Die Mühe mit der Mühle

Die Kaffeemühle ist die eigentliche Espressomaschine. Wie sie ihre Arbeit verrichtet, ist entscheidend für Geschmack und Konsistenz des Aromenkonzentrats, weshalb man sie sehr, sehr wichtig nehmen sollte. Zu wichtig dann aber auch nicht.

Text von Florian Holzer · Fotos von Michael Reidinger

Gestern war so ein typischer Kaffeemühlentag“, sagt Gerhard Jericha, Besitzer des „Taste it“, eines der am besten sortierten Fachgeschäfte für Heimespresso-Maschinen in Österreich. Das Wetter hatte umgeschlagen, Luftdruck und -feuchtigkeit hatten sich verändert, und wer mit dem Ergebnis seines selbst gebastelten Espresso in den Tagen davor noch durchaus zufrieden war, war es unter Umständen plötzlich nicht mehr. „Die Leute rufen an, sind verzweifelt, und sagen, dass ihre Espressomaschine plötzlich nicht mehr funktioniert, dass der Kaffee so schnell durchrinnt.“ Natürlich funktioniert die Espressomaschine noch. Und die Mühle wahrscheinlich auch. Nur ist das eben einer dieser typischen Momente der Demut, in denen man erkennen muss, dass La Scuola dell’Espresso keine exakte Wissenschaft ist, sondern sehr viel mit Gefühl, mit Antizipation, Erfahrung, mit Feinjustierung und Geduld zu tun hat. Und mit Glück auch ein bisschen.

Beim Mahlen von Kaffee geht es nämlich nicht nur darum, die Bohnen in eine adäquate Form zu verkleinern, um den Siebträger damit befüllen zu können. Die Mahlung ist ein unendlich wesentlicher Punkt in der Espresso-Alchemie: Je nach Mahlgröße legt man einerseits fest, wie sehr die Zellen aufgebrochen und die ätherischen Öle freigelegt werden, andererseits wird durch die Feinheit und Form des Mahlkorns der Widerstand definiert, auf den das heiße und mit knapp zehn Bar durch das Pulver drängende Wasser trifft – und somit Menge, Aromaintensität und Cremigkeit des Espresso.

Also quasi alles.

In Barista-Kreisen wird derzeit gerade diskutiert, ob afrikanische Kaffees besser mit Kegelmahlwerk und freiem Fall und mittelamerikanische Crus eher mit Scheibe gemahlen werden sollen, was Gerhard Jericha allerdings für absolute Nerdiness hält, „stellen S’ irgendwelchen Fachleuten drei Espressi hin, die in drei verschiedenen, gut eingestellten Mühlen gemahlen wurden …“, man könne es definitiv auch übertreiben, meint der Kaffeemaschinenhändler.

Was einen aber nicht davon abbringen soll, die goldenen Regeln des Kaffeemahlens zu berücksichtigen, als da wären:

1) Du sollst nur gute Kaffeebohnen mahlen
Klingt banal, ist aber nach wie vor ein Thema, wobei es der Mühle relativ egal ist, ob der Kaffee vom Blue Mountain in Jamaica oder aus einer vietnamesischen Massenertragsplantage stammt, nicht aber egal ist ihr, ob sich im Röstgut eventuell noch winzige Steinchen oder metallische Fremdkörper befinden, die ein Präzisionsmahlwerk natürlich relativ schnell beschädigen können. Was gerade mit zunehmender Attraktivität von direkt gehandelten und in Mikro- bis Kleinröstereien verarbeiteten Bohnen ein bisschen wahrscheinlicher wird und auf jeden Fall ein Argument gegen Keramik-Mahlwerke ist, die durch solche Fremdkörper schweren Schaden davontragen.

2) Du sollst gleichmäßig mahlen
Wirkt auch nicht besonders neu, genau hier kommt aber die Präzision heutiger Mahlwerke zum Tragen. Hier geht es um Hundertstel Millimeter und vor allem darum, dass jedes Stückchen gemahlene Bohne gleich viele Hundertstel Millimeter groß ist. Andernfalls – das passiert etwa bei abgenutzten, verschmutzten oder ausgeleierten Mahlwerken – durchdringt das heiße Wasser das gepresste Kaffeemehl nicht gleichmäßig, sucht sich den Weg des geringsten Widerstandes, ein so genanntes „Channelling“ setzt ein, der Espresso wird dünn und schal.

3) Du sollst kühl mahlen
Das leuchtet ein, denn zu viel Hitze verbrennt den Kaffee, den guten. Mahlwerke entwickeln aber enorme Reibung, diese wiederum Wärme, weshalb Hersteller semiprofessioneller Haushaltsgeräte und natürlich professioneller Gastrokaffeemühlen, die mitunter im Dauerbetrieb sind, diverse Methoden einsetzen, um die Hitzeentwicklung im Zaum zu halten. Mahlwerksgröße ist ein Punkt, je größer das Mahlwerk, desto langsamer erwärmt es sich; Haushaltsgeräte arbeiten mit einem Durchmesser von etwa 54 mm, semi-professionelle Mühlen haben einen Durchmesser bis knapp an die 70 mm.

