Welcome to Austeria

Neben Kaviar, Champagner und Foie gras sind sie die vierte Säule des Feinschmeckertums, zumindest in der klischeehaften Vorstellung. Tatsächlich sind Austern heute weder teuer noch elitär, sondern vielmehr das frischeste und gesündestes Fast Food der Welt.

Text von Florian Holzer Foto von Luzia Ellert



Schlendert man über den Wochenmarkt am Montparnasse, sollte man gefasst sein. Denn was man hier zu sehen bekommt, übersteigt die menschliche Vorstellungskraft, zumindest jene des gelernten und gewöhnten Mitteleuropäers. Und zwar nicht nur Anzahl, Artenreichtum, Frische und Präsentation von Wildgeflügel, Käse, Obst und Gemüse, Brot, Patisserie, Schinken- und Wurstwaren betreffend, nein, das wäre ja noch irgendwie auszuhalten. Aber die haben dort Stände, an denen man Austern erwerben und auch gleich genießen kann. 32 verschiedene Sorten. Zwei und dreißig. Und nicht nur das, das La Coupole ist auch gleich ums Eck, die Le Bar a Huitres Montparnasse ebenfalls und außerdem hat hier sowieso jede Weinbar, jede Trafik, jeder Elektrohändler, jede Metro-Station eine kleine Austern-Theke vor der Türe stehen. Man sollte dort im Herbst jedenfalls besser nicht hingehen, wenn man Austern nicht mag


Austern haben einen speziellen Nimbus. Sie verbreiten das Flair des Besonderen, des subtil Luxuriösen, kein Wunder, ihr Genuss ist eine Frage von Frische, man isst sie schließlich roh und lebendig, was eine gewisse Logistik voraussetzt, die entweder eine bestimmte Reichweite festlegt oder einen entsprechend höheren Preis ansetzt. Das schwingt da bei Austern immer mit, ebenso wie die Anekdoten über berühmte Austern-Esser, Legenden hinsichtlich der aphrodisierenden Wirkung und vielleicht auch ein bisschen das Prickeln der Gefahr – vor einer Vergiftung, wenn die Auster doch nicht mehr so frisch und lebendig war. Austern lassen einen träumen, vermitteln Stimmungen, vermögen es, einen aus dem Alltag zu reißen. Und Austern-Lokale – etwa Jerome Brodys unvergleichliche Oyster Bar in der Grand Central Station in Manhattan oder das erschütternd schöne Bibendum in Chelsea, London – verströmen noch dazu eine ganz besondere Aura, besitzen kulinarischen Sonderstatus, müssen nie modern, sondern dürfen klassisch sein, sind architektonisch fast immer überaus eindrucksvoll, ordnen sich in ihrer Ästhetik letztlich aber doch immer diesen kinderfaustgroßen, auf in Silberschalen geschüttetem Eis servierten Steinen aus dem Meer unter. Die kein Food-Designer abstrakter, eindringlicher und kontrastreicher hätte gestalten können, mit ihrer grau-grünen, porösen, steinernen Schale, ihrem in funkelndes Perlmutt gekleideten Innenfutter und mit dieser mystischen Grazie von cremefarbenem, leicht rosigem bis grauem Fleisch mit farblich kontrastierenden Lippen… Es soll angeblich Menschen geben, die angesichts einer geöffneten Auster keine erotischen Assoziationen haben. Schwer vorstellbar.



Doch genug der hymnischen Poesie, bis es dazu kommt, ist es ein weiter Weg. In den drei bis vier Jahren, in denen eine Auster von der Larve bis zur genussfertigen Köstlichkeit heranreift, wird sie bis zu sechzig Mal „manipuliert“, also transportiert, gereinigt, geerntet, gereift, selektiert und verpackt. Je öfter, desto edler und teurer die Auster.



Was macht eine Auster gut, was macht sie teuer? Was aber macht die Qualität einer Auster aus, wodurch wird sie wirklich gut, wodurch wird sie zum mittelmäßigen Protein-Paket? Die wichtigsten Faktoren sind – woher kommt uns das bloß so bekannt vor? – klimatische und geologische Gegebenheiten und deren Zusammenspiel. Bei der Auster etwa sind es der Tidenhub, der für Strömung sorgt und ihr damit Plankton zuträgt beziehungsweise ihren Muskel stärkt, wenn sie bei Ebbe im Trockenen liegt und dementsprechend fest die Luken dicht machen muss, um nicht auszutrocknen. Und fester Muskel ist für die Qualität des Schalentiers schon einmal ganz wesentlich. Weiters wird sie von Art und Menge des vorhandenen Planktons beeinflusst, Algen etwa wirken sich farblich wie geschmacklich besonders stark aus, aber auch der Mineraliengehalt der Flüsse, die in die besten Austerngebiete münden, dürften eine Rolle spielen, so ganz genau weiß man das allerdings nicht.



Ebenfalls entscheidend: die Pflege der Austern – sprich Reinigung von Schlamm und Algen; je öfter und gründlicher das gemacht wird, desto klarer, „sauberer“ schmecken sie auch. Und natürlich die Besatzdichte: Je nachdem, wie viele Austern in die Säcke aus Kunststoffnetzen (die in den Austernbänken auf Tischen liegen oder an Seilen hängen) gefüllt werden, steht der einzelnen Muschel mehr oder weniger Plankton zur Verfügung. Und noch wichtiger in der Schlussphase der Mästung ist die Besatzdichte in den Claires, zumeist 300 bis 500 Quadratmeter großen Flachbecken, die früher einmal zur Salzgewinnung verwendet wurden. In der Austernzucht lässt man sie von der Flut überschwemmen und frisches Plankton an­liefern. „Fines de Claires“ verbringen einen Monat in diesen Becken, dreißig Stück teilen sich hier einen Quadratmeter, „Spéciales de Claires“ verbringen hier zwei Monate Wellness und teilen sich den Quadratmeter außerdem nur mit vier Kolleginnen – dementsprechend fett und gehaltvoll sind sie. „Die Dichte ist das Um und Auf“, sagt Kian Louet-Feisser, Chef der Carlingford Oyster Company an der irisch-nordirischen Grenze, „aber irgendwann ist es bei aller möglichen Qualität einfach nicht mehr wirtschaftlich“.



Schmecken tiefe Austern flach und flache wild? Die Sorte der Auster spielt natürlich auch eine Rolle, generell kann man von zwei verschiedenen, in der Austernzucht üblichen Gattungen sprechen: tiefe und flache Austern. Die so genannten „tiefen“ Austern machen heute den Hauptbestandteil der Austernzucht aus, die „portugiesische Auster“ wurde im 19. Jahrhundert von den Portugiesen von Ostasien nach Europa verschifft und gelangte eher zufällig beziehungsweise durch Missgeschicke in europäische Gewässer, wo bis dahin nur die so genannten „nativen“ Flachaustern gesammelt wurden. Diverse Krankheiten zerstörten die Populationen portugiesischer Austern in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, „pazifische Felsenaustern“ erwiesen sich als immun und stellen heute den Hauptbestandteil der europäischen Austernzucht. Tiefe Austern sind weitaus anspruchsloser als die empfindlichen Flachaustern und lassen sich leichter züchten, nativen Austern sagt man dafür das wesentlich intensivere Geschmackserlebnis nach. Belon, die berühmteste von ihnen, Galway aus Irland, Colchester aus England oder Zeeland aus Holland sind berühmt für ihr mitunter wildes Aroma, sie sind selten und daher teuer.



Das ist alles mehr oder weniger bekannt, viel weniger kommuniziert wird hingegen, dass es der Wissenschaft längst gelang, triploide Hybrid-Austern zu züchten. Bei triploiden Tieren handelt es sich um eine natürliche Chromosomen-Deformation, die zur Unfruchtbarkeit führt, in der Austernzucht macht man sich diesen Umstand zu Nutze, indem diese Austern auch während der Zeiten, in denen sich diploide Austern normalerweise fortpflanzen und dabei an Qualität verlieren, in Top-Form sind. Abgesehen davon werden sie massiger und wachsen schneller, auch nicht gerade ein Nachteil. Und da „natürliche“ Fortpflanzung in der Austernzucht längst keine Rolle mehr spielt, sondern man mit standardisierten Setzlingen aus Zuchtanstalten arbeitet, fällt auch diese Notwendigkeit weg. Triploide Austern würden auch bei gleicher Größe etwas fetter, milchiger schmecken als fortpflanzungsfähige diploide, meint Kian Louet-Feisser, für den interessierten Laien ist der Unterschied nicht zu schmecken.



