Bocuse bügelt

Kultur trifft Kulinarik und Gastköche wildern in fremden Küchen. Gutes Essen will heute allerorts in Szene gesetzt werden. Vorhang auf!

Bocuse bügelt

Text von Eva Rossmann Illustration: Peter Zolly
Heutzutage wird ja andauernd gut gegessen. Ein jeder macht Kochkurse und fachsimpelt mit seinen Kumpels. (Früher hat man über schnelle Autos und rasante Mädchen gesprochen. Ist das Bedürfnis gut zu essen auch eine Alterserscheinung? Ist es auch gesellschaftlicher Fortschritt? Trägt es zu einer positiven CO2-Bilanz bei – vorausgesetzt, man isst nicht zu viele Rindviecher?)
Niemand hält ein Amuse-Bouche mehr für etwas Unanständiges, und redet man heute von Paradeiserwürfeln kann einem bald einer stirnrunzelnd ins Wort fallen und etwas von "tomate concassé" murmeln. Man weiß die Dinge inzwischen beim Namen zu nennen.
Mit so vielen küchenmäßig so Gebildeten ist es natürlich gar nicht einfach. Reicht es da noch, einfach gutes Essen zu servieren?
Und dann die Bilder in den Medien: Dauernd leckt sich ein Superstar die Lippen, das Feinste auf Hochglanz, vom Kaviar aus dem Lammjus (obwohl ich nicht kapiere, warum der in Perlen daherkommen muss) bis hin zu so simplem wie einem Kobesteak (anspruchsvoll ist da in erster Linie der Preis). Ist es da genug, irgendetwas aus der Gegend, alt-molekular umgesetzt, also gebraten, gegrillt, gebacken, gebeizt zu servieren? Ist nicht alles eigentlich schon zu wenig?
Wir wissen, was wir zu tun haben. Und so neu ist das ja auch gar nicht. Ein Event muss her. Eine Inszenierung. Eine Veranstaltung, die gutes Essen zu besserem macht. Ein Thema, ein Abend, aber bitte: nicht griechische Wochen, bei denen dann der Hans aus der Küche überlegt, was er letztes Jahr auf Mykonos im Urlaub gegessen hat. Auch die schlichte Ankündigung reicht nicht mehr, dass nächste Woche, zu Frühlingsbeginn oder weil das Lokal jetzt schon einige Zeit existiert, ein besonderes Menü geboten wird.
Der Event schlechthin muss her.
Dann kommen vielleicht auch wieder die Stammgäste vom Zweiertisch, die so lange auf uns vergessen haben. Und die vielen, die immer schon über "Sonderveranstaltungen und Events" informiert werden wollten. Und die neuen, denen bei uns nur eines gefehlt hat: der Anlass.
Man kann es zum Beispiel mit Kultur-Kulinarik-Kreuzungen probieren. Als Mischwesen von Köchin und Krimiautorin kenne ich so etwas ganz gut und kann mitteilen, dass der "Markt" für Lesungen mit Essen nicht nur in Österreich boomt. Je nach Stil des Hauses kann man ein "mörderisches Menü" oder "kulinarische Literatur" anbieten. Aber so ein Event hat auch Tücken: Der eine will essen und dabei nicht von irgendeinem Schreiberling angelabert werden, die andere will Literarischem lauschen und fühlt sich schon durch Kaugeräusche vom Nebentisch brüskiert. In der Küche hofft man, dass die Autorin zu lesen aufhört, bevor der Fisch zu einer durchgebratenen, gatschigen Masse wird. Und die Autorin hofft – vergeblich – auf ein Mikrofon, braucht ja sonst auch keiner in einem Lokal. Sie steht mitten zwischen den Tischen, sollte sich eigentlich dauernd drehen, um von allen gesehen und gehört zu werden, und liest sich die Seele aus dem Leib, wobei das Essen bekanntlich ja die beiden zusammenhalten soll.
Man kann aber, nach dem Motto, dass Essen plus Essen, Koch plus Koch einfach mehr ergeben muss, auch einen Gastkoch einladen. Wo heute (beinahe) ein jeder kocht, ist der Pool möglicher Gastköchinnen und -köche in den letzten Jahren gewaltig gewachsen. Wir kennen es aus dem Fernsehen: Kaum ein Promi ohne Messer. Und da rede ich ausnahmsweise nicht von Krimis. Sich artfremde Stars einzuladen, hat freilich Vor- und Nachteile. Die Schauspielerin X kennt eine Profiküche bisher nur von einem Kochkurs im vergangenen Jahr, und da hat alles ganz anders gewirkt, keine Hektik, keine Menschen, die dafür zahlen, dass man sie satt und zufrieden macht. (Wobei das Zufriedenmachen desto weiter vor dem Sattmachen rangiert, je höher der Preis ist, gleichzeitig aber schwieriger zu erreichen. Die Zufriedenheits-Sattmach-Preis-Kurve wäre für die Wissenschaft ein lohnendes Objekt.) Der Vorteil dieser Schauspielerin X: Sie will vielleicht gar nicht wirklich kochen, ihr reicht es, wenn sie am Rand herumsteht und für die Kamera des Lokalblattes dekorativ den Löffel abschleckt.
Stars aus der Branche hingegen sind (Kurswert in Sternen und Kochbuchauflagen beachten!) in jeder Beziehung eine Herausforderung. Sie wissen, dass sie eingeladen werden, weil sie es besser können. Aber sie haben meist gar keine Lust, das in diesem noch so angesagten Fremdlokal zu beweisen. Wenn da nicht die Schulden für die Villa wären, das Defizit ihres eigenen Gourmettempels, der Porsche für die Freundin (früher, als Patisseuse, war sie günstiger …), ja, ja, und natürlich die Mission, das Feinste, das Beste, das Edelste in die Welt zu tragen, in die Herzen zu pflanzen, in die Mägen zu füllen.
Selbst Bocuse war so unterwegs (selbstverständlich ausschließlich mit letzterem Motiv). Irgendwann einmal, es war zu einer Zeit, zu der viele das Wort Event noch nicht aussprechen konnten, kam er ins Wiener Inter-Continental. Mein späterer Küchenlehrmeister Buchinger war ein glutäugiger, besessener, beseelter junger Spitzenkoch und durfte es mit dem ganz Großen tun. Er ließ ihn nicht aus den Augen. Bocuse stellte leere Sauteusen auf den Herd, er schaltete die Flammen ein. Buchinger war sicher, seine Sauteusen sind gut, standfest, hitzebeständig, optimal hitzeleitend, sie würden dem Test des Küchenpapstes standhalten, sie hielten allem stand, sogar dem Chef-de-Partie-Blutzer, der letzte Woche das Rote-Rüben-Confit so lange vergessen hatte, bis es nur mehr eine klebrige, stinkende Kohlenmasse war. Was würde der große Meister in die inzwischen ach so heißen Stielpfannen geben? Oder war alles nur ein Test?
Bocuse zog die Sauteusen wieder vom Feuer, er nahm ein ordinäres Küchenhandtuch, wischte ihren Boden sauber, zog einen hohen, weißen Kochhut aus einer Tasche und bügelte mit Hilfe der heißen Sauteusen seine Insignie der Standeswürde faltenfrei. Dann ging er nach draußen zu den Gästen, die Würde in Person, makellos. Und das war sein nicht überbietbarer Beitrag zu einem ganz besonderen Menü, an das sich wohl viele Gäste noch lange ("der Bocuse hat gekocht!") erinnern und an das der Buchinger bis heute denkt.
Ich kenne derart erhebende gastronomische Sonderveranstaltungen in erster Linie aus der Sicht der Konsumentin. Vor kurzem erst war wieder ein berühmter Koch in Wien. Nein, nicht so berühmt wie Bocuse, aber immerhin. Und wir nahmen Platz in einem Lokal, das fieberte. Die Gäste vor Erwartung (schließlich war der Menüpreis extremen Erwartungen angemessen), das Servicepersonal vor Nervosität (üblicherweise verlangt man ihm Freundlichkeit, Schnelligkeit und eine gewisse Professionalität ab, aber dieser berühmte Koch, der hatte gleich am Anfang mitgeteilt, dass es in erster Linie die Geschwätzigkeit der Kellnerinnen und Kellner sei, die er nicht möge, er hat auf eigene Speisenträger bestanden, auf dass die Sternstunden in der Küche nicht durch irgendwelche Bemerkungen wie "Wohin gemma nachher?", "Was is’n das am Teller?" oder "Hast die Blonde am Achtertisch gesehen?" rüde gestört werden) und die übliche Küchentruppe hatte schon lange erhöhte Temperatur, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Die einen erhitzte der Gedanke an den Kochbischof (Kochgott wäre zu viel, wenn selbst der gebügelte Bocuse nur ein Kochpapst ist), die anderen die Vorstellung, dass da einer für einen Abend ein Vielfaches davon bekommt, wofür sie einen ganzen Monat arbeiten.
