weltrettung von der anderen Seite: Die deutschen Bauernfunktionäre propagieren Fleisch. Am besten deutsches Schweinefleisch. Und zwar immer mehr davon und in immer größeren Ställen. Sie fordern ihre Bauern auf, zu investieren. Die Welt brauche mehr zu essen, die deutschen Bauern würden immer „effizienter“ produzieren und letztlich die Welt ernähren, dröhnen sie stolz auf ­ihren Versammlungen. Kann es sein, dass der eine oder andere Schweinepriester einen lukrativen Nebenjob in der industriellen Fleischproduktion hat? Von Maschinenbauern bis zur Pharma­industrie verdienen viele an den armen Sauen, die höchstmöglichen Gewinn abwerfen müssen. Wobei die Verfechter des totalen Funktionsschweines jetzt ohnehin ein Problem haben. Es gibt Teile in der Welt, da mag man Schwein nicht so. Und selbst in Deutschland geht der Schweinefleischkonsum zurück. Wenn aber, weil effizienter, immer mehr produziert wird, jedoch die Nachfrage nicht steigt, werden die Preise sinken. Dagegen kann man noch effizienter mehr produzieren … bis zum Kollaps. Der dann die einzelnen Schweinebauern trifft.

Und nur damit es nicht so wirkt, als hätte Österreich mit all dem nichts zu tun oder wäre bestenfalls bloß wieder einmal Opfer: Bei uns wurden 2014 laut durchaus bejubelter Kammer-Statistik 2,92 Millionen Schweine importiert und 2,95 Millionen ausgeführt. Wäre es nicht gescheiter, die Schweine nicht – tot oder gar lebendig – herumzufahren, sondern gleich die eigenen zu essen? Wer verdient da, trotz Transportkosten, an Subventionen, Förderungen, angeblich marktwirtschaftlichen Preisspielen?

Massenproduktion gibt’s allerdings auch bei veganen Lebensmitteln. Interessant die Versuche, endlich veganen Schmelzkäse zu erzeugen, der am selbstverständlich veganen Laibchen den einzigartigen Cheeseburger-Effekt erzielt. Die Liste der Zusatzstoffe ist lang, so viele „E“s findet man sogar bei Fastfood selten. Noch bedenklicher Sojadrinks, die irgendwo aus irgendwelchem Soja erzeugt werden. Großflächig angebaut, unter Umständen dort, wo früher Wald, Urwald, Lebensraum für Tiere war. Der Einsatz von Gentechnik muss auch nicht überall ausgewiesen werden. Wer gar nichts wissen und gar nicht kochen will, der greift zu veganen Fertigprodukten, beworben von glücklich lächelnden amerikanischen Mager-Celebrities, bei denen wirklich ALLES drin ist, außer eben Tierisches. Ich meine natürlich die Fertigprodukte.

Klar, es gibt vegane Menschen, die viele Stunden damit ­verbringen, nicht nur tierfrei, sondern auch ökologisch bewusst und selbstverständlich biologisch zu leben. Man kann viel Dümmeres in seiner Freizeit machen. Zum Beispiel Paintball-Schießen. Oder Waldmüller-Gemälde nachsticken.

Sie mögen bitte nur verstehen, dass andere nicht so viel Zeit haben. Außerdem gibt’s auch hier keine absolute Wahrheit. Bio ist gut und schmeckt auch so. Vorausgesetzt, das Produkt ist nicht um den halben Erdball gereist. Industriell hergestelltes und irgendwo als biologisch zertifiziertes Zeug ist viel weniger öko als vieles, das in der Region vernünftig und im Einklang mit der Natur produziert wird.

Kann schon sein, es ist der naive Vorschlag einer Köchin und Tierliebhaberin (wer es doppeldeutig findet, hat recht) mit viel Phantasie: Wie wäre es, wenn man einander zuhörte? Den Veganern dort, wo sie gegen die Perversionen der Massentierhaltung auftreten. Gegen das Töten von Bullenkälbern, weil ihre Mutterkuh sofort wieder auf Hochdruck Milch geben muss. Gegen die Entsorgung von Hühnern, die ihre Spitzenwerte in der Eiproduktion hinter sich haben. Gegen Schweine, die nie genug Platz haben, um schweinisch gut zu leben. Für Tiere, die nicht als Effizienzfaktor, sondern als Lebewesen geschätzt werden, die mehr Platz und Ressourcen brauchen, die dann aber auch dazu beitragen, dass der ländliche Lebensraum so bewirtschaftet wird, dass er nicht bloß behübschte Urlaubskulisse ist. Dafür sollten die Veganer überlegen, ob tierische Produkte zu essen tatsächlich immer Tierleid bedeuten muss. Und ob Hunde und Katzen, die mit ihnen angeblich gewaltfrei vegan leben sollen, nicht sehr wohl leiden.

Übrigens: Das alles wird Thema meines nächsten Kriminalromans. Die Recherche dazu ist jedenfalls mehr als spannend …

 

Eben erschienen:
Eva Rossmann:

Gebunden, 271 S., € 19,90
ISBN 978-3-85256-668-9
Eva Rossmann war Journalistin, ehe sie mit den Mira-Valensky-Krimis zur Bestsellerautorin wurde. Daneben arbeitet sie als Köchin in Manfred Buchingers Gasthaus „Zur Alten Schule“.