Auf Öl gestoßen

Buchecker, Hanf und Weichselkern: Gepresst sind sie nicht nur für Salate gut. Welche Vielfalt an Ölen heute in Österreichs Küchen herrscht, hat im Maiskeimöl-Zeitalter wohl niemand vorhergesehen.

Auf Öl gestoßen

Text von Anna Burghardt Fotos: Luzia Ellert
Gleich vorweg: Mit Procyanidin und Gamma-Linolen­säure soll hier – nach diesem Satz – niemand mehr gequält werden. Höchstens mit Eis aus karamellisierten Bananen mit Sherryessig und "Numero Uno". Angebracht ist dieser Hinweis ob des schnarchigen "So gesund"-Images, das Öle zähflüssig begleitet. Warum müssen Traubenkern-, Hanf- oder Leinöl immer mit Gesundheitsaspekten legitimiert werden – als ob sie sonst zu uninteressant wären? Während die Vielfalt der erhältlichen Speiseöle ständig steigt, während immer wieder neue Sorten von bekannten heimischen Produzenten wie Hartl oder Fandler auf den Markt kommen, scheint sich die Berichterstattung großteils lieber ängstlich an stoffwechselfördernde Inhaltsstoffe zu klammern, anstatt Einsatzmöglichkeiten in der Küche aufzuzeigen.
Selbst das kürzlich erschienene Kleine Buch vom Öl (Teubner), das, zugegeben, auch mit Rezepten aufwartet, beginnt gleich einmal mit einer Art Rechtfertigung: "Warum also nicht einfach ganz bewusst gesundes Öl genießen?" Gut, dass Spitzenköche das mit der Gesundheit ein bisschen anders sehen: Auf keiner Speisekarte findet sich die Bemerkung "mit prostatakrebsvorsorgendem Kürbiskernöl".
Dass Öle auf der Speisekarte überhaupt explizit angeführt werden, ist nicht ganz neu, aber doch ein Kind unserer Zeit. Keine Wirtin hätte früher angegeben, dass sie ihre gebackenen Mäuse in Maiskeimöl frittiert und ihren Salat mit Sonnenblumenöl und Hesperidenessig mariniert. Heute lesen wir Dinge wie "in Vanilleöl confierter Zander" oder "Zwetschkenkernöl-Pesto". Gastro-Lieferanten wie Bosfood haben mittlerweile eine enorme Vielfalt im Angebot: nicht nur ein Haselnussöl, sondern gleich mehrere aus verschiedenen Anbaugebieten, oder Öle aus unterschiedlich stark gerösteten Erdnüssen – ganz zu schweigen natürlich von der Anzahl der Olivenöle. Bucheckernöl, Weichselkernöl oder reinsortiges Schilchertraubenkernöl bereichern die Palette der in Österreich gepressten Öle, und mit ihnen wachsen die Möglichkeiten in den Küchen und auf den Tischen: Ein Menü beginnt mitunter mit Tigernussöl und Tomatenkernöl in kleinen Schälchen zum Auftunken mit Brot, fährt fort mit diversen selbst angesetzten Gewürzölen auf Fisch und Fleisch und schließt mit Pistazienöl im Dessert.
