Wer suchet, der findet … … nicht immer was

Sie sind bio, gratis und wachsen wie die Schwammerln. Wenn sie’s denn tun.

Text von Thomas Maurer Fotos von Ingo Pertramer

Die meisten hochherzigen Pläne (mehr Sport treiben, weniger arbeiten, endlich die Bücher alphabetisch sortieren) scheitern an mehr oder weniger banalen Gründen (das ist ja uranstrengend, dann verdien ich aber weniger Geld, unglaublich, wie viele Bücher ich hab).

Theoretisch habe ich in mir immer jemanden gesehen, dem es gut anstünde, im verzauberten Morgennebel durch dämmrige Wälder zu streifen, mit kundiger Hand ebenso rare wie köstliche Pilze zu bergen und diese dann einer dankbaren Freundesschar aufzutischen, die von ehrfürchtigem Respekt vor meinen mykologischen und gastrosophischen Fähigkeiten erfüllt ist.

Wenn da nicht das frühe Aufstehen wäre.

Und die Tatsache, dass ich gerade einmal Eierschwammerln von Steinpilzen unterscheiden kann.

Dem staatlich geprüften Meisterfotografen Ingo Pertramer ging es da durchaus ähnlich, und so ­beschlossen wir, einmal mehr das allseits zu Recht geschätzte Fachperiodikum A la Carte als Krücke zu verwenden, mit deren Hilfe wir in Richtung Schwammerlkompetenz humpeln würden.

Ein Kalendervergleich ergab, dass wir an exakt ­einem einzigen Datum Anfang August beide Zeit ­haben würden, was die Planung sehr vereinfachte. Ingo schlug, nicht ganz uneigennützig, als Austragungsort das Umland seines südburgenländischen Wochenendsitzes vor und versprach dafür, auch gleich eine mehr als anständige Restaurantküche zu organisieren, in der wir dann unter kompetenter Anleitung unsere absehbar reiche Beute in so originelle wie fotogene Gerichte verwandeln könnten.

Und, ganz wichtig: Er werde über einen gemeinsamen Bekann-ten einen Experten in Gestalt eines weit über die Bezirksgrenzen hinaus berühmten Meisterschwammerlsammlers organisieren.

Damit, so befanden wir, sollten eigentlich alle Eventualitäten berücksichtigt sein.

Am vereinbarten Tag, zur vereinbarten Stunde tritt auch wirklich unser Meisterschwammerlsammler auf den Plan und posaunt zur Begrüßung in schönstem Burgenlandkroatenburgenländisch: „Is das a Wetter! Bei dem Wetter wachst net amal a Fuaßpilz. Das is a Wahnsinn. Wennst a Tschik weghaust, brennt der Wald.“

Nachdem nun das Wesentliche gesagt ist, geht er bruchlos zum sozialen Teil der Konversation über, stellt sich vor – „Seavas, i bin der Simmerl“ – und ­erkundigt sich leutselig, was genau wir eigentlich von ihm wollen.

Auf unsere Antwort hin – „Na ja, Schwammerl brocken halt“ – erweist sich Simmerl, mit bürgerlichem Namen Johann Simonovics, umgehend als wahrhaftiger Schwammerlfex klassischen Zuschnitts, was für unser Anliegen aber gar nicht so günstig ist.

Allgemein stellt man sich ja den klassischen Schwammerlfex als fanatisch geheimniskrämerischen Einzelgänger vor, der unter keinen Umständen jemals irgendwem seine geheimen Sammelplätze verraten würde. Und prompt erklärt uns auch Simmerl, dass das ja ein Blödsinn sei, weil erstens sei es seit Wochen so heiß und trocken, dass wie erwähnt nicht einmal der Fußpilz wachse, und zweitens nehme er grundsätzlich niemanden –„Niemand. Net amal mei Frau“ – zu seinen Plätzen mit.

Gleichzeitig verströmt er aber eine gutmütige Geselligkeit und ist ­ohrenscheinlich in Plauderlaune, sodass Ingo und ich auf diesen Bescheid nicht gleich völlig zerstört reagieren, sondern die Hoffnung zu hegen beginnen, möglicherweise mit Geduld, Ausdauer und würdelosem Betteln noch eine Ausnahmeregelung zu erwirken.

