Vom Essen ohne Tisch und Dach

Leichte Muse am tiefgrünen Wiesengrund. Egal ob im heidnischen Arkadien oder im profanen Central Park: Essen unter freiem Himmel hat stets schon die Gemüter auf Hochfrequenz gestimmt. Und an der Geburtsstätte des klassischen Picknicks, inmitten von Schafsherden und Musik von Wagner, avanciert selbst ein Gurkensandwich zur kulinarischen Sensation. Ein kulturgeschichtlicher Streifzug durch die Erhabenheiten des Speisens in gezähmter Natur.

Vom Essen ohne Tisch und Dach

Text von Nina Kaltenbrunner Fotos: Jahreszeiten Verlag; APA-picturedesk

Bereits in der Antike war das Speisen im Freien, dieses plain air, weit verbreitet. Die Griechen nannten es „eranos“, die Römer „prantium“. Lustbetont ging es da wie dort zu. Ein Sinnbild, das in die Geschichte einging und als Frühstück im Grünen vom französischen Maler Edouard Manet auf Leinwand gebannt wurde. 1863 wurde das Gemälde vom Pariser Salon abgelehnt, denn die schöne Nackte auf dem Dejeuner sur l’herbe erregte einen gewissen Skandal. Dabei hatte der Künstler anlässlich einer ausgiebigen Landpartie mit Picknick und Baden lediglich das Fleisch derjenigen, die aus dem Wasser stieg, näher betrachtet, so Antonin Proust, ein Freund Manets. Das nur zwei Jahre spätere Frühstück im Grünen seines Kollegen, des Impressionisten Claude Monet, fiel weitaus prüder, aber nicht weniger figurbetont aus: Obst und Torten türmen sich vor der prachtvollen Naturkulisse einer üppigen Lichtung auf einer blütenweißen Decke.
Essbare Stillleben: Über die Natur der Vergänglichkeit. So romantisch war Essen unter freiem Himmel freilich nicht immer: Zunächst machte der Mensch mangels Dach über dem Kopf aus der Not eine Tugend, spätere kulinarische Intermezzi jagdwütigen Adels wurden als „Grasmahl“ bezeichnet. Manets Motiv war der eigentlichen „Hochzeit“ genussreichen Schlemmens im Freien – der Renaissance – entlehnt (der erste Entwurf seines Stilllebens orientierte sich an Raffaels Urteil des Paris). In der abendländischen Blütezeit war das Speisen in ländlicher Idylle en vogue. Im französischen Barock schließlich erhob Ludwig XIV. das Picknick zum Outdoor-Event deluxe. Im Versailles des 17. Jahrhunderts veranstaltete der Sonnenkönig mit eigens engagierten Zerermonienmeistern opulente Feste und Völlereien im Freien. Wer in den Genuss des exzellenten Angebots ausgefallener Speisen und Getränke kam, erlebte wohlfeile Spektakel für alle Sinne, inklusive Tanz, Musik und Feuerwerk.
Well arranged & simple: Renaissance auf der Wiese. Heute spiegelt sich der wiederbelebte Picknick-Trend in De Luxe-Varianten namhafter Hotels an den schönsten Plätzen der Welt wider. Das traditionelle Ritual unter freiem Himmel verdankt sich einer Nation, die ausgerechnet für ihre Niederschlagsmengen bekannt ist, namentlich seiner einstigen Königin. „Her Royal Highness Victoria“ picknickte in dem nach ihr benannten Zeitalter mit Inbrunst und Leidenschaft. Die Ausflüge mit Gatte Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha ins schottische Hochland erlangten Berühmtheit, auch wenn die königlichen Herrschaften inkognito und „en petit comité“ unterwegs waren. Einziger Luxus: ein Picknickkorb, der mit Klappstühlen ausgerüstet war. Gerade durch ihren zwanglosen Charakter hatten diese noblen Landpartien Vorbildfunktion. Ein Picknick ließ sich ohne großen Aufwand organisieren und konnte an individuelle Umstände angepasst werden. Die Palette des Dargebotenen reicht von den klassischen Gurkensandwiches aus der Aluminiumbox und Tee aus der Thermosflasche bis zur Großveranstaltung mit assortierten Weinen und einem Großaufgebot an Speisen.
Picnic: one of the most pleasant forms of amusement. Doch es ist der „Hamper“, ein aus Weide geflochtener Korb, der die exklusive Party im Freien letztlich zum Picknick macht. Bis heute verspeist die britische Society auf dem englischen Rasen von Wimbledon, beim Pferderennen in Ascot, bei der Ruderregatta in Henley-on-Thames oder in den ausgedehnten Pausen des renommierten Glyndebourne Opernfestivals zwischen Schafen, Kühen und Richard Wagner feine Häppchen outdoors. Gut gekühlter Champagner verleiht dem Ausblick seinen noblen Touch – genau wie maßgeschneiderte Korbvarianten gefüllt mit edlem Porzellan und Silberbesteck. „Im Freien ein Maximum an Esskultur arrangieren“, so die britische Devise.
Pleasure Garden: Jene städtische Freizeitgestaltung unter strahlendem Himmelszelt, passend zur allgemeinen Wald- und Wiesenromantik des 19. Jahrhunderts, erhielt ihren Namen übrigens in den 1840-er Jahren. Aus einem Wort, im Englischen beiläufig dahingesagt, wurde ein Begriff. Im Gegensatz zu allen früheren Unternehmungen wie dem Jagdmahl oder einer Bauernvesper stand beim „Picknick“ die Mahlzeit im Mittelpunkt. Die Natur diente als Basis für das Konzept Landpartie. Auch erste öffentliche Parks und Volksgärten entstanden nach englischem Vorbild. Die Lust am grünen Genuss ist heute größer denn je. Auch bei der Ortswahl sind – außer den natürlichen – kaum Grenzen gesetzt: Ein unberührtes Plätzchen mit einem Schatten spendenden alten Baumbestand, einem plätschernden Brunnen, See, Teich oder Fluss zu finden, ist in Zeiten der Urbanisierung wahrer Luxus. Und während die einen gemeinsam am Straßenrand speisen, bevorzugen Großstadtromantiker idyllische Lichtungen im Wald oder mondäne Parkanlagen, Auen oder entlegene Strand­körbe. „Grün“ ist freilich nicht das letzte Kriterium. Feinschmecker flüchten mitunter bis in die Wüste Marokkos. Und nicht selten haben Spitzenköche ihre Finger mit im Spiel – sie garantieren kulinarische Highlights in nahezu unberührter Natur.