Je nach Küchenlinie kommen mehr oder weniger exotische Sorten zum Einsatz. Konstantin Filippou, der im "Novelli" derzeit von sich reden macht, hält sich bei Pressungen aus Marillen- oder Weichselkernen zurück: "Das passt nicht zur Philosophie meiner Küche." Zuhause hat er einiges in der Art, weil er privat auch gern ausprobiert, aber im "Novelli" werden solche Öle nicht verwendet. "Ein Koch ist immer auf der Suche nach einem uniquen Geschmack, man will so wenig wie möglich an fremden Geschmäckern zukaufen. Ein solches Öl ist mir da zu charakteristisch, als dass ich es auf meine Linie umlegen wollen würde." Der Stempel des Herstellers ist ihm zu prägnant, das Produkt somit zu fremdbestimmt. "Mir hat in dem Fall der Ölproduzent einfach zu viel Einfluss auf meine Gerichte." Bei seinen geliebten Olivenölen ist Filippou freilich mit dem "fremdbestimmten" Ursprung nicht ganz so streng: Da muss es etwa ein "Monte Guala" sein, das das eingangs erwähnte Bananeneis ergänzt. Womit Filippou in Sachen Öl fast ausschließlich arbeitet, erkennt man daran, dass er statt der näheren Bestimmung Olivenöl einfach nur "Öl" sagt. Was jetzt aber auch nicht so eindeutig ist, wie es den Anschein haben mag: Der Olivenölwagen – pardon, in Konstantin-Filippou-Denkweise Ölwagen – hält 24 verschiedene Flaschen bereit. "Wir haben eigentlich Pressungen aus allen Anbaugebieten: kräftige grüne aus Griechenland, intensive aus Sizilien, Öle aus Kroatien, Kalifornien, Frankreich, der Türkei, aus Portugal, Spanien, Italien …" Von Veronelli habe er alle, aber auch sonst sei die Auswahl "natürlich high-end". Der Wagen fährt zu allen Gästen, die kosten wollen, das "Novelli"-Tischöl ist eines von Fudas. Im Sommer hatte Filippou ein Amuse-Gueule aus drei verschiedenen, wechselnden Säften auf der Karte: Stangensellerie-Apfel oder Tomate-Kaffirlimette etwa. "Dann ist der Wagen an den Tisch gekommen und die Gäste haben ein passendes Öl daraufbekommen. Aber nicht nur einen Mini­spritzer, sondern schon so, dass es gut wahrnehmbar war." Natürlich wollten manche Gäste mehrere Öle kosten, "die haben dann einfach Schälchen dazubekommen". Man beginnt im "Novelli" also mit Olivenöl, man setzt damit fort und man beendet seinen Besuch mit Olivenöl: in Pralinen – "ganz super!" Zu dunkler Schokolade müsse es auf jeden Fall ein kräftiges Öl sein, oft enthalten die Pralinen jenes von Fudas, das den Gästen dann schon vom Brottunken bekannt sein sollte.
Außer Olivenöl verwendet Filippou nicht viel: ab und zu ein aromatisiertes Öl wie etwa eines, in dem Tahiti-Vanilleschoten ziehen durften, aber sonst kaum. "Ich bin kein Fan von so etwas, das verändert meist den Geschmack zu sehr." Auch Nussöle haben durchaus ihren Auftritt in der Küche des "Novelli": "Zu Hirsch ist ein Haselnussöl sensationell! Das unterstreicht, ohne zu übertünchen." Überzeugt ist er von Biorapsöl für Marinaden, "probieren Sie, das ist am Gaumen sofort da, oder?" Viele würden es aber nicht so mögen, vielleicht, weil es an öde Mahlzeiten in der Kindheit erinnere. Rapsöl in einer Emulsion empfindet er als perfekt zu Spargel, Artischocke und Eierschwammerln, "halt zu allem, was erdig ist". Oder, anderes Element: zu Fin-Claire-Austern mit Rotalge. Die Öle bezieht er fast alle aus dem Großhandel. Das mag unsinnlich sein, aber: "Ich habe keine Zeit, um in der Früh gemütlich auf dem Markt zu stöbern, das ist sowieso eine Mär, und vorbeikommen tut auch keiner mit einem Bauchladen, der sagt, Grüß Gott, ich bin der Ölhändler, gustieren Sie bitte." Er habe schon seine Vorlieben und modische Produkte wie Arganöl nicht gar so dringend nötig. "Das mag Trend sein, aber mir gibt es einfach geschmacklich zu wenig her." Und wie steht es mit Konstantin Filippou und Kürbiskernöl? "Na bitte, als Steirer? Sicher!" Anmerkung: Nicht für die Gäste. Sondern im eigenen Salat.
