Charakterkorn

Auf den ersten Blick rund und unansehnlich, zeigt das Alltagsgewürz Pfeffer bei näherer Betrachtung nicht nur an seiner Oberfläche Ecken und Kanten: Unterschiedliche Anbaugebiete verleihen der jeweiligen Sorte ein vielschichtiges Aroma, das eine

Charakterkorn

Aufrüstung im Gewürzarsenal der österreichischen Kochelite ausgelöst hat.
Text von Claudia Schemerl-streben Fotos: Stephanie Golser
Was in Südamerika in Wasser eingeweicht und zu Sud angesetzt als Spritzmittel gegen Schädlinge Verwendung findet, wird hierzulande kulinarisch geschätzt: rosa Pfeffer. Er verpasst dem allseits bekannten „bunten Pfeffer“ mit seinem knalligen Rosarot Farbe, wächst in Rispenform auf dem bis zu zehn Meter hohen brasilianischen Pfefferbaum, schmeckt leicht bitter, blumig süß und erinnert an Wacholder. Während die Blätter der Pflanze beim Zerreiben einen pfeffrigen Geruch verströmen, fehlt es den Früchten an Schärfe, was neben optischen Gründen eventuell auch den inflationären Gebrauch des Gewürzes erklärt, das seit den 70er-Jahren mit ungebrochenem Enthusiasmus in heimischen Kochtöpfen landet und sich Pfeffer nennt, obwohl es keiner ist. Botanisch gesehen hat die Beere nämlich nichts mit dem elementaren Küchengewürz zu tun und wird dennoch oft als solches eingesetzt.