Unterwegs gen Norden
Der Weg nach Sylt führt über Hamburg. Jacobs Restaurant-Spitzenkoch Thomas Martin hat sich für die Gäste des „Sylt-Intermezzo“ etwas Besonderes ausgedacht. Er versüßt ihnen die Reise dahin mit einem prall gefüllten Picknick-Rucksack. Der Inhalt: z. B. Jacobs Cuvée, frische Erdbeeren, Petits Fours, Trüffelpralinen, Danish Pastries, Fingersandwiches, Käse, Baguette und Oliven. Die Gäste können jederzeit wählen, wo sie essen möchten: Während der zwei- bis dreistündigen Autofahrt, auf einer grünen Wiese Rast machend oder beim Warten auf die nächste Verbindung mit dem Autoreisezug – oder überhaupt während der Fahrt. Unterwegs sind die Reisenden also gut versorgt – und bei der Ankunft auf der Insel gibt es bei Gosch das erste Fischbrötchen. Der richtigen Einstieg zur Zeit auf Sylt.
Hotel Luis C. Jakob Elbchaussee 401–403, D-22609 Hamburg
Tel.: 040/82 25 50,
www.hotel-jacob.de
Zwischen Richard Wagner und Schafen
Operninszenierungen vom Feinsten werden auf dem Lande in Südengland serviert. Beim traditionellen Glyndebourne-Festival geht es beinahe viktorianisch zu. Zwischen den Akten geht es hinaus in die sublime Landschaft und dort wird traditionell gepicknickt. Aus klassischen Hampern wird eine Vorspeise, ein Hauptgang und zum Dessert natürlich Pudding serviert. Ein Kühlbehälter sorgt für den frischen Genuss des üppigen Mahls, das auf feinem Porzellan und mit edlen Gläsern zelebriert wird. Freundliche Geister sorgen für eine Sitzgarnitur im Freien – für alle, die sich im eleganten Outfit nur ungern auf dem Boden unter den Sternen räkeln.
Glyndebourne, Lewes, East Sussex,
BN8 5UU, Tel.: +44/(0)1273/81 23 21 oder +44/(0)1273/813 81
www.glyndebourne.com
www.diningatglyndebourne.com/picnics.cfm
London-Style in Manhattan
Wer in New York den britischen Lifestyle vermisst, dem wird Abhilfe geboten. Das Gegenteil von „Kitchen Nightmare“ oder „In Teufels Küche“ bietet Gordon Ramsay im Big Apple an: Das Team um den Spitzenkoch agiert im „Gordon Ramsay at the London“ innerhalb der pittoresken Umgebung von New Yorks Central Park. Mit einer Handvoll köstlicher handmade Sandwiches, einer Selektion raffinierter Käse, Früchte und Beeren sowie Kuchen, Toast und Champagner bewaffnet, lässt sich ein Nachmittag im grünen Herzen Manhattans kurzweilig genießen.
The London NYC, 151 West 54th Street
New York, NY 10019, USA
Tel.: 1/(866)/690-2029,
www.thelondonnyc.co
Picknicken wie die Rothschilds
Einst wurde die prächtige Sommerresidenz von Wilhelm Carl von Rothschild zum Empfang hochrangiger Adliger und Wirtschaftsleute genutzt. Heute können Genießer im Park des Anwesens exzellent speisen: Jeden Mai startet die Villa Rothschild ihre legendäre Picknick-Saison. Sternekoch Christoph Rainer und sein Team stellen hierfür original englische Picknickkörbe zusammen. Von Spargelsalat mit Gewürzlachs, marinierter Gänsestopfleber mit süß-saurem Rhabarber, Gazpacho Andaluz mit frischem Basilikum über Tramezzini oder Sandwiches bis hin zu Kalbs-Wiener, hausgemachten Blechkuchen, frischen Erdbeeren und Pralinen reicht das lukullische Vergnügen. Ein Gourmet-Picknick vor exklusiver Kulisse.
Villa Rothschild Kempinski
Im Rothschildpark 1, 61462 Königstein im
Taunus – Frankfurt a. M.,
Tel.: +49/6174/90 90 46,
www.villa-rothschild.com