Natur versus Meerwassertank. Und wenn nun Qualität und Herkunft des Wassers eine so große Rolle spielen, was ist dann von Austern zu halten, die in Wasserbehältern fernab der Meeresküste gehalten werden? Peter Frese rät in seinem 1994 erschienenen Buch „Austern, kulinarische Strandwanderungen“ (Hädecke) noch eindringlich von solchen Exem-plaren ab, meint damit aber die trostlosen Aquarien und Vivarien in Fischrestaurants, in denen zumeist Hummer mit festgezurrten Scheren ihrem Ende entgegenhungern. Dass das auch für Austern kein qualitäts-förderndes Habitat sein kann, ist klar, und der Gedanke an eine Aquarium-Auster, die immerhin zu 83% aus Wasser besteht, wirkt nicht gerade appetitlich. Es geht aber eben auch anders, wie die Becken in der Halle A2 am Inzersdorfer Großgrünmarkt beweisen. Franz Aibler begann hier schon vor zwölf Jahren damit, vor allem spanischen Steinbutt lebendig und somit optimal frisch zu halten, mit den Gillardeau-Austern kam noch eine technische Herausforderung dazu: Für die wurde das Wasser nämlich nicht nur hinsichtlich Temperatur, PH-Wert, Härtegrad, Sauerstoff- und Salzgehalt dem Atlantik-Original nachgebaut (und dahingehend permanent überwacht, außerdem aber noch regelmäßig tierärztlich kontrolliert), sondern darüber hinaus ein Tidenhub eingebaut, damit sich die schönen Spéciales so richtig wie zu Hause fühlen. Notwendig wäre es natürlich nicht und man habe das ursprünglich auch eher für die Bouchot-Muscheln gebaut, verrät Elisabeth Aibler, „aber die Austern sind dadurch auch noch besser geworden“. Lange bleiben die in den originalen Kisten verpackten Austern auch nicht im künstlichen Meerwasser, „wir bekommen in der Woche drei Lieferungen, länger als drei Tage sind sie also nie drin; aber dafür fit und lebendig“.



In der Jury für die A la Carte-Austernverkostung saßen nicht wenige, die vorab fest davon überzeugt waren, dass es eine Auster aus dem Becken nie mit einer, die direkt aus den Claires angeliefert wurde, aufnehmen kann. Nun ja, eine Gewissheit, die fürderhin ins Reich der Legenden aufgenommen werden darf.



R-Monate, Aphrodisiakum, Zitrone, Wasser. Wie auch noch viele andere. Etwa, dass man Austern nur in Monaten mit „r“ essen kann. So verbreitet diese Erkenntnis auch sein mag, so unsinnig ist sie. Viele Kenner schätzen Austern vor allem im Mai und Juni, also vor ihrer Fortpflanzung, der September – unmittelbar danach – gilt als die einzige Zeit, in der Austern nicht optimal schmecken. Und sogar das gilt heute als überholt. Als Ursprung für den R-Monat-Irrglauben hielt man die einfache Rechnung, dass es Austern von Mai bis August zu warm sei oder sie nicht frisch gehalten werden können. Stimmt aber längst nicht mehr, tatsächlicher Grund war eine regulative Maßnahme der französischen Behörden des späten 18. Jahrhunderts, die damit einer übermäßigen Ausbeutung zuvorkommen wollte. Die R-Monat-Regel daher bitte einfach vergessen.



Oder die Sache mit der aphrodisierenden Wirkung. Nun ja, rein physiologisch spricht nichts dafür, denn eine Auster enthält keine Stoffe, die andere Lebensmittel nicht auch besäßen. Andererseits ist das Wasser-Protein-Kohlenhydrate-Fette-Verhältnis mit 83/9/4,8/1,2 sicher ein ernährungswissenschaftlich überaus günstiges, der hohe Anteil von Mineralstoffen (Kalzium, Magnesium, Jod und vor allem Zink) keineswegs ein Nachteil und der fantastische Vitamingehalt (A, B1, B2, B6, B9, PP, C, E, D) für feinen Sex wahrscheinlich auch durchwegs förderlich. Ausschlaggebend für dieses Gerücht dürfte aber wohl die selbst mit geringer Fantasie an eine weibliche Vulva erinnernde Optik und der doch ein wenig sinnlich wirkende Verzehr durch Schlürfen sein.



Oder die Zitrone. Nein, man muss keine halbe Zitrone auf der Auster ausquetschen, weder, um sie zu würzen, noch um ihre Lebendigkeit zu testen. Das mit dem Würzen könnte man sich überhaupt sparen, der wahre Austern-Genuss ist der pure, Verirrten, die ihre Austern mit Ketchup verzehren, sollte man nicht folgen. Tatsächlich kann ein Tropfen Zitronensaft – auf den äußeren Rand, den „Mantel“ platziert – mittels leichter Zuck-Reaktion zeigen, ob die Auster fit ist. Das merkt man beim Selberöffnen aber besser, wenn die Muschel dicht ist, ihr Wasser behält und sich schwer öffnen lässt. Im Restaurant ist der Zitronen-Tropfen durchwegs sinnvoll, oder aber man hat Grund, der Küche zu vertrauen. In diesem Fall die Auster ungesäuert genießen.



Oder aber die Mär, dass das in der Auster befindliche Wasser überhaupt das Beste ist. Hört man oft, eine bestimmte Kategorie von Feinschmeckern versucht durch Zelebrierung des Meerwasser-Schlürfens gerne ihre Kennerschaft zu demonstrieren. Allerdings handelt es sich auch da um einen historischen Irrtum, das in der Auster befindliche Wasser ist Meerwasser, das nach Meerwasser schmeckt und den Geschmack der Auster höchstens vermeerwässert. Die Legende rührt daher, dass man dereinst aus der Schale gelöste Austern einige Zeit „ausbluten“ ließ und die so gewonnene Flüssigkeit, das „Austernwasser“, als Essenz der Auster lobpreiste. Andere Zeiten, andere Sitten. Wir schlürfen das Tierchen heute lieber ohne Verzögerungen direkt aus der Schale. Und wenn zu viel Wasser drin ist, darf man das einfach über dem Eis entsorgen. Die Franzosen machen das auch so.

Bewertung

Kelly Gigas 
Punkte 7,7

Michael Kelly gilt als einer der besten irischen Austernzüchter, sein kleiner Familienbetrieb außerhalb von Galway erzeugt nicht viel mehr als 50 Tonnen pro Jahr, etwa die Hälfte davon die tiefen Gigas, die andere Hälfte flache Natives, hocharomatische Mineralitäts-Granaten, die ihren Weg aufgrund der enormen Nachfrage in Irland und England aber kaum auf den ­Kontinent finden. „Wunderschönes Grau-Grün, rauchig, erinnert an grünen Tee und Balsa-Holz, klein, fein und knackig“, „sehr klein, tolle Konsistenz, wunderbar süßlich-jodige Malznote, rauchig“, „kräftiger, sehr eigener Geschmack, sehr gute Konsistenz, Roggenbrot, Algen, Rauch“, „sehr klein und rundlich, süßes, kleines Fleischpaket, vielschichtig und lange“.

€ 1,90/Stück bei Eishken Estate, Großgrünmarkt Inzersdorf, Halle A2, 1230 Wien

Tel.: 01/889 37 33
www.eishken.at

Belon 000
 Punkte 7,6

Die flachen Austern sind nicht jedes Austernliebhabers Sache, ihre wilden, ungestümen Aromen und ihr Hang zu einer bitteren Note mag nicht jeder. Dieses Exemplar war aber nicht nur köstlich, sondern auch ausnehmend schön, „Auster extrem, pures, knackiges Eiweiß, wie roher Fisch, nur süßer und intensiver, Cognac-Note, im Abgang etwas reizend“, „zuerst wunderbarer Eindruck, klar und süßlich, im Abgang dann etwas metallisch“, „riesengroß, schöner Biss, bitter-süß“, „fleischig, leicht säuerlich, nussig-bitter“, „groß und flach, sehr fleischig, gute Harmonie auf der salzigen Seite“.

€ 3,50/Stück bei Fisch Gruber, Naschmarkt 31–36, 1060 Wien

Tel.: 01/586 32 73
www.fisch-gruber.at

Tsarskaya Fines de Claires
 Punkte 7,4

Saint Kerber ist einer der potentesten Austernzüchter in Cancale, Spezialität sind die flachen Varietäten, seit 2004 wird aber auch eine ganz besonders sorgfältig gefarmte, tiefe Auster angeboten, bei deren Namensgebung man an die einstigen Großkunden für Cancale-Austern in Moskau und St. Petersburg erinnern wollte. „Optisch eher unspektakulär, sehr intensiv, knackig, mineralisch und wild, schmeckt wie brausende Gischt, wilder Pazifik“, „sehr intensiv, ex­trem jodig, fischig“, „frisch, sehr gute Konsistenz, kräftiger Geschmack“, „wilde Optik, beiges Fleisch, schwarzer Rand, intensiv, salzig, jodig, extrem kraftvoll“.