Aufklärungsarbeit leisten Spitzenköche wie Johann Lafer, Alfons Schuhbeck und Ingo Holland, der sich vor zehn Jahren sogar vom kochenden Beruf verabschiedet hat, um sich gänzlich dem Handel mit Gewürzen zu widmen. Ausschlaggebend dafür war ein Lokalaugenschein im winzigen Gewürzladen „Epicerie du Monde“ am Rande des Pariser Marais-Viertels, in dem der deutsche Spitzenkoch mit Gewürzen und Mischungen konfrontiert wurde, die er bisher nicht kannte. Die Thematik ließ Holland nicht mehr los. Im deutschen Ort Klingenberg am Main eröffnete er 2001 das „Alte Gewürzamt“, in dem er bis zu 300 Gewürze lagert, die er einerseits reinsortig in designte Metalldosen mit grüner Papiermanschette füllt, oder zu Gewürzmischungen fusioniert. Wie zum Beispiel „Purple Curry“ (eine Melange aus Hibis­kusblüten, Bockshornklee, Knoblauch, brauner Senfsaat, Gewürznelken und mehr) – „Indochine“-Küchenchef Wini Brugger bestellt es in rauen Mengen –, „Sea of Spices“ (mit Wakame-Algen, Paradeiserflocken, grünem und weißem Pfeffer) oder indisches „Vadouvan“, dessen duftendes Aroma von Ingredienzien wie Linsen, Curryblättern, Erdnussöl und Zwiebeln lebt.
Fünf Tage in der Woche werden in Klingenberg auf 250 Quadratmetern, die Entwicklungsküche, Produktions- und Abfüllräume sowie Lager vereinen, Zutaten aus kontrolliertem, zum Teil biologischem Anbau getrocknet, geröstet und im Anschluss vermengt oder reinsortig abgepackt. Spezialisiert hat sich Holland neben einer unerschöpflichen Vielfalt an Currymixturen auch auf die Thematik Pfeffer: Insgesamt 25 Sorten – darunter auch Pfeffer, der aus botanischer Sicht keiner ist, aber ähnliche Qualitäten aufweisen kann – importiert der Gewürzkrämer aus Indien, Kamerun, Indonesien, Madagaskar, Australien, Japan und China. Abgefüllt wird kultivierter und wilder Kubeben­pfeffer (kleine Körner mit Stiel, subtil bitterem Aroma und Eukalyptus-Tönen), hocharomatischer schwarzer Kerala­-Pfeffer, leicht zitroniger Lampong-Pfeffer – der mit einem Gehalt von sieben Prozent Piperin, das die Schärfe des Pfeffers bestimmt, nur für Hardliner verträglich ist –, nussig-milder Sarawak-Pfeffer, grasiger grüner Pfeffer und süßlich-beeriger roter Pfeffer mit lang anhaltender Schärfe, der in Puducherry in Westindien wächst und in der Pfefferbranche als Rarität gilt: Die Bauern pflücken die reifen Körner händisch Stück für Stück von der immergrünen Kletterpflanze, trocknen und selektieren sie, bevor sie die rostbraunen Früchte, die anfänglich subtil nach Sauerteig und später nach roten Beeren wie Hagebutten und Berberitzen schmecken, in luft- und blickdichten Behältern nach Europa verfrachten. Am interessantesten stuft Holland aber den meist unterschätzten weißen Pfeffer ein, von dem er die Sorten Muntok, Penja und Periyar – in Bioqualität – verkauft. „Man mag weißen Pfeffer nicht, weil er animalische Töne hat und nach Pferdestall riecht. Beim Zerstoßen tritt diese Note aber in den Hintergrund und es entfaltet sich die ganze Aromatik und Schärfe, die der weiße Pfeffer zu bieten hat. Wichtig ist natürlich, dass es sich um gute Qualität handelt.“
Die Produktion von weißem Pfeffer gestaltet sich aufwendig: Die Früchte werden im vollreifen Stadium von den Rispen gerebelt, traditionell in Jutesäcke gepackt und in fließendem Gewässer eingeweicht, bis die Pfefferkörner fermentieren und sich die Fruchtschale vom Kern löst, der dann sonnengetrocknet wird. Weißer Penja-Pfeffer aus Kamerun etwa wächst auf Vulkanerde, schmeckt subtil mineralisch, wird für seine runde Schärfe geschätzt und gilt als einer der besten weißen Pfeffersorten der Welt. Langwierige Verarbeitung und geringer Ertrag rechtfertigen den hohen Preis des großkörnigen Pfeffers, der aufgrund seiner cremeweißen Farbe auch den Namen „Creamy White Pepper“ trägt. Wer dennoch Profit schlagen will, verzichtet auf die unökonomische Produktionsmethode: „Es gibt auch Bauern, die schwarzen Pfeffer, der noch unreif gepflückt wird, schälen, in der Sonne bleichen und als weißen Pfeffer exportieren“, weiß Nathalie Pernstich, Buch- und Gewürzhändlerin in Wien (Babette’s), die mit rund 15 verschiedenen erlesenen Pfeffersorten handelt. Qualitätsprobleme könne man aber auch beim weißen Original nicht gänzlich ausschließen. „Das Risiko, dass weißer Pfeffer mit seinem hohen Feuchtigkeitsgehalt nicht gut trocknet, ist hoch. Ein paar modrige Körner können die ganze Charge versauen. Das passiert auf kleinen Plantagen, auf denen die Bauern verdorbene Körner gewissenhaft händisch ausselektieren, seltener als in der Industrie.“
