Blubbernde Ideen

Hereinspaziert! Hier warten Prickelndes, Scharfes, Mildes, Wildes. Wo man Fermentiertes aus österreichischen Zutaten mit exotischen Einsprengseln kaufen kann, wo es Umami-Happen zu essen gibt und wo man Miso-Wissensbissen bekommt: vier Wiener Fermentationsadressen.

Text von Anna Burghardt Fotos von Michael Reidinger

Vernetzt via Instagram, neugierig auf das, was jenseits diverser Grenzen liegt und im Besitz von Das Noma-Handbuch Fermentation: Diese Attribute treffen wohl auf alle Fermentierprofis zu, die mittlerweile von ihrem Steckenpferd leben können. A la Carte porträtiert vier Wiener ­Labels, die nicht nur die Hauptstadt mit Kimchi-Vielfalt und Kombucha, Maroni-Miso und Hollerkrautrezepten versorgen. Was auffällt: Die Fermentationsszene in Österreich scheint eher von Gemeinschafts- denn von Konkurrenzdenken geprägt.

Und alle Protagonisten können bestätigen, dass Begriffe wie Kimchi, Mikrobiom und Shoyu nicht mehr ausschließlich für Fragezeichen sorgen. Das Wissen rund um die ver­schiedenen Fermente ist ebenso wie die Auswahl in den vergangenen paar Jahren größer geworden. Auch deshalb, weil die Gastronomie mit dem Einsatz von fermentierten Elementen auf den Speisekarten für erste Berührungspunkte gesorgt hat: das Steirer­eck mit milchsaurem Spargel genauso wie das Mraz & Sohn mit Kimchi-Reisfleisch und das Bootshaus am Traunsee mit seiner Süßwasserfischsauce, um nur eine kleine Auswahl an Restaurants und Fermentationsbeispielen zu nennen. Während man im Ausland schon etwas länger Lokale, Geschäfte und Workshop-Studios fand, die sich fast ausschließlich Vergorenem widmen, etwa das Mimi Ferments in Berlin, das Ferment9 in Barcelona und Little Duck – The Picklery in London, sind derartige Adressen hierzulande neu. Ein Streifzug also zu Experimentierfreude, kryptischen Etiketten und Gläsern mit Eigenleben.

Das Ferment.
Die Suche nach dem Geschmack

„Wir haben uns auf die Suche nach dem Geschmack gemacht.“ Ein schlichter Satz, der im Fall der Firma UmYummy ein riesiges Feld eröffnet. Jens Pontiller, Biotechnologe, und Stefan ­Beyer, der von Koch über Fotograf bis zu Edel­metallhändler schon alle möglichen Berufe ausgeübt hat, hatten sich 2018 aufgemacht, der Lebensmittel­industrie Alternativen zu fragwürdigen Geschmacksverstärkern anzubieten. Ein „multifunktionales Produkt“ schwebte den beiden vor, das mithilfe von Mikroorganismen „highly processed food“ den Kampf ansagen soll. Einfacher ausgedrückt: ein Umami-Pulver als Ersatz für Glutamat. Eine fermentierte Umami-Bombe war schließlich auch am Anfang des Projekts gestanden. Jens Pontiller hatte in Indonesien auf ein ominöses frittiertes Etwas gebissen. Ein Schweinsohr war seine erste Mutmaßung, was jedoch angesichts des vorherrschenden muslimischen Glaubens in diesem Land ziemlich unwahrscheinlich war. Das geschmacksintensive Stück, das den Biotechnologen nicht mehr loslassen wollte, stellte sich als Tempeh heraus, fermentierte Sojamasse.

Im Rahmen des geförderten Forschungsprojekts zu ihrem Mikroorganismen-Produkt trafen Pontiller und Beyer auf internationalen Konferenzen auf andere Fermentationstüftler und erkannten: Anderswo war man schon viel weiter. Unter anderem, was Lokale und Geschäfte betrifft, die als Drehscheibe für Fermentiertes fungieren. „Wenn wir es nicht in Wien machen, macht’s wer anderer“, sagten sie sich. Es traf sich, dass am Vor­gartenmarkt ein Marktlokal frei wurde, gegenüber dem Mochi Ramen – unter dessen Gästen man viele potenzielle Interessenten vermutete.

