Angelegte Kaisergranate
Abschrecken, aufschlagen, ausweiden, blind backen, entbeinen, flämmen, mürben, sterilisieren, umstechen, wolfen
Text von Eva Rossmann Illu: Georg Wagenhuber
Eigentlich kein Wunder, dass sich eine Krimiautorin wie ich in der Küche wohlfühlt. Da wird das Thriller- und Horrorvokabular gleichsam mitgeliefert, auch wenn bei näherer Kenntnis die Küchenfachausdrücke deutlich harmlosere Tätigkeiten beschreiben, als manch ein Möchtegern-Mafioso vermuten würde. Niemand wird so lang gebacken, bis er blind ist, abgeschreckt wird vor allem grünes Gemüse. Und gerade in der ohnehin noch immer testosteron-schwangeren Kochwelt käme keiner auf die grauenvolle Idee, jemanden seiner Männlichkeit berauben zu wollen, da erhitzt man schon lieber diverses Zeug so lange, bis mögliche Keime nicht mehr können.
Mit der Küche und der Sprache ist das so eine Sache. Verwirrung ist nicht nur dann vorprogrammiert, wenn es um regionale Besonderheiten geht. Man denke bloß daran, dass im Weinviertel weiße Bohnen als „Fisolen“ bezeichnet werden und Fisolen als „Bohnscharln“. Was vor allem bei unserem Klassiker „Fisolen mit Bröselnudeln“ zu diversen Unklarheiten führen kann.
Es reicht schon, wenn der eine oder die andere Fachkraft zwar vielleicht des Kochens, aber nicht der Feinheiten der deutschen Sprache mächtig ist. Immer wieder findet sich in Speisekarten der Hinweis auf frische „Schweins-Koteletten“ – auch wenn mir noch nie ein Schwein, egal ob lebend oder tot, mit entsprechender Haartracht begegnet ist. Und ich hab in meinen inzwischen mehr als zehn Jahren in der Küche schon einige Schweine gesehen. Solche mit ursprünglich vier Beinen, nur um weiteren Missverständnissen vorzubeugen.
Wobei die mehr oder weniger freiwillig kreative Gestaltung der Speisekarte einiges dazu beitragen kann, ob ein Gericht „geht“. Wer beim McDonald’s einen Burger bestellt, weiß, was kommt. Aber wer ordert im Haubenlokal einen Burger? Auf „unserem Burger“ sind wir sitzen geblieben, keiner wollte ihn, und am Ende des Tages haben wir alles an unsere Lehrlinge verfüttert. Auf der nächsten Empfehlungsliste haben wir es mit „Galloway-Lawal“ versucht. Das klingt irgendwie … interessant. Wobei besonders bemerkenswert war, wie kreativ unsere Gäste diese Wortkombination aussprechen können: Tschallo (so wie gelb, italienisch), Way (so wie Weg, englisch), Lawál (so wie irgendwas Französisches, das es aus unerklärlichen Gründen nach Vorderasien geschafft hat) … ein Paradies für Sprachkünstler. Und weil unsere fleißigen Servierkräfte erzählen konnten, dass es sich dabei um pures Faschiertes vom Bio-Galloway-Rind in Laibchenform, medium gebraten, handelt, hat das Ding plötzlich reißenden Absatz gefunden.
Okay, das mit der besonderen Beschreibung gewisser Gerichte kann auch schiefgehen. Nicht alle haben eben den gleichen Humor, mein großer Chef, der Buchinger, hingegen, hat bisweilen eine ziemliche Menge davon. Ein nicht eben bedeutender, aber doch veröffentlichender Gastronomiekritiker wusste erst jüngst zu bekritteln, dass man sich in der „Alten Schule“ nicht von der „halblustigen Speisekartengestaltung“ abschrecken lassen sollte, das Essen sei dann ohnehin gut. Ihm zum Trost: Schmähfreie Zonen gibt es genug, auch in unserer Branche.
Da wird dann gerne ein Stück Fleisch „an“ irgendeine dadurch angeblich geadelte Sauce platziert, als ob Berührung in diesen vornehmen Kreisen verboten wäre. Und während ich mir noch vorstellen kann, was das Lamm „auf“ Bohnen (oder eben Fisolen) macht, so hab ich noch nie kapiert, warum der arme Sepia „nebst“ dem Risotto zu liegen hat. Schon wieder ein Fall von Separationszwang (oder ist das dann ein Sepiationszwang?). Am schönsten freilich war eine Speisekarte, die mir erst vor kurzem untergekommen ist: Dort bietet man unter anderem Spaghetti mit „angelegten gegrillten Kaisergranaten“ feil. Legt an, Feuer frei, ihr Granaten des Kaisers! Na gut, das Ganze war am Wörthersee …
Was waren das noch für Zeiten, als man mit „Aprikosenpfannkuchen“ in Kärnten und „Käsesahnetorte“ in Salzburg Aufsehen erregen konnte … Es gab Jahrzehnte, da ist man eben jedem, der nördlich des Weißwurstäquators daheim war, submissest entgegengekrochen. Aber damals waren die Deutschen ja auch vor allem gute Gäste und die Einheimischen waren … eben das „Personal“. Die Gäste aus deutschen Landen gibt’s (zum Glück) immer noch, doch inzwischen ist die Zahl der Abwäscher, Servierer und Köche aus Sachsen, Franken und Umgebung deutlich gestiegen. Leicht haben es unsere Nachbarn allerdings nicht, wenn sie sich hier in Küche oder Service verdingen.
Unsere flotte Steffi hat, bevor sie nun in Leipzig Gastronomiewirtschaft studiert, ein mehrmonatiges praktisches Studium ostösterreichischer (im Westen war sie schon öfter, aber da mischt sich ohnehin vieles) Gasthaus- und Sprachkultur absolviert. „Schmäh“ hat sie sich gleich gemerkt, den hat sie nämlich selbst. Als jemand nach einem Rindslungenbraten gefragt hat, kam sie allerdings etwas irritiert in die Küche: „Die wollen tatsächlich die Lunge vom Rind?“ Und auch wenn ihr die „Pelle“ näher war als die Schale, wichtiger war uns ihr guter Kern.
Einer ihrer Kollegen stand übrigens hinter der Bar eines großartigen Arlberger Hotels. Ein diensteifriger junger Bursche aus dem Norden Deutschlands, der es eigenartigerweise mit den Verkleinerungsformen hatte: „Noch ein Bierchen gefällig oder darf es ein Weinchen sein?“ Wir haben ein Gläschen Weißburgunderchen bestellt und eigentlich darauf gehofft, dass er mit „sofortchen“ antwortet. Stattdessen ließ er es bei „dauert nur ein Minütchen“ bewenden.
Wobei: Sprachprobleme gibt’s auch sonst genug, wenn es zu Begegnungen der dritten Art zwischen Gästen und denen kommt, die für ihr Wohl da sein sollen. Man hat ja inzwischen gehört, dass es sich nicht mehr gehört, eine junge Frau im Service mit „Fräulein“ anzusprechen. Wohl wegen der möglichen Irrtümer … und weil es keine „Herrlein“ gibt. Und „Männlein“ wollen auch die wenigsten sein. Aber was dann sagen, wenn sich das Servierwesen Minute um Minute dem Blickkontakt entzieht und der Durst ins Unermessliche steigt? Einfach „Hallo“? Irgendwie rüpelhaft. „Hallo, Sie“ – noch schlimmer. „Ober, bitte“ – aber erstens ist es eine Oberin und die gibt’s nur in anderem Zusammenhang und zweitens sind wir in keinem Wiener Kaffeehaus. „Tschuldigung“ – aber wofür? Wo man doch schon so lange auf den Gespritzten wartet, dass wirklich kein Grund zur Entschuldigung notwendig ist. Ich habe keine Lösung und kann nur aufklären, dass der Beruf, der zum professionellen Tragen von Getränken wie auch Speisen berechtigt, nun „Gastronomiefachmann/frau“ heißt, oder „Restaurantfachmann/frau“. Irgendwie blöd in eine Anrede zu kriegen. Kellner sind, sozusagen, Schmäh von vorgestern.
Irgendein Witzbold hat einmal gemeint, Kommunikation sei die Unmöglichkeit, miteinander zu reden. Es könnte sich um einen mit Erfahrung im Umgang zwischen Service und Küche gehandelt haben. Wenn da einer direkt vom Gast mit der Nachricht kommt, das Fleisch sei zäh gewesen und der Salat nicht zu essen, dann ist es besser, er ist schnell wieder weg oder sehr kräftig oder er ist der Chef. Ich meine: Das war unser perfekt gereiftes Bio-Rind, exakt medium gebraten, und der Salat das nahezu einzigartige à la Minute zubereitete Gericht aus jungen Zucchini mit Olivenöl! Nicht verschweigen möchte ich, dass Küche und Service doch hin und wieder zu Verbündeten werden. Dann, wenn es um die da draußen, also um die Gäste geht. Dass „der Tisch vier“ nicht mehr ganz nüchtern ist, kann man sprachlich noch verstehen: Wer kennt schon jeden leicht illuminierten Gast mit Namen? Und wenn „der Dicke mit dem großen Hundsvieh“ einmal wieder nach einer Zusatzportion Erdäpfel fragt, dann weiß Herr Hofrat ja zum Glück nicht, wie er vom Personal genannt wird. Sein Hund ist übrigens wirklich mächtig. Und sieht dem Herrl ziemlich ähnlich. Aber ich kenne auch Gäste, die auf den Versuch, ihnen etwas zu servieren, interessant reagieren. „Ich bin der Fisch!“ hat mir vor kurzem eine Dame verraten. Ich habe ihr den Zander gegeben, mich still gewundert und alles hat gepasst.
Manchmal haben es auch Kellner nicht ganz leicht. Zum Beispiel, wenn sie Gäste ohne ihre Namen zu kennen (oder sich an sie zu erinnern) irgendwo hin zu geleiten haben. Wie ansprechen? Gar nicht? Bloß mit „Bitte“ oder „Dort drüben ist Ihr Tisch“? Geht alles irgendwie. Aber dann gibt’s etwas, wo sich meine Nackenhaare aufstellen: „Madam, kommen Sie weiter …“ Ich bin keine „Madam“. Zumindest nicht außerhalb Frankreichs. Nicht so eine und eine andere auch nicht. Also bitte: Nie mehr wieder!!! Oder … ich könnte dort zuschlagen, wo es wirklich sauweh tut – beim Trinkgeld (wo haben Sie gedacht, Monsieur?).
Was ich freilich bin und worauf ich sehr stolz bin: Ich bin Köchin. Manfred Buchinger freilich sieht auch das wieder einmal anders: „Du bist ein Koch!“ Auf meinen Widerspruch hin murmelt er zuerst etwas von „zu-Tode-gendern“ (er ist übrigens ziemlich am Leben) und dann erklärt er mir, dass es als Auszeichnung und höchstes Lob gemeint ist, wenn er sagt, ich sei „Koch“ und eben keine „Köchin“. Weil: Ein Koch, das sei einer, der am Herd schwitzt, alles checkt, mit einem Schwung fünfzehn Liter Gemüsefond abseiht, tausend Dinge gleichzeitig und kreativ macht, sich brennt und nicht jammert, zwischen der perfekten Schweinsbratenkruste und glasigem Huchenfilet alles drauf hat, der also kurz und gut ein Held der Küche ist. Während eine Köchin … das sei mehr so eine Dicke oder auch eine Dürre in weißer Schürze, oder schlimmer noch, im fast weißen Arbeitsmantel, die Erdäpfel schält und Krampfadern hat und vielleicht, wenn’s hoch hergeht, noch Schnitzel bäckt. Dass es inzwischen auch Heldinnen der Küche gibt (und Köche mit durchwachsenen Kenntnissen nebst angeschwollenen Beinen), ist allerdings Tatsache und sollte weiterverbreitet werden. Sprache ist dafür ein wunderbares Transportmittel, also, allen gut gemeinten Lobesversuchen zum Trotz: Ich bin Köchin!
Und wenn das bei dem einen oder der anderen trotzdem noch einen gewissen Hautgout hat: Sprache und Geschmäcker ändern sich eben. Zum Glück. Nach dem großen Kochkünstler Brillat-Savarin hatte ein Fasan erst dann diesen ausreichend „Hohen Geschmack“ und Reifegrad, wenn er, an den Schwanzfedern aufgehängt, von allein herunterfiel.