€ 1,99/Stück bei Frischeparadies, Sagedergasse 18, 1120 Wien

Tel.: 01/803 01 70-50

www.frischeparadies.de

Holländische Felsenauster
 Punkte 6,7

Holland ist nach Frankreich und Irland der drittgrößte Austernproduzent Europas, wenngleich prestigeträchtige Namen und Bezeichnungen zumindest in Österreich kaum bekannt sind. Zu Unrecht, wie die Verkostung ergab. „Riesengroß, geschmacklich wie frische, grüne Nüsse, süß, zwischendurch auch etwas animalisch, überaus verführerisch“, „sehr viel Fleisch, vielfältige Nuancen“, „sehr groß, glasig, Algen-Aroma“, „klar, groß, fleischig, saftig und ein wenig süß“, „viel Fleisch, sehr schön mit blaugrauem Rand, mild-salzig“.

€ 1,90/Stück bei Fisch Gruber, Naschmarkt 31–36, 1060 Wien

Tel.: 01/586 32 73
www.fisch-gruber.at

Fines de Claires
 Punkte 6,5

Man muss heute keineswegs unbedingt zum Geheimlieferanten gehen, um gute Ware zu bekommen, wie der Test beweist. Eine genaue Herkunftsbezeichnung der Nordsee-Austern war zwar nicht zu bekommen, aber: „sehr schön, etwas zäh, salzig, intensiver Meeres- und Algen-Ton“, „knackig, salzig, mineralisch, etwas gummiartig“, „ziemlich salzig, kaum Süße“, „Meer, sauber und komplex“.

€ 2,20/Stück bei Nordsee, Naschmarkt 1–5, 1060 Wien

Tel.: 01/586 14 20
www.nordsee.at

Fines de Claire TG 
Punkte 6,4

Die Standard-Ware aus den Meerwasserbecken der Familie Aibler, TG bedeutet „très grand“, also sehr groß, die offizielle Kategorie für Austern von mindestens hundert Gramm. „Extreme Portion, harmonischer Salzgehalt, fleischig, zarte Süße, etwas adstringierend“, „sehr groß, salzig, knackig, schöne Konsistenz, deutlicher Jod-Geschmack“, „zu neu­tral“, „nicht besonders intensiv, aber trotzdem ­anhaltend“, „groß, süß, schmeckt nach Meer“.

€ 1,60/Stück bei Eishken Estate, Großgrünmarkt Inzersdorf, Halle A2, 1230 Wien

Tel.: 01/889 37 33

www.eishken.at

Belon 00 
Punkte 6,4

Die wahrscheinlich bekannteste Auster der Welt, wenngleich selten zu bekommen und teuer zu bezahlen. Im Sortiment von Frischeparadies erfreu­licherweise regelmäßig im Angebot, „klein, flach, beige, wunderschön, sehr viel Alge, sehr viel Meer, äußerst individuell“, „starkes Algen-Aroma und Nuancen frischer, grüner Nüsse, auch Sencha-Tee, nicht so bitter wie Belons sonst, super“, „sehr wild“, „würzig, gemüsig, lang – ein ganzer Fisch-Gang“, „leicht brackig, aber schön fleischig“.
€ 2,59/Stück bei Frischeparadies, Sagedergasse 18, 1120 Wien
Tel.: 01/803 01 70-50
www.frischeparadies.de

Fines de Claires 1 
Punkte 6,1

Die günstigste Auster im Bewerb bezogen wir am Großmarkt (nur mit Berechtigungskarte möglich). „Süß, fett, relativ neutral, leicht adstringierend“, „im Abgang süßlich, schmeckt aber kaum nach Meer, etwas brackig“, „fleischig, leicht brackig“, „mittel-fleischig“.

€ 1,31/Stück bei Metro, Metro Pl. 1, 2331 Vösendorf 

Tel.: 01/690 80-0
www.metro.at

Marennes
 Punkte 5,6

Diese Austern ließen wir als „Piraten“ mitlaufen, im freien Handel sind Marennes-Austern schwer zu bekommen. Speziell sind sie deshalb, weil häufig mit der hier vorkommenden Mikro-Alge Navicula ostrearia „infiziert“, was ihnen nicht nur ein besonderes Aroma verleiht, sondern vor allem eine strahlend grüne Farbe. „Schlammig, rustikal, wild, wie roher Fisch“, „wild, etwas fischig, etwas bitter“, „groß, anfangs etwas brackig, dann salzig, leichter Fischgeschmack“, „schmeckt nach Tier“, „dunkler, groß“. 

bei Rungis Express

Fines de Claire G
 Punkte 5,3

75 bis 100 Gramm, gewissermaßen die Mittelklasse unter den Austern. „Salzig, etwas neutral, nett, aber keine Sensation“, „sehr salzig, schöner Biss, aber wenig Fleisch“, „glasig, kaum Fleisch dran, viel Salz, viel Jod“, „etwas dünn“, „Salz überdeckt alles“.

€ 1,39/Stück bei Frischeparadies, Sagedergasse 18, 1120 Wien
Tel.: 01/803 01 70-50

www.frischeparadies.de

Der Name allein reicht nicht, Belon kann auch durchschnittlich sein. 00 bedeutet ein Gewicht von 100 Gramm. „Zuerst neutral, dann eine Salz-Bitterstoff-Mineralik-Explosion – Hardcore“, „zuerst sehr salzig, dann Explosion von metallischen, salzigen, bitteren Aromen; zu viel“, „knackig, fischig, sehr bitter, sehr metallisch“, „extrem bitter!“, „süß, dann lange bitter“.

Bewertung

Kelly Gigas Punkte 7,7
Michael Kelly gilt als einer der besten irischen Austernzüchter, sein kleiner Familienbetrieb außerhalb von Galway erzeugt nicht viel mehr als 50 Tonnen pro Jahr, etwa die Hälfte davon die tiefen Gigas, die andere Hälfte flache Natives, hocharomatische Mineralitäts-Granaten, die ihren Weg aufgrund der enormen Nachfrage in Irland und England aber kaum auf den ­Kontinent finden. „Wunderschönes Grau-Grün, rauchig, erinnert an grünen Tee und Balsa-Holz, klein, fein und knackig“, „sehr klein, tolle Konsistenz, wunderbar süßlich-jodige Malznote, rauchig“, „kräftiger, sehr eigener Geschmack, sehr gute Konsistenz, Roggenbrot, Algen, Rauch“, „sehr klein und rundlich, süßes, kleines Fleischpaket, vielschichtig und lange“.

€ 1,90/Stück bei Eishken Estate, Großgrünmarkt Inzersdorf, Halle A2, 1230 Wien

Tel.: 01/889 37 33
www.eishken.at

Belon 000
 Punkte 7,6

Die flachen Austern sind nicht jedes Austernliebhabers Sache, ihre wilden, ungestümen Aromen und ihr Hang zu einer bitteren Note mag nicht jeder. Dieses Exemplar war aber nicht nur köstlich, sondern auch ausnehmend schön, „Auster extrem, pures, knackiges Eiweiß, wie roher Fisch, nur süßer und intensiver, Cognac-Note, im Abgang etwas reizend“, „zuerst wunderbarer Eindruck, klar und süßlich, im Abgang dann etwas metallisch“, „riesengroß, schöner Biss, bitter-süß“, „fleischig, leicht säuerlich, nussig-bitter“, „groß und flach, sehr fleischig, gute Harmonie auf der salzigen Seite“.

€ 3,50/Stück bei Fisch Gruber, Naschmarkt 31–36, 1060 Wien

Tel.: 01/586 32 73
www.fisch-gruber.at

Tsarskaya Fines de Claires
 Punkte 7,4

Saint Kerber ist einer der potentesten Austernzüchter in Cancale, Spezialität sind die flachen Varietäten, seit 2004 wird aber auch eine ganz besonders sorgfältig gefarmte, tiefe Auster angeboten, bei deren Namensgebung man an die einstigen Großkunden für Cancale-Austern in Moskau und St. Petersburg erinnern wollte. „Optisch eher unspektakulär, sehr intensiv, knackig, mineralisch und wild, schmeckt wie brausende Gischt, wilder Pazifik“, „sehr intensiv, ex­trem jodig, fischig“, „frisch, sehr gute Konsistenz, kräftiger Geschmack“, „wilde Optik, beiges Fleisch, schwarzer Rand, intensiv, salzig, jodig, extrem kraftvoll“.

€ 1,99/Stück bei Frischeparadies, Sagedergasse 18, 1120 Wien

Tel.: 01/803 01 70-50

www.frischeparadies.de

Holländische Felsenauster
 Punkte 6,7

Holland ist nach Frankreich und Irland der drittgrößte Austernproduzent Europas, wenngleich prestigeträchtige Namen und Bezeichnungen zumindest in Österreich kaum bekannt sind. Zu Unrecht, wie die Verkostung ergab. „Riesengroß, geschmacklich wie frische, grüne Nüsse, süß, zwischendurch auch etwas animalisch, überaus verführerisch“, „sehr viel Fleisch, vielfältige Nuancen“, „sehr groß, glasig, Algen-Aroma“, „klar, groß, fleischig, saftig und ein wenig süß“, „viel Fleisch, sehr schön mit blaugrauem Rand, mild-salzig“.

€ 1,90/Stück bei Fisch Gruber, Naschmarkt 31–36, 1060 Wien

Tel.: 01/586 32 73
www.fisch-gruber.at

Fines de Claires
 Punkte 6,5

Man muss heute keineswegs unbedingt zum Geheimlieferanten gehen, um gute Ware zu bekommen, wie der Test beweist. Eine genaue Herkunftsbezeichnung der Nordsee-Austern war zwar nicht zu bekommen, aber: „sehr schön, etwas zäh, salzig, intensiver Meeres- und Algen-Ton“, „knackig, salzig, mineralisch, etwas gummiartig“, „ziemlich salzig, kaum Süße“, „Meer, sauber und komplex“.

€ 2,20/Stück bei Nordsee, Naschmarkt 1–5, 1060 Wien

Tel.: 01/586 14 20
www.nordsee.at

Fines de Claire TG 
Punkte 6,4

Die Standard-Ware aus den Meerwasserbecken der Familie Aibler, TG bedeutet „très grand“, also sehr groß, die offizielle Kategorie für Austern von mindestens hundert Gramm. „Extreme Portion, harmonischer Salzgehalt, fleischig, zarte Süße, etwas adstringierend“, „sehr groß, salzig, knackig, schöne Konsistenz, deutlicher Jod-Geschmack“, „zu neu­tral“, „nicht besonders intensiv, aber trotzdem ­anhaltend“, „groß, süß, schmeckt nach Meer“.

€ 1,60/Stück bei Eishken Estate, Großgrünmarkt Inzersdorf, Halle A2, 1230 Wien

Tel.: 01/889 37 33

www.eishken.at

Belon 00 
Punkte 6,4

Die wahrscheinlich bekannteste Auster der Welt, wenngleich selten zu bekommen und teuer zu bezahlen. Im Sortiment von Frischeparadies erfreu­licherweise regelmäßig im Angebot, „klein, flach, beige, wunderschön, sehr viel Alge, sehr viel Meer, äußerst individuell“, „starkes Algen-Aroma und Nuancen frischer, grüner Nüsse, auch Sencha-Tee, nicht so bitter wie Belons sonst, super“, „sehr wild“, „würzig, gemüsig, lang – ein ganzer Fisch-Gang“, „leicht brackig, aber schön fleischig“.
€ 2,59/Stück bei Frischeparadies, Sagedergasse 18, 1120 Wien
Tel.: 01/803 01 70-50
www.frischeparadies.de

Fines de Claires 1 
Punkte 6,1

Die günstigste Auster im Bewerb bezogen wir am Großmarkt (nur mit Berechtigungskarte möglich). „Süß, fett, relativ neutral, leicht adstringierend“, „im Abgang süßlich, schmeckt aber kaum nach Meer, etwas brackig“, „fleischig, leicht brackig“, „mittel-fleischig“.

€ 1,31/Stück bei Metro, Metro Pl. 1, 2331 Vösendorf 

Tel.: 01/690 80-0
www.metro.at

Marennes
 Punkte 5,6

Diese Austern ließen wir als „Piraten“ mitlaufen, im freien Handel sind Marennes-Austern schwer zu bekommen. Speziell sind sie deshalb, weil häufig mit der hier vorkommenden Mikro-Alge Navicula ostrearia „infiziert“, was ihnen nicht nur ein besonderes Aroma verleiht, sondern vor allem eine strahlend grüne Farbe. „Schlammig, rustikal, wild, wie roher Fisch“, „wild, etwas fischig, etwas bitter“, „groß, anfangs etwas brackig, dann salzig, leichter Fischgeschmack“, „schmeckt nach Tier“, „dunkler, groß“. 

bei Rungis Express

Fines de Claire G
 Punkte 5,3

75 bis 100 Gramm, gewissermaßen die Mittelklasse unter den Austern. „Salzig, etwas neutral, nett, aber keine Sensation“, „sehr salzig, schöner Biss, aber wenig Fleisch“, „glasig, kaum Fleisch dran, viel Salz, viel Jod“, „etwas dünn“, „Salz überdeckt alles“.

€ 1,39/Stück bei Frischeparadies, Sagedergasse 18, 1120 Wien
Tel.: 01/803 01 70-50

www.frischeparadies.de

Der Name allein reicht nicht, Belon kann auch durchschnittlich sein. 00 bedeutet ein Gewicht von 100 Gramm. „Zuerst neutral, dann eine Salz-Bitterstoff-Mineralik-Explosion – Hardcore“, „zuerst sehr salzig, dann Explosion von metallischen, salzigen, bitteren Aromen; zu viel“, „knackig, fischig, sehr bitter, sehr metallisch“, „extrem bitter!“, „süß, dann lange bitter“.

Welcome to Austeria

Schlendert man über den Wochenmarkt am Montparnasse, sollte man gefasst sein. Denn was man hier zu sehen bekommt, übersteigt die menschliche Vorstellungskraft, zumindest jene des gelernten und gewöhnten Mitteleuropäers. Und zwar nicht nur Anzahl, Artenreichtum, Frische und Präsentation von Wildgeflügel, Käse, Obst und Gemüse, Brot, Patisserie, Schinken- und Wurstwaren betreffend, nein, das wäre ja noch irgendwie auszuhalten. Aber die haben dort Stände, an denen man Austern erwerben und auch gleich genießen kann. 32 verschiedene Sorten. Zwei und dreißig. Und nicht nur das, das La Coupole ist auch gleich ums Eck, die Le Bar a Huitres Montparnasse ebenfalls und außerdem hat hier sowieso jede Weinbar, jede Trafik, jeder Elektrohändler, jede Metro-Station eine kleine Austern-Theke vor der Türe stehen. Man sollte dort im Herbst jedenfalls besser nicht hingehen, wenn man Austern nicht mag

Austern haben einen speziellen Nimbus. Sie verbreiten das Flair des Besonderen, des subtil Luxuriösen, kein Wunder, ihr Genuss ist eine Frage von Frische, man isst sie schließlich roh und lebendig, was eine gewisse Logistik voraussetzt, die entweder eine bestimmte Reichweite festlegt oder einen entsprechend höheren Preis ansetzt. Das schwingt da bei Austern immer mit, ebenso wie die Anekdoten über berühmte Austern-Esser, Legenden hinsichtlich der aphrodisierenden Wirkung und vielleicht auch ein bisschen das Prickeln der Gefahr – vor einer Vergiftung, wenn die Auster doch nicht mehr so frisch und lebendig war. Austern lassen einen träumen, vermitteln Stimmungen, vermögen es, einen aus dem Alltag zu reißen. Und Austern-Lokale – etwa Jerome Brodys unvergleichliche Oyster Bar in der Grand Central Station in Manhattan oder das erschütternd schöne Bibendum in Chelsea, London – verströmen noch dazu eine ganz besondere Aura, besitzen kulinarischen Sonderstatus, müssen nie modern, sondern dürfen klassisch sein, sind architektonisch fast immer überaus eindrucksvoll, ordnen sich in ihrer Ästhetik letztlich aber doch immer diesen kinderfaustgroßen, auf in Silberschalen geschüttetem Eis servierten Steinen aus dem Meer unter. Die kein Food-Designer abstrakter, eindringlicher und kontrastreicher hätte gestalten können, mit ihrer grau-grünen, porösen, steinernen Schale, ihrem in funkelndes Perlmutt gekleideten Innenfutter und mit dieser mystischen Grazie von cremefarbenem, leicht rosigem bis grauem Fleisch mit farblich kontrastierenden Lippen… Es soll angeblich Menschen geben, die angesichts einer geöffneten Auster keine erotischen Assoziationen haben. Schwer vorstellbar.