Gerhard Krießmann, der sich im Hotel Schalber im Tiroler Serfaus 93 A la Carte-Punkte und vier Sterne erkochte, ist nicht so dogmatisch, was die Ölvielfalt angeht. Bei ihm hat Arganöl sehr wohl seine Berechtigung: "Ich verwende es zum Beispiel bei Wild. Da wird es entweder nach dem Braten draufgestrichen, auf den Teller kommt das dann etwa gemeinsam mit Preiselbeeren, Gin und Wacholder. Was auch super ist: Schokorotkraut mit Arganöl, ebenfalls zu Wild. Oder es kommt in eine Sauce, nicht als Material, sondern als Geschmackskomponente." Arganöl sei kräftiger als andere Nussöle und auch wunderbar für Desserts geeignet: "Alles mit Schokolade und Nüssen, da passt Arganöl perfekt."
Apropos Desserts: Da dürfen bei Krießmann überhaupt einige Öle hinzu. "Das Numero-Uno-Olivenöl von Veronelli verwende ich für süße Vinaigretten oder für Fruchtragouts, in Kombination mit Pistazien, Mango und Passionsfrucht zum Beispiel." Er setzt auch Aromaöle selbst an. Und auch hier kommt das "Numero Uno" zum Einsatz: Entweder er lässt darin Vanilleschoten und Ähnliches ziehen, "was wunderbar zu Garnelen passt", oder er trocknet ungespritzte Limettenschale, mahlt sie in der Moulinette zu Pulver und mischt dieses mit dem Öl. Dasselbe passiert mit Orangenschalen, Tomatenschalen oder Kräutern, alles getrocknet und pulverisiert. Jeweils etwa ein Viertelliter von einer Sorte, "die sind ja nur kurz haltbar – aber bei unserer Größe brauchen wir schon einmal zwei Flaschen pro Abend". Leinöl träufelt er über Sellerie- oder Krebssuppe, aber das sei ein bisschen sperrig, "das mag nicht jeder, in der Gastronomie ist es sicher nicht so leicht, Leinöl unterzubringen". Man dürfe bei Ölen außerdem nicht wild drauf los kombinieren, "ein fruchtiges Olivenöl kann man ja nicht für deftige Sachen verwenden". Und auch beim Dosieren seien manche Öle sehr heikel: Ingwer wird seiner Erfahrung nach noch viel intensiver, wenn er in Öl zieht, das entstandene Ingweröl sei also mitunter ziemlich heftig. Ein Grund übrigens, warum er sich noch nicht für die sogenannten Direktöle erwärmen konnte, die es seit einiger Zeit gibt: Dafür wird Ölsaat gemeinsam mit Aromaten wie Majoran, Knoblauch, Kaffeebohnen, Szechuanpfeffer oder Birkenholzkohle gepresst, was eine besondere, auffallend pure Intensität ohne Fremdtöne und mit hoher Geschmacksdichte mit sich bringt. "Mit diesen Ölen müsste man sich sicher länger beschäftigen, damit man heraußen hat, wie viel davon man wofür nimmt, wie es sich in einem Gericht entwickelt. Dafür fehlt mir leider die Zeit."
Ein bisschen anders als im Riesenhotelbetrieb Schalber ticken die Uhren bei Sissy Sonnleitner in Kötschach-Mauthen. Sie hatte offensichtlich mehr Zeit, um sich näher mit den Direktölen zu befassen, gemeinsam mit ihrer Tochter Stefanie, die sie in der Küche unterstützt. Und nicht zuletzt sitzt sie quasi an der Quelle: Der benachbarte Edelgreißler Herwig Ertl hat die Öle des deutschen Produzenten biowellfood als erster nach Österreich geholt. Geht es nach den Herstellern selbst, soll man die Öle direkt in Fleisch, Fisch oder Obst spritzen, mit einer dünnen Nadel, die mitverkauft wird. Sissy Sonnleitner allerdings setzt die Öle auf bewährte und dennoch neue Art ein: Bewährt deshalb, weil sie etwa ein Basilikum-Direktöl in Erdäpfelpüree rührt, neu aber, weil die benötigte Menge Öl eine andere ist. "Diese Öle sind so intensiv, dass man viel weniger braucht." Wer ein Erdäpfelpüree gern üppig habe, müsse sich also mit der Ergänzung durch ein neutraleres Öl oder Butter behelfen, vom Direktöl als Aromaträger brauche man jedenfalls nur wenig. "Das Birkenrauchöl kombinieren wir mit Himbeer­essig und Wacholder zu Fisch – passt unglaublich gut zusammen." Auch Steaks bekommen durch ein bisschen daraufgeträufeltes Rauchöl einen zarten Grillgeschmack. Suboptimal sei hingegen das Bärlauch-Direktöl gewesen, das sei irgendwie ganz schnell oxidiert, die Gäste hätten dann einen unangenehmen Nachgeschmack im Mund gehabt. Ein bisschen tüfteln müsse man also schon, sagt sie.
Für die süße Küche nimmt Sissy Sonnleitner ebenfalls Öle, auch "normale" Pressungen von Hartl: zum Beispiel das Haselnussöl, "das kommt zu Schokoladegeschichten", Pistazienöl zu Erdbeeren mit Zucker und Vanillemascarpone oder Mohnöl zu Marillendesserts. Mit Espresso-Direktöl schlägt sie eine süße Hollandaise auf, die sie zu einer geschmorten Birne oder gebratener Mango serviert. "Der Vorteil ist in diesem Fall, dass ich ein pures, starkes Kaffee­aroma habe, ohne dass ich Kaffeepulver auf der Zunge spüren muss oder das Ganze verwaschen braun ist." Mit der Vielfalt an erhältlichen Ölen stehe Köchen zurzeit so viel offen, eine unwahrscheinlich breite Palette sei möglich. Und zu den Direktölen sagt Sonnleitner: "Ich will nicht behaupten, dass ich nie wieder ohne sie leben könnte, aber wenn es schon einmal so ein Produkt gibt …"
Andreas Mayer vom "Mayer’s" im Zeller Schloss Prielau brachte vor Jahren ein Kaffeeöl aus England mit, das aber, wenn man so will, "herkömmlich" angesetzt wurde. "Das war mir ehrlich gesagt schon zu heftig. Aber man muss froh sein, wenn experimentiert wird." Er selbst macht Öle, die man so im Handel kaum bekommt, etwa ein Krustentieröl. Die Schalen von Garnelen oder Hummer röstet er an und lässt sie in neutralem Öl, meist Sonnenblumenöl, vier bis sechs Wochen ziehen. Das fertige Produkt dient dann dazu, Hummervorspeisen oder Ravioli mit Krustentieren noch intensiver schmecken zu lassen, "das kommt einfach drüber und gibt dem Ganzen den letzten Kick". Limettenöl setzt er selbst an, "was man fertig zu kaufen kriegt, schmeckt meist furchtbar giftig", auch Rosmarinöl macht er selbst, "ja klar, aber das gibt’s ja eh schon ewig". Die Direktöle klingen inter-essant, er hat noch nie davon gehört, "aber wenn’s sinnvoll und neu ist, warum nicht". Was sich Mayer allerdings wünschen würde, wenn das nur irgendwie machbar wäre, ist etwas anderes: "Öle, die den Geschmack eines Gemüses zusätzlich unterstützen, ohne dass Chemie nötig ist." Mit Karfiol, Kohlsprossen oder Spinat hat er manchmal ein bisschen Mühe, weil die nicht so viel brauchbaren Eigengeschmack haben. "Wenn’s also ein Spinatöl gibt, das nach Spinat schmeckt und das ich dann einfach am Schluss drüberträufeln kann, bitte her damit – das wäre perfekt."