Bis zum ersten Gang dauerte es eine Stunde, aber wo ist der Superstar, der sich nicht bitten lässt? Ich flüsterte schon kleinlich, dass es "bei uns", also beim Buchinger, nie so lange dauere. Erst später bekam ich den Verdacht, dass der großartige Großkoch gerade das wollte: Kleine Köchinnen wie ich sollten sich gut fühlen, wenigstens einen (vermeintlichen) Schwachpunkt finden, wenigstens etwas, dass sie (engstirnig gedacht) besser könnten. Aber dann der Auftritt der Servierbrigade: Speisenträger (ja, die stummen, die in die Küche durften) mit großen Tabletts, so vornehm waren sie, dass sie sogar Handschuhe trugen (oder sollten sie mit ihren dreckigen Pfoten die Griffe der Tabletts nicht beschmutzen?). Die sauberen Kellnerinnen trugen keine Handschuhe, dafür aber ihr schönstes Lächeln. Und die Gerichte: eindrucksvoll. Mit Trüffel und mit Gänseleber und all dem, von dem man weiß, dass es gut ist. Irgendjemand am Nebentisch hat etwas von Retro gemurmelt, aber Retro ist in, oder? Und außerdem waren wir noch immer durch die Handschuhe abgelenkt und der Erzählung von einem Lebensmittelinspektor, der einst in einem großen (gemessen an der Zahl der Sitzplätze) Lokal mit Befriedigung feststellte, dass alle die erforderlichen Schutzhandschuhe trugen, der schon am Gehen noch rasch aus höchstpersön- lichen Gründen die Toilette aufsuchte und dort beim Pissoir eine dieser vorbildlichen gastronomischen Fachkräfte traf – mit Schutzhandschuhen an den Fingern. Zwischen Jakobsmuscheln und anderen Feinheiten nahmen wir unsere Umgebung erst wieder wahr, als an einem anderen Nebentisch jemand zu rauchen begann. Aschenbecher gab es keine und das Lokal, wir waren uns sicher, war ein Nichtraucherlokal, zumindest an diesem besonderen Abend. Die Raucherin fand genug dekoratives Porzellan, um ihre Asche säuberlich abzustupsen, und angeregt von ihrem Beispiel rauchten bald zwei andere Damen mit. Nicht wir waren es, die das böse Wort "Proleten" so laut tuschelten, dass unklar war, ob dieser gastronomische Weihetempel nicht plötzlich zum Ort einer ganz ordinären Wirtshausschlägerei werden könnte. Aber offenbar waren die rauchenden Damen (wir tippten, dass sie dem Outfit, der Haarfarbe und ihren zumindest finanziell potenten Begleitern – so etwas erkennt man am Goldschmuck – aus dem Umfeld eines großes Fußballvereines und seiner Sponsoren stammten) nicht hellhörig genug. Und wir feine Menschen in einem feinen Lokal mit einem ganz besonderen feinen Menü ließen uns natürlich weder zu verbalen Attacken noch zu handgreiflichen Entgleisungen hinreißen, wir beruhigten unsere Nerven wie alle ordentlichen Intellektuellen (okay, ich hab auch einen Köchinnenanteil, aber der ist an sich friedlicher als mein Rest) mit einer Anekdote über Fernand Point. Schon vor Jahrzehnten war bei diesem begnadeten Koch klar: Wer zwischen den Gängen in seinen heiligen Hallen raucht, bekommt sofort Kaffee und Rechnung serviert. Einer seiner zahlreichen Schüler war übrigens Bocuse. Anders als dieser weiland im Inter-Continental kam der andere (nicht ganz so) berühmte Gastkoch aber erst viel später und ohne Kochhut aus der Küche (hat er womöglich wirklich gekocht?) und konnte so nicht überlegen, ob er rauchende Gäste ebenso schlimm findet wie in der Küche schwätzendes Personal. Ach ja, das Essen war wirklich gut. Und die Umgebung war den Preis wert.
Und wer zu all dem und den Bemühungen, über Events und Sonderveranstaltungen etwas ganz Besonderes zu bieten, mit dabei zu sein, bei all dem Besonderen, das heute geboten werden muss, weil alles schon zu wenig ist, meint: Gutes Essen ist ein Erlebnis. Gutes Essen mit Freunden ist ein Ereignis. Zu dem sage ich: ja. Und: danke.