Wo die Citronen blüh´n …

… ist ein Wiener Walzer von Johann Strauss Sohn, geschrieben für eine Italienreise im Jahr 1874. Wer konnte ahnen, dass der Titel in der Orangerie Schönbrunn auch heute seine Gültigkeit hat.

Noch vor zehn Jahren hat sich niemand für die vielen verschie­denen Zitrusfrüchte, die in der Oran­gerie Schönbrunn reifen, interessiert. Steirereck-Capo Heinz Reitbauer war der Erste, der das süß-sauer-herbe ­Potenzial erkannte. „Ich habe dann begonnen, einige für unsere Küche zu kaufen, kam dadurch mit ganz neuen, faszinierenden Aromen in Kontakt. Heute beziehen wir fast 25 verschiedene Fruchtsorten von dort – mit klaren geschmacklichen Unterschieden, wie etwa zwischen Limette und Orange, und wir sprechen hier von mehreren hundert Kilo im Jahr. Alle biologisch angebaut und keine acht Kilometer vom Restaurant entfernt gewachsen. Mit den seltenen historischen Sorten mussten wir lange experimentieren. Letztlich hat es Jahre gebraucht, um zu lernen, mit diesen Früchten richtig zu arbeiten. Und wir lernen immer noch dazu.“ Fremden Preziosen wie Buddhas Hand, Kannelierter Orange und Persischer Limette näherten sich die Köche im Steirereck deshalb beinahe wie Botaniker. Sie schnitten die Früchte in hauchdünne bunte Scheiben, servierten sie kandiert und getrocknet auf einem speziellen Verkostungswagen zum Abschluss eines Menüs. Mittlerweile kennt man im Steirereck die Früchte gut genug, um sie in verschiedensten Varianten zu servieren – als Carpaccio, zum Beispiel, oder in Salaten. Besonders als Würzmittel sind die Zitronen in der Küche des Hauses etabliert: Das dicke Albedo (die Schicht zwischen Schale und Fruchtfleisch) der Zedratzitronen wird gewürfelt, in einem mehrstufigen Verfahren gekocht und dann zum Beispiel auf ­geschmortem Lamm und schwarzem Knoblauch serviert. Die weichen weißen Würfelchen haben eine sehr feine Säure und eine ebensolche Konsistenz, sie zerfallen im Mund. Der Saft, der beim Aufkochen von Albedo entsteht, ist Zutat des hauseigenen Limoncellos. Eine getrocknete Zitrone, die karamellig duftet, reibt Heinz Reitbauer zum Würzen in Saucen. „Wir haben mit den Zitrusfrüchten noch längst nicht abgeschlossen.“ Nur eines, das macht er nicht: „Saft pressen wir keinen draus“, sagt Reitbauer. Dazu sind sie viel zu wertvoll.

Zitrusgärtner Heimo Karner darf man jedenfalls als Genie bezeichnen. Er ist in Schönbrunn seit 1998 für die Zitruspflanzen zuständig. Dreißig der insgesamt hundert verschiedenen Sorten stammen aus der Kaiserzeit. „Die sind gut 180 Jahre alt. Gleich nach der Hochzeit von Franz Joseph und Sisi wurde die Orangerie mit einem neuen Bestand von Zitrusbäumen aus Sizilien bestückt. Damals gab es unter den Kaiserhäusern eine Art Wettbewerb, wer die schönste Orangerie hat“, erzählt Karner.

Zitronatzitronen, Fingerlimetten, Persische Limetten, Buddhas Hands und verschiedene Bitterorangen landen in der Küche des Steirerecks. Hin und wieder kommen auch noch andere engagierte Gastronomen in den Genuss der begehrten Früchte des historischen Gartens. Und ein Mal jährlich, bei den Wiener Zitrustagen, kann dann auch jeder Festivalbesucher einkaufen – solange der Vorrat reicht.

All diese Zitrusfrüchte gehen auf drei sogenannte Urmütter zurück: die Pampelmuse, die Zitronatzitrone und die Mandarine. Die Gruppen der Orangen sind zum Beispiel aus der Kreuzung von Pampelmuse und Mandarine entstanden. „Wenn in der Frucht mehr Mandarinenanteil drin ist, dann ist es eine süße Orange, und je höher der Pampelmusenanteil ist, desto bitterer ist die Orange. Dieser Stammbaum wird dann immer komplexer. Die Zitrone zum Beispiel ist aus der Kreuzung der Bitterorange mit der Urmutter ­Zi­tronatzitrone entstanden“, weiß Brigitte Pugliese. Die Feinkosthändlerin aus Wien-Neubau hat sich auf Olivenöl und Zitrusfrüchte spezialisiert: Auf ihren Reisen in den wilden Süden Kalabriens ­besucht sie Bergamottenhaine an den Hängen des Aspromonte-Gebirges oder sucht nach seltenen Süßorangen, die man außerhalb der süditalienischen Orte gar nicht kennt. Die Idee, sich auf Zitrusfrüchte zu spezialisieren, hatte ihr Mann Domenico Pugliese, weil er merkte, dass manche Zitrusarten in seiner Heimat Kalabrien aussterben werden. Er sah es als seine Pflicht, seine Liebe zu den Zitronen von nun an mit den Wienern zu teilen. Die Österreicherin und der Italiener haben sich auf ­besondere ­Zitrusfrüchte spezialisiert und bringen Bergamotten, süße Zi­tronen und nach Vanille schmeckende Orangen nach Wien.

„In Kalabrien werden die Migranten aus Afrika, die auf Zitrusfarmen arbeiten, oft wie Arbeitssklaven gehalten. Wir beziehen alles von Familienbetrieben“, so Pugliese. Das hat auch seinen Preis, je nach Sorte liegt der Kilopreis zwischen drei und acht Euro. Zwei Jahre hat das Ehepaar etwa gebraucht, um einen Bergamottenproduzenten zu finden, der auch sie beliefert. Da die Bergamotte ob ihrer aromatischen Schale in der Kosmetik, aber auch zum Aromatisieren eines Earl-Grey-Tees begehrt ist, müssen sich die meisten Produzenten keine Sorgen um Abnehmer machen. „Sie brauchen uns nicht.“ Doch Domenico Pugliese hat bereits eine weitere besondere Zitrusfrucht im Auge. „Mein Traum heißt Finger Lime, sie wird auch Zitruskaviar genannt.“ Die sehr säurehaltige Frucht der aus­tralischen Fingerlimette erinnert optisch an eine Gurke, das Fruchtfleisch ist in kleine Perlen strukturiert. Seit vier, fünf Jahren kultiviert man sie auch in Italien. „Sie ist aber noch sehr teuer, 120 Euro pro Kilo.“ Es wird also noch ein bisschen dauern, bis die beiden auch diese Spezialität nach Wien bringen.

Casa Caria
Schottenfeldgasse 48a und Lindengasse 53, 1070 Wien
www.casacaria.com

20. Wiener Zitrustage in der Orangerie im Schlosspark Schönbrunn
21. bis 24. Mai 2020
www.zitrustage.at

Soda-Zitrus
Rezept von Heinz Reitbauer, Steirereck

Zutaten

Pomeloschale (kandiert):
1 Pomelo (unbehandelt)
100 ml Pomelosaft
100 g Kristallzucker

Pomelo-Soda:
Pomelo
325 ml Rosa-Grapefruit-Saft
20 g Limoncello
1 Kaffernlimettenblatt

Zitrus-Granulat:
¼ Zitronengras
60 g Kristallzucker
5 g Verbene
5 g Zitronenmelisse
4 g Minze
250 g Kristallzucker
10 g Salz
20 g Zitronensäure

Zubereitung
Pomeloschale (kandiert): Pomelo mit einem Sparschäler schälen und das Albedo ­entfernen. Hinweis: Pomelo für die weitere Verarbeitung beiseitegeben. Schale in 3 mm dicke und 80 mm lange Streifen schneiden. Die Schalenstreifen in frischem Wasser aufkochen und abseihen. Diesen Vorgang mindestens 8 Mal wiederholen.
Pomelosaft mit Kristallzucker aufkochen und abseihen (= Pomeloläuterzucker).
Die blanchierten Schalen im Pomeloläuterzucker aufkochen, auf Silpat-Matten ­geradlinig auflegen, mit einem Dehydrator-Plastiknetz belegen und im Dehydrator bei 65 °C 4 bis 6 Stunden knusprig trocknen.
Pomelo-Soda: Die beiseitegegebene ­Pomelo filetieren und in mundgerechte ­Stücke schneiden. Die Pomelostücke mit Rosa-Grapefruit-Saft, Limoncello und Kaffern­limettenblatt vakuumieren und für mindestens 1 Stunde marinieren lassen. Anschließend in einer großen Siphonflasche die einge­legten Pomelosegmente ca. 7 cm unter den Rand füllen, mit Marinierflüssigkeit ­bedecken und 2 Sodakapseln eindrehen. Gekühlt 2 Stunden durchbeizen lassen (Hinweis: maximal 4 Stunden).
Den Siphon unmittelbar vor dem Servieren öffnen und die Segmente samt der Flüssigkeit in eine auf Eis gestellte Schüssel ­lehren.
Zitrus-Granulat: Das Zitronengras in feine Ringe schneiden und mit Kristallzucker und den Kräutern im Thermomix fein ­vermahlen. Diesen Kräuterzucker mit ­Kristallzucker, Salz sowie Zitronensäure gut abmischen.
Zitrus-Granulat auf Tellern anrichten, mit Pomelo-Soda belegen und die kandierten Pomeloschalen dekorativ in die Pomelosegmente stecken.