Doch genug der hymnischen Poesie, bis es dazu kommt, ist es ein weiter Weg. In den drei bis vier Jahren, in denen eine Auster von der Larve bis zur genussfertigen Köstlichkeit heranreift, wird sie bis zu sechzig Mal „manipuliert“, also transportiert, gereinigt, geerntet, gereift, selektiert und verpackt. Je öfter, desto edler und teurer die Auster.

Was macht eine Auster gut, was macht sie teuer? Was aber macht die Qualität einer Auster aus, wodurch wird sie wirklich gut, wodurch wird sie zum mittelmäßigen Protein-Paket? Die wichtigsten Faktoren sind – woher kommt uns das bloß so bekannt vor? – klimatische und geologische Gegebenheiten und deren Zusammenspiel. Bei der Auster etwa sind es der Tidenhub, der für Strömung sorgt und ihr damit Plankton zuträgt beziehungsweise ihren Muskel stärkt, wenn sie bei Ebbe im Trockenen liegt und dementsprechend fest die Luken dicht machen muss, um nicht auszutrocknen. Und fester Muskel ist für die Qualität des Schalentiers schon einmal ganz wesentlich. Weiters wird sie von Art und Menge des vorhandenen Planktons beeinflusst, Algen etwa wirken sich farblich wie geschmacklich besonders stark aus, aber auch der Mineraliengehalt der Flüsse, die in die besten Austerngebiete münden, dürften eine Rolle spielen, so ganz genau weiß man das allerdings nicht.

Ebenfalls entscheidend: die Pflege der Austern – sprich Reinigung von Schlamm und Algen; je öfter und gründlicher das gemacht wird, desto klarer, „sauberer“ schmecken sie auch. Und natürlich die Besatzdichte: Je nachdem, wie viele Austern in die Säcke aus Kunststoffnetzen (die in den Austernbänken auf Tischen liegen oder an Seilen hängen) gefüllt werden, steht der einzelnen Muschel mehr oder weniger Plankton zur Verfügung. Und noch wichtiger in der Schlussphase der Mästung ist die Besatzdichte in den Claires, zumeist 300 bis 500 Quadratmeter großen Flachbecken, die früher einmal zur Salzgewinnung verwendet wurden. In der Austernzucht lässt man sie von der Flut überschwemmen und frisches Plankton an­liefern. „Fines de Claires“ verbringen einen Monat in diesen Becken, dreißig Stück teilen sich hier einen Quadratmeter, „Spéciales de Claires“ verbringen hier zwei Monate Wellness und teilen sich den Quadratmeter außerdem nur mit vier Kolleginnen – dementsprechend fett und gehaltvoll sind sie. „Die Dichte ist das Um und Auf“, sagt Kian Louet-Feisser, Chef der Carlingford Oyster Company an der irisch-nordirischen Grenze, „aber irgendwann ist es bei aller möglichen Qualität einfach nicht mehr wirtschaftlich“.

Schmecken tiefe Austern flach und flache wild? Die Sorte der Auster spielt natürlich auch eine Rolle, generell kann man von zwei verschiedenen, in der Austernzucht üblichen Gattungen sprechen: tiefe und flache Austern. Die so genannten „tiefen“ Austern machen heute den Hauptbestandteil der Austernzucht aus, die „portugiesische Auster“ wurde im 19. Jahrhundert von den Portugiesen von Ostasien nach Europa verschifft und gelangte eher zufällig beziehungsweise durch Missgeschicke in europäische Gewässer, wo bis dahin nur die so genannten „nativen“ Flachaustern gesammelt wurden. Diverse Krankheiten zerstörten die Populationen portugiesischer Austern in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, „pazifische Felsenaustern“ erwiesen sich als immun und stellen heute den Hauptbestandteil der europäischen Austernzucht. Tiefe Austern sind weitaus anspruchsloser als die empfindlichen Flachaustern und lassen sich leichter züchten, nativen Austern sagt man dafür das wesentlich intensivere Geschmackserlebnis nach. Belon, die berühmteste von ihnen, Galway aus Irland, Colchester aus England oder Zeeland aus Holland sind berühmt für ihr mitunter wildes Aroma, sie sind selten und daher teuer.

Das ist alles mehr oder weniger bekannt, viel weniger kommuniziert wird hingegen, dass es der Wissenschaft längst gelang, triploide Hybrid-Austern zu züchten. Bei triploiden Tieren handelt es sich um eine natürliche Chromosomen-Deformation, die zur Unfruchtbarkeit führt, in der Austernzucht macht man sich diesen Umstand zu Nutze, indem diese Austern auch während der Zeiten, in denen sich diploide Austern normalerweise fortpflanzen und dabei an Qualität verlieren, in Top-Form sind. Abgesehen davon werden sie massiger und wachsen schneller, auch nicht gerade ein Nachteil. Und da „natürliche“ Fortpflanzung in der Austernzucht längst keine Rolle mehr spielt, sondern man mit standardisierten Setzlingen aus Zuchtanstalten arbeitet, fällt auch diese Notwendigkeit weg. Triploide Austern würden auch bei gleicher Größe etwas fetter, milchiger schmecken als fortpflanzungsfähige diploide, meint Kian Louet-Feisser, für den interessierten Laien ist der Unterschied nicht zu schmecken.

Natur versus Meerwassertank. Und wenn nun Qualität und Herkunft des Wassers eine so große Rolle spielen, was ist dann von Austern zu halten, die in Wasserbehältern fernab der Meeresküste gehalten werden? Peter Frese rät in seinem 1994 erschienenen Buch „Austern, kulinarische Strandwanderungen“ (Hädecke) noch eindringlich von solchen Exem-plaren ab, meint damit aber die trostlosen Aquarien und Vivarien in Fischrestaurants, in denen zumeist Hummer mit festgezurrten Scheren ihrem Ende entgegenhungern. Dass das auch für Austern kein qualitäts-förderndes Habitat sein kann, ist klar, und der Gedanke an eine Aquarium-Auster, die immerhin zu 83% aus Wasser besteht, wirkt nicht gerade appetitlich. Es geht aber eben auch anders, wie die Becken in der Halle A2 am Inzersdorfer Großgrünmarkt beweisen. Franz Aibler begann hier schon vor zwölf Jahren damit, vor allem spanischen Steinbutt lebendig und somit optimal frisch zu halten, mit den Gillardeau-Austern kam noch eine technische Herausforderung dazu: Für die wurde das Wasser nämlich nicht nur hinsichtlich Temperatur, PH-Wert, Härtegrad, Sauerstoff- und Salzgehalt dem Atlantik-Original nachgebaut (und dahingehend permanent überwacht, außerdem aber noch regelmäßig tierärztlich kontrolliert), sondern darüber hinaus ein Tidenhub eingebaut, damit sich die schönen Spéciales so richtig wie zu Hause fühlen. Notwendig wäre es natürlich nicht und man habe das ursprünglich auch eher für die Bouchot-Muscheln gebaut, verrät Elisabeth Aibler, „aber die Austern sind dadurch auch noch besser geworden“. Lange bleiben die in den originalen Kisten verpackten Austern auch nicht im künstlichen Meerwasser, „wir bekommen in der Woche drei Lieferungen, länger als drei Tage sind sie also nie drin; aber dafür fit und lebendig“.

In der Jury für die A la Carte-Austernverkostung saßen nicht wenige, die vorab fest davon überzeugt waren, dass es eine Auster aus dem Becken nie mit einer, die direkt aus den Claires angeliefert wurde, aufnehmen kann. Nun ja, eine Gewissheit, die fürderhin ins Reich der Legenden aufgenommen werden darf.

R-Monate, Aphrodisiakum, Zitrone, Wasser. Wie auch noch viele andere. Etwa, dass man Austern nur in Monaten mit „r“ essen kann. So verbreitet diese Erkenntnis auch sein mag, so unsinnig ist sie. Viele Kenner schätzen Austern vor allem im Mai und Juni, also vor ihrer Fortpflanzung, der September – unmittelbar danach – gilt als die einzige Zeit, in der Austern nicht optimal schmecken. Und sogar das gilt heute als überholt. Als Ursprung für den R-Monat-Irrglauben hielt man die einfache Rechnung, dass es Austern von Mai bis August zu warm sei oder sie nicht frisch gehalten werden können. Stimmt aber längst nicht mehr, tatsächlicher Grund war eine regulative Maßnahme der französischen Behörden des späten 18. Jahrhunderts, die damit einer übermäßigen Ausbeutung zuvorkommen wollte. Die R-Monat-Regel daher bitte einfach vergessen.

Oder die Sache mit der aphrodisierenden Wirkung. Nun ja, rein physiologisch spricht nichts dafür, denn eine Auster enthält keine Stoffe, die andere Lebensmittel nicht auch besäßen. Andererseits ist das Wasser-Protein-Kohlenhydrate-Fette-Verhältnis mit 83/9/4,8/1,2 sicher ein ernährungswissenschaftlich überaus günstiges, der hohe Anteil von Mineralstoffen (Kalzium, Magnesium, Jod und vor allem Zink) keineswegs ein Nachteil und der fantastische Vitamingehalt (A, B1, B2, B6, B9, PP, C, E, D) für feinen Sex wahrscheinlich auch durchwegs förderlich. Ausschlaggebend für dieses Gerücht dürfte aber wohl die selbst mit geringer Fantasie an eine weibliche Vulva erinnernde Optik und der doch ein wenig sinnlich wirkende Verzehr durch Schlürfen sein.

Oder die Zitrone. Nein, man muss keine halbe Zitrone auf der Auster ausquetschen, weder, um sie zu würzen, noch um ihre Lebendigkeit zu testen. Das mit dem Würzen könnte man sich überhaupt sparen, der wahre Austern-Genuss ist der pure, Verirrten, die ihre Austern mit Ketchup verzehren, sollte man nicht folgen. Tatsächlich kann ein Tropfen Zitronensaft – auf den äußeren Rand, den „Mantel“ platziert – mittels leichter Zuck-Reaktion zeigen, ob die Auster fit ist. Das merkt man beim Selberöffnen aber besser, wenn die Muschel dicht ist, ihr Wasser behält und sich schwer öffnen lässt. Im Restaurant ist der Zitronen-Tropfen durchwegs sinnvoll, oder aber man hat Grund, der Küche zu vertrauen. In diesem Fall die Auster ungesäuert genießen.

Oder aber die Mär, dass das in der Auster befindliche Wasser überhaupt das Beste ist. Hört man oft, eine bestimmte Kategorie von Feinschmeckern versucht durch Zelebrierung des Meerwasser-Schlürfens gerne ihre Kennerschaft zu demonstrieren. Allerdings handelt es sich auch da um einen historischen Irrtum, das in der Auster befindliche Wasser ist Meerwasser, das nach Meerwasser schmeckt und den Geschmack der Auster höchstens vermeerwässert. Die Legende rührt daher, dass man dereinst aus der Schale gelöste Austern einige Zeit „ausbluten“ ließ und die so gewonnene Flüssigkeit, das „Austernwasser“, als Essenz der Auster lobpreiste. Andere Zeiten, andere Sitten. Wir schlürfen das Tierchen heute lieber ohne Verzögerungen direkt aus der Schale. Und wenn zu viel Wasser drin ist, darf man das einfach über dem Eis entsorgen. Die Franzosen machen das auch so.

Welcome to Austeria


Text von Florian Holzer Foto von Luzia Ellert

Schlendert man über den Wochenmarkt am Montparnasse, sollte man gefasst sein. Denn was man hier zu sehen bekommt, übersteigt die menschliche Vorstellungskraft, zumindest jene des gelernten und gewöhnten Mitteleuropäers. Und zwar nicht nur Anzahl, Artenreichtum, Frische und Präsentation von Wildgeflügel, Käse, Obst und Gemüse, Brot, Patisserie, Schinken- und Wurstwaren betreffend, nein, das wäre ja noch irgendwie auszuhalten. Aber die haben dort Stände, an denen man Austern erwerben und auch gleich genießen kann. 32 verschiedene Sorten. Zwei und dreißig. Und nicht nur das, das La Coupole ist auch gleich ums Eck, die Le Bar a Huitres Montparnasse ebenfalls und außerdem hat hier sowieso jede Weinbar, jede Trafik, jeder Elektrohändler, jede Metro-Station eine kleine Austern-Theke vor der Türe stehen. Man sollte dort im Herbst jedenfalls besser nicht hingehen, wenn man Austern nicht mag


Austern haben einen speziellen Nimbus. Sie verbreiten das Flair des Besonderen, des subtil Luxuriösen, kein Wunder, ihr Genuss ist eine Frage von Frische, man isst sie schließlich roh und lebendig, was eine gewisse Logistik voraussetzt, die entweder eine bestimmte Reichweite festlegt oder einen entsprechend höheren Preis ansetzt. Das schwingt da bei Austern immer mit, ebenso wie die Anekdoten über berühmte Austern-Esser, Legenden hinsichtlich der aphrodisierenden Wirkung und vielleicht auch ein bisschen das Prickeln der Gefahr – vor einer Vergiftung, wenn die Auster doch nicht mehr so frisch und lebendig war. Austern lassen einen träumen, vermitteln Stimmungen, vermögen es, einen aus dem Alltag zu reißen. Und Austern-Lokale – etwa Jerome Brodys unvergleichliche Oyster Bar in der Grand Central Station in Manhattan oder das erschütternd schöne Bibendum in Chelsea, London – verströmen noch dazu eine ganz besondere Aura, besitzen kulinarischen Sonderstatus, müssen nie modern, sondern dürfen klassisch sein, sind architektonisch fast immer überaus eindrucksvoll, ordnen sich in ihrer Ästhetik letztlich aber doch immer diesen kinderfaustgroßen, auf in Silberschalen geschüttetem Eis servierten Steinen aus dem Meer unter. Die kein Food-Designer abstrakter, eindringlicher und kontrastreicher hätte gestalten können, mit ihrer grau-grünen, porösen, steinernen Schale, ihrem in funkelndes Perlmutt gekleideten Innenfutter und mit dieser mystischen Grazie von cremefarbenem, leicht rosigem bis grauem Fleisch mit farblich kontrastierenden Lippen… Es soll angeblich Menschen geben, die angesichts einer geöffneten Auster keine erotischen Assoziationen haben. Schwer vorstellbar.

Doch genug der hymnischen Poesie, bis es dazu kommt, ist es ein weiter Weg. In den drei bis vier Jahren, in denen eine Auster von der Larve bis zur genussfertigen Köstlichkeit heranreift, wird sie bis zu sechzig Mal „manipuliert“, also transportiert, gereinigt, geerntet, gereift, selektiert und verpackt. Je öfter, desto edler und teurer die Auster.

Was macht eine Auster gut, was macht sie teuer? Was aber macht die Qualität einer Auster aus, wodurch wird sie wirklich gut, wodurch wird sie zum mittelmäßigen Protein-Paket? Die wichtigsten Faktoren sind – woher kommt uns das bloß so bekannt vor? – klimatische und geologische Gegebenheiten und deren Zusammenspiel. Bei der Auster etwa sind es der Tidenhub, der für Strömung sorgt und ihr damit Plankton zuträgt beziehungsweise ihren Muskel stärkt, wenn sie bei Ebbe im Trockenen liegt und dementsprechend fest die Luken dicht machen muss, um nicht auszutrocknen. Und fester Muskel ist für die Qualität des Schalentiers schon einmal ganz wesentlich. Weiters wird sie von Art und Menge des vorhandenen Planktons beeinflusst, Algen etwa wirken sich farblich wie geschmacklich besonders stark aus, aber auch der Mineraliengehalt der Flüsse, die in die besten Austerngebiete münden, dürften eine Rolle spielen, so ganz genau weiß man das allerdings nicht.

Ebenfalls entscheidend: die Pflege der Austern – sprich Reinigung von Schlamm und Algen; je öfter und gründlicher das gemacht wird, desto klarer, „sauberer“ schmecken sie auch. Und natürlich die Besatzdichte: Je nachdem, wie viele Austern in die Säcke aus Kunststoffnetzen (die in den Austernbänken auf Tischen liegen oder an Seilen hängen) gefüllt werden, steht der einzelnen Muschel mehr oder weniger Plankton zur Verfügung. Und noch wichtiger in der Schlussphase der Mästung ist die Besatzdichte in den Claires, zumeist 300 bis 500 Quadratmeter großen Flachbecken, die früher einmal zur Salzgewinnung verwendet wurden. In der Austernzucht lässt man sie von der Flut überschwemmen und frisches Plankton an­liefern. „Fines de Claires“ verbringen einen Monat in diesen Becken, dreißig Stück teilen sich hier einen Quadratmeter, „Spéciales de Claires“ verbringen hier zwei Monate Wellness und teilen sich den Quadratmeter außerdem nur mit vier Kolleginnen – dementsprechend fett und gehaltvoll sind sie. „Die Dichte ist das Um und Auf“, sagt Kian Louet-Feisser, Chef der Carlingford Oyster Company an der irisch-nordirischen Grenze, „aber irgendwann ist es bei aller möglichen Qualität einfach nicht mehr wirtschaftlich“.