Während Pernstich die meisten Pfeffersorten über ausgesuchte Gewürzhändler bezieht, importiert sie einen Pfeffer in unterschiedlichen Reifestadien und Herstellungsmethoden und somit in den Farben Weiß, Schwarz und Rot direkt von Plantagen in Kambodscha: In der Provinz Kampot wird der gleichnamige Pfeffer von einer Bauernvereinigung kultiviert, die sich aus 120 Familien zusammensetzt. Jede einzelne besitzt zwischen 50 und 300 Pflanzen und zähmt das Klettergewächs auf Holzpfählen auf eine mit Leitern erreichbare Höhe von vier Metern. Kennen gelernt hat Pernstich das Gewürz vor einigen Jahren. „Ein Kunde ist zu mir ins Geschäft gekommen und hat mich nach dem Pfeffer gefragt, von dem ich vorher nie etwas gehört habe. Am Abend habe ich dann recherchiert und von einem Webshop, über den ich eine Probe bestellen wollte, die Antwort bekommen, dass ich den Pfeffer selbst importieren müsse. Also habe ich 60 Kilo­gramm bestellt, ohne zu wissen, ob sich das überhaupt lohnt – die Transportkosten waren immens hoch.“ Heute bestellt Pernstich jährlich 600 Kilogramm von dem exklusiven Pfeffer, der für sie der beste ist. Lehmiger Boden und das milde, feuchte Küstenklima verleihen dem weißen Kampot-Pfeffer ein frisches, nussiges Aroma. Schwarzer Pfeffer erinnert im Geschmack hingegen an Thymian und Minze, roter ist leicht süßlich mit fruchtigen Pfirsicharomen.
Eine der begehrtesten Pfeffersorten wächst nur wild in den tropischen Urwäldern Madagaskars: Voatsiperifery, auch unter dem Namen Piper Borbonese bekannt, klettert bis zu 20 Meter gen Himmel, wo er im Gegensatz zu anderen Sorten nur an den obersten Trieben Früchte trägt und den Bauern abverlangt, sich für die Ernte in gefährliche Höhen zu begeben. Nur 1.500 Kilogramm werden jährlich von dieser Rarität geerntet, weltweit werden insgesamt rund 200.000 Tonnen Pfeffer eingefahren. Importiert wird Voatsiperifery vom schwedischen Kakao- und Pfefferplantagenbesitzer Bertil Åkesson, der sich gerne außergewöhnlichen Herausforderungen stellt und Pernstich mit der exklusiven Sorte beliefert, die nach Wald, Moos und Erde schmeckt.
„Novelli“-Küchenchef Konstantin Filippou arbeitet regelmäßig mit dem wild wachsenden Pfeffer, wie etwa für ein Dessert, das er schlicht „Birne & Panna cotta“ nennt und für das er in Vanillefond pochierte Birne gemeinsam mit Panna cotta auf Schokolade-Gâteau setzt und mit Pfeffer-Birneneis und Birnenreduktion serviert. Der Auseinandersetzung mit der Vielfalt, die Pfeffer zu bieten hat, hat sich der Avantgardekoch erstmals vor drei Jahren gestellt, und das gängige Repertoire an „ordinärem“ schwarzen und weißen Pfeffer durch Spezialitäten ersetzt. Insgesamt verstecken sich in seinen Küchenladen 100 unterschiedliche Gewürze, darunter verschiedene Currymischungen, Salz- und Pfeffersorten, von denen er Langen Pfeffer, grünen indischen Hochland-, Kampot- und Tellicherry-Pfeffer hortet. Filippou entzieht dem Korn sein Aroma, indem er es ent-weder mitkocht oder es wie einen Tee in Fonds und Saucen ziehen lässt. „So kann ich die Schärfe und den Geschmack steuern.“ Das Gewürz als Finish über Fisch oder Fleisch zu streuen, widerstrebt seiner Philosophie: „Pfeffer grob auf etwas zu schroten, ist mir zu brachial, der Pfeffergeschmack spielt sich zu sehr in den Vordergrund und verfälscht damit das Aroma des Grundprodukts – ich finde die leichte Schärfe viel angenehmer.“ Einzige Ausnahme: Langer Pfeffer, der sich durch seine Form – die Körner sind winzig und wachsen zu einem langen Gebilde zusammen – auch zum Würzen des fertigen Gerichts eignet, weshalb er auch direkt vor dem Gast mit einer Reibe über dunkles Fleisch wie Taube oder Wild gerieben wird.
