Die Waldmeister

Die Waldmeister Skandinavien macht es vor, andere Köche ziehen nach: Der Wald ist derzeit eine der beliebtesten Inspirationsquellen, ob in Sachen Aroma oder als Zitat. Über falsche Rinde, echte Buchecken und Steine als Suppeneinlage. Text: Anna Burghardt · Fotos: Luzia Ellert Für uns als Stadtrestaurant ist das natürlich alles schwieriger.“ Lukas Mraz schaut kurz auf…

Die Waldmeister

Skandinavien macht es vor, andere Köche ziehen nach: Der Wald ist derzeit eine der beliebtesten Inspirationsquellen, ob in Sachen Aroma oder als Zitat. Über falsche Rinde, echte Buchecken und Steine als Suppeneinlage.

Text: Anna Burghardt · Fotos: Luzia Ellert

Für uns als Stadtrestaurant ist das natürlich alles schwieriger.“ Lukas Mraz schaut kurz auf und widmet sich dann wieder seiner Baumrinde. Er platziert das kleine längliche Ding vorsichtig auf einem größeren Stück Borke. „Wir haben den Wald nicht vor der Haustür.“ Dafür aber auf dem Tisch. Für die süße Baumrinde lässt er kleine Mengen gezuckerter Milch in großen Töpfen bei niedriger Hitze einkochen, bis sich eine Haut bildet, die sich irgendwann am Topfboden festsetzt und dort karamellisiert. Dann wird die Masse zusammengeschabt, sodass sich eine aufgefaltete Struktur in Stangenform ergibt; das Ganze wird noch in Macadamiaschokolade getaucht – und der Gast hat das Waldrätsel auf dem Tisch: „Baumrinde oder knusprige Milchhaut mit Macadamia?“ fragt ein kleiner Zettel, der mit den Petits Fours serviert wird. Tatsächlich sieht die kleine, süße Rinde der großen, echten zum Verwechseln ähnlich. Dieses Zitat beschließt ein Menü, das schon im Wald begonnen hat: Zum Amuse-Gueule werden die Gäste des Mraz & Sohn im tiefsten zwanzigsten Wiener Gemeindebezirk auf einen Waldspaziergang gelockt. Holzbretter mit Moosstücken, Steinen und Borkenstücken kommen an den Tisch, darauf hat Lukas Mraz Käsecracker mit Pilzen und Geselchtem platziert – „unsere Brettljause“, entstanden nach einem Brainstorming mit Vater Markus.

Seit René Redzepi vom Noma und seine Jünger international das kulinarische Sagen haben, wird Birkenrinde gehobelt, fallen Eichenspäne. Moos, Flechten, Borke und ähnliche Waldversatzstücke sind in den besten Küchen und auf den maßgeblichen Messen wie der Madrid Fusion allgegenwärtig. Und auch hierzulande haben Lieferanten wie Marion Roßmayer alias Rotkäppchen, die die Spitzengastronomie, unter anderem das Steirereck, mit Waldprodukten wie Bucheckern beliefert, wohl genug zu tun. „Das mit dem Wald in der Küche geht eindeutig von Kopenhagen aus“, meint Lukas Mraz, der nach Jahren der Küchenwanderschaft nun im Familienlokal sesshaft geworden ist, um aber gleich wieder zu relativieren: „Obwohl, es haben schon einige andere vorm Noma gemacht. Beim Thomas Keller in Kalifornien gibt es eine Frau, die nur fürs Pilzesuchen zuständig ist. Oder der Marc Veyrat, der Michel Bras: Die haben schon viel früher mit Dingen aus dem Wald gekocht.“ Aber so sei das halt, sagt Mraz junior schulterzuckend: „Sobald die Nummer eins was macht, sobald die ein neues Produkt wo dazutun, machen’s erstens alle und zweitens schreiben plötzlich alle drüber.“ Das war beim El Bulli so, da ging es zum Beispiel um Yuzu-Saft, jetzt beim Noma sei es dasselbe in Grün, mit Birkensaft, mit Moos. Freilich mit der Folge, dass jene Köche, die aus Standortgründen „eh schon immer“ mit Waldprodukten gearbeitet haben, wie die Brüder Obauer mit Flechten, jetzt für manche so aussehen, als würden sie sich einem aktuellen Trend unterordnen. „Es muss erst aus Dänemark runterkommen, damit’s bei uns was gilt“, ließen die Fünf-Sterne-Brüder vor einiger Zeit schon verlauten.

