Alle kochen nur mit Wasser

Wir lernen: Wasser wird erst so richtig wichtig, wenn man es nicht hat. Selbst in einem durchschnittlichen mitteleuropäischen Restaurant.

Alle kochen nur mit Wasser

Text: Eva Rossmann Illu: Georg Wagenhuber

Das Paar am Nebentisch hat als Vorspeise einen kleinen Blattsalat bestellt, danach zwei Mal die günstigste Tagesempfehlung: Eiernockerln mit Rohschinken.

„Und zu trinken?“, fragt die Kellnerin.

„Nur Wasser, bitte.“

„Prickelndes Mineralwasser oder mildes? Wir haben auch eines ohne Kohlensäure.“

„Normales Wasser bitte. Leitungswasser.“

Kurze Funkstille. Die Kellnerin beugt sich diskret zu ihren Gästen, ich kann sie gerade noch verstehen: „Ich tät’ unser Leitungswasser nicht empfehlen. Wegen der Schadstoffe.“

Die beiden entscheiden sich für stilles Mineralwasser und ich bin froh, einen Gespritzten vor mir stehen zu haben. So richtig schmeckt mir die klare Karfiolsuppe aber nicht mehr. Ist sie auch aus diesem Wasser mit den vielen Schadstoffen entstanden? Ein nettes Lokal, an sich. Mit guter Küche. Die auch schon in einigen Guides sehr gelobt wurde.

Als ich gehe, kann ich nicht anders, ich muss den Chef fragen: „Hat das Wasser bei Ihnen wirklich so viele Schadstoffe?“

Er sieht mich irritiert an. „Nein, natürlich nicht. Wir hängen an der Wiener Hochquellleitung.“ Dann dämmert es ihm und er lächelt ein wenig schmallippig: „Ach, wegen der Gäste am Nebentisch … nicht dass es mir ums Verdienen geht, aberes nervt, wenn sie alle nur Leitungswasser wollen, weil es gratis ist.“

Ob seine Idee mit den ach-so-vielen Schadstoffen besonders geschäftsfördernd ist, wage ich trotzdem zu bezweifeln.

Dabei begreife ich schon, dass die Sache mit dem Leitungswasser nerven kann. Weil auch Leitungswasser braucht Gläser, die gespült werden und zum Tisch getragen werden müssen. Auch das Wasser an sich kostet etwas, auch wenn das im Verhältnis zu dem, was ein Gastronomie-Geschirrspüler verbraucht, eher zu vergessen ist. Geld für Leitungswasser zu verlangen, gilt trotzdem als kleinlich. Obwohl es manchmal, die eine oder andere liebe Freundin möge mir verzeihen, auch Schmerzensgeld wäre. Denn einfach Leitungswasser ist einfach. Aber: Temperiertes Leitungswasser, nicht kalt, aber auch nicht warm, kann schon schwieriger werden. Und dann gibt’s noch welche, die wünschen heißes Wasser. „Mit Tee?“, habe ich eine verzweifelte Servierkraft da einmal fragen gehört. „Wie bei Tee, nur ohne Tee. Und nicht in einem Teebecher, sondern in einem schönen Glas.“

Erinnerte mich irgendwie an eine der Asterix und Obelix-Geschichten. Da waren die beiden in England unterwegs und dort haben alle nur heißes Wasser getrunken. Das war nämlich noch vor der Erfindung der Teesäckchen.

Allerdings: Zu viel Wasser sollte man um derartige Sonderwünsche auch nicht machen. Ab und zu will eben jemand etwas Spezielles. Gerade solche Sachen lassen sich auch ziemlich schwer in Geld umrechnen, gehört einfach mit zum guten Service, könnte man sagen. An anderen speziellen Wassergeschichten scheint man ohnehin sehr gut verdienen zu können. Vorausgesetzt, man hat jene Gäste, die vieles haben und noch mehr wollen. Für die hat das eine oder andere Restaurant jetzt inzwischen eine eigene Wasserkarte. Selbst „Wassersommeliers“ gibt es schon. Wenn auch keine Ausbildung dafür. Also sozusagen Kellner, die sich selbst zu höheren Wasserträgern ernannt haben. Die versprechen dann, ihren Gästen das richtige Wasser zum richtigen Gericht zu präsentieren: Mineralreich oder weicher, salziger oder glatt neutral. Warum auch nicht. Das Wasser schmeckt natürlich nach dem Boden, aus dem es kommt. Mit Grausen erinnere ich mich an das Mineralwasser der Firma, die unseren Basketball-Klub gesponsert hat. Es war eher Heilwasser als Durstlöscher und man hatte selbst nach gewonnenen Matches noch beim Duschen einen bitteren Nachgeschmack. Aber so etwas begegnet einem auf Wasserkarten wohl ohnehin nicht, da geht es eher um gut Aufbereitetes in gestylten Flaschen. Aber warum fallen mir auf einmal die Frauen ein, die ich in Capo Verde kilometerweit für einen Kanister Wasser gehen habe sehen? Vielleicht weil für sie, wenn auch in ganz anderem Zusammenhang, Wasser aus der Leitung Luxus wäre?

Zurück zum Überfluss. Am besten gleich mit dem größtmöglichen Sprung. bling h2O heißt der flüssige Hit, den Paris Hilton angeblich ihrem Hündchen ins Schälchen schüttet. Kostet ja auch bloß zirka fünfzig Dollar das Fläschchen, dafür gibt’s Sondereditionen mit Swarovski-Kristallen am Etikett. In Wien wurde es übrigens auch schon gesichtet, in einem unserer Mehrsterner, auf einer Karte mit vielen internationalen Wässern, auch wenn der Chef versichert, dass es noch keiner gekauft habe. Vielleicht kein Wunder. Auf einer New Yorker Konsumenten-Homepage habe ich jedenfalls gelesen, dass es eine Wasserblindverkostung zwischen Manhattan-Leitungswasser, herkömmlichem Flaschenwasser und bling h2O gab. And the winner was: Manhattan-Tap-Water!

Ob Paris Hilton das gelesen und jetzt die große Krise hat?

Eine Wasserkrise, nahezu einen Wasserkrieg gab’s vor Jahren auch ganz weit weg von mondänen Großstädten und ebensolchen Wassertrinkern, in einem freundlichen Weinviertler Dorf. Dort warb der örtliche Getränkehersteller mit dem schönen Spruch: „Hofer Kracherl vom Kracherl-Hofer“. Leider war er nebenbei Funktionär einer ewigen Oppositionspartei (nein, nicht der Grünen) und als solcher kritisierte er die Wasserqualität des Ortes im lokalen Parteiblatt aufs Heftigste. Empörte Reaktionen. – Und dann die listige Frage, wo er denn seine Wasserprobe genommen habe? Vielleicht gar von seinem Hof? Sei da nicht auch ein Misthaufen? Und: Käme ebendieses Wasser nicht in seine Kracherlflaschen? Irgendwie ist das Thema dann wieder eingeschlafen.

Es kochen eben doch alle nur mit Wasser. Und verkaufen es. Mit dem einen oder anderen Zusatz und Schmäh. Es ist schon einige Zeit her, dass Buchinger norwegisches Mineralwasser angeschleppt hat. Nicht viel davon, aber das in hohen glatten Gefäßen, die ausgesehen haben wie Design-Blumenvasen mit silbrigem Schraubverschluss. Er ist eben neugierig. Wir haben es verkostet und gewartet auf den Geschmack eines kühlen Fjordes an einem klaren Septembermorgen. Oder so. Aber das Wasser war irgendwieneutral. Wasser eben. Zumindest für eine Nicht-Wasser-Sommelière wie mich. Allerdings heben wir in den netten Behältern bis heute unsere in Zucker eingelegten Vanilleschoten auf. Insofern hat sich auch der stolze Preis gelohnt.

Jedenfalls ist es leichter, Wasser zu mögen, wenn es in passenden Behältern ist. Dumm, wenn es diese verlässt. Jetzt rede ich gar nicht von dem Gefühl, wenn es plötzlich in Buchingers „1. Klasse“ dezent von der Decke tropft, weil die Waschmaschine im oberen Stock sehr plötzlich und nachhaltig ihren guten Geist aufgegeben hat. Ich verschweige auch die Poolpartys gewisser Reinigungskräfte, die unter „nass aufwischen“ etwas ganz anderes verstehen als dem alten Parkettboden guttut.

