Big fish
Oder: Der Reiz des Lokalen Die Karibik ist ein Paradies, aber nicht unbedingt eines der kulinarischen Sorte. Die Suche nach regionalen Spezialitäten kann unvermutet kompliziert wie skurril sein.
Big fish
Text von Eva Rossmann Fotos: Getty images/Angelo Cavalli; viennaslide.at
Die wollten, dass ich ihnen ein original österreichisches Menü koche. Sie waren unsere Vermieter und reizende Leute: Sue and Ray, sie ursprünglich aus England, er ein schlanker Schwarzer, hier auf der Insel aufgewachsen.
Jetzt ist die kleine Karibikinsel St. Kitts auch kulinarisch ganz gut entwickelt, es gibt zwei Supermärkte, die im Großen und Ganzen mit denen in Österreich mithalten können – nur die Akzente liegen eben woanders. Genauso, wie man bei uns in der Gemüseabteilung keine frische Breadfruit kaufen kann, gibt es dort kein glattes oder griffiges Mehl, sondern nur den enriched-self-raising-all-purpose-Staub aus den USA als Mehl: Backpulver und was weiß ich noch alles inklusive.
Rindsuppe – das ginge. Grießnockerl. Mit welchem Grieß? Vielleicht Frittaten. Nein. Siehe Mehl. Und: Die lokalen Rinder sehen zwar sehr nett aus, wenn sie am Straßenrand stehen, abwechselnd auf die Inselfahrbahn und aufs Meer glotzen und wiederkäuen (gefährlich werden sie in der Nacht, wo sich ausgerechnet die schwarzen unter ihnen gerne auf die Straße bewegen), aber angeblich sollen sie ziemlich zäh sein. Außerdem gibt es in den Supermärkten nicht viel davon. Und amerikanisches tiefgefrorenes Rindfleisch – Steaks und Hamburgers – sind mir nicht erst seit dem jüngsten BSE-Fall verdächtig. Also auf in die zentrale Markthalle von Basseterre. Aber dort haben sie eine seltsame Art, Fleisch zu zerteilen: Es wird mit Hacken und Macheten samt Knochen einfach in Trümmer gehackt, größere oder kleinere, so wie der Kunde es wünscht. Die Fleischhauer sind entsprechend kräftige Kerle und haben einen Dialekt, bei dem ich mich nicht darauf einlassen würde, ihnen zu erklären, wo das schwarze Scherzel sitzt und wie sie es auslösen sollen. Braucht hier ja auch niemand. Dafür gibt es Bullfoot: Haxenteile vom Stier, die ewig lang mit Paradeisern, ihren milden Scotch-Bonnet-Peppers, grüner Papaya (sie hilft, alles weich zu kriegen), Knob-lauch, Salz, Ingwer, Rum und Hot Sauce gekocht werden. Wer die Mischung aus gallertartiger Substanz und butterweichem Rindfleisch mag, wird begeistert sein.
Es muss ja nicht gleich Bullfoot sein, aber wenn ich woanders bin, fahre ich auf die lokale Küche ab, mag dann auch nichts anderes essen, nichts anderes kochen.
Auf St. Kitts gibt es Tourismus. Zum Glück nicht so viel wie auf anderen Karibikinseln, aber er spielt eine Rolle. Amerikaner (und ein paar versprengte Europäer) haben sich hier Häuser und Wohnungen gekauft, es gibt ein paar Hotels und seit neuestem auch ein ganz großes. Also gibt es Essen für diese Gäste. Wer Amerikaner kennt, weiß, dass sie im Ausland nicht gern um vieles anders essen als daheim (es soll allerdings auch solche Deutsche und Österreicher geben …). Die Restaurants, die für sie erfunden wurden, helfen weltweit dabei. Da heißt dann zwar vieles "mit karibischem Flair" oder "karibische Küche mit internationalem Niveau" oder so, aber man weiß schon: Surf and Turf ist schon das Exotischste oder auch einmal ein vor der Insel gefangener Fisch, nicht der lokale, etwas süßliche Parrod, auch sicher nicht der Dolphin-Fish, weil ältere Amerikanerinnen allein beim Gedanken, einen Delfin zu essen, die berühmte Bockerlfraß kriegen (der Dolphin-Fish ist übrigens kein Delfin, sondern heißt bloß so, aber erkläre man das einmal einer älteren Dame in Auflösung), aber es gibt hier ja auch hervorragende Red Snapper, die bis zu acht Kilo auf die Waage bringen.
