Die Sauce vorm Untergang

Ein wesentlicher Bestandteil der zivilisierten Küche droht der Welt abhanden zu kommen. Es geht um die Sauce und ihre zunehmende Seltenheit.

Text von Alexander Rabl Foto Dorling Kindersley/Getty Images

Wer will mich? Wenn die klassische Sauce während der vergangenen Jahre an eine Küchentüre anklopfte, wurde sie ähnlich freundlich empfangen wie der Arbeitsinspektor. Die Köche hatten Wichtigeres im Kopf als Saucen. Und haben es immer noch. Die klassischen Saucen haben im komplexen Miteinander kontemporärer Kochtechniken keinen Platz mehr am Herd. Man hat die Hände, Pfannen, Trockenmaschinen, Pacojets voll mit anderen Dingen zu tun.

Eine saucenlose Generation. Sie lernten im „El Bulli“ und selbst wenn sie dort ein halbes Jahr nichts anderes machten als Xanthan-Dosen zu öffnen. Sie lernten bei Redzepi und selbst wenn sie dort nichts anderes taten als Ameisen einzukühlen. Die neue Generation der anspruchsvoll ausgebildeten Küchenchefs pflegt lieber ins Internet zu schauen anstatt in den Topf. Denn im Netz sehen sie die wunderbar dekorierten Teller von Sergio Herman oder Grant Achatz. Leider gibt es online keinen Geruch, deshalb können sie nicht merken, dass es hier nach wenig riecht, weil den meisten Gerichten die Saucen fehlen. Was ist mit ihnen passiert? Manchmal wurden sie getrocknet. Manchmal gefroren. Meistens überhaupt weggelassen. Die Gründe dafür: Lust am Neuen, der Wille zum Ruhm, keine Freude an der harten Arbeit. Denn gute Saucen, man merkt es ihnen an, wie viel Aufwand in sie gesteckt wurde.

Gulaschsaft, nur so zum Beispiel. Braucht der Mensch des 21. Jahrhunderts überhaupt eine Sauce? Anhand eines bewusst gewählten einfachen Beispiels müssen wir die Frage mit ja beantworten. Ein Gulasch ohne Saft, diese Horrorvorstellung nutzte mal ein Politiker, um für sein Hauptstadtprojekt zu werben. Aus kulinarischer Sicht ist Sankt Pölten weiterhin Provinz. Doch der Gedanke an ein saftloses Gulasch lässt uns erschauern. Vielleicht ja, dass viele dieses alpine Austriakum, das Gulasch, überhaupt erst begreifen, wenn sie das frische Gebäck in den Saft tauchen. Saft übrigens. Denn in Österreich spricht man nicht von Saucen, sondern von Saft, vom Gulaschsaft also, von Schweinsbratensaft des weiteren. Die Sauce ist uns vielleicht eine Sauce trara oder Vanillesauce, aber ansonsten trägt sie einen französischen Namen und die französische Küche war den Österreichern immer schon unheimlich. Wie alles Französische. Wegen Marie Antoinette, Napoleon, den „Sanktionen“ und dergleichen. Es hilft aber nichts, ein bisschen, ein paar Saucenlöffel Kochgeschichte müssen jetzt hinein. Wo die klassische Sauce drin ist, steht meistens Frankreich drauf.

Am Anfang war Carême. Er trug seinen Beruf schon im Namen. Antoine Carême wie Créme. Wie viele Saucen genau auf das Konto dieser Rezeptwurfmaschine des 19. Jahrhunderts gehen, weiß niemand so genau. Es müssen jedenfalls mehr als hundert sein. Dass die Franzosen seit dem 15. Jahrhundert Saucen machten, ist jedenfalls bekannt. Sie dienten der Verfeinerung der Palastküche der Könige ebenso wie als Rückgrat der bäuerlichen Küche, wobei sich Palastküche und bäuerliche Küche damals einigermaßen unterschieden, sagen wir, wie Brioche und Brot. Vor allem als letzteres ausgegangen war, kostete das Louis XVI Amt und einiges Weiteres. Das ist Geschichte, allerdings eine andere. Doch eines lernen wir daraus: Eine gute Sauce herzustellen ist wie einen Palast zu bauen. Es geschieht nicht an einem Tag, man braucht Top-Baumaterial und einen guten Konstrukteur wie auch Architekten. Kein Wunder, dass die Kunst des Saucenmachens in der Zeit der Fertigteilhäuser verloren gegangen ist.

Albufera, nur so zum Beispiel. In der Saucenküche zählt sie zu den sieben Weltwundern. Die Albufera hat es in sich. Sie kommt aus dem Repertoire Escoffiers. Bevor die Sauce übers eine Bresse-Huhn-Brust gegossen wird, wurde mindestens einen Tag an ihrer Fertigung gearbeitet. Es bedarf einmal einer Hühnerbrühe. Mit dieser wird in einem gusseisernen Topf die Karkasse eines Huhns im Ofen gegart. Das dauert 1 ½ Stunden. Weißer Portwein, Madeira und Cognac werden auf ein Viertel reduziert. Gekochte Foie Gras (also Stücke von einer Terrine) wird mit Butter durch ein Sieb passiert. Abgeseihter Hühnerjus, Alkoholreduktion, etwas Bratensaft (es wird also zeitnah ein Huhn gebraten worden sein), Schlagobers mischen, leicht reduzieren, mit der Butter-Foie-Gras-Mischung binden. Sauce mit einem Schneebesen schlagen. In den Restaurants von Alain Ducasse gibt es diese Sauce nur im Sommer nicht, sonst begleitet sie gerne Bresse-Hühner oder Innereien, vornehmlich Kalbsbries. Paris ist weit und es gab nur einen Koch, der sich als Botschafter der Escoffierschen Saucenküche sah. Er hieß Rudi Kellner und betrieb im fünfzehnten Bezirk den famosen „Altwienerhof“ eine Mission von etwas, für das den Wienern das Verständnis fehlte. Die Schattenseiten der Albufera und ihrer Verwandten waren dem Koch Kellner durchaus klar, als er sagte: „Wir bringen unsere Gäste um.“ Rudi Kellner selbst verstarb viel zu früh. Das Restaurant gibt es nicht mehr.

Wie Michel Guérard den Saucen die Schwere nahm. Stehende Ovationen von den Kollegen gab und gibt es für Michel Guérard, wo immer er auftaucht. Er geht auf die achtzig zu und macht einen strahlenden Eindruck. Kann sein, dass es an der Küche liegt, die er in den Siebzigern geschaffen hat. Er nahm den Saucen die Mehldicke, reduzierte den Butteranteil, erhöhte den Anteil an Gemüse und schuf einen wesentlichen Beitrag zur Nouvelle Cuisine, der fälschlicherweise Paul Bocuse zugeschrieben wird, in dessen Restaurant in Collonges-au-Mont-d’Or immer noch die heftige Butter-Creme-Küche regiert. Guérard kochte in einem Kurort, es war naheliegend, sich um die Gesundheit der Gäste zu kümmern. Viele heute weltberühmte Küchenchefs sind bei ihm in die Lehre gegangen und bei diesen wiederum viele Küchenchefs wie Heston Blumenthal, Ferran Adrià oder René Redzepi, die erst auf dieser Basis ihre Ideengebäude errichten konnten. Leider sehen die Epigonen der Avantgarde nur einen Teil ihres Schaffens, der Teil, mit dem sie und ihre Küchenstile populär wurden. Doch wie es Ex-Ikarus-Chef Roland Trettl einmal sagte: „Wer mit einem Alginat arbeiten möchte, muss zuerst einmal eine richtige Sauce können.“

Und jetzt? Zu Gast im Restaurant. Im ausgezeichneten Restaurant. Der Oberkellner serviert die Hauptspeisen. Vermutlich ist etwas zart rosa Gebratenes darunter, vielleicht auch etwas Geschmortes. Aus einem Kännchen gießt sein Kollege die Flüssigkeit auf den Teller. Sie ist klar, sodass man auf den Teller durchblicken kann und hat eine doch deutlich wahrnehmbare Viskosität, möglicherweise durch die Zugabe von Xanthan oder einem anderen Gelierungsmittel. So bleibt die Sauce am Teller stehen. Und wird stehen gelassen. Obwohl man ihr die Arbeit anmerkt, die in ihr steckt (es ist keine übertriebene Arbeit, aber man war auch nicht untätig), schmeckt sie an allen ersten Adressen des Landes und nicht nur in Österreich austauschbar. Ein Déja-Mangé. Sie tut nicht mehr als Fleisch, Gemüse und Beilagen feucht zu halten. Sie trägt wenig bei zum Gelingen des Gerichts. Einen Saucenlöffel braucht der Gast dafür nicht und dieser wird auch oft nicht mitserviert. Oder geht unbenutzt zurück. Und lässt den Gast ratlos am Tisch: Warum schmeckt das alles gleich langweilig? Was ist mit den Saucen passiert? Statt Saucen wie ein Palast bekommen wir architektonisch aufwändig konstruierte Teller, wo jeder Seitenflügel seinen genau vermessenen Platz hat. Festlich arrangierte Essensgebäude fürs Auge, die Seele berührt das alles weniger.

Es waren die Japaner. Den Japanern kann man alles Mögliche in die Schuhe schieben. Fukushima und Indoor-Golf. Auch am Untergang der Saucen sind sie nicht unbeteiligt. Die japanische Küche wurde vielen zum Vorbild und das zu Recht: Ihre puristische, das Wesen eines Produktes am Höhepunkt seiner Saisonalität und Frische erforschende Kochkunst, die oft an Gemälde erinnert, kommt recht gut ohne Saucenhandwerk aus. Klare Suppen mit akribisch behandelten Einlagen (Gemüse, Fisch oder Fleisch, Nudeln), das ja. Alles andere kommt höchstens deshalb feucht daher, weil es so unglaublich frisch ist. An dieser Stelle muss zugegeben werden: Die Sauce war und ist manchmal Tünche, um den Charakter eines Gerichtes zu ändern, ja let’s face it, um vielleicht den minderen Wert einer Zutat zu verbergen, in einem Bad aus Cremigkeit und Gewürzen zuzudecken. Doch die junge Elite unter den Köchen plagt weniger der Trieb zur Ehrlichkeit auf dem Teller, sie haben sich von den japanischen Köchen viele Techniken und ihre Liebe zum Weglassen abgeschaut. Japanisch-europäische Fusionsküche lässt sich derzeit besonders gut in den frischen Restaurants in Paris beobachten. Keine Sättigungsbeilagen mehr, weniger Fett, kaum Fleisch, Gemüse spielt eine Hauptrolle. Schade nur, dass sie die klassischen Saucen mit dem Bad ausgeschüttet haben. Wenig überraschend, dass da und dort ein Revival ins Haus steht.

Über die Vielfalt. Löblich war das Engagement gegen die Mordlust an der Vielfalt von Gemüse und Obst, eine Mordlust, die von den Saatgutgiganten ausgeht und der durch einen Vernunfts-Flash des EU-Parlaments einstweilen nicht stattgegeben wurde. Ein Gesetz zur Einschränkung der Saatgut- und damit Artenvielfalt wurde verhindert. Schaut man sich die Saucenvielfalt in den heimischen Küchen an, ist es um diese so traurig bestellt, als hätte Monsanto alle Kochbücher aufgekauft und weggesperrt, in denen die alten guten Rezepte nachzulesen sind.

Knochenarbeit. Eines davon trägt den Titel „Flaveurs“ und ist geschrieben von Philippe Rochat. Wem man diesen Namen hier extra vorstellen muss, der begebe sich zurück auf Feld 1 und öffne eine Dose Chili. Im Glossar bewahrt der Cuisinier, der zu seinen Wirkungszeiten zweifellos zu den besten der Welt zu zählen war und sich vor zwei Jahren vom Herd zurückgezogen hat, mehrere Dutzend an Anleitungen für Saucen, Grundsaucen und zum Beispiel ein Rezept für eine Café de Paris-Butter, das mit zirka 30 Zutaten sein bescheidenes Auskommen findet. Übertreibt es Rochat da nicht ein wenig? Wer einmal in Crissier (heute führt sein langjähriger Chefkoch Benoît Violier das Restaurant, das von Gault Millau und Michelin weiterhin zu den besten gezählt wird) gegessen hat, wer dort einmal den Hasen royal hatte oder die wunderbar ausbalancierten Saucen zu Fisch und Meeresfrüchten probiert hat, muss sagen – er übertreibt nicht, er macht das Handwerk. Natürlich: Im „L’Hôtel de Ville“ arbeiten mehr als zwanzig Köche für weniger als 40 Gäste. Und nachdem das Haus am Genfer See liegt, haben die auch genügend Mittel, um eine derartig aufwändige Küche zu sponsern. Eine große Sauce bedeutet viel Aufwand, der ins Geld geht. Doch das sagten wir schon.

