Birnen, nicht nur für die Helene

Die alte Volksweisheit, man solle Birnen nicht mit Äpfeln vergleichen, darf gerne wörtlich genommen werden.

Text von Andrea Karrer · Illustration von Peter Jani

Obwohl Äpfel und Birnen meist in einem Atemzug genannt werden, haben sie doch sonst ­wenig gemeinsam. Der Apfel hat ja seit jeher das schlechtere Image, er ist nicht nur für Evas Sündenfall verantwortlich, sondern gilt auch als derb und bäuerlich. Die Birne hingegen hat nicht nur weniger Säure und einen wesentlich subtileren, ja verführerischeren Duft als der Apfel, sie vermittelt auch bereits von ihrer Form – ihrem barocken Hüftschwung – her Eleganz und wurde daher auch an den ­Tafeln der Reichen und Adeligen schon immer gerne gereicht. Birnen sind einfach schön!

Der englische Koch Nigel Slater hat ein sehr treffendes Bild für die Birne gefunden: „Wie eine Schneeflocke ist auch eine perfekte reife Birne etwas Vergängliches. Etwas, das eingefangen, zärtlich in der Hand gehalten und kurz bestaunt werden muss, bevor es für immer verschwindet.“ Eine wahrlich poetisch-sinnliche Beschreibung des Umstands, dass Birnen nur sehr kurz genussreif und am Höhepunkt ihres Geschmacks sind. „Schon ­einen Tag später beginnt der Niedergang in Richtung weiche Formlosigkeit.“

Die Birne ist eine klimakterische Frucht, das heißt, sie reift am Baum, aber auch nach der Ernte nach, unter dem beschleunigenden Einfluss des Reifegases Ethylen, das von ihr selbst, aber auch von anderen Früchten (z. B. im Lager, aber auch in der Fruchtschale) produziert wird. Diesen klimakterischen Reifeprozess kennen wir auch vom Apfel, aber bei der Birne läuft er deutlich beschleunigt und dynamischer ab. Vor allen Dingen kann der einmal begonnene Reifeprozess, der dann innerhalb von vier bis 14 Tagen zu einer butterweichen, nur noch jetzt und hier genießbaren Frucht führt, nicht mehr aufgehalten werden.

„Nur reife Birnen schmecken aromatisch“, bestätigt Max Stiegl vom burgenländischen Gut Purbach. „Meine Lieblingsbirne ist die ­Gute Luise, die hat Charakter, Kanten und Ecken, das taugt mir“, schwärmt er weiter. „Mit ihrem süß-säuerlichen Geschmack ist sie eine kontrastreiche Ergänzung zu Pikantem wie Leber, Wild, Geflügel, Speck und Räucherfisch, aber auch zu Gemüse und Salaten.“ Nicht alle Birnen sind zum Kochen geeignet. Vor allem die frühen Sorten werden beim Kochen leicht weich und fad. Herbstbirnen haben mehr Aroma und schmecken gedünstet vorzüglich. Ideal zum ­Kochen sind Williams Christ, Kaiserbirne, ­Gute Luise, Butterbirne. Da Birnen – wie schon erwähnt – wenig Säure haben, hilft man am besten mit Zitronensaft oder einem Spritzer Rot-, Weiß- oder Portwein nach. Doch diese Säurearmut macht anpassungsfähig, was ihren Einsatz in der Küche angeht: Klassisch sind die Kombinationen mit Käse – von Kuh, Schaf und Ziege, von mildem Frischkäse bis zu kräftigem Bergkäse, ­Parmesan und Blauschimmelkäse –, dunkler Schokolade, Vanille, Zimt, Nelken, Safran und Wein. „Neben Speise- beziehungsweise Tafelbirnen gibt es auch Kochbirnen. Bei den meist alten Sorten handelt es sich um kleine grüne, erst spät gelb werdende Birnen, die roh aber nicht schmecken. Beim Kochen werden sie weich und entwickeln ein schönes Aroma. Kochbirnen ­werden in traditionellen Gerichten der norddeutschen ­Küche, z. B. der Schleswig-Holsteiner Küche, verwendet, insbesondere für die Kombination mit Bohnen und Speck sowie gelegentlich im Steckrübeneintopf. Bei uns im Burgenland wachsen sogar Nashi-Birnen – die ­koche ich gern ein, da stört’s mich auch nicht, wenn s’ a bisserl braun werden. Zitronensaft würde das zarte Aroma nur irritieren“, fährt der Koch fort.

In Kärnten werden Nudeln mit Kletzen gefüllt – wie Kasnudeln, nur süß. Kletzen sind in der Schale getrocknete Birnen, die schon braun, weich, teigig und süß waren. Birnen zu trocknen hat eine sehr lange Tradition. Größere Höfe hatten Dörrhütten mit einem kleinen Lehm-Backofen. ­Kletzen werden auch heute noch für das Kletzenbrot verwendet. Wer auf Nachhaltigkeit und Regionalität setzt, kommt um das Haltbarmachen wie dem Dörren von Obst nicht herum. Darum, aber auch weil sie so gut schmecken, wäre eine Renaissance der Kletzen wünschenswert.