Mit dem Koch Sebastian Neuschler, der zuvor unter anderem die Marktlücke im Karmeliterviertel hatte, entwickelten Beyer und Pontiller ein Konzept. Das Lokal-Geschäft-Mittelding nannte man das Ferment, eröffnet wurde Anfang Mai.

Im Untergeschoß werden täglich wechselnde ­Gerichte wie vegetarisches Koji-Butterschnitzel, Suppe von in Honig fermentiertem Knoblauch und Crème brûlée mit Fichtenkombucha gekocht. Ebenerdig finden Gäste einige Sitzplätze, und eine Budel sowie ein paar Vitrinen und Regale warten auf Take-away-Kunden. Verkauft werden hier sowohl Miso als auch Saucen von anderen österreichischen Fermentationslabels, etwa von Luvi Fermente vom Traunsee und von Wiener Würze.

Aus eigener Produktion kommen Gläser mit Wasabi-Yuzu-Kraut, Grapefruit-Fenchel mit rosa Pfeffer und milchsauer vergorenem geräucherten Spargel, Flaschen mit Rhabarber-Wasserkefir und Aronia-Hollerblüten-Kombucha … Währenddessen blubbern in großen Gärballons und Tontöpfen schon die nächsten Ideen.

BLVB.blub.
Grenzen? Gibt es nicht

Seit Ulrich und Saly Wolfger mit ­ihren eigenen Händen eine versiffte Spielhölle nahe dem Brunnenmarkt zu ihrer Fermentationsbasis umgestaltet haben, erscheinen ihnen die einstigen Hausbaupläne nicht mehr ganz so verlockend. Vom ehemaligen Grind merkt man in dem im Juni 2019 eröffneten Lokal heute nichts mehr, hier treffen Vintage-Möbel auf Edelstahl, dekorative Einmachgläser auf wechselnd beschriftete Schiefertafeln. 2014 hatten die beiden ausgebildeten Köche mit einem Marktstand begonnen, an dem sie zunächst einfache milchsauer vergorene Dinge sowie Marmeladen und Essigkonserven feilboten. Der Start ihres Labels, dessen Schreibweisen von b*l*v*b bis zu BLVB.blub reichen, wird stilistisch als „klassisch“ oder „straight-forward eingelegt“ beschrieben, je nachdem, wer von den beiden gerade am Wort ist – Saly Wolfger stammt aus Kanada. Abzulesen sei der Wandel über die Jahre unter anderem an ihren Kimchis, sagt sie: „Am Anfang haben wir ganz klassisches Kimchi gemacht, weil schon das kaum wo zu bekommen war. Heute reizen wir alle Grenzen aus.“

Die hiesige Kimchi-Auswahl wird wie eine Käseplatte verkostet: zuerst die milden, am Schluss die intensiven. Man startet also zum Beispiel mit ­einem Kimchi mit weißem Spargel, Vogelmiere und Rettich, hangelt sich zu einem geradezu süßlich-freundlichen Hanfsamen-Kimchi mit Sake-Koji bis hin zu einer Version, für die Chinakohl – in den allermeisten Fällen die Basis – mit Erdbeeren, Shisokraut und dem japanischen Chili-Mandarinen-Würzpulver Shichimi togarashi fermentiert wird.

Eine ordentliche Portion Zutaten­fetischismus gehört offenbar dazu. Die getrockneten Shrimps für manche Kimchis werden bei BLVB.blub selbst hergestellt: persönlich vom Fischmarkt in Zadar importiert, in Salzlösung gekocht und getrocknet. „Wir denken auch schon über getrocknete Signalkrebse nach.“ Österreichische Zutaten stehen schließlich seit den Anfängen im Vordergrund, auch wenn man bei manchen Fermentationsideen wie Dattel-Heidelbeer-Sauerkraut – „in brauner Butter zu Kärntner Kasnudeln ein Traum!“ – oder Radieschen mit Bananenblüten und Chili doch nur in der Ferne fündig wird. Mit Fernreisen haben auch jene Aufträge zu tun, für die das Ehepaar Wolfger seinen Bekanntenkreis einspannt: „Der größte Fehler, den unsere Stammkunden machen können, ist, uns von ihren Reiseplänen zu berichten“, sagt Ulrich Wolfger und lacht. „Wer uns sagt, dass er demnächst nach Japan oder Hongkong fliegt, bekommt sofort eine lange Einkaufsliste in die Hand gedrückt.“ Darauf notiert sind unter anderem Ge­würze wie grüner Sansho-Pfeffer. Aber auch einheimische Zutaten werden bei BLVB.blub gewissermaßen exotisiert. Davon erzählt Walnuss-Gersten-Miso genauso wie Eierschwammerl-Garum („einfach über Butter-Bandnudeln träufeln!“) und Riebelmais-Shoyu.

