Ein gutes Glas für alle Fälle

Wein begleitet nicht nur Speisen, er macht auch Speisen. Wer Wein zum Kochen verwendet, sollte allerdings einige wichtige Regeln beachten.

Text von Andrea Karrer
Illu von Kerstin Luttenfeldner

Dass Wein heute einer der wichtigsten Geschmacksträger der Saucenküche ist, verdankt er vor allem dem französischen Einfluss. Im Frankreich des Mittelalters war es nämlich, dass eine – heute nicht mehr näher bekannte – Hausfrau oder ein findiger Koch auf die Idee kam, das fade Kochwasser einfach durch Wein zu ersetzen. Man kochte also das sonntägliche Suppenhuhn, das Heinrich IV. in seiner Regierