Der harte König
Parmesan wird gerne als der König der Käse bezeichnet. Weil nur wenige sein Alter erreichen, weil nur wenige seine Größe erreichen, weil nur wenige so bekannt sind wie er und weil kaum einer einen vergleichbaren Geschmack erbringt.
Der harte König
Text von Florian Holzer Luzia Ellert
Fabio Picci, Koch-Philosoph und Besitzer des kulinarischen Gesamtkunstwerkes namens "Il Cibreo" in Florenz, setzt an zu erzählen: Da sei einmal eine Mutter mit ihrem Kind bei ihm im Restaurant gewesen, eine Amerikanerin. Und dieses Kind hätte immer nur gebrüllt, in einer Tour und ohne Chance auf Beruhigung, das ging allen schon ziemlich auf die Nerven. Weshalb also der weise Fabio die junge Frau zur Seite nahm und sie bat, ihm doch zu zeigen, was sie dem Kind da zu verfüttern versuche – ein indifferenter Brei, ungewürzt, unerfreulich, Fabio Picci konnte das Leid des kleinen Kindes hundertprozentig nachvollziehen. Weshalb er also die Säuglingsnahrung mit in die Küche nahm, ein bisschen Parmesan drüberrieb, etwas Olivenöl hineingoss, umrührte und der Mutter sagte, dass sie es doch jetzt noch einmal versuchen solle. Sie schob dem verzweifelten Kind einen Löffel in den Mund und siehe da: Es strahlte und ließ kein bisschen von dem verzauberten Brei übrig – ein Wunder!
Klingt wie ein Märchen, was Picci da in einem Interview mit den Kollegen vom NZZ-Format berichtet, wird jedoch belegbar, wenn man sich die aktuellen Ergebnisse aus dem Bereich der fernöstlichen "Umami"-Forschung ansieht, der Ergründung des fünften Geschmackssinnes, der für Reichhaltigkeit und geschmackliche Intensität steht: Parmesan enthält 1.200 mg Glutaminsäure pro 100 Gramm, und diese Aminosäure ist es unter anderem, die für das geschmackliche Erlebnis sorgt. Neben getrockneten Pilzen, Algen und Sojasauce (1.000 mg Glutaminsäure pro 100 g) ist Parmesan damit ein absoluter Spitzenreiter in Sachen natürlicher Geschmacksverstärker, dann noch kombiniert mit ebenfalls stark "Umami" hervorrufenden Substanzen, wie Balsamico oder getrockneten Tomaten, und die geschmackliche Post geht ab, sozusagen.
Was aber sicher nicht der einzige Grund dafür ist, dass der Parmesan als der "König der Käse" gilt und neben seinen Kollegen aus dem Emmental und der Gegend rund um das normannische Dörfchen Camembert weltweit einen unerreichten Bekanntheitsgrad besitzt. Seinen Siegeszug verdankt er neben seiner praktischen Handhabung, seiner hübschen Form und seinem unaufdringlichen Duft nicht zuletzt der Tatsache, dass er eine obligatorische Zutat für Spaghetti mit Tomatensauce beziehungsweise "Bolognese" ist, also genau genommen eigentlich unverzichtbar für so ziemlich jede Pasta ist, und das kann man schon als enormen Startvorteil bezeichnen. Und dass ihm die Art der Darreichung in diversen Pizzerien und italienischen Restaurants von ebenerdiger Qualität – jeder kennt diese etwas schmierigen Glas-Döschen mit den verchromten Metalldeckeln, darin befindlich dieses hellgelbe Seifenpulver mit dem bestenfalls als eigenartig zu bezeichnenden Geruch – keinen Image-Schaden anrichten konnte, muss als umso bemerkenswerter anerkannt werden.
Ursprung des Parmesan und seiner nahen Verwandten ist die Po-Ebene, vulgo "Padana", und dort die Stadt Parma, von der der Hartkäse auch seinen Namen hat. Frühe historische Belege für den Parmesan lieferte etwa der Dichter und Philosoph Giovanni Boccaccio, der schon im 14. Jahrhundert in seinem "Decamerone" von geriebenem Parmigiano zum Anrichten von Nudeln spricht. Die Abgrenzung von den ihm sehr ähnlichen Käsen Grana oder Piacentino erfolgte dann im Lauf der Jahrhunderte, zwischen dem 19. und dem 20. Jahrhundert war er in Italien dann eher unter der Bezeichnung "Reggiano" bekannt, abgeleitet von seiner zweiten, wichtigen Herkunftsregion Reggio nell’Emilia, 1951 schließlich wurde seine Bezeichnung "Parmigiano Reggiano" amtlich und erfreut sich dank seriöser Kontrollen des Konsorziums immer noch besten Rufes. Und deren Regeln sind streng: Parmigiano Reggiano darf sich nur nennen, was aus Milch der Provinzen Emilia Romagna und Lombardei gemacht wurde; die Kühe dürfen nur mit frischem Gras oder Heu gefüttert werden, Silage-Futter ist für echten Parmesan tabu; Parmigiano Reggiano ist ein Käse aus entrahmter Milch – das ist selten und hat historische Gründe: Erstens konnte man die Milch auf diese Weise doppelt verwerten und eben auch Butter daraus gewinnen, und zweitens machte diese "Entfettung" den Käse sehr viel lager- und vor allem transportfähiger. Er wurde härter, stabiler und unempfindlicher gegen Infektionen. Im Falle von Parmigiano Reggiano darf dieses Entrahmen jedoch nur "natürlich" geschehen, das heißt, abgeschöpft wird nur das (und händisch), was von alleine an die Oberfläche kommt. Außerdem sind Konservierungsmittel im Parmesan verboten und die Mindestreifezeit beträgt ein Jahr, vier Jahre darf er. Die Einhaltung dieses Regelkataloges wird mit Stempel ("Parmigiano Reggiano Consorzio Tutela") und Prägung auf der Rinde (Parmigiano Reggiano) beglaubigt, Parmesan sollte daher immer so geschnitten beziehungsweise gespalten werden, dass ein Streifen Rinde quasi als Identitätsausweis dabei ist.
Der verwandte Grana ist zwar nicht weniger alt als der Reggiano – Pantaleone di Confienza notierte schon im 15. Jahrhundert die enorme Verbreitung dieses Käses in Norditalien, seine Ursprünge werden in Piacenza ("Piacentino"), in Lodi ("Granone Lodigiano") und Brescia ("Grana Breciano" oder "Bagòs") vermutet, verlor durch das Zusammenfassen vieler einzelner Herkünfte und Identitäten aber natürlich an Image und Profil. Grana Padano kann aus entrahmter Kuhmilch fast aller oberitalienischer Regionen stammen, Piemont, Lombardei, Emilia Romagna, Trentino und Venezien, seine Reifeperiode wird mit neun Monaten bis zwei Jahre festgelegt. Die qualitativen Bedingungen für die Milch und die Verarbeitung sind weit weniger streng als beim Parmesan, wie dieser besitzt der Grana Padano aber auch seit 1955 sein DOC-Siegel, seit 1996 außerdem DOP.
Die Menge des jährlich erzeugten Grana ist enorm, sie besitzt industrielle Ausmaße, ein nicht geringer Anteil des verkauften Grana kommt schon gerieben auf den Markt. Parmesan wird ausschließlich handwerklich erzeugt, Ursprung sind meistens winzige "Caselli", Alm-Käsereien, die ihre Roh-Käse zur Lagerung und Reifung ins Tal liefern. "Beim Parmigiano Reggiano kannst du dich auf das Konsorzium verlassen, beim Grana nur auf den Produzenten", meint Robert Opocensky von der Edelgreißlerei in Wien Wieden. Wobei es da natürlich ebenfalls und gerade in den letzten Jahren ganz außergewöhnliche Qualitäten gibt, die an Parmigiano Reggiano locker heranreichen. Ein wichtiges Thema wurde etwa wieder die Betonung des regionalen Unterschiedes, wie der bei L’ora giusta angebotene Grana Lodigiana beweist: Nicht nur, dass die Reifedauer maximal genützt und nur Milch von regionalen Anbietern verwendet wird, man besinnt sich auch beim Design historischer Identitäten – und bemalt den Grana-Laib wie einst den "Granone Lodigiano" mit schwarzer Farbe. Ebenfalls steigender Beliebtheit erfreuen sich Sonder-Qualitäten wie der "Trentingrana", ein Berg-Grana aus entrahmter Rohmilch von den Bergen des Trentino, er ist für sein intensives Aroma und seinen starken Ausdruck sehr berühmt. Auch mit Grana aus alternativer Milch wird in Zukunft verstärkt zu rechnen sein, an einer Version aus Büffelmilch wird dem Vernehmen nach schon gearbeitet, sein Erscheinen auf dem österreichischen Markt dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen (bei L’ora giusta und La Pasteria), oder aber man geht es ganz pur an und verwendet überhaupt nur die Milch der ursprünglichen Rinderrassen, wie es etwa die Käserei Razza Reggiana macht: Nur die lokalen "Vacche rosse" werden für ihren speziellen Parmigiano Reggiano delle Vacche Rosse verwendet. Auch Unterscheidungen hinsichtlich der Geburtsstunde eines Parmesans – Herbst und Frühling gelten als die besten Zeitpunkte – und des genauen Geburtsortes – das Tal der Enza (Parmigiano Reggiano) und das Val di Non (Trentingrana) gelten sozusagen als "Grand Cru" – werden in Zukunft noch für intensive Qualitätsdebatten gut sein.
Woran aber erkennt man einen erstklassigen Parmesan oder Grana? Am Preis nicht unbedingt, das hat der Vergleichstest bewiesen. "Mild muss er sein, mild und milchig, darf nie in eine Schärfe gehen", erklärt Retus Wetter, Sohn eines Appenzeller Käsemachers und Mitglied des Quintetts, das seit drei Jahren mit der Osteria "Expedit" laufende Erfolge feiert. Eingeschweißte Ware kommt für den Parmigianista natürlich ebensowenig in Frage wie Parmesan mit verletzter Rinde, "Einschweißen ist der Tod für den Parmesan". An der Rinde, so Wetter, könne der Fachmann die Lagerung ablesen, aber eben nur der Fachmann, Roman Kotesovsky vom Alimentari-Spezialisten L’ora giusta meint, die Qualität beim Parmesan ließe sich schwer beschreiben, "aber ein Biss, und du weißt, was los ist". Die kristalline Struktur und der unvergleichliche, schieferartige Bruch eines gut gereiften Parmesans seien zwar unerlässlich, so Wetter, aber ebenso unerklärlich und vor allem unvorhersehbar, "das sind Bakterien, die kann keiner genau erklären, die Leute dort haben halt einfach das Gefühl dafür".
Und Gefühl bedarf es auch, so Robert Opocensky, den König der Käse zu öffnen: höchstens vier Zentimeter mit dem Parmesan-Messer einritzen, dann den spitzen Spatel leicht kippen und den Käselaib so wie ein Holzscheit aufspalten, "niemals schneiden!" Der so zutage tretende Duft sei unvergleichbar, meint der Parmesan-Spezialist, "wie frische, aber getrocknete Milch, ein unvergleichliches Erlebnis". Und der speziellste Teil sei das Herz, der innerste Teil des Laibes, der Kern, "von dem sich die Moleküle ausrichten, wie bei einem Diamanten".