Bauern, Jäger, Sammler

Globale Welt, ganz regional. Jedes Dorf hat seinen eigenen Zutaten und schmeckt im besten Fall einzigartig, oft jedoch ziemlich ähnlich. Der Regionalzug fährt in die Provinz und macht die Lieferanten zu den Gewinnern. Text von Christian Grünwald Foto: Jose Lopez Wir haben uns alle an die obligate Wurzelbehandlung gewöhnt. Radieschen, Rüben, Karotten. Kein Mensch hätte…

Globale Welt, ganz regional. Jedes Dorf hat seinen eigenen Zutaten und schmeckt im besten Fall einzigartig, oft jedoch ziemlich ähnlich. Der Regionalzug fährt in die Provinz und macht die Lieferanten zu den Gewinnern.

Text von Christian Grünwald Foto: Jose Lopez

Wir haben uns alle an die obligate Wurzelbehandlung gewöhnt. Radieschen, Rüben, Karotten. Kein Mensch hätte das früher in einem Spitzenrestaurant gegessen, jetzt gehört das zum guten Ton. Ach wie sind wir alle bio und regional, begeistern uns an seltenen Sorten als wär’s unser letztes Mahl. Bitte ein Herkunftszeugnis, sonst kommt das gar nicht auf die Karte. Redet da noch wer von kühner Küchentechnik und Erfindergeist?

Waren das noch Zeiten, als Spitzengastronomie wie Leistungssport war. Köche wie Ferran Adriá oder Heston Blumenthal holten das Maximale aus dem vorhandenen Material, gingen dazu die so genannte Extrameile und damit weit über die gängigen Grenzen hinaus. Mit Technik und Erfindungsreichtum. Und nicht mit dem Pflanzenbestimmungsbuch vom letzten Überlebenstraining in der skandinavischen Steppe.

Eine Vollversammlung der besonders Motivierten stellt die Madrid Fusión dar. Auf der Bühne des Auditoriums für rund 1.000 Zuseher tummeln sich alljährlich Kaliber wie die zuvor genannten, dieses Mal aber auch Andoni Luis Adúriz (Restaurant Mugaritz, Baskenland), Elena Arzak, Joan Roca, der Welt erfolgreichster Patissier Pierre Hermé, Sven Elverfeld (Aqua im Ritz Carlton in Wolfsburg) sowie Heinz Reitbauer, der seit dem elften Platz seines Steirerecks bei „The World’s 50 Best Restaurants“ enorme internationale Beachtung erhält.

Alle Protagonisten suchen nach dem ultimativen Zukunftstrend und landen in irgendeiner Form bei der Regionalität. Wird leider auch schon langweilig. So instabil sind nun mal die so genannten Megatrends, wenn sich an ihnen die großen Lebensmittelkonzerne, die Tourismusorganisationen und die mittelmäßig Kochbegabten inflationär bedienen. Man sollte die mancherorts gepflegte Regionalität nicht gleich auf ihren tatsächlichen Provinzialismus runtermachen, trotzdem ist der Fetisch der Regionsbezogenheit keine Garantie für besseres Essen. Der Fakt, dass etwas aus der Nähe kommt, reicht noch lange nicht aus – es muss argumentierbar sorgfältiger hergestellt sein und vor allem auch besser schmecken.

So gesehen sind die Foodhunter die Gewinner der Küchenwelt. Zumindest kann man diesen Eindruck erhalten, wenn man sich ansieht, was Köche aus Mexiko, Chile oder Brasilien so als ultimative Zutaten für ihre Speisen auf die Zutatenliste setzen. Eine von 600 existierenden Avocadosorten etwa, von der man auch die Schale essen kann. Oder irgendwelche Kräuter und Blumen aus dem Amazonasgebiet, die es nirgendwo sonst gibt. Foodhunter spüren derlei Produkte auf, machen das Dogma der Küchenregionalität entsprechend spannend.

In einer Zeit, in der sich die Speisen zwischen Sydney, Santiago und Stockholm oft verblüffend gleichen, ist diese Art von bewusster Limitierung derzeit die wohl gängigste Art der Unterscheidung. Der Koch mit den meisten Rohstoffunikaten hat die Nase vorn. Wir rufen somit die „Rare Food“-Bewegung ins Leben. Einer der Big Player in dieser Neigungsgruppe ist Alex Atala. Der charismatische Brasilianer präsentiert in seinem D.O.M.-Restaurant in Sao Paulo zutatenmäßig eine Art „Best of Dschungelbuch“. Seine Körpersprache lässt ihn wie eine Raubkatze wirken, die in Land und Urwald nach endemischen Ingredienzen sucht.

Das Endergebnis muss verdammt gut sein. Nummer vier in der World-Top-50-Liste wird man nicht einfach so. Den besonderen Kick holt er sich unter anderem durch das Aroma von wild wachsender Vanille („das tollste Gewürz überhaupt!“) und wildem Honig. Dieser ist viel reicher und intensiver im Geschmack, super dünnflüssig und damit für kreative Vinaigrettes und Aromatisierungen Atalas erste Wahl. Er erzählt und zeigt die Verarbeitung von Kokosnüssen, wie wir sie mangels Rohmaterial wohl nie in Europa nachvollziehen können. Oder die aromatische Priprioca-Wurzel aus dem Amazonas-Gebiet, die die D.O.M.-Küche im Alleingang einer Verwendung für kulinarische Zwecke zuführte. Mit den kräuterwürzigen, aber auch zart erdigen Nuancen ist Unverwechselbarkeit garantiert. Außerdem: „300 Menschen haben dadurch Arbeit und schützen den Urwald vor der Abholzung. Gastronomie alleine kann nicht alle Probleme lösen, aber es ist ein positiver Denkanstoß, eine Aufforderung zum Schutz von Mensch und Natur.“

Einige brasilianische Früchte schmecken süß und fermentiert zugleich. Das ist gewöhnungsbedürftig. Die Früchte der Buriti-Palme etwa, die entweder roh oder vergoren genossen werden. Oder Pequi: Steinfrüchte, deren gelbes Fruchtfleisch von zahlreichen Stacheln durchzogen ist und das mit entsprechender Vorsicht zu süßen Cremen verarbeitet werden kann.