Schmecken tiefe Austern flach und flache wild? Die Sorte der Auster spielt natürlich auch eine Rolle, generell kann man von zwei verschiedenen, in der Austernzucht üblichen Gattungen sprechen: tiefe und flache Austern. Die so genannten „tiefen“ Austern machen heute den Hauptbestandteil der Austernzucht aus, die „portugiesische Auster“ wurde im 19. Jahrhundert von den Portugiesen von Ostasien nach Europa verschifft und gelangte eher zufällig beziehungsweise durch Missgeschicke in europäische Gewässer, wo bis dahin nur die so genannten „nativen“ Flachaustern gesammelt wurden. Diverse Krankheiten zerstörten die Populationen portugiesischer Austern in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, „pazifische Felsenaustern“ erwiesen sich als immun und stellen heute den Hauptbestandteil der europäischen Austernzucht. Tiefe Austern sind weitaus anspruchsloser als die empfindlichen Flachaustern und lassen sich leichter züchten, nativen Austern sagt man dafür das wesentlich intensivere Geschmackserlebnis nach. Belon, die berühmteste von ihnen, Galway aus Irland, Colchester aus England oder Zeeland aus Holland sind berühmt für ihr mitunter wildes Aroma, sie sind selten und daher teuer.

Das ist alles mehr oder weniger bekannt, viel weniger kommuniziert wird hingegen, dass es der Wissenschaft längst gelang, triploide Hybrid-Austern zu züchten. Bei triploiden Tieren handelt es sich um eine natürliche Chromosomen-Deformation, die zur Unfruchtbarkeit führt, in der Austernzucht macht man sich diesen Umstand zu Nutze, indem diese Austern auch während der Zeiten, in denen sich diploide Austern normalerweise fortpflanzen und dabei an Qualität verlieren, in Top-Form sind. Abgesehen davon werden sie massiger und wachsen schneller, auch nicht gerade ein Nachteil. Und da „natürliche“ Fortpflanzung in der Austernzucht längst keine Rolle mehr spielt, sondern man mit standardisierten Setzlingen aus Zuchtanstalten arbeitet, fällt auch diese Notwendigkeit weg. Triploide Austern würden auch bei gleicher Größe etwas fetter, milchiger schmecken als fortpflanzungsfähige diploide, meint Kian Louet-Feisser, für den interessierten Laien ist der Unterschied nicht zu schmecken.

Natur versus Meerwassertank. Und wenn nun Qualität und Herkunft des Wassers eine so große Rolle spielen, was ist dann von Austern zu halten, die in Wasserbehältern fernab der Meeresküste gehalten werden? Peter Frese rät in seinem 1994 erschienenen Buch „Austern, kulinarische Strandwanderungen“ (Hädecke) noch eindringlich von solchen Exem-plaren ab, meint damit aber die trostlosen Aquarien und Vivarien in Fischrestaurants, in denen zumeist Hummer mit festgezurrten Scheren ihrem Ende entgegenhungern. Dass das auch für Austern kein qualitäts-förderndes Habitat sein kann, ist klar, und der Gedanke an eine Aquarium-Auster, die immerhin zu 83% aus Wasser besteht, wirkt nicht gerade appetitlich. Es geht aber eben auch anders, wie die Becken in der Halle A2 am Inzersdorfer Großgrünmarkt beweisen. Franz Aibler begann hier schon vor zwölf Jahren damit, vor allem spanischen Steinbutt lebendig und somit optimal frisch zu halten, mit den Gillardeau-Austern kam noch eine technische Herausforderung dazu: Für die wurde das Wasser nämlich nicht nur hinsichtlich Temperatur, PH-Wert, Härtegrad, Sauerstoff- und Salzgehalt dem Atlantik-Original nachgebaut (und dahingehend permanent überwacht, außerdem aber noch regelmäßig tierärztlich kontrolliert), sondern darüber hinaus ein Tidenhub eingebaut, damit sich die schönen Spéciales so richtig wie zu Hause fühlen. Notwendig wäre es natürlich nicht und man habe das ursprünglich auch eher für die Bouchot-Muscheln gebaut, verrät Elisabeth Aibler, „aber die Austern sind dadurch auch noch besser geworden“. Lange bleiben die in den originalen Kisten verpackten Austern auch nicht im künstlichen Meerwasser, „wir bekommen in der Woche drei Lieferungen, länger als drei Tage sind sie also nie drin; aber dafür fit und lebendig“.

In der Jury für die A la Carte-Austernverkostung saßen nicht wenige, die vorab fest davon überzeugt waren, dass es eine Auster aus dem Becken nie mit einer, die direkt aus den Claires angeliefert wurde, aufnehmen kann. Nun ja, eine Gewissheit, die fürderhin ins Reich der Legenden aufgenommen werden darf.

R-Monate, Aphrodisiakum, Zitrone, Wasser. Wie auch noch viele andere. Etwa, dass man Austern nur in Monaten mit „r“ essen kann. So verbreitet diese Erkenntnis auch sein mag, so unsinnig ist sie. Viele Kenner schätzen Austern vor allem im Mai und Juni, also vor ihrer Fortpflanzung, der September – unmittelbar danach – gilt als die einzige Zeit, in der Austern nicht optimal schmecken. Und sogar das gilt heute als überholt. Als Ursprung für den R-Monat-Irrglauben hielt man die einfache Rechnung, dass es Austern von Mai bis August zu warm sei oder sie nicht frisch gehalten werden können. Stimmt aber längst nicht mehr, tatsächlicher Grund war eine regulative Maßnahme der französischen Behörden des späten 18. Jahrhunderts, die damit einer übermäßigen Ausbeutung zuvorkommen wollte. Die R-Monat-Regel daher bitte einfach vergessen.

Oder die Sache mit der aphrodisierenden Wirkung. Nun ja, rein physiologisch spricht nichts dafür, denn eine Auster enthält keine Stoffe, die andere Lebensmittel nicht auch besäßen. Andererseits ist das Wasser-Protein-Kohlenhydrate-Fette-Verhältnis mit 83/9/4,8/1,2 sicher ein ernährungswissenschaftlich überaus günstiges, der hohe Anteil von Mineralstoffen (Kalzium, Magnesium, Jod und vor allem Zink) keineswegs ein Nachteil und der fantastische Vitamingehalt (A, B1, B2, B6, B9, PP, C, E, D) für feinen Sex wahrscheinlich auch durchwegs förderlich. Ausschlaggebend für dieses Gerücht dürfte aber wohl die selbst mit geringer Fantasie an eine weibliche Vulva erinnernde Optik und der doch ein wenig sinnlich wirkende Verzehr durch Schlürfen sein.

Oder die Zitrone. Nein, man muss keine halbe Zitrone auf der Auster ausquetschen, weder, um sie zu würzen, noch um ihre Lebendigkeit zu testen. Das mit dem Würzen könnte man sich überhaupt sparen, der wahre Austern-Genuss ist der pure, Verirrten, die ihre Austern mit Ketchup verzehren, sollte man nicht folgen. Tatsächlich kann ein Tropfen Zitronensaft – auf den äußeren Rand, den „Mantel“ platziert – mittels leichter Zuck-Reaktion zeigen, ob die Auster fit ist. Das merkt man beim Selberöffnen aber besser, wenn die Muschel dicht ist, ihr Wasser behält und sich schwer öffnen lässt. Im Restaurant ist der Zitronen-Tropfen durchwegs sinnvoll, oder aber man hat Grund, der Küche zu vertrauen. In diesem Fall die Auster ungesäuert genießen.

Oder aber die Mär, dass das in der Auster befindliche Wasser überhaupt das Beste ist. Hört man oft, eine bestimmte Kategorie von Feinschmeckern versucht durch Zelebrierung des Meerwasser-Schlürfens gerne ihre Kennerschaft zu demonstrieren. Allerdings handelt es sich auch da um einen historischen Irrtum, das in der Auster befindliche Wasser ist Meerwasser, das nach Meerwasser schmeckt und den Geschmack der Auster höchstens vermeerwässert. Die Legende rührt daher, dass man dereinst aus der Schale gelöste Austern einige Zeit „ausbluten“ ließ und die so gewonnene Flüssigkeit, das „Austernwasser“, als Essenz der Auster lobpreiste. Andere Zeiten, andere Sitten. Wir schlürfen das Tierchen heute lieber ohne Verzögerungen direkt aus der Schale. Und wenn zu viel Wasser drin ist, darf man das einfach über dem Eis entsorgen. Die Franzosen machen das auch so.

