Der eigene Herd

Feuer sehen, Salz suchen, Kaffeekapseln einwerfen: Wie sieht es bei Köchen und Gastronomen in der privaten Küche aus? Vier Protokolle aus Wiener Wohnungen, zu Wochenendverweigerung, leeren Kühlschränken und Brunchgelagen.

Text von Anna Burghardt · Fotos von Michael Reidinger

Simon Xie Hong
„Ich muss mit Gas kochen. Das ist emotionales Kochen. Ich will Feuer sehen!“ Simon Xie Hong war klar, dass er in seiner Küche zu Hause die maximale Gas-Kilowattstunden-Leistung für Privatküchen ausreizen würde. „Der Dunstabzug führt direkt aufs Dach, das ist also kein Pr­o­blem.“ Zwei große Gasbrenner sind das Zentrum seiner offenen Küche, die wiederum das Zentrum seiner zweigeschoßigen Terrassenwohnung im fünften Bezirk ist. Gehdistanz zu seinen Lokalen ON und Chinabar an der Wien: fünf Minuten. Sein Lieblingslokal ist allerdings die kleine Chinabar in der Burggasse, die er einst von Una Abraham übernommen hat. Der gebürtige Chinese, eigentlich Arzt, kam vor drei Jahrzehnten nach Österreich, zunächst nach Mistelbach, wo schon seine Schwester lebte. Seit acht Jahren wohnt er in seiner jetzigen Eigentumswohnung, die er umgebaut hat, in der er alles Unnötige wegreißen lassen hat. Die Küche stammt von Team 7. Das leuchtende Hellgrün der Kastentüren sollte dem grauen Wiener Spätherbst und Winter entgegenwirken, mit denen sich Simon Xie Hong noch immer nicht anfreunden konnte. „Jetzt denke ich mir, das Grün könnte ein bisschen sanfter sein. Nach acht Jahren sieht man manches ein bisschen anders.“ Sein großer Esstisch steht nicht direkt neben der Küche, das wäre sich wegen der Terrasse nicht gut ausgegangen, sondern ein paar Meter entfernt. Seine Freunde hält es nicht immer dort. „Es ist schon öfter passiert, dass niemand am gedeckten Tisch sitzt, sondern alle die ganze Nacht nur bei der Küche herumstehen.“

Simon Xie Hong kocht zu Hause fast täglich, „am Nachmittag, am frühen oder auch am späten Abend“. Und hat dafür den Dampfgarer für sich entdeckt. „Da ist Fisch mit Gemüse in zehn Minuten fertig, und man kann sogar dazwischen noch duschen gehen.“ Mit 2016 ist es in seiner Wiener Küche etwas ruhiger geworden, seit damals hat er ein Wochenendhaus in Ungarn. „Dort kann man nirgends essen gehen, dort koche ich immer zwei Mal am Tag.“ Er genieße das sehr, dort habe man keinerlei Ablenkung. Enten, Gänse, Hühner, Wachteln, Tauben – seine Vogelschar in Ungarn ist beachtlich. „Ich bin sehr stolz, dass ich selbst welche geschlachtet habe. Das Fleisch habe ich danach im ON auf die Karte gesetzt. Die Gäste wussten genau, woher es kommt. Die Fleischqualität is a Wahnsinn“, sagt er in waschechtem Wienerisch, „a Wahnsinn!“ Sein privater Herd dient dem Gastronomen auch als Versuchsküche: „Vieles probiere ich hier mit dem Hintergedanken, dass es einmal auf die Speisekarte kommt.“ Dann werden die stählernen Gastronormbehälter nötig, die sich auf dem Kühlschrank stapeln. „Wenn ich Fleisch schmore, bringt es ja nichts, davon nur eine Portion zu machen. Also koche ich gleich fünf, sechs Kilo. Und dann kommt jemand und bringt es ins ON hinüber, für meine Gäste.“ Eine gewisse Symbiose aus der privaten Küche und jener im nahen ON gilt auch im Gewürzregal: „Ich packe mir für zu Hause kleine Mengen von den Gewürzen im Lokal ab.“ In den Kästen seiner Küche findet sich so einiges Geschirr vom Flohmarkt und natürlich diverse Stücke, die von Reisen stammen. „Ich bringe eigentlich immer etwas Kleines mit.“ Wichtig sind für ihn neben den mächtigen zentralen Gasbrennern der Wok, das große hölzerne Schneidbrett und ein paar Messer. „Ich habe zu Messern aber keine Fetischbeziehung.“ „Was ich so witzig finde“, sagt Simon Xie Hong, als er sein Keramikbeil mit breiter weißer Klinge betrachtet, „die Chinesen ignorieren ja die Anatomie eines Huhns beim Zerteilen komplett. Das hat dann auch einen gewissen Reiz.“ Das Keramikbeil hat er aus China mitgebracht, wo er ein Mal jährlich seinen betagten Vater besucht – um übrigens mit ihm den ganzen Tag nur essen zu gehen.

Simon Xie Hong ist kein gelernter Koch, hat aber immer schon gern gekocht. Ob er Kochbücher habe? „Ja, sehr viele, die sind aber im Obergeschoß. Ich koche nicht nach Rezepten, schaue aber ganz gern hinein, es bleibt immer etwas hängen.“ Das wichtigste Gewürz für ihn? „Salz. Und frischer Chili.“ Zu seinen kleinen Tricks beim Kochen gehört ein Schuss Alkohol. „Fast immer, aber nur einen Schuss.“ Entweder Kochreiswein, den er, in eine Mineralwasserflasche umgefüllt, aus dem ON mitnimmt, oder Weißwein, den Gäste in seiner Wohnung übrig gelassen haben. „Man kann auch mit Sekt kochen und natürlich mit Rotweinresten schmoren. Wenn bei mir Wein übrig bleibt, wird der immer verwendet. Da wird nichts weggeleert.“

Fabian Günzel
„Bitte, bitte, keine Scheu“, sagt Fabian Günzel auf die Frage, ob man einen Blick in den Kühlschrank werfen könne. Gut gefüllt ist anders. Ein paar proteinreiche Milchprodukte wie das isländische Skyr – „daraus haben wir im Lokal schon ein Eis gemacht“ –, Aufstriche und eine Dose Kaviar. „Die habe ich fürs Lokal zu viel bestellt.“ Auch im Vorratsschrank ist einiges an Freiraum. „In dieser Küche passiert echt nicht viel. Couscous, Linsennudeln vielleicht.“ Fabian Günzel, der nach Wiener Stationen wie dem Palais Coburg und dem Das Loft im Vorjahr mit dem Aend sein eigenes Lokal eröffnet hat, wohnt gemeinsam mit seiner Partnerin in einem Reihenhaus mit kleinem Garten im 22. Bezirk, das die beiden von ihren Eltern übernommen haben. „Ich weiß, das hört sich nicht so sexy an, typisch deutsch, ,mein kleiner Garten‘.“ Günzels Freundin ist Fitnesstrainerin, achtet sehr auf die Zusammensetzung ihrer Nahrung, „maßgeschneiderte Ernährung“ nennt er es. In der gemeinsamen Küche koche eher sie, berichtet er. „Wenn ich koche, heißt es gleich, oh Gott, du nimmst viel zu viel Butter!“, erzählt Günzel und muss lachen. „Klar, wenn ich Fleisch brate, braisiere ich es natürlich, wie es sich gehört, das sind dann schon fünf, sechs Esslöffel Butter, da dreht sie durch, als Fitnesstrainerin.“ Wenn er am Wochenende kocht (das Aend hat Montag bis Freitag geöffnet, mittags und abends), dann meist nur Kaffee. „Ich hab die ganze Woche mit Lebensmitteln zu tun. Ich will da am Wochenende auch meine Ruhe haben. Und vielleicht lehne ich mich jetzt weit aus dem Fenster, aber ein Koch, der am Wochenende noch intensiv kocht, hat unter der Woche nicht viel gearbeitet.“ Wenn Freunde kommen, sei das etwas anderes, „aber für dich selbst, da hast du doch keinen Bock mehr, groß aufzukochen, oder?“ Wenn Gäste zu Besuch sind, gibt es etwas Einfaches, „Spargel mit Zitronenöl und Kaviar, so etwas. Ich mag da nicht groß herumeiern. Draußen haben wir einen Holzkohlengrill, ich besorge mir vom Höllerschmid ein Stück Fleisch oder vom Ringl Käsekrainer.“ Er ist sich sicher: „Ich bin nicht der einzige Spitzenkoch, der sich am Wochenende verweigert.“

Fabian Günzel scheint ein sehr konsequenter Mensch zu sein, und er achtet streng auf eine gute Work-Life-Balance. Unter der Woche beginnt sein Tag um fünf vor sechs. Bevor er gegen halb neun im Lokal eintrifft – „Geschäft“ sagt er meist –, geht er eine Stunde trainieren. Täglich. Und er schafft es offenbar wirklich, am Wochenende das Gastronomendasein einfach abzustreifen. „Ich versuche auch, meinen Köchen nicht nur Kochen beizubringen, sondern auch wirtschaftlich zu denken und mit ihrer Energie hauszuhalten. Die sollen nicht am Samstag reinkommen und mise en place machen.“ Während er für das Aend von Beginn an das gesamte Geschirr von der Keramikerin Petra Lindenbauer fertigen lässt, scheint ihm das Thema für die eigenen vier Wände absolut unwichtig zu sein: Im Häuschen am Stadtrand wartet eine zusammengewürfelte Werbetassenvielfalt im Schrank. Kein einziges Stück maßgeschneidertes Geschirr zu Hause? Günzel blickt völlig entspannt: „Nein. Wenn ich zu Hause bin, habe ich frei. Da interessiert mich das nicht.“

Was wird denn eigentlich am Wochenende im Hause Günzel gegessen? „Wir gehen fast jeden Samstag ins Mochi. Sonntag Joseph Brot, so etwas.“ Auch wenn Fabian Günzel zu Hause fast nie kocht, war es ihm immerhin wichtig, nicht irgendeine Küche zu haben. Seine wurde von jener Innenarchitektin geplant, die auch das Aend verantwortet. „Man will doch, dass es schön aussieht.“ Vor der Küche hat er zahlreiche Kochbildbände großer Namen in ein Regal geschlichtet, am Treppenabsatz thront der mächtige Schuber mit allen Modernist Cuisine-Bänden. Derzeit sein liebstes Kochbuch: Dan Barbers I love NY. Dass seine Lebensgefährtin in einer völlig anderen Branche arbeitet, passt ihm wunderbar. „Meine Freundin hasst es ja, wenn ich mit Köchen zusammensitze und nur übers Kochen rede. Ich finde es toll, dass ich wen hab, mit dem ich nicht sieben Tage die Woche denselben Blödsinn labere. Sonst wird man ja sozial inkompetent, kann sich gar nicht mehr über etwas anderes unterhalten.“

Nana Ansari
„Unsere Küche und unser Esstisch sind auch ein bisschen Büro.“ Nana Ansari wohnt mit ihrem Mann Nasser direkt über ihrem Lokal Café Ansari in der Praterstraße. „Wir sind eigentlich die ganze Zeit abrufbar“, sagt die gebürtige Georgierin. „Wir sind sehr oft im Lokal, vor allem zu den Stoßzeiten, machen dann auch den Abwasch.“ Mitarbeiter, die ein Anliegen hätten, kämen schon einmal hinauf in die eklektizistisch möblierte Altbauwohnung, „und an unserem Esstisch haben wir auch die Besprechungsrunden mit unserem Chefkoch.“ Die Wohnung war übrigens vor dem Lokal da. Die große Küche konnte man selbst einrichten. „Wir haben gesagt, bitte tut uns nicht die normale Küche hinein, wir investieren mehr, aber wollen unsere eigene“, berichtet Nasser Ansari. Dass es eine Wohnküche werden würde, war klar. „Egal, wie schön deine Wohnung ist, am Ende wollen alle immer in die Küche.“ Eine Nirosta-Arbeitsfläche, dasselbe Grün an der Wand wie später im Lokal, offene Regale. „Ich wollte unbedingt offene Regale, wir benutzen ja das ganze Geschirr“, sagt Nana Ansari und deutet auf das dichte Sammelsurium an Kristallgläsern, Kuchenständern, orientalischen Teekannen, silbernen Dosen. Geschirr aus verschiedenen Epochen und verschiedenen Kulturen, das sie unter anderem in Russland gekauft und von ihrer Tante aus Georgien mitgebracht hat, wo die ganze Familie zusammengelebt hat. Und vom Flohmarkt, „vieles von Flohmärkten, international“. „Bisschen wenig Platz“, konstatiert sie lachend. Bei ihr verstaube nichts, „wir verwenden das alles.“ Ihr großer privater Geschirrfundus kommt auch bei Caterings zum Einsatz.