Sie meinen, das tangiert Sie nicht, weil Brasilien so weit entfernt ist? Sie werden anders denken, wenn dort 2014 die Fußball-WM stattfindet und das Land von Mittelpunkt von Sport- und Lifestyle-Themen wird.

Es ist eine seltsame Küchenwelt, in der die Produkte den Regionalismus pflegen und lieber daheim bleiben, während neugierige Restaurantgäste aus aller Welt Tausende von Kilometern eben dorthin fliegen.

Heinz Reitbauer hat den 2.500-km-Flug nach Madrid mit einigem Gepäck angetreten: jede Menge Süßwasserfisch, den er im Gegensatz zu vielen Kollegen, die auf der Bühne bloß noch aufwendig produzierte Kochvideos vorführen, live auf der Bühne zubereitete. Der präsentierte Stör, das Fleisch braucht zwei bis drei Tage Reife, wurde schon in Österreich fachgerecht nach der Iki-Jime-Methode geschlachtet, was sonst nur die Japaner mit Thunfisch machen. Dabei tritt durch einen gezielten Stich ins Gehirn der Tod sofort ein, die anschließende Trennung des Rückenmarkkanals sorgt für ein besseres Ausbluten und ein weißes Fleisch, wie man es sonst nicht bekommen würde. Davon und von den 80 heimischen Süßwasserfischarten erzählt Reitbauer, während er die Simultandolmetscherin mit Begriffen wie Karpfenmilch auf ihre Fähigkeiten abcheckt. „Wir haben in Österreich das beste Wasser der Welt, also müssen wir auch das Optimale in der Zucht leisten.“ Er erklärt die Generationenselektion bei der Bergforellenzucht, demonstriert die Bezwingung der Y-Gräten für den Hecht in Kokosmilch, gart den Attersee-Saibling auf heißem Salzstein und legt Äschenfilets in Bienenwachs. Das Auditorium ist angetan und begeistert, das wird vor allem auch nach dem Vortrag deutlich, wo Kochkollegen spontan auf Reitbauer zukommen und Anerkennung zollen. Erstmals seit langem, wenn nicht sogar das erste Mal, kocht ein Österreicher in der meinungsbildenden globalen Kochelite mit und hat auch über seine Zubereitungsmethoden und verwendeten Rohstoffe Essentielles zu sagen – eine neue Dimension für die österreichische Küche, die sich normalerweise selbst genug war. Als Reitbauer dann auch noch die aus der Orangerie Schönbrunn stammenden getrockneten Zitrusscheiben präsentiert, zählt er endgültig zu den Headlinern der Madrid Fusion 2013.

Es gibt sie doch noch, die große Technikshow mit Erfindergeist. Wer an den Veranstaltungstagen Elena oder Juan Mari Arzak suchte, musste nur nach einer auffälligen Häufung von Kamera- und Blitzlicht Ausschau halten. Die beiden stehen für allerhöchstes Kreativpotenzial, wobei „unsere Ideen lediglich technisch limitiert sind“, behauptet Elena Arzak. „Wir haben durch die Technik heute viele neue Möglichkeiten, wo wir erst nach und nach abklären, was wir überhaupt damit anstellen.“ Luftige bunte Kugeln zum Beispiel, gefertigt aus einer Kartoffelmehlmischung, die hauchdünn über aufgeblasene Luftballons gelegt wird, dann wie Papiermachee in Form gebracht und schließlich frittiert wird. Was Arzaks damit machen? Als überdimensionale Haube für ein Fischgericht einsetzen.

Während die Marke Arzak ihr Präsentationsvideo als Hightech-Demonstration gestaltet, summen in der Mehrheit aller anderen Filmchen die Bienen, rauschen Gewässer und Wälder. Glücklich, wer ein großes Naturschutzgebiet unweit seiner Adresse hat. Simon Rogan hat. In Cartmel an der britischen Westküste entstand ein Bioparadies, das aus einem ganz banalen Bedürfnis heraus angelegt wurde: „Ich war es leid, dauernd nur mäßig tolles Gemüse zu bekommen. Ich will die allerbeste Ware und darum muss ich mich eben selbst kümmern. Außerdem sind die Vegetationsperioden in England so kurz, dass man am besten einen Teil der Ernte gleich einlegt oder sonst wie konserviert.“ Mittlerweile hat Rogan rund um sein Restaurant L’Enclume ein enormes landwirtschaftliches Idyll aufgebaut, das man nur noch mit Landkarte überblicken kann.

Die gelebte Gastro-Botanik unserer Zeit wird nicht ohne Folgen bleiben. Ohne Exklusiv-Lieferanten essentieller Rohstoffe steht jeder Küchenchef recht arm da, droht in die Verwechselbarkeit abzugleiten. Die Konsequenz: am besten ein eigener Garten oder Landwirtschaftsbetrieb. „Farm Food“ kommt, ganz sicher. Wir sehen uns wieder am Bauernmarkt.