Natur pur im Arvenwald
Paradiesisch: Die pure Idylle ist auf einem der schönsten Sonnenplateaus der Schweizer Alpen auf 1.650 Metern Höhe gelegen. Ein weiter Blick führt über die Silvrettagipfel im Engadin. Das Hideaway begrüßt seine Gourmets von außen im Bauhaus-Stil und innen mit gemütlich alpiner Atmosphäre. In der Küche wirkt Sternekoch Martin Göschel. Sein Stil: naturverbunden. Das Essen auf der Hotelterrasse ist bereits ein reines Naturerlebnis. Wen es aber zu den unberührtesten Flecken der Erde höher hinauf oder in den „God da Tamangur“, den höchstgelegenen Arvenwald Europas zieht, für den packt der Küchenchef einen Rucksack voll mit regionalen Köstlichkeiten wie Bündnerfleisch, Käse und Birchermüsli.
Hotel Paradies, CH-7551 Engadin-Ftan
Tel.: +41/(0)81/861 08 08,
www.paradieshotel.ch

Völlig abgehoben
Hoch hinaus geht es mit Johann Lafers „Heli Gourmet Picknick“. Man trifft sich in der Kochschule Table D’Or in Guldental und bereitet gemeinsam mit dem Starkoch das Picknick vor. Dann wird im blitzblauen Helikopter zum Rundflug über den Rhein abgehoben. Mit traumhaftem Blick auf Schlösser, Burgruinen und gotische Kathedralen. Ziel ist eine Anhöhe in Bacharach samt imposantem Blick über das Rheintal. Dort wartet der nächste Höhenflug – und zwar kulinarischer Natur – denn hier wird das Picknick genossen. Ein außerordentliches Erlebnis, das alle Sinne gefangen nimmt.
Le Val d’Or Restaurant / Heli-Picknick in
Johann Lafers Stromburg-Restaurant, D-55442 Stromberg
Tel.: +49/6724/93 10-53
www.johannlafer.de,
www.stromburg.com
1001 Nacht – Picknick zwischen Wüstenblumen
Die menschlichen Sinne finden in den Häusern der „Maison des Rêves“ kaum Erholung. Die atemberaubende Schönheit der perfekt harmonisierenden Einheit von Ort, Zeit und edel gestalteten Räumen sucht weltweit ihres gleichen. Picknicks können die Gäste des Hauses Dar Ahlam, in einer Oase der marokkanischen Wüste, entweder im Tal der blühenden Mandelbäume, zum Frühstück zwischen Dünen am Ksar Ali oder den Ruinen von Isseldane, zu Mittag am stillen See und als Diner in der Schlucht von Sidi Flah genießen. Wer eine Märchennacht in der Wüste verbringen möchte, dem bietet sich das Campement an. Ein Chauffeur bringt Freunde orientalischer Kultur ins Wüstencamp, das keine Wünsche offen lässt. Kulinarisch verwöhnt wird man hier mit authentischer nordafrikanischer Küche, angereichert durch Elemente der Gourmetköche Hermé und Grasser-Hermé. Reisbällchen und Tomate d’amour sind nur der kulinarische Beginn garantierter Traumnächte unter endlosem Sternenhimmel.
www.darahlam.com
Picknick unter Wolkentürmen
Toni Mörwald bespielt Schloss Grafenegg – Essen im Freien darf dabei nicht fehlen. Der weitläufige Schlosspark, nach historischen Gestaltungsprinzipien des 19. Jahrhunderts wiederbelebt, lädt zum Flanieren gleichsam wie zum stilvollen Picknicken ein. Ähnlich wie in Glyndebourne kann man hier – allerdings vor bzw. nach einem Konzert im neu gestalteten Auditorium bzw. Wolkenturm – mit einem Picknickkorb die Natur rund um das Schloss genießen. Auch die Weingärten in nächster Umgebung laden mit aussichtsreichen Plätzen dazu ein. Sowohl die Schlosstaverne als auch der Picknick-Pavillon bieten einen umfassenden Service mit köstlich und reichlich gefüllten Picknickkörben: von deftig-kräftig bis hochelegant. Decken inklusive.
Restaurant & Hotel Mörwald
Schloss Grafenegg, 3485 Grafenegg 12
Tel.: 02735/26 16,
www.moerwald.at