Die letzten Überlebenden: London, Lyon, Paris … Foodies, Feinschmecker und auch Köche sind sich in vielen Dingen nicht einig, aber darin, dass es die besten Saucen in den Großstädten wie Paris, teilweise London und in Lyon und Umgebung gibt. Über die Saucenkunst, wie man sie im „Dinner by Heston Blumenthal“ oder bei Alain Ducasse im Dorchester bewundern kann, stand hier vor kurzem zu lesen (A la Carte 4/14). Es ist Großmeistern vom Rang eines Ducasse oder Pierre Gagnaire (die Generation nach Guerard und Bocuse) zu verdanken, dass in einigen Pariser Häusern bei aller Liebe und Hingabe zur Modernität auch die klassische Saucenküche gepflegt wird. Gagnaire ist ein Meister der vielstöckig aufgebauten Saucen und man kann verrückt werden vor Glück, wenn man bei ihm eine Hummersauce probieren darf. Eine der vermutlich besten Saucen der Welt gibt es in der wunderbaren „l’Ambroisie“, dem kleinen Restaurant am Place des Vosges, wo Bernard Pacaud kocht, der noch bei Mère Brazier in Lyon gelernt hat und es ist eine Sauce mit Kaviar zum Loup de mer. Der Teller (Geschirr ist im Preis nicht inbegriffen) kostet dann auch zirka 150 Euro und er ist es wert. Weil gerade der Name Lyon gefallen ist: In der Stadt, die zu den besonders essfreudigen Städten Europas zählt, lässt sich gut erahnen, was gute Saucen ausmachen: Es gibt kaum ein Lyonnaiser Restaurant oder Bistro, in dessen Küche nicht ausreichende Mengen an Butter und Crème fraîche anzutreffen sind. Hier ist es Zeit, Altmeister Bocuses schon oft benutztes Zitat einzumontieren: Du Beurre, du Beurre, du Beurre! habe er gesagt auf die Frage, was denn eine gute Sauce ausmache. (Ein Essen in Collonges-au-Mont-d’Or sollte dringend mit einer Tasse Verveine abschließen, wer den folgenden Nachmittag oder die Nacht überleben will.)

… und Werfen. Werfen liegt nicht am Ufer des Genfer Sees und auch nicht bei Paris und doch gibt es bei den berühmten Brüdern Saucen von monumentaler Größe, Tiefe und Vielfältigkeit. Komplimente diesbezüglich hört Rudi Obauer gerne und dann erzählt er, wie das kommt: „Da musst einfach drinstehen“. Eine einfache Grundregel. Die Grundsauce will gefertigt sein. „Eine Sauce entsteht über Tage.“ Sie sei wie ein Tee, die Aromen müssten ziehen: „Das ist wie Alchemie.“ Und dann kommt er zum Punkt: „Die Sauce ist ja die Wirbelsäule der Küche.“ Unter der Kollegenschaft sei die Saucenküche des jeweiligen Kochs so etwas wie ein Erkennungscode. Er zollt den Kollegen Hans Haas in München oder Marc Häberlin Referenz.
Obauer sagt noch was von der Sauce als Ausdruck einer Region, was soviel heißt, dass man in Werfen nie einfach französische Rezepte nachgekocht hat. Man lernt etwas im Gespräch mit Rudi Obauer der auch ordentlich vom Leder ziehen kann, wenn es um den Kampf um Qualität geht. Man lernt zum Beispiel auf welcher Basis Saucen entstehen können. Als da sind Knochen, Tee, Wein, Früchte, Öle, Pilze, Gemüse. Welche Bindemittel es dann gibt, nämlich Demi-glace, Knorpel-Gelee, Mehl, Tapioka, Xanthan und Hülsenfrüchte. Theorie, von der ein Gast nicht genug kriegen kann. Wie von einer guten Sauce, zum Beispiel aus Sauce Vin Rouge und Demi-glace die Obauer zur geschmorten Rinderwade mit Bohnenpüree und Markscheiben serviert. Apropos Rind: Wer sich die Ochsentour einer Ausbildung bei den Brüdern antut, lernt so etwas und weiß dann auch, damit umzugehen. Heinz Reitbauer, Markus und Christian Winkler und andere österreichische Oberliga-Köche können das bestätigen.

Gott vergibt, die Sauce nie. Kompromiss ist ein hässliches Wort. Wir kennen es aus Pressekonferenzen. Eine Sauce verzeiht ihn nicht. Spare bei den Grundzutaten, sagt sie, ersetze einen guten Wein durch einen mittelmäßigen, eine selbst gemachte Brühe aus besten Zutaten durch ein Convenience-Produkt, lasse einfach eine Zutat aus dem Rezept weg, ersetze Fonds und anderes durch Wasser, und zu wirst am Ende weinen und die Küchengötter Escoffier und seine Kumpels, die oben auf Wolke sieben gerade den Aperitif nehmen, um Gnade bitten. Sie werden über dich lachen. Es ist auch dies einer der Gründe, hie und da im Leben ein ausgezeichnetes Restaurant aufzusuchen. Aber auch dort regiert der Rotstift und – was schlimmer ist – die Ahnungslosigkeit. Ein paar Gespräche mit ungenannt bleiben wollenden Topchefs bestätigen: Viele können es einfach nicht. Sie haben es nirgendwo gelernt. (Einschub zum Thema Ausbildung: Ein Mitarbeiter in einem lobenswerten und gelobten Restaurant in Wien erzählt über die Erfahrungen eines angehenden Kochs in der Berufsschule. Der Lehrer zu den Schülern: „Heute machen wir a Vanille-sauce.“ Und zu einem Schüler: „Geh, hol das Vanillepulver.“)

Das Ende. In Deutschland arbeitet eine beharrlich dem Handwerk verschworene Generation wie Klaus Ehrfort an der Aufrechterhaltung der Saucentradition. Im Laufe eines Menüs bekommt es der Gast mit mindestens einer oder eher noch zwei Saucen nach klassischer Machensart zu tun, keine farbigen Tupfer, keine blassen Flüssigkeiten. Das Ende des Dekonstruktiven am Teller, wo die sorgfältige Platzierung der einzelnen Komponenten nicht durch Flüssigkeiten gestört werden wollte, wird möglicherweise eine neue Hinwendung zum Saucentopf mit sich bringen. Auf ein Zuviel an Butter kann der Gast mittlerweile verzichten. Auf eine gute Sauce, die ins Hirn einfährt und lange im Gedächtnis bleibt wie gute Musik will er nicht verzichten müssen.

Wo gibt es noch große Saucen? Ein unvollständiges Mini-Kompendium aus den persönlichen Erfahrungen des Autors.

Azurmendi, Vizcaya, E
Eneko Atxa kocht Schweinshaxen 30 Stunden lang ein und serviert das Ganze mit Ziegenkäse und Sardellen. Saucen brauchen oft einfach Zeit. Diese ist ein hervorragendes Beispiel für die Untermauerung dieser These. Genial auch seine Sauce aus Meeresfrüchten und lokalen Würsten, die er zum gebratenen Thunfisch kredenzt.
www.azurmendi.biz

GästeHaus, Saarbrücken, D
Klaus Erfort ist ein deutscher Ingenieur der Küche. Seine Saucen gewinnt er aus reicher Erfahrung und Kompromisslosigkeit. Einmal kocht er Melanzani so lange ein, bis sie ein Amalgam aus Süße und Frucht ergeben, das wie dafür geschaffen zu gekochten Schweinsfüßen passt. Sein Baeckeoeffe mit Trüffel und Taube ist große Klasse.
www.gaestehaus-erfort.de

Tantris, München, D
In Hans Haas’ Münchner „Tantris“
feiert man zur Zeit nicht nur diverse Jubiläen, sondern auch das Überleben einer Saucenküche, die Leichtigkeit und Klasse auf wunderbare Weise vereint. Haas kocht mal mit Curry, dann wieder mit ernsthaft komponierten Fonds und Jus. Ideal dazu einer der besten Weinkeller Münchens.
www.tantris.de

Auberge de l’Ill, Illhaeusern, F
Hier wurde vieles erfunden, was später viele andere Häuser berühmt gemacht hat. Eine klassisch-buttrige Rieslingsauce, die zum „Lachs Haeberlin“ gereicht wird, hat gleichzeitig etwas Museales und die Aura des Enderfundenen.
www.auberge-de-l-ill.com

Louis XV, Monte Carlo, MCO
Alain Ducasse und Franck Cerutti bringen Südfrankreich auf den Teller. Ihre beste Sauce ist ein Gelee aus den Schalen und Köpfen der San-Remo-Garnelen. Doch auch wenn die Küche eine Sauce aus Tomaten macht, kann man sicher gehen, dass diese ebenso hochklassig ist wie die aus Artischocken zum Risotto oder die aus Walderdbeeren, welche es als im Sommer mit Vanilleeis als Pre-Dessert gibt.
www.hoteldeparismontecarlo.com

Schwarzwaldstube, Hotel Traube Tonbach, Baiersbronn, D
Harald Wohlfahrt, Witzigmann-Mann der ersten Stunde, treibt in der Schwarzwaldstube einen ungeheuren Aufwand, dem man jedem Arrangement und jedem Bissen anschmeckt. Seine Saucen sind ein Reich an Aromen, perfekt in der Konsistenz und erzählen von der Weltläufigkeit eines Chefs, dem zu Unrecht unterstellt wird, dass er zur alten Garde zählt.
www.traube-tonbach.de

Dinner by Heston Blumenthal, London, UK
Die Speisekarte des populären Stadtlokals des als Molekularkoch zu Ruhm gelangten Blumenthal (das Fat Duck in Bray scheint ein Dauerabo auf die 3 Sterne zu haben) wechselt höchst selten. Weshalb das Team Zeit hat, an überirdisch guten Saucen und deren Nahezu-perfektion zu arbeiten. Beispielsweise einer herrlich buttrig-säuerlichen Cidresauce zum Black Cod.
www.dinnerbyheston.com

Obauer, Werfen, A
In etwa, als auch in Frankreich die Fusionsküche zum ersten Mal auftauchte (Louis Outhier und andere) beschlossen auch Karl und Rudi Obauer, dass die Welt der Zutaten und Gewürze für sie grenzenlos sei. Große Schule, regional interpretiert und das Werk eines Teams, das alles andere als arbeitsscheu ist. Denn nur wer sich Zeit nimmt, kann später Saucen servieren, wie die vom mehrmals aufgegossenen Wallerkopf, eine Unglaublichkeit.
www.obauer.com

Pierre Gagnaire, Paris, F
Unter, sagen wir, eher schwierigen Arbeitsbedienungen arbeitet das Team bei Gagnaire in der Rue Balzac an der möglichst perfekten Umsetzung des Themas Geschmack. Seine Saucen sind vielschichtig, aber immer von hoher Komplexität. Ob es sich dabei um Hummer oder Huhn handelt, welche die Basis bilden, das Ergebnis bleibt doch immer gleich: großes, mit einer Prise Wahnsinn veredeltes Küchenhandwerk.
www.pierre-gagnaire.com

L’Ambroisie, Paris, F
Bernard Pacaud, von seinen Fans (derer es nicht wenige gibt) gefeierter Purist am Herd, der nur mit den besten Zutaten arbeitet, reicht eine Sauce aus Kaviar und Fischfumet zum Loup de mer. Das Diamantenkollier einer Sauce, welches es nicht an der Place Vendôme, sondern an der Place des Vosges gibt.
www.ambroisie-paris.com

L’Auberge du Pont de Collonges, Collonges-au-Mont-d’Or, F
Einmal sollte man bei Paul Bocuse gegessen haben und das Bresse-Huhn in der Schweinsblase bestellen (reicht locker für vier Gäste, sogar sechs werden davon satt, wenn sie Vorspeisen und Zwischengerichte hatten). Die Sauce aus Morcheln und ordentlich Butter ist Gallen-Leber-Harakiri mit Anlauf. Aber so unvergesslich gut.
www.bocuse.fr

Maison Lameloise, Chagny en Bourgogne, F
Klar, dass das Burgund ein Paradies der Saucen ist. In einem der namhaftesten Restaurants der Region serviert Eric Pras eine Sauce auf Basis von Seeigeln und ihrem Corail, die den Gast ungläubig den Kopf schütteln lässt, so gut ist sie. Dass in der Nachbarschaft Weine wachsen, die einer Sauce wie dieser gut Paroli bieten, nimmt man als willkommene Tatsache zur Kenntnis.
www.lameloise.fr

Hôtel de Ville, Crissier, Ch
Am Ufer des Genfer Sees, keiner armen Gegend bekannterweise, leistet sich Küchenchef Benôit Violier eine Mannschaft in der Größe eines Orchesters und genauso wie die Aufführung einer Beethoven-Symphonie (manchmal ist es auch Mozart) schmecken die Saucen, die so intelligent ausbalanciert sind zwischen Volumen und Säure. Dem Zufall wird hier nicht das kleinste Detail überlassen und Violier gilt nicht zu Unrecht als einer der besten Küchenchefs der Schweiz. Leider ist ein Essen in Crissier derzeit für Euro-Zahler in weite Ferne gerückt.
www.restaurantcrissier.com