Das nämlich ist alles nichts dagegen, wenn Samstagabend der Gläserspüler streikt. Wahrscheinlich sind wieder irgendwelche Scherben in die Pumpe gekommen, jedenfalls gibt es zuerst, gerade als sich das Lokal zur Gänze gefüllt hat, eine Überschwemmung. Alle, die sich hinter der Schank aufhalten, um Menschen mit Leitungswasser oder vielleicht noch Kostbarerem zu versorgen, waten durch drei Zentimeter Wasser. Dazwischen hocken Buchinger und Yolanda und versuchen aufzuwischen, was geht. Davor stehe ich und sorge für verständliche Wut, in dem ich laut über die Ursachen der Katastrophe nachdenke. Natürlich nur, um eine rasche Lösung zu finden und weil eine dritte Person mit Kübel und Fetzen zwischen den watenden Servicekräften wirklich keinen Platz mehr hat.

Dann ist der See zu kleinen Lacken reduziert. Dafür kommen immer mehr leere Gläser retour, und natürlich kann man den Spüler nicht wieder einschalten, außer man will baden. Ausgerechnet heute trinken -alle alles achtelweise, das heißt, man braucht jede Menge frischer Gläser, aber wie bei dem jetzt gesteckt vollen Lokal händisch abwaschen? Drei Stunden später, das ist eine alte gastronomische Weisheit, ist trotzdem alles überstanden. Die weniger verwöhnten Gäste haben ausnahmsweise ein wenig weniger schöne Gläser bekommen. Und außerdem (Ich sage es natürlich nicht laut, man könnte mich sonst mit einem der vielen noch immer nassen Fetzen davonjagen): Was sind zu viel Wasser und ein defekter Gläserspüler gegen eine plötzlich kaputte Wasserleitung und gar kein Wasser in der Küche? Dann geht nämlich so gut wie nichts mehr. Wir wollten Gemüsefond zustellen? – Woher das Wasser nehmen? Wir wollten die frischgemachten Nudeln auf die Tageskarte setzen? – Gut, man könnte sie auch in Gemüsefond garen, aber der istaus. Außerdem kann man keine Töpfe waschen, die Kostlöffel auch nicht, das Messer klebt und weder Rindssuppe noch Entenfond eignen sich, um alles damit aufzugießen. Die Erdäpfel bleiben ungekocht, dämpfen geht auch nicht, weil unser Kombiofen benötigt Wasser dazu. Wir lernen: Wasser wird erst so richtig wichtig, wenn man es nicht hat. Selbst in einer durchschnittlichen mitteleuropäischen Küche.

Man braucht es für die Packerlsuppe ebenso wie für die Fasanenconsommé. Wobei auch Einfaches, ganz nah am Wasser, geschmacklich verblüffen kann. Wenn es bei uns die ersten Erdäpfel gibt, dann machen wir etwas ganz Besonderes daraus: Wasser, und zwar nur Wasser, wird aufgekocht, dann werden die Erdäpfel direkt frisch Julienne hineingehobelt, es kommen etwas frischer Thymian, Salz, eine Spur Pfeffer dazu und wenn die die Erdäpfelstäbchen in drei, vier Minuten gar sind, ist eine der besten Suppen, die ich kenne, fertig.

Ländlich schlicht, das ist schon wahr. Bei gewissen Vorreitern oder Davongaloppierern ist es mit Wasser doch nicht mehr getan, da muss es schon flüssiger Stickstoff sein. Ein wundersames Element, das mit ziemlich viel Energieaufwand erzeugt wird und so saukalt ist, dass es eigenartige Dinge mit allem – auch mit Essbarem – anstellt, das in seine Nähe kommt. Da werden Schäumchen schockgefroren, Fische in Stickstoff knusprig „frittiert“, Kräuterkristalle gezaubert. Ein Wahnsinn für jene, die (siehe oben) vieles haben und noch mehr wollen – oder die einfach immer und auf alles neugierig sind. Diese neuen Magier, sie haben das Wasserzeitalter in der Küche hinter sich ge… Stopp. Weil Chemie und Physik beweisen, dass auch die schock-knusprigen Aha-Erlebnisse mit H2O zu tun haben. Nämlich mit dem plötzlich in unterschiedlichen Formen erstarrten Wasser, das in den Kräutern, Schäumchen, Fisch- und Fleischteilen und ihren kunstvollen Hüllen steckt.

Sieht so aus, als wäre selbst die Molekularküche mit ihren Konstruktionen und Dekonstruktionen doch keine Revolution, sondern bloß eine neue Technik, mit Wasser und dem bisschen mehr, das es so interessant machen kann, umzugehen.

Irgendwie beruhigend. Es hängt einfach davon ab, was man draus macht. Der Spielraum ist nahezu grenzenlos und bloß eine Sache des – guten – Geschmacks.

Alle kochen nur mit Wasser

Wir lernen: Wasser wird erst so richtig wichtig, wenn man es nicht hat. Selbst in einem durchschnittlichen mitteleuropäischen Restaurant.

Text: Eva Rossmann

Illustration: Georg Wagenhuber

Das Paar am Nebentisch hat als Vorspeise einen kleinen Blattsalat bestellt, danach zwei Mal die günstigste Tagesempfehlung: Eiernockerln mit Rohschinken.

„Und zu trinken?“, fragt die Kellnerin.

„Nur Wasser, bitte.“

„Prickelndes Mineralwasser oder mildes? Wir haben auch eines ohne Kohlensäure.“

„Normales Wasser bitte. Leitungswasser.“

Kurze Funkstille. Die Kellnerin beugt sich diskret zu ihren Gästen, ich kann sie gerade noch verstehen: „Ich tät’ unser Leitungswasser nicht empfehlen. Wegen der Schadstoffe.“

Die beiden entscheiden sich für stilles Mineralwasser und ich bin froh, einen Gespritzten vor mir stehen zu haben. So richtig schmeckt mir die klare Karfiolsuppe aber nicht mehr. Ist sie auch aus diesem Wasser mit den vielen Schadstoffen entstanden? Ein nettes Lokal, an sich. Mit guter Küche. Die auch schon in einigen Guides sehr gelobt wurde.

Als ich gehe, kann ich nicht anders, ich muss den Chef fragen: „Hat das Wasser bei Ihnen wirklich so viele Schadstoffe?“

Er sieht mich irritiert an. „Nein, natürlich nicht. Wir hängen an der Wiener Hochquellleitung.“ Dann dämmert es ihm und er lächelt ein wenig schmallippig: „Ach, wegen der Gäste am Nebentisch … nicht dass es mir ums Verdienen geht, aberes nervt, wenn sie alle nur Leitungswasser wollen, weil es gratis ist.“

Ob seine Idee mit den ach-so-vielen Schadstoffen besonders geschäftsfördernd ist, wage ich trotzdem zu bezweifeln.

Dabei begreife ich schon, dass die Sache mit dem Leitungswasser nerven kann. Weil auch Leitungswasser braucht Gläser, die gespült werden und zum Tisch getragen werden müssen. Auch das Wasser an sich kostet etwas, auch wenn das im Verhältnis zu dem, was ein Gastronomie-Geschirrspüler verbraucht, eher zu vergessen ist. Geld für Leitungswasser zu verlangen, gilt trotzdem als kleinlich. Obwohl es manchmal, die eine oder andere liebe Freundin möge mir verzeihen, auch Schmerzensgeld wäre. Denn einfach Leitungswasser ist einfach. Aber: Temperiertes Leitungswasser, nicht kalt, aber auch nicht warm, kann schon schwieriger werden. Und dann gibt’s noch welche, die wünschen heißes Wasser. „Mit Tee?“, habe ich eine verzweifelte Servierkraft da einmal fragen gehört. „Wie bei Tee, nur ohne Tee. Und nicht in einem Teebecher, sondern in einem schönen Glas.“

Erinnerte mich irgendwie an eine der Asterix und Obelix-Geschichten. Da waren die beiden in England unterwegs und dort haben alle nur heißes Wasser getrunken. Das war nämlich noch vor der Erfindung der Teesäckchen.

Allerdings: Zu viel Wasser sollte man um derartige Sonderwünsche auch nicht machen. Ab und zu will eben jemand etwas Spezielles. Gerade solche Sachen lassen sich auch ziemlich schwer in Geld umrechnen, gehört einfach mit zum guten Service, könnte man sagen. An anderen speziellen Wassergeschichten scheint man ohnehin sehr gut verdienen zu können. Vorausgesetzt, man hat jene Gäste, die vieles haben und noch mehr wollen. Für die hat das eine oder andere Restaurant jetzt inzwischen eine eigene Wasserkarte. Selbst „Wassersommeliers“ gibt es schon. Wenn auch keine Ausbildung dafür. Also sozusagen Kellner, die sich selbst zu höheren Wasserträgern ernannt haben. Die versprechen dann, ihren Gästen das richtige Wasser zum richtigen Gericht zu präsentieren: Mineralreich oder weicher, salziger oder glatt neutral. Warum auch nicht. Das Wasser schmeckt natürlich nach dem Boden, aus dem es kommt. Mit Grausen erinnere ich mich an das Mineralwasser der Firma, die unseren Basketball-Klub gesponsert hat. Es war eher Heilwasser als Durstlöscher und man hatte selbst nach gewonnenen Matches noch beim Duschen einen bitteren Nachgeschmack. Aber so etwas begegnet einem auf Wasserkarten wohl ohnehin nicht, da geht es eher um gut Aufbereitetes in gestylten Flaschen. Aber warum fallen mir auf einmal die Frauen ein, die ich in Capo Verde kilometerweit für einen Kanister Wasser gehen habe sehen? Vielleicht weil für sie, wenn auch in ganz anderem Zusammenhang, Wasser aus der Leitung Luxus wäre?

Zurück zum Überfluss. Am besten gleich mit dem größtmöglichen Sprung. bling h2O heißt der flüssige Hit, den Paris Hilton angeblich ihrem Hündchen ins Schälchen schüttet. Kostet ja auch bloß zirka fünfzig Dollar das Fläschchen, dafür gibt’s Sondereditionen mit Swarovski-Kristallen am Etikett. In Wien wurde es übrigens auch schon gesichtet, in einem unserer Mehrsterner, auf einer Karte mit vielen internationalen Wässern, auch wenn der Chef versichert, dass es noch keiner gekauft habe. Vielleicht kein Wunder. Auf einer New Yorker Konsumenten-Homepage habe ich jedenfalls gelesen, dass es eine Wasserblindverkostung zwischen Manhattan-Leitungswasser, herkömmlichem Flaschenwasser und bling h2O gab. And the winner was: Manhattan-Tap-Water!

Ob Paris Hilton das gelesen und jetzt die große Krise hat?

Eine Wasserkrise, nahezu einen Wasserkrieg gab’s vor Jahren auch ganz weit weg von mondänen Großstädten und ebensolchen Wassertrinkern, in einem freundlichen Weinviertler Dorf. Dort warb der örtliche Getränkehersteller mit dem schönen Spruch: „Hofer Kracherl vom Kracherl-Hofer“. Leider war er nebenbei Funktionär einer ewigen Oppositionspartei (nein, nicht der Grünen) und als solcher kritisierte er die Wasserqualität des Ortes im lokalen Parteiblatt aufs Heftigste. Empörte Reaktionen. – Und dann die listige Frage, wo er denn seine Wasserprobe genommen habe? Vielleicht gar von seinem Hof? Sei da nicht auch ein Misthaufen? Und: Käme ebendieses Wasser nicht in seine Kracherlflaschen? Irgendwie ist das Thema dann wieder eingeschlafen.

Es kochen eben doch alle nur mit Wasser. Und verkaufen es. Mit dem einen oder anderen Zusatz und Schmäh. Es ist schon einige Zeit her, dass Buchinger norwegisches Mineralwasser angeschleppt hat. Nicht viel davon, aber das in hohen glatten Gefäßen, die ausgesehen haben wie Design-Blumenvasen mit silbrigem Schraubverschluss. Er ist eben neugierig. Wir haben es verkostet und gewartet auf den Geschmack eines kühlen Fjordes an einem klaren Septembermorgen. Oder so. Aber das Wasser war irgendwieneutral. Wasser eben. Zumindest für eine Nicht-Wasser-Sommelière wie mich. Allerdings heben wir in den netten Behältern bis heute unsere in Zucker eingelegten Vanilleschoten auf. Insofern hat sich auch der stolze Preis gelohnt.

Jedenfalls ist es leichter, Wasser zu mögen, wenn es in passenden Behältern ist. Dumm, wenn es diese verlässt. Jetzt rede ich gar nicht von dem Gefühl, wenn es plötzlich in Buchingers „1. Klasse“ dezent von der Decke tropft, weil die Waschmaschine im oberen Stock sehr plötzlich und nachhaltig ihren guten Geist aufgegeben hat. Ich verschweige auch die Poolpartys gewisser Reinigungskräfte, die unter „nass aufwischen“ etwas ganz anderes verstehen als dem alten Parkettboden guttut.