Nana Ansari, die einst an der Akademie der bildenden Künste studiert hat (eines ihrer Tusche-Bilder hängt in der Küche), ist jene Frau, die man in Wien mit georgischer Küche verbindet. Ihr erstes Lokal hatte sie am Karmelitermarkt: Das außen rot gestrichene und innen stets von einem üppigen Blumenstrauß bestimmte Madiani brachte den Wienern schon vor Jahren die Spezialitäten des Landes am Kaukasus näher: die warmen Käseteigfladen Chatchapuri, Melanzaniröllchen mit Walnüssen und Granatapfel, Eintöpfe aus Huhn und Ringlotten … Ihr Kochbuch Die georgische Tafel versammelt Rezepte dafür, erzählt aber auch von der georgischen Gastfreundschaft. „In Georgien sind die Türen immer offen, jeder kann kommen, wann er will“, so Nana Ansari. „Man ruft nicht an, sondern kommt vorbei. Man kocht dort immer ein bisschen mehr, muss sich darauf einstellen, dass immer wer vorbeikommt.“ In ihrer jetzigen Wiener Wohnung wird immer viel gekocht, wenngleich nicht mehr so viel wie früher, als das Paar noch eine Galerie in der Thurngasse im neunten Bezirk hatte. „Dort hatten wir oft viele Gäste, hatten eine sehr ­große Küche.“ Den hölzernen, einem Klostertisch nachempfundenen Esstisch, der jetzt die Privatküche des Paars mitbestimmt (samt obligatorischem Riesenblumenstrauß), gab es dort schon, „den sind wir nicht losgeworden“. Nana Ansari ist damit aber nicht mehr glücklich: „Er ist zu schmal, es passt nicht alles drauf.“ Nicht alles, was eine georgische Tafel ausmacht. Sonntags lädt man oft zum Brunch mit der Patchwor­k­familie. „Das machen wir gemeinsam. Nasser bäckt libanesisches Brot, Manakish mit Za’atar, ich mache Gemüse, Omelett, gebeizten Lachs, Fruchtsalat. Alles schön angerichtet, das ist wichtig.“ Im Alltag mag Nana Ansari schnelle Gerichte, zu Ostern und zu Weihnachten wird tagelang aufwendig gekocht, „da gibt es ja traditionelle Dinge, die müssen an diesen Tagen sein“. Wenn bei den Ansaris abseits des Brunchs für Gäste aufgekocht wird, gibt es immer mehrere Speisen. „Huhn und Obst, diese Kombination liebe ich, mit Kornelkirschen- oder Brombeersauce.“ Eintöpfe wie Tschakapuli – Lamm, grüne Ringlotten, Estragon – oder auch Chkmeruli, Huhn in Knoblauchsauce.

Mit ordentlich Knoblauch. „Sie haben leider Angst vor Knoblauch, die Köche“, sagt sie und verdreht die Augen. Was sind in ihren Augen Küchensünden? „Wenn eine Küche tot ausschaut.“ Und bei Tisch: Wenn zu wenig zu essen da ist. „Man muss sicher sein, dass immer noch etwas da ist, wenn man sich nimmt. Ich koche immer mehr. Zur Not isst man es am nächsten Tag.“

Lukas Mraz
„So, und wo habe ich jetzt meine Tasse hingestellt?“ Besagtes Objekt mit braunen Glasurwimmerln und einem Riesenohrwaschel als Henkel, gefertigt von Matthias Kaiser, findet sich schließlich im alten Apothekerschrank neben der Küchenzeile. Und somit zwischen jenen Ausstellungsstücken, zu denen Lukas Mraz jeweils ganze Geschichten erzählen kann. In diesem Kasten versammelt er Stücke, die er nicht verwendet. Wie er überhaupt die Küche in seiner Wohnung im zweiten Bezirk kaum jemals verwendet. Ein Mal, doch, da hat er sich Hühnersuppe gewärmt, als es ihn Anfang des Jahres ordentlich erwischt hat. Lassen wir uns also zuerst zeigen, was Lukas Mraz da in aller Welt an Geschirr zusammengetragen hat. In aller Welt, da befindet sich natürlich auch das Restaurant der Familie Mraz, das Mraz & Sohn, aus dem er das eine oder andere abgeschlagene Stück von Keramiker ­Matthias Kaiser mit nach Hause nimmt und in den Kasten stellt. Ansonsten aber geht es per Einzelstücke in die Welt hinaus: „Einer meiner Lieblingsteller aus Japan. Den da hab ich vom Philip Rachinger geschenkt bekommen, der ist von der Mühltalhof-Keramikerin. Da, japanische Messer, die ich nie benutze. Ich weiß nicht, wie man mit denen umgeht. Das wäre Nonsens.“ Mit Messern hat Lukas Mraz, um vom Apothekerschrank kurz zu einer leidlich befüllten Küchenlade hinüberzuschwenken, so seine Erlebnisse. „Das ist ein Messer vom Jonnie Boer, ein Abschiedsgeschenk aus Holland.“ Boer, ein prägender Lehrmeister. „Das Messer da ist auch ganz speziell: Mir sind ja alle Messer, die ich jemals hatte, in der Cordobar weggeschmissen worden, als ich einkaufen war. Dann habe ich mir nur billige Messer gekauft, weil keine Kohle, dann hab ich dieses Messer von der Cordobar bekommen, das urstumpf ist und überhaupt nicht funktioniert, aber Hauptsache von irgendeiner amerikanischen Armymesserlegende. Das war dann unser bestes Stück.“ Schwenk zurück zum Apothekerschrank, Lukas Mraz deutet von Stück zu Stück. „Ein Tonreistopf aus Japan, noch nie benutzt. Joghurtbecher aus Indien, hat mir mein Bruder mitgebracht. Blutwurststempel von der Blutwurstpizzaschachtel in der Cordobar. Keine Hoffnung machen, gell, kommt nicht wieder.“ Und so geht es weiter, von Kyoto nach Kopenhagen nach Mexiko. Auf dem Schrank sitzt Hermann Nitsch als Foto, „das hat mir die Mutti geschenkt, der Nitsch ist Stammgast bei ihr im Woracziczky.“ Im Bücherregal, wo auch Air-Sickness-Bags und eine Mini-Barbiepuppe hocken: unter ­anderem das erste Noma-Kochbuch, das keiner kennt. „Kostet jetzt 3.000 Dollar. René Redzepi hat zu mir gesagt, it’s shit, throw it away.“

„Zur Küche gibt’s viel zu erzählen“, sagt Lukas Mraz, da kann sie noch so unbenutzt sein. Warum er zu Hause nie kocht: Jedes Mal, wenn er zu kochen beginnen würde, denke er sich: Es ist ja nichts da. „Ich hab ja nicht einmal Salz daheim, glaub ich. Oder?“ Er öffnet eine Kastentür, noch eine. „Ah doch, da ein kleines. That’s it. Als Koch gehst du davon aus, dass alles da ist. Im Restaurant werden zehn Liter Sonnenblumenöl bestellt, das ist einfach immer da, ist ganz normal. So wie sich die Unterhose anzuziehen vorm Rausgehen. An Öl oder Zwiebeln oder Salz würde ich aber nie denken, wenn ich für zu Hause einkaufen würde. Und wenn ich am Wochenende daheim kochen würde – ich müsste ganz genau für eine Person kochen, weil ich unter der Woche nie zu Hause esse, immer in der Arbeit.“ In einem Regalfach reiht sich eine Steirereck-Marmelade („geschenkt bekommen“) an getrocknete Eierschwammerln („von der Freundin von meinem Vater“), getrocknete Jakobsmuscheln („aus New York“) und Mini-Tabasco-Flaschen aus dem Flugzeug. Die Packung Sushireis ist längst in Pension, „ha, das hab ich noch aus Berlin, und das da ist extrem dunkles Miso, hm, das war eigentlich mal hell.“ Was Lukas Mraz in seiner privaten Küche sehr wohl kocht: ­Kaffee, Filterkaffee. Die Bohnen mahlt er selbst.

Er öffnet den Kühlschrank. Es folgt ein „Tja“. Darin liegen mehrere Sodaflaschen, sonst fast nichts. „Aber es gibt zu jedem was zu erzählen, natürlich. Fast alles da drin hab ich geschenkt bekommen.“ Ein Baumstamm-Miniduo von Austrian. „Das Lattella hab ich von meiner Mama bekommen, das ist das neueste, von letzter Woche.“ Im Tiefkühlfach: Eiswürfel, die Lukas Mraz aus dem Lokal mitgenommen hat, um den beim Badminton verstauchten Fuß zu kühlen. Er führt eine, pardon, die eine Pfanne vor, auf der ein fremder Name eingraviert ist: Lucas Mraz. Ein Präsent von den Chefdays. In der Bestecklade: ein Silberlöffel, den Freunde von ihm im The French Laundry in Kalifornien gestohlen haben, ein Korkenzieher, zwei Plastikkochlöffel mit Brandspuren. „Mit denen hab ich quasi kochen gelernt.“ Zur Küchenzeile gehört natürlich auch ein Geschirrspüler, in Mraz’ Fall freilich einer, „von dem er nicht weiß, wie er fun­ktioniert, zwei Mal hab ich’s schon probiert“. Und ein Mistkübel. Ob er Köche kenne, die privat gerne ­kochen? „Der Papa“, kommt es wie aus der Pistole ­geschossen, Markus Mraz. „Wir haben ja alle im selben Haus gewohnt, in dem das Restaurant ist. Aber wir haben immer im Restaurant gegessen. Wir sind immer hinuntergefahren.“ Warum? „Weil du nirgends so schnell bist wie in der eigenen Küche.“ Ein Satz von hoher Aussagekraft: Die eigene Küche – damit ist eben nicht immer die private gemeint.