Wild & Wunder.
Selbst Hand anlegen

Vom Kunststudium über Jobs im Kulturbereich und ein eigenes Café in Hongkong zur Fermentationsmultiplikatorin mit einem feschen Basislager in Wien Meidling: Der Werdegang von Sirkka Hammer, im Schwarzwald aufgewachsen, weist so einige Windungen auf. Zehn Jahre Aufenthalt in Asien und die vegane Küche in ihrem Lokal in Hongkong prägten sie, was fermentierte Würzen wie Miso und Shoyu betrifft. Am Anfang der Wiener Selbstständigkeit stand der Wunsch, selbst Miso zu machen. „Ursprünglich habe ich dafür einen Platz gesucht. Die Marke Wiener Miso ist ja mein Baby.“ Im März 2019 eröffnete Sirkka Hammer ihr Wild & Wunder – Fermentationszentrum Österreich (das sie übrigens justament am gleichen Tag ein Jahr später ­coronavirusbedingt temporär schließen musste). Die Räumlichkeiten sind, was sich für die Fermentation als praktisch erweist, auf drei Ebenen mit unterschiedlichen Temperaturzonen angelegt. Wild & Wunder ist einerseits ein Geschäft für Miso, Kimchi, vegane Milchprodukte und Co, aber auch Workshop-Ort und generell Treffpunkt für alle, die an den ausufernden Subthemen der Fermentation interessiert sind. „Ein Hub für Fermentistas“, sagt Sirkka Hammer gern. Allerdings: „Es ist noch einiges zu tun. Wir sind noch nicht da, wo wir sein wollen.“ Sie plant deshalb auch vermehrt Vorträge von Wissenschaftlern, etwa über Forschungen zu unserem Gehirn und dem Mikrobiom, also der Gesamtheit der menschlichen Mikroorganismen.

Viele der Kurse von Wild & Wunder werden von externen Vortragenden gehalten: Für den Natto- und Tempeh-Kurs engagierte Sirkka Hammer schon Wolfgang Wurth von Fairmento, die Bloggerin Ella Josephine Esque zeigte die Basics der Lacto-Fermentation, und selbst aus Berlin reisten Experten für Workshops an. Sirkka Hammer konzentriert sich auf ihre Kernkompetenz, die asiatischen Fermente. Vor allem das Thema Miso hat es ihr angetan, und nicht nur, weil man „mit Miso Tofu so fermentieren kann, dass daraus quasi ein Stinkerkäse wird“. Eine Auswahl der Sorten ihrer Marke Wiener Miso: Roggen-Lavendel-Miso, für das das entsprechende Brot der Bäckerei Joseph zum Einsatz kommt, Miso aus burgen­ländischen Maroni oder solches aus ­Kukuruz, zweierlei Mohn-Miso, weiß und grau … Für diverse Restaurants, auch im Ausland, entwickelt und produziert Sirkka Hammer maßgeschneiderte Misopasten: Nach Deutschland gingen zum Beispiel die Sorten Hibiskus sowie Grünkohl, für das vegetarische Restaurant Tian in Wien arbeitet sie an Versionen aus Schokolade und Pistazien – vornehmlich für die Patisserie, zum Beispiel für Eis. Mittlerweile wüssten die meisten etwas mit dem Begriff anzufangen, die Misokurse von Wild & Wunder sind inzwischen stets voll belegt. „Bei den ersten Malen hingegen war ich froh, wenn ich vier Anmeldungen hatte.“