Bezugsquellen

Kelly Gigas 
Punkte 7,7
Michael Kelly gilt als einer der besten irischen Austernzüchter, sein kleiner Familienbetrieb außerhalb von Galway erzeugt nicht viel mehr als 50 Tonnen pro Jahr, etwa die Hälfte davon die tiefen Gigas, die andere Hälfte flache Natives, hocharomatische Mineralitäts-Granaten, die ihren Weg aufgrund der enormen Nachfrage in Irland und England aber kaum auf den ­Kontinent finden. „Wunderschönes Grau-Grün, rauchig, erinnert an grünen Tee und Balsa-Holz, klein, fein und knackig“, „sehr klein, tolle Konsistenz, wunderbar süßlich-jodige Malznote, rauchig“, „kräftiger, sehr eigener Geschmack, sehr gute Konsistenz, Roggenbrot, Algen, Rauch“, „sehr klein und rundlich, süßes, kleines Fleischpaket, vielschichtig und lange“.
€ 1,90/Stück bei Eishken Estate, Großgrünmarkt Inzersdorf, Halle A2, 1230 Wien
Tel.: 01/889 37 33,
www.eishken.at

Belon 000
Punkte 7,6
Die flachen Austern sind nicht jedes Austernliebhabers Sache, ihre wilden, ungestümen Aromen und ihr Hang zu einer bitteren Note mag nicht jeder. Dieses Exemplar war aber nicht nur köstlich, sondern auch ausnehmend schön, „Auster extrem, pures, knackiges Eiweiß, wie roher Fisch, nur süßer und intensiver, Cognac-Note, im Abgang etwas reizend“, „zuerst wunderbarer Eindruck, klar und süßlich, im Abgang dann etwas metallisch“, „riesengroß, schöner Biss, bitter-süß“, „fleischig, leicht säuerlich, nussig-bitter“, „groß und flach, sehr fleischig, gute Harmonie auf der salzigen Seite“.
€ 3,50/Stück bei Fisch Gruber, Naschmarkt 31–36, 1060 Wien
Tel.: 01/586 32 73,
www.fisch-gruber.at

Tsarskaya Fines de Claires
Punkte 7,4
Saint Kerber ist einer der potentesten Austernzüchter in Cancale, Spezialität sind die flachen Varietäten, seit 2004 wird aber auch eine ganz besonders sorgfältig gefarmte, tiefe Auster angeboten, bei deren Namensgebung man an die einstigen Großkunden für Cancale-Austern in Moskau und St. Petersburg erinnern wollte. „Optisch eher unspektakulär, sehr intensiv, knackig, mineralisch und wild, schmeckt wie brausende Gischt, wilder Pazifik“, „sehr intensiv, ex­trem jodig, fischig“, „frisch, sehr gute Konsistenz, kräftiger Geschmack“, „wilde Optik, beiges Fleisch, schwarzer Rand, intensiv, salzig, jodig, extrem kraftvoll“.
€ 1,99/Stück bei Frischeparadies, Sagedergasse 18, 1120 Wien,
Tel.: 01/803 01 70-50
www.frischeparadies.de

Holländische Felsenauster
Punkte 6,7
Holland ist nach Frankreich und Irland der drittgrößte Austernproduzent Europas, wenngleich prestigeträchtige Namen und Bezeichnungen zumindest in Österreich kaum bekannt sind. Zu Unrecht, wie die Verkostung ergab. „Riesengroß, geschmacklich wie frische, grüne Nüsse, süß, zwischendurch auch etwas animalisch, überaus verführerisch“, „sehr viel Fleisch, vielfältige Nuancen“, „sehr groß, glasig, Algen-Aroma“, „klar, groß, fleischig, saftig und ein wenig süß“, „viel Fleisch, sehr schön mit blaugrauem Rand, mild-salzig“.
€ 1,90/Stück bei Fisch Gruber, Naschmarkt 31–36, 1060 Wien,
Tel.: 01/586 32 73,
www.fisch-gruber.at

Fines de Claires
Punkte 6,5
Man muss heute keineswegs unbedingt zum Geheimlieferanten gehen, um gute Ware zu bekommen, wie der Test beweist. Eine genaue Herkunftsbezeichnung der Nordsee-Austern war zwar nicht zu bekommen, aber: „sehr schön, etwas zäh, salzig, intensiver Meeres- und Algen-Ton“, „knackig, salzig, mineralisch, etwas gummiartig“, „ziemlich salzig, kaum Süße“, „Meer, sauber und komplex“.
€ 2,20/Stück bei Nordsee, Naschmarkt 1–5, 1060 Wien, 
Tel.: 01/586 14 20,
www.nordsee.at

Fines de Claire TG
Punkte 6,4
Die Standard-Ware aus den Meerwasserbecken der Familie Aibler, TG bedeutet „très grand“, also sehr groß, die offizielle Kategorie für Austern von mindestens hundert Gramm. „Extreme Portion, harmonischer Salzgehalt, fleischig, zarte Süße, etwas adstringierend“, „sehr groß, salzig, knackig, schöne Konsistenz, deutlicher Jod-Geschmack“, „zu neu­tral“, „nicht besonders intensiv, aber trotzdem ­anhaltend“, „groß, süß, schmeckt nach Meer“.
€ 1,60/Stück bei Eishken Estate, Großgrünmarkt Inzersdorf, Halle A2, 1230 Wien,
Tel.: 01/889 37 33
www.eishken.at

Belon 00
Punkte 6,4
Die wahrscheinlich bekannteste Auster der Welt, wenngleich selten zu bekommen und teuer zu bezahlen. Im Sortiment von Frischeparadies erfreu­licherweise regelmäßig im Angebot, „klein, flach, beige, wunderschön, sehr viel Alge, sehr viel Meer, äußerst individuell“, „starkes Algen-Aroma und Nuancen frischer, grüner Nüsse, auch Sencha-Tee, nicht so bitter wie Belons sonst, super“, „sehr wild“, „würzig, gemüsig, lang – ein ganzer Fisch-Gang“, „leicht brackig, aber schön fleischig“.
€ 2,59/Stück bei Frischeparadies, Sagedergasse 18, 1120 Wien,
Tel.: 01/803 01 70-50,
www.frischeparadies.de

Fines de Claires 1
Punkte 6,1
Die günstigste Auster im Bewerb bezogen wir am Großmarkt (nur mit Berechtigungskarte möglich). „Süß, fett, relativ neutral, leicht adstringierend“, „im Abgang süßlich, schmeckt aber kaum nach Meer, etwas brackig“, „fleischig, leicht brackig“, „mittel-fleischig“.
€ 1,31/Stück bei Metro, Metro Pl. 1, 2331 Vösendorf, 
Tel.: 01/690 80-0, 
www.metro.at

Marennes
Punkte 5,6
Diese Austern ließen wir als „Piraten“ mitlaufen, im freien Handel sind Marennes-Austern schwer zu bekommen. Speziell sind sie deshalb, weil häufig mit der hier vorkommenden Mikro-Alge Navicula ostrearia „infiziert“, was ihnen nicht nur ein besonderes Aroma verleiht, sondern vor allem eine strahlend grüne Farbe. „Schlammig, rustikal, wild, wie roher Fisch“, „wild, etwas fischig, etwas bitter“, „groß, anfangs etwas brackig, dann salzig, leichter Fischgeschmack“, „schmeckt nach Tier“, „dunkler, groß“. 
bei Rungis Express

Fines de Claire G
Punkte 5,3
75 bis 100 Gramm, gewissermaßen die Mittelklasse unter den Austern. „Salzig, etwas neutral, nett, aber keine Sensation“, „sehr salzig, schöner Biss, aber wenig Fleisch“, „glasig, kaum Fleisch dran, viel Salz, viel Jod“, „etwas dünn“, „Salz überdeckt alles“.
€ 1,39/Stück bei Frischeparadies, Sagedergasse 18, 1120 Wien,
Tel.: 01/803 01 70-50
www.frischeparadies.de

Der Name allein reicht nicht, Belon kann auch durchschnittlich sein. 00 bedeutet ein Gewicht von 100 Gramm. „Zuerst neutral, dann eine Salz-Bitterstoff-Mineralik-Explosion – Hardcore“, „zuerst sehr salzig, dann Explosion von metallischen, salzigen, bitteren Aromen; zu viel“, „knackig, fischig, sehr bitter, sehr metallisch“, „extrem bitter!“, „süß, dann lange bitter“.