Lukas Mraz hat das allgegenwärtige Waldthema in der Küche in Holland kennengelernt, bei Jonnie Boer. „Der Chef ist alle paar Wochen mit dem Souschef und einem Botaniker in den Wald gegangen, neue Produkte suchen.“ Was den jungen Wiener im Übrigen verblüfft hat: Drei von fünf Wildvögeln, die im De Librije auf der Karte standen, stammten aus Österreich. „Wir müssen da super Produkte haben.“
Der Juniorküchenchef möchte noch viel mehr Waldaromen in die Küche des Mraz & Sohn bringen, Steinpilz etwa zu Schokolade, Tannenwipfel zu Reh. Er erzählt vom Hustensaft seiner Oma, den er als Kind so gemocht hat. Neben echten Zutaten aus dem Wald verwendet Lukas Mraz auch eine, die den Wald nur olfaktorisch vertritt: das waldbodenartig duftende Pilzkraut aus der Gärtnerei Bach, das er mit kalt geräucherten Seitlingen und Knochenmark auf einer Steinplatte kombiniert. „Sauerklee!“, ruft er plötzlich aus und holt zwei durchsichtige Boxen. „Es gibt so viele verschiedene Sorten Sauerklee, unglaublich. Der Oxalis ist echt was ziemlich Neues.“

Manche Köche wie Helmut Rachinger vom oberösterreichischen Mühltalhof haben es in Sachen Rohstoffbeschaffung für den Waldtrend leichter als die Kollegen aus der Stadt, sie müssen die Produkte nicht von einem Grünzeuglieferanten beziehen, sondern haben den Waldboden und somit auch Sauerklee – ebenfalls bei Redzepi im Noma im Einsatz – vor der Haustür. Schön, wenn man eh schon so wildkräuteraffin ist wie Rachinger. „Meistens schick ich aber die Burschen zum Pflücken“, sagt er und lacht. Tannennadeln kommen im Mühltalhof in die Polenta, sie werden roh gemörsert und mit brauner Butter vermischt, bevor sie eingerührt werden. „Das machen wir vor allem zu Weihnachten.“ Sauerklee püriert Helmut Rachinger mit Rahm – „ist das dann Sauerklee-Sauerrahm oder Sauerrahm-Sauerklee…?“ – und mischt die grüne Masse unter Vanilleeis. Das Bucheckernkernöl der Ölmühle Fandler kennt er natürlich, „aber der Hartl Franz bringt auch bald eines heraus, der ist ja auch von hier, aus Neufelden“.

Ein wenig mehr hinterrücks, wenn man so will, geht es Silvio Nickol vom gleichnamigen Restaurant im Palais Coburg an, er baut ein paar Täuschungen in seine Gerichte ein: Die Mooserde zur Gänseleber besteht aus hocharomatischem Steinpilzmehl samt Salz und Zucker, das mit Chlorophyll moosgrün gefärbt wurde. „Das schmeckt, als beißt man in den Waldboden, oder?“ Auf den Teller kommen bei diesem Gericht weiters ein Tannenwipfelgelee, winzigkleine Buchenpilze und gehobelte Bitterschokolade – „als Borke“. Das Ganze hat der Deutsche „Ur-Wald“-Leber genannt, „das ur bietet sich ja wegen den Wienern an, überall hört man urleiwand“. Silvio Nickol bemüht sich, das L in g’schmeidigem Meidlingerisch in den Mundwinkel zu schleudern. (Ein bisschen üben sollte er freilich doch noch.) Er war als Kind schon viel im Wald, „ich musste immer schon raus“, und hat sich vor kurzem im Wienerwald niedergelassen, genauer gesagt, in Gießhübl. Im dortigen Wald war er auch schon mit dem ganzen Küchenteam, um zu schauen, was es alles gibt, und um die richtigen Bäume fürs Tannenwipfelpflücken zu suchen. „Man müsste eigentlich jeden Tag in den Wald gehen, heute machen das leider hauptsächlich nur ältere Leute.“ Dabei wäre es so gesund für die Jugend, „ein bisschen Dreck zu fressen hat noch keinem geschadet, das stärkt die Abwehrkräfte“. Aber zurück zum gebotenen Küchenernst, den man bei einem frischen Fünf-Sterne-Koch erwarten kann: Die Tannenwipfel könne man nicht einfach so essen, sagt Silvio Nickol, „man muss daraus einen Auszug machen, den man weiterverarbeiten kann“. Etwa zu Gelee. Damit die Bitternote nicht unangenehm wirkt, gibt er zu Tannenwipfeln immer etwas Säure, Salz und Zucker. „Da muss man sich spielen.“ Der harzige Ton der Wipfel gefällt ihm besonders zur Gänseleber, weil der gewissermaßen die klassische Süße zu ersetzen vermag. „Die Bitterschokoladen-Borke ist eigentlich das Einzige, was an diesem Gericht süß ist.“ Nachdem der Coburg-Küchenchef auf Zucker so weit wie möglich verzichten möchte, kommt ihm so ein Produkt sehr gelegen.