Als erstes Zugeständnis erklärt sich Simmerl bereit, uns einen kurzen Abriss der Pilzvarietäten im Umland zu geben, allerdings mit der Einschränkung: „I waaß net, wie die sonst heißen, i waaß nur, wie mir da sagen.“

Am Anfang der Schwammerlsaison, so erläutert er, erscheine zunächst der hier sogenannte Weizenpilz: „Der is so hell, binnen drei Stund heraußen und wachst meistens immer wenig.“

Ihm folge der Braune Kornpilz sowie der Hornpilz, der aber, wie sich auf Nachfrage herausstellt, nicht Horn-, sondern Heidenpilz (sprich „Hoa(d)npüz“) heiße, was er seiner heidensterzähnlichen Färbung verdanke, und zu guter Letzt der Fichtenpilz, den man bis in den Dezember hinein finden könne.*

Des Weiteren gebe es natürlich Steinpilze und Eierschwammerl.

Simmerl hat sich inzwischen warm geredet, vergisst aber nicht, zwischendurch Begründungen einzustreuen, warum er nicht mit uns zum Suchen in den Wald gehen könne, nämlich aus Prinzip einerseits und andererseits wegen der anhaltenden Trockenheit, die sogar den Fußpilz am Wachsen hindere, dritterseits aber auch deshalb, weil gerade der Mond nicht passe.

„I such immer nach dem Mond“, erläutert er. „Eierschwammerl bei Neumond und zunehmend, Steinpilze zwei Tag vor und zwei Tag nach Vollmond. Da hab i meinen Schwammerlrekord gehabt, am 15. Juli, da war das Auto voll und die Sitz hab i umlegen müssen.“

Seit sechzig Jahren – er selbst ist hochvitale 72 – sammle er jetzt schon Schwammerl, erklärt er, in der Saison gehe er dabei gute zehn Kilometer am Tag und fad werde es ihm immer noch nicht. Sogar seine Urlaube habe er stets so geplant, dass er zu den schwammerlfreundlichen Mondphasen wieder daheim war. Was essbar sei, habe er von der Mama gelernt, und von einigen Ausreißern nach unten („Parasol brauch i net so“) und oben („Kaiserling is das Beste. Abschälen und roh essen“) abgesehen, liebe er alle Schwammerl gleichermaßen: „Schmalz, Zwiebel, abrösten, passt scho.“ Angst, sich einmal zu vertun, hat er keine: „Nur vier Schwammerl san net zum Essen: Pantherpilz, Fliegenpilz, Knollenblätterpilz und no aner.“

Gelegentlich stauen Ingo und ich Simmerls Redefluss mit eindringlichen Bitten auf, uns doch bitte ausnahmsweise doch einen praktischen Lehrgang angedeihen zu lassen. Die Antworten, die uns zuteil werden, wechseln allmählich die Tonlage: „Na, das mach i ned“ – „Na, das mach i ned, weil es is zu trocken“ – „Mir täten ja eh nix finden. Es is viel zu trocken, und der Mond passt net“ – „Sicher könn ma in Wald fahren, aber i sag euch, mir wern nix finden“.

Und so fahren wir denn endlich doch mit dem Simmerl in den Wald, auf die Gefahr hin, nichts zu finden.**

Innerlich sind wir darauf gefasst, vor Besteigen des Autos schwarze Kapuzen übergezogen zu bekommen und auf komplexen Umwegen zum Ziel gebracht zu werden, aber Simmerl ist offenkundig bereits von unserer Harmlosigkeit überzeugt. Wir fahren von ■■■■■■■■■■■ aus etwa ■■ Kilometer Richtung ■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■, an der großen ■■■■■■■■■■■ kurz vor der Ortseinfahrt an biegen wir Richtung ■■■■■■■■■ in einen Feldweg ein und stehen kurz danach in einem prächtigen Stück mitteleuropäischen Mischwalds.

Die Sonne fällt durch die Blätter, die Insekten summen, das Laub duftet, und es gibt keine Schwammerl.

Keine. Nicht ein einziges.

Man muss es Simmerl hoch anrechnen, dass sein „I hab’s euch ja g’sagt“ eine nüchterne Tatsachenfestellung ohne jeden triumphal mokanten Unterton ist.

Hilfreich zeigt er uns eine staubtrockene Senke im Weg: „Wenn da ka Wasser drin steht, dann gibt’s kane Schwammerl. Außerdem passt der Mond a net.“

Sein gutes Herz gebietet Simmerl aber, uns Trost zu spenden, und so fahren wir noch abschließend zu seinem Haus. Das sei, so erklärt er, der einzige Platz, wo wir heute fündig werden können, denn die von ihm regelmäßig gebrockten Schwammerlüberschüsse werden dort von seiner Frau Renate im Heizungskeller getrocknet.

Nachdem wir kurz das noch recht neue Haus, seine Lage und vor allem die beiden den Vorgarten dominierenden, mehrfach überlebensgroßen Holz-Steinpilze bewundert haben, werden wir von der herzlichen Frau Renate mit Biskuitroulade geatzt und mit einem großen Glas getroc­kneter Steinpilze beschenkt. So haben wir immerhin irgendwas vorzuweisen, wenn uns auch der nervenaufpeitschende Thrill des Aufspürens und ­eigenhändigen Erlegens kapitaler Wildpilze leider vorenthalten blieb.

Und so laufen wir zu guter Letzt im Restaurant Ratschen ein, idyllisch am Rande Deutsch Schützens gelegen und im Besitz der önologisch und gastronomisch vielfach verflochtenen Familien Wachter und Wiesler.

Zum Familienimperium gehört noch das durch Verheiratung ent­standene Weingut Wachter-Wiesler, das ­inzwischen in zweiter Generation von Christoph Wachter geführt wird und vor allem für seine hochelegantherkunftstypischen Blaufränkischen bekannt ist, sowie ein „Wohnothek“ genannter, ans Restaurant angeschlossener und aus bestechend puristischen Holzbungalows bestehender Beherbergungsbetrieb. Und eine Buschenschank, natürlich.

In der Ratschen-Küche wirken zwei Herren, die untypischerweise weder Wachter noch Wiesler heißen, sondern Stefan Csar und Bernd Konrath, beide haben sich aber als Köche mit diesen Namen, wie man so sagt, einen Namen gemacht.

Die beiden haben angesichts der langen Heiß-und-trocken-Großwetterlage antizipiert, dass unser Sammelausflug wohl unter einem Unstern stehen werde und sich vorausschauend mit Eierschwammerl vom 100 km entfernten Hochwechsel eingedeckt.

Unsere getrockneten Steinpilze lösen aber fachmännische Anerkennung und die Entscheidung aus, doch gleich einmal mit einer klassisch burgenländischen Rahmsuppe loszulegen (Selchsuppe, Rahm, Obers, Essig, Kümmel, Liebstöckel) und dieser mit den mitgekochten Dörrpilzscheiben einen feinen Extrakick zu verpassen.

Als Einlage bietet sich natürlich Heidensterz an, und das Resultat kann einen schon auf die Idee bringen, die Suppe zur Hauptspeise zu machen und weitere Gänge zu streichen. Wäre da nicht schon das Eierschwammerlgulasch in Arbeit, dessen Saft ebenso pragmatisch wie sinnvoll aus einer übrig gebliebenen Gulaschsuppenration abgeseiht wird. Das Ganze wird dann noch mit Liebstöckel, frischen Erbsen, Butter und weißer Roux vervollständigt und abschließend – Tusch! – in einen erst halbierten, dann ausgehöhlten, dann gedämpften und abschließend samt Schale knusprig frittierten Erdapfel gefüllt. Und dann noch mit extraknusprigen Minierdäpfelwürfeln, hausgemachten Minibackerbsen und natürlich einem Klacks Rahm finalisiert: Fingerfood, nach dem man sich so metaphorisch wie buchstäblich alle zehn Finger abschleckt.

Irgendwo zwischendurch sind auch noch pfiffige Schwammerlknödel entstanden und sofort wieder vom Antlitz der Erde getilgt worden, wodurch Ingo und ich abschließend das schöne Gefühl hatten, heute doch allerhand geschafft zu haben.

Und das Schwammerlexpertentum läuft uns ja nicht weg.

Nächstes Jahr ist auch noch ein Jahr.