Blubbergarten.
Milchsaure Pionierarbeit

Ihr Blubbergarten ist vielmehr ein virtueller Garten, in dem in Gärgefäßen Natürliches heranwächst: Ingrid Palmetshofer zieht als Fermentationsexpertin von Ort zu Ort, von Workshop-Studios in diverse Küchen, in denen ihr Wissen gefragt ist. Dass sie keine eigene Werkstatt hat, sei ihr vor allem in Coronazeiten zugutegekommen, sagt sie. Palmetshofer ist in ­Österreich eine Fermentationsvorreiterin. „Das Leben hat das Thema zu mir gebracht.“ Schon Ende der 1990er stieß sie im Rahmen ihrer Shiatsu-Ausbildung auf die Makro­biotik „als Ergänzung zur reinen Körperarbeit“. Bei schwacher Verdauung wurden Miso und Sauerkraut empfohlen. Das Zusammenspiel des Körpers und der Mikroorganismen, die diesen besiedeln, habe sie schon immer interessiert; ihr Wissen zur Mikrobiom-Forschung bezieht sie unter anderem aus Blogs, Literaturdatenbanken und TV-Dokumentationen. „Ohne Mikrobiom sind wir nicht überlebensfähig“, sagt Ingrid Palmetshofer, die froh ist, dass die Naturheilkunde heute nicht mehr als Nische belächelt wird, sondern sich weitreichender Anerkennung erfreut.

Ihren ersten Workshop hielt Palmetshofer 2016, ihre ersten Versuche mit Sauerteig, Joghurt und milchsauer vergorenem Gemüse fanden freilich schon viel früher statt. Mit dem für die Lacto-Fermentation, ihrem Schwerpunkt, nötigen Equipment hat sie sich länger beschäftigt, „damals gab es im Internet dazu noch nicht so viel“. Sie erinnert sich an Versuche mit selbst gesammelten Steinen zum Beschweren des Gärguts in der Lake – „das war keine gute Idee. Wenn die Milchsäure den Kalk herauslöst, erhält man eine trübe Brühe“. Heute setzt sie auf Weck- und Rexgläser als probates Werkzeug für Haushaltsfermentistas.

2016 kam das Marktlokal Stand 16 am Schwendermarkt (mittlerweile als Landkind geführt) auf sie zu, „die kannten so viele Leute, die lernen wollten zu fermentieren. Seither ist es sehr dynamisch dahingelaufen, überall sind für mich die Türen aufgegangen“. Dass sie so ein früher Vogel gewesen sei, käme ihr als Fermentationsexpertin zugute. Auch einige heute etablierte Vortragende besuchten zuerst bei ihr Kurse. Manche ihrer Teilnehmer stammen aus Kulturen, in denen milchsauer Vergorenes weitverbreitet ist, etwa aus Südosteuropa oder Ägypten. „Die sagen mir dann, wie sehr sie ­diese Geschmäcker aus ihrer Kindheit vermisst haben.“

Sowohl in den Einsteigerworkshops als auch in ihrem kürzlich erschienenen Buch Geschmacksrevolution Fermen­tieren ist Palmetshofer wichtig, dem Publikum eine Art Fahrplan zu bieten, wann man etwas wegwirft – die Haltbarkeit und potenzielle Gärfehler sind schließlich schon ein Thema, hat sie die Erfahrung gemacht. „Die Leute sollen begreifen, an welchen Schräubchen man drehen kann, verstehen, wie wasserreiches Gemüse reagiert oder was in etwas wärmeren Küchen anders läuft.“ Generell gehe es unter anderem darum: „Was sehe ich, rieche ich, schmecke ich?“

das Ferment
Vorgartenmarkt, Stand 30, 1020 Wien
www.dasferment.at

BLVB.blub
Weyprechtgasse 12/1, 1160 Wien
www.blvb.at
www.facebook.com/blvb.blub

Wild & Wunder
Wilhelmstraße 30, Lokal 2, 1120 Wien
www.wildundwunder.at

Blubbergarten
Ingrid Palmetshofer
www.blubbergarten.work