Motorleistung ist natürlich auch wichtig. Starke Motoren schaffen das notwendige Drehmoment bei geringer Drehzahl, schwache Motoren erreichen die benötigte energetische Leistung über hohe Drehzahl und damit mehr Hitze, „je langsamer, desto besser“, so Gerhard Jericha. Eine Gastromühle im Top-Segment arbeitet zum Beispiel mit 520 Watt und 350 Umdrehungen, eine gute Haushaltsmaschine mit nur 120 Watt und läuft daher auf 1.400 Touren. Kein Problem, wenn man am Tag Kaffee für ein Dutzend Espressi mahlt, für den Dauerbetrieb aber ungeeignet.

4) Du sollst sauber mahlen
Und das heißt: Auch die Mühle muss hin und wieder gereinigt werden. Denn Kaffeebohnen sind fett, beim Mahlen tritt Öl aus und Öl wird ranzig. Auch hier kann eine gute Bauweise – wenig Ritzen, geringe Spaltmaße, durchdachte Konstruktion – dazu führen, dass sich wenig bis kein Kaffeepulver ansetzt oder liegen bleibt, an einer regelmäßigen Reinigung führt allerdings bei aller High Tech kein Weg vorbei.

Ein nicht unwesentlicher Punkt ist hier die Methode der Beschickung – Bohnen gelangen durch freien Fall ins Mahlwerk oder werden durch einen Mechanismus hineinbefördert – sowie der Auswurf des fertigen Pulvers. Modernste Geräte versuchen da so wenig Reibung wie möglich zu generieren, das Kaffeepulver fällt nach unten direkt in den Siebträger. Bei hochprofessionellen Top-Mühlen bleibt weniger als 0,5 Gramm Kaffee in der Mühle zurück. Bei traditionelleren Mühlen (also den allermeisten, die in Österreichs Gastronomie im Einsatz sind) drängt das gemahlene Kaffeepulver das vor sich befindliche nach außen. Und mit etwas Pech rastet das Kaffeepulver, das da hinausgedrückt wird – Kaffee verliert schon nach wenigen Minuten große Teile seiner aromatischen Bestandteile, raucht gewissermaßen aus–, schon eine Zeit lang in der Mühle …

Viele Faktoren, sehr viele Faktoren. So viele, dass man – würde man die Sache wirklich ernst nehmen – „die Mühle eigentlich alle zehn Minuten adjustieren müsste“, raubt Gerhard Jericha jede Hoffnung auf den perfekten Espresso. „In Italien macht man das zumindest zwei Mal pro Tag, in Österreich einmal, und zwar bei der Anschaffung.“ Dennoch rät Jericha davon ab, da jetzt dem Mühlenwahnsinn zu verfallen, „es ist wie mit dem Kochen, bis zu einem gewissen Grad eine Gefühlssache“, die man mit Kaffeemenge und Handhabung des Tampers ganz gut hinbekommen kann.

Nicht zuletzt, weil viel Geschmackssache beziehungsweise Philosophie des Herstellers ist, deshalb aber nicht gut oder schlecht. Stufenlos verstellbar oder vorgegebene Raster etwa? Freaks schätzen die Stufenlosigkeit, dass man da auf fünf Mikron abgestuft mahlen kann, aber auch sie suggeriert eine Exaktheit, die real nicht existiert. Anderes Diskussionsthema unter Espresso-Aposteln: konisches oder Scheiben-Mahlwerk? Hat beides Vor- und Nachteile, das konische mahlt aufgrund größerer Oberfläche kühler und ist leichter justierbar, gute Mühlen in flacher Bauweise kommen da aber locker mit. Dosiermechanismus oder Direktauswurf? Kommt drauf an, Direktauswurf ist zwar die reine Lehre, macht dafür aber die Küche schmutzig. Timer oder Mahlen rein nach quantitativem Dafürhalten? Timer ist mittlerweile Standard, reduziert Verschwendung, ein bisschen nach Gefühl noch dazuzumahlen, ist aber auch nie ein Fehler.

Für Menschen, denen das Streben nach Perfektion ein sehr präsentes Anliegen ist, die sich gern mit der Einstellung des Ventilspiels eines Zwölfzylinders oder dem Bügeln von Rüschenhemden befassen, tun sich bei Kaffeemühlen jedenfalls ganz große Betätigungsfelder auf.

Wollzeile 27, 1010 Wien
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Mo.–Fr. 10–18, Sa. 10–15 Uhr
www.tasteit.at