Asia-Köchin Sohyi Kim verbindet Fleisch und Fisch hingegen gerne direkt mit geschrotetem oder grob gemahlenem Pfeffer, wälzt ein Thunfischsteak in einem Berg aus Pfeffer und brät es kurz scharf an, bevor sie es zu einer Chili-Erdbeersalsa serviert. Die Spitzenköchin setzt auf eine „falsche“ Pfeffersorte, die in der asiatischen Küche bevorzugt verwendet wird: Chinesischer Szechuanpfeffer (auch als Sichuanpfeffer bekannt) zählt neben Chili zu Kims Lieblingsgewürzen, weist keine Schärfe auf, dafür aber ein zitroniges Aroma mit prickelnd-betäubendem Effekt, für den nicht die Samen, sondern die Kapseln der Frucht verantwortlich sind. In China wird diese besondere Form von Schärfe „ma“ genannt, die sich mit Chili-Schärfe gut versteht. Für das traditionelle chinesische „Mapo Doufo“ – ein typisches Gericht der Sichuanküche, in der Tofu mit höllisch scharfer Sauce serviert wird – ist Szechuanpfeffer ein unerlässliches Gewürz. Sohyi Kim röstet es in der Pfanne an, um die ätherischen Öle freizusetzen und die zitronige und erdige Aromenstruktur aus dem Gewürz zu holen, das gut zu Lamm und Innereien passt. Japanischer Szechuanpeffer, auch Sansho genannt, hat ein subtileres Aroma als sein chinesischer Bruder und die koreanische Sorte Sancho ergänzt Gerichte mit ihrem feinen, grasigen Geschmack. „Mit Szechuanpfeffer bin ich aufgewachsen und arbeite des­wegen auch nicht mit anderen Pfeffersorten“, erklärt Kim ihre Affinität. Nur beim gängigen schwarzen Pfeffer aus Indien scheint sie eine Ausnahme zu machen. Sie vermählt ihn mit chinesischem Szechuanpfeffer, würzt damit Ananas und serviert ihn zu kross gebratenem Oktopus. Eingesetzt werden die unterschiedlichen Szechuanpfeffersorten nicht nur in ihrem Restaurant bei der Volksoper sondern auch im Shop am Naschmarkt, in dem neben Seetang-Meersalz, Hibiskus- und Thai-Currysalz auch das typische chinesische 5-Gewürze-Pulver (Fenchelsamen, Koriander, Nelken, Sternanis und Szechuanpfeffer) oder eine Melange aus Sansho und Kardamom erstanden werden kann.
Am Gewürzsektor mischen seit neuestem auch Karl und Rudi Obauer mit, wenn auch derzeit nur im kleinen Stil. Vor kurzem wurde AZKA – ein Chutney aus Äpfeln, Zwiebeln, Knoblauch und Ananas –, eine Kräutermischung und O’Power-Chili abgefüllt, für das die Brüder Dörrpflaumen, Sardellenfilets, Knoblauch und Waldhonig mit rotem Kampot-Pfeffer einkochen. Für die Pfefferrarität aus Kambodscha können sich die beiden auch in der Restaurantküche begeistern, Langer Pfeffer mit seinen erdigen Tönen, nussiger Tellicherry- und Szechuanpfeffer passen ihnen ebenfalls ins Konzept: Sie legen etwa Lachs in eine Mischung aus Meersalz und Zitronenpfeffer ein und lassen ihn sechs Stunden ziehen, bevor der Fisch von der Kruste befreit, dünn aufgeschnitten mit Löwenzahnsauce kombiniert wird. Selbst der neue „Coburg“-Küchenchef Silvio Nickol setzt Szechuanpfeffer neben fünf weiteren Sorten in seiner Küche ein. Beliefert wird der Koch ausschließlich mit dem ganzen Korn und als solches landet es auch meist in seinem Topf, wie etwa frischer grüner indischer Pfeffer (in Lake eingelegt), der in dunklem Geflügelfond mitzieht, bevor ihn Nickol abseiht und die mit Pfeffer veredelte Sauce zu gebrate-ner Gänseleber serviert. Oder er konfiert die grünen Körner und richtet sie mit Sauce rouennaise und souffliertem Maibock an. Eine der wenigen Sorten übrigens, die man bedenkenlos im Ganzen essen kann – sofern man sie nicht im rohen Zustand serviert. „Der Pfeffer hat eine extrem prägnante Schärfe – ohne ihn zu verarbeiten, wäre er wie ein Schlag ins Gesicht.

Adressen mit Pfeffer

Kim kocht
Lustkandlgasse 6, 1090 Wien
Tel.: 01/319 02 42
Obauers
Markt 46, 5450 Werfen
Tel.: 06468/52 12-0
Silvio Nickol
Coburgbastei 4, 1010 Wien
Tel.: 01/518 18-0
Novelli
Bräunerstraße 11, 1010 Wien
Tel.: 01/513 42 00
Babette’s Gewürzhandlung
Am Hof 13, 1010 Wien
Tel.: 01/533 66 85
Onlineshop unter www.babettes.at

Ingo Holland
Altes Gewürzamt
www.ingo-holland.de