Das nämlich ist alles nichts dagegen, wenn Samstagabend der Gläserspüler streikt. Wahrscheinlich sind wieder irgendwelche Scherben in die Pumpe gekommen, jedenfalls gibt es zuerst, gerade als sich das Lokal zur Gänze gefüllt hat, eine Überschwemmung. Alle, die sich hinter der Schank aufhalten, um Menschen mit Leitungswasser oder vielleicht noch Kostbarerem zu versorgen, waten durch drei Zentimeter Wasser. Dazwischen hocken Buchinger und Yolanda und versuchen aufzuwischen, was geht. Davor stehe ich und sorge für verständliche Wut, in dem ich laut über die Ursachen der Katastrophe nachdenke. Natürlich nur, um eine rasche Lösung zu finden und weil eine dritte Person mit Kübel und Fetzen zwischen den watenden Servicekräften wirklich keinen Platz mehr hat.

Dann ist der See zu kleinen Lacken reduziert. Dafür kommen immer mehr leere Gläser retour, und natürlich kann man den Spüler nicht wieder einschalten, außer man will baden. Ausgerechnet heute trinken -alle alles achtelweise, das heißt, man braucht jede Menge frischer Gläser, aber wie bei dem jetzt gesteckt vollen Lokal händisch abwaschen? Drei Stunden später, das ist eine alte gastronomische Weisheit, ist trotzdem alles überstanden. Die weniger verwöhnten Gäste haben ausnahmsweise ein wenig weniger schöne Gläser bekommen. Und außerdem (Ich sage es natürlich nicht laut, man könnte mich sonst mit einem der vielen noch immer nassen Fetzen davonjagen): Was sind zu viel Wasser und ein defekter Gläserspüler gegen eine plötzlich kaputte Wasserleitung und gar kein Wasser in der Küche? Dann geht nämlich so gut wie nichts mehr. Wir wollten Gemüsefond zustellen? – Woher das Wasser nehmen? Wir wollten die frischgemachten Nudeln auf die Tageskarte setzen? – Gut, man könnte sie auch in Gemüsefond garen, aber der istaus. Außerdem kann man keine Töpfe waschen, die Kostlöffel auch nicht, das Messer klebt und weder Rindssuppe noch Entenfond eignen sich, um alles damit aufzugießen. Die Erdäpfel bleiben ungekocht, dämpfen geht auch nicht, weil unser Kombiofen benötigt Wasser dazu. Wir lernen: Wasser wird erst so richtig wichtig, wenn man es nicht hat. Selbst in einer durchschnittlichen mitteleuropäischen Küche.

Man braucht es für die Packerlsuppe ebenso wie für die Fasanenconsommé. Wobei auch Einfaches, ganz nah am Wasser, geschmacklich verblüffen kann. Wenn es bei uns die ersten Erdäpfel gibt, dann machen wir etwas ganz Besonderes daraus: Wasser, und zwar nur Wasser, wird aufgekocht, dann werden die Erdäpfel direkt frisch Julienne hineingehobelt, es kommen etwas frischer Thymian, Salz, eine Spur Pfeffer dazu und wenn die die Erdäpfelstäbchen in drei, vier Minuten gar sind, ist eine der besten Suppen, die ich kenne, fertig.

Ländlich schlicht, das ist schon wahr. Bei gewissen Vorreitern oder Davongaloppierern ist es mit Wasser doch nicht mehr getan, da muss es schon flüssiger Stickstoff sein. Ein wundersames Element, das mit ziemlich viel Energieaufwand erzeugt wird und so saukalt ist, dass es eigenartige Dinge mit allem – auch mit Essbarem – anstellt, das in seine Nähe kommt. Da werden Schäumchen schockgefroren, Fische in Stickstoff knusprig „frittiert“, Kräuterkristalle gezaubert. Ein Wahnsinn für jene, die (siehe oben) vieles haben und noch mehr wollen – oder die einfach immer und auf alles neugierig sind. Diese neuen Magier, sie haben das Wasserzeitalter in der Küche hinter sich ge… Stopp. Weil Chemie und Physik beweisen, dass auch die schock-knusprigen Aha-Erlebnisse mit H2O zu tun haben. Nämlich mit dem plötzlich in unterschiedlichen Formen erstarrten Wasser, das in den Kräutern, Schäumchen, Fisch- und Fleischteilen und ihren kunstvollen Hüllen steckt.

Sieht so aus, als wäre selbst die Molekularküche mit ihren Konstruktionen und Dekonstruktionen doch keine Revolution, sondern bloß eine neue Technik, mit Wasser und dem bisschen mehr, das es so interessant machen kann, umzugehen.

Irgendwie beruhigend. Es hängt einfach davon ab, was man draus macht. Der Spielraum ist nahezu grenzenlos und bloß eine Sache des – guten – Geschmacks. —