Übrigens waren die Griechen die Ersten, die Birnenkulturen anlegten. Griechenland hatte sogar den Spitznamen „Birnenland“, und der Landstrich Apia, das Gebiet um den Peloponnes, war sogar ganz offiziell nach der Birne benannt worden.

Seit dieser Zeit ist die Birnenfamilie freilich erheblich gewachsen. ­Immerhin zählte man um 1900 alleine in Europa rund 1.300 verschiedene Birnensorten. Mittlerweile geht die Zahl der Birnensorten in die Fünf- bis Sechstausend (darin sind auch die vielen asiatischen Birnen­sorten enthalten, wie etwa die Nashi-Birne). Eine Zahl, die sich in den Supermärkten allerdings kaum widerspiegelt – wo auch EU-Norm leider immer häufiger vor Vielfalt geht. Obstproduzenten und der Handel bevorzugen Sorten, die ertragreich und transportfähig sind.

Dabei böte die Birnenwelt Abwechslung wie kaum eine andere.

So manche einschlägige Fachliteratur liest sich wie ein Who’s who des Obstbaus, wenn sich darin beispielsweise eine Herzogin Elsa neben einer Gräfin von Paris, einer Josefine von Mecheln und sogar einer veritablen Heiligen, nämlich keiner Geringeren als Jeanne d’Arc persönlich, findet. Aber es gibt auch „bürgerliche“ Vertreter der Birnenzunft, wie etwa die Bürgermeisterbirne, die Pastorenbirne, die Sommer­apothekerbirne, die Gute Graue oder die Grüne Sommer­magdalene. Darüber hinaus findet man allein in Österreich rund 130 Mostbirnensorten, darunter Wasserbirn, Frau’nbirn, Kasperlhansbirn, Tatznbirn, große und kleine Landbirn, Pichlbirn, Holzbirn oder Winawitzbirne. International haben sich vor allem die Sorten Alexander ­Lukas, Gute Luise, Gellerts Butterbirne Passa Crassana, die aus Italien stammende Abate, die ­Vereinsdechantsbirne und die vor allem für die Edelbrandherstellung ­bedeutende Williams Christ durchgesetzt, die erstmals 1770 im englischen Berkshire gezüchtet wurde. Sie wird vor allem als Ausgangs­produkt für das wohl weltberühmte Birnengericht, die anlässlich der Uraufführung der Offenbach-Operette „La belle Hélène“ benannte „Birne Helene“, verwendet, ohne deren Rezept keine Kulturgeschichte der Birne schließen sollte.

Hier ist es: Für vier Portionen werden zwei Williamsbirnen geschält, halbiert, in Vanille-Läuterzucker pochiert und auf einer Lage Vanilleeis angerichtet, das man zuvor mit kandierten Veilchen bestreut hat. Die obligatorische heiße Schokoladensauce wird à part serviert.

Es ist Zeit, dieser vielversprechenden Frucht wieder mehr Platz in unseren Gärten und Küchen einzuräumen.

Gut Purbach
Hauptgasse 64, 7083 Purbach/Neusiedler See
Tel.: 02683/560 86
www.gutpurbach.at

Biberleber mit Radicchio, Fenchel und Guter Luise
Rezept von Max Stiegl, Gut Purbach

Zutaten für 4 Portionen

400 g Leber vom Biber, zugeputzt und in Scheiben geschnitten
1 EL Butterschmalz
Meersalz, Pfeffer aus der Mühle
Rosmarin, Majoran
250 ml Bratensaft
Radicchio, Fenchel und Gute Luise:
1 Radicchio, längs geachtelt
2 Fenchel, geputzt, längs geviertelt
4 Gute Luise, geschält, längs geviertelt, entkernt
1 Zimtstange
etwas Verbene
2 Lorbeerblätter
Meersalz, Pfeffer
kalte Butterstücke
Radicchio, Fenchel und Gute Luise: Tajine in kaltem Wasser etwa 30 Minuten wässern. Fenchel in Salzwasser kernig ­kochen. Radicchio, Fenchel und Birnen in eine Tajine schlichten. Zimtstange, Verbene und Lorbeerblätter beifügen.
Mit Meersalz und Pfeffer würzen. Tajine-Deckel daraufgeben und Tajine bei 150 °C ca. 17 Minuten ins Backrohr geben.
Biberleber: Butterschmalz in einer Pfanne leicht erhitzen und die Leber darin beidseitig anbraten. Herausnehmen und auf einem Küchentuch abtropfen lassen. Die Leber auf einen hitzebeständigen Teller geben und ca. 5 Minuten ins Backrohr ­dazulegen, damit sie schön durchzieht.
Vor dem Anrichten salzen und pfeffern.
Die Pfanne sauber auswischen und den Bratensaft darin erwärmen. Majoran und Rosmarin beifügen und mit kalten Butterstücken montieren.
Die Leber neben dem Tajine-Gemüse anrichten und mit dem Bratensaft übergießen.
Hinweis: Statt einer Biberleber kann man auch Reh- oder Lammleber nehmen.