Dafür sitzt man dann fast ohne Licht rund um einen Swimmingpool, zum Lesen der großen Speisekarte werden Taschenlampen gereicht, der aufsteigende Chlorgeruch hindert einen erstens daran, ins Wasser zu fallen und erzeugt zweitens eine Art aseptisches Klima, das an einem lauen Karibikabend im Freien gar nicht so leicht hinzukriegen ist, aber gewissen Menschen vielleicht ein vertrautes Gefühl vermittelt.
Oder es wird erst gar nichts Karibisches geheuchelt wie im Hauptrestaurant des großen Hotels: "Du bist Ozeane entfernt, aber hier fühlst du die Großstadt …" Klar, deswegen fliegt man ja in die Karibik.
Also da überall ist es nicht, das lokale Essen. So lokal kann ich auf St. Kitts auch österreichisch kochen. Oder sogar noch etwas authentischer.
Wir fragen Sue und Ray, was es außer Olivias großartiger Küche am Strand in der Sunset Beach Bar (aber die hat nur tagsüber geöffnet) noch gibt und sie empfehlen uns eine Grillstation, die sich als eine Art karibischer Großheuriger entpuppt: Man stellt sich an und irgendwann, es kann bei viel Betrieb auch eine Stunde dauern, aber das kümmert hier die wenigsten (wir sind eben doch ziemlich europäisch-touristisch), bekommt man, vorausgesetzt man hat dem Richtigen zur richtigen Zeit das Richtige zugerufen, saftig gegrillten Lobster (nennt man hier so, eigentlich sind es prächtige Langusten) oder Hendl oder Ribs, trägt das Zeug zu rohen Holztischen, setzt sich irgendwo dazu und hofft, dass die Serviererin mit Getränken kommt. Sehr okay, aber auch nicht ganz das, was ich mir an karibischer Küche in diversen Kochbüchern angelesen habe.
Wohin sie ausgehen, wenn sie einen besonderen Abend verbringen wollen, fragen wir Sue und Ray. Sie empfehlen uns das Lokal, in dem man im Finstern mit Chlorgeruch isst. Weil es so elegant ist.
Dann kriegen wir endlich einen Tipp, den Insidertipp, auf den ich immer ganz heiß bin: Hinter dem Independence-Square hat ein kleines einheimisches Lokal aufgemacht. Für die Leute hier, nicht für die Touristen. Und billig soll es auch noch sein (was man von den anderen nicht behaupten kann). Als wir nach einigen vergeblichen Anläufen die Gasse finden (kleine Gassen gibt es hier viele, ehemals bunte, jetzt grau gewordene Holzhäuser mit Verandageländern aus Betonschalsteinen, abbruchreife oder schon zusammengebrochene Holzhütten, inzwischen gemauerte Häuser in Rosa oder Hellgrün mit jeder Menge Blumen rund herum und einem alten Ölfass als Mülleimer davor), fühle ich mich wie die Jägerin des verlorenen Schatzes oder zumindest wie Anthony Bourdain auf der Suche nach dem ultimativen Genuss irgendwo am Ende der Welt. Sechs Tische, Neonbeleuchtung. Alles sehr sauber, aber das ist in St. Kitts überall so, Plastiktischtücher. Weiße Schank, Deckenventilator. Eine Servierkraft, die man auf der Insel als "big", bei uns vornehm als "stattlich" bezeichnen würde, nähert sich mit einem Schwammtuch, wischt über unseren sowieso sauberen Tisch, sagt: "Yes?" Lächelnd erkläre ich, dass wir essen wollen, etwas wirklich Lokales, Originales, spähe dabei auf das Pärchen an einem der anderen Tische, aber die haben die Köpfe verliebt zusammengesteckt und man sieht nicht, was auf ihren Tellern ist. Die Servierkraft reagiert unbeeindruckt: "Chicken oder Fish?" Ich unternehme einen Versuch, nachzufragen, wie sie denn zubereitet werden, gebe mit meinem angelesenen Wissen über karibische Küche an, es prallt ab. Noch einmal fragt sie: "Chicken or Fish?" Wir machen es wie immer, bestellen einmal das und einmal das (ich stehe hier ja nicht in der Küche, wo man bekanntlich die eine Spur mehr liebt, die dasselbe bestellen). Ich frage vorsichtig, ob sie Wein haben. Yes. Weißwein. Yes. Na also. Wunderbar. Ernest bekommt sein Carib-Beer ohne Glas auf den Tisch gestellt, aber das ist hier üblich. Für mich kramt sie in einer Art Gefriertruhe nach dem Wein, kommt dann mit einem Ballon Billig-Rossi und einem Glas, schenkt ein.