Ungewöhnliche Waldpilze wie die Krause Glucke oder diverse Wildfrüchte bekommt Nickol von eigenen Lieferanten. Spontaneität sei beim Kochen mit Waldprodukten natürlich notwendig: „Je nachdem, ob’s geregnet hat, kommt der Dirndl-Lieferant auch mit Schwammerln herein.“ Silvio Nickol glaubt, dass der Wald als Zutatenlieferant immer spannender werden wird, da gäbe es noch so vieles zu entdecken. Ob er auch mit Bucheckern arbeite? „Womit?“ Na Bucheckern, müssten doch bei ihm im Wienerwald auch herumkugeln. Silvio Nickol bittet den Restaurantleiter, ihm auf dem iPhone ein Bild von Bucheckern zu suchen. „Ach, diese Dinger. Die heißen bei uns anders, aber ich weiß jetzt nicht, wie.“ Was er aber ganz sicher weiß: was der Name Silvio bedeutet. Mann des Waldes.

So müsste eigentlich auch jener Mann aus dem Schweizer Entlebuch heißen, der derzeit mit seinem Hardcore-Waldschrat-Kochbuch Furore macht: Stefan Wiesner. Seine extremen Spielarten stellen wohl das meiste Vergleichbare in den Schatten. Er serviert Suppe mit Steinen in der Schüssel, um von deren Mineralität zu profitieren, lässt rostige Nägel in Büffelmilch ziehen (für ein angeblich pilziges Aroma), kocht aus rhabarbergegerbtem Leder einen Jus, serviert rohen Torf mit Schokolade und Meersalz. Der Schweizer, den man in der Heimat längst Hexer nennt, nützt vor allem aber die Produkte aus dem Wald wie kein Zweiter: Weidenzweige (in Wasserbüffelmolkenkaramell) kommen bei ihm ebenso zum Einsatz wie Moos oder Ameisensäure – als Zartmacher für Fleisch, als Blaumacher für Forelle. Wiesner lässt Ameisen bei mindestens zehn Grad („sonst sind sie nicht aktiv“) geraume Zeit über Gazestoff krabbeln, sodass dieser die Säure aufsaugt, verpackt das Ganze luftdicht und wickelt den so getränkten Stoff später um Fleisch oder gart ihn gemeinsam mit Fisch. Erdäpfelpüree mischt er mit pürierten Buchenblättern, bei Kroketten setzt er gemahlenes Kernholz einer „mindestens tausendjährigen“ Lärche ein, Lammsauce kocht er mit Haselnussholz. Apropos Hölzer: Da sieht Stefan Wiesner wohl manchmal die Küche vor lauter Bäumen nicht mehr, er verwendet in seiner Küche unglaubliche 25 Sorten. Jedes Holz hat seine eigene mystische Kraft, meint er. Man könnte auch sagen: Jedes Holz hat seinen eigenen Geschmack, ergo ein bestimmtes Einsatzgebiet in der Küche. Was jedenfalls einleuchtet: „Wenn Holz dafür gut ist, Wein und Essig Aroma zu geben, dann hat es auch seinen Platz in der Küche.“ Damit dürfte der Schweizer auch einige heimische Küchen-Pfadfinder von Neuem anspornen.

Kontakte

Mraz & Sohn
Wallensteinstrasse 59, 1200 Wien
T 01-330 45 94
www.mraz-sohn.at

Mühltalhof
Unternberg 6, 4120 Neufelden
T 07282-62 58
www.muehltalhof.at

Silvio Nickol
Coburgbastei 4, 1010 Wien
T 01-518 18-800
www.coburg.at

Obauer
Markt 46, 5450 Werfen
T 06468-52 12-0
www.obauer.com

Gasthof Rössli
Hauptstrasse 111, 6182 Eschholzmatt
T + 41 (0)414-86 12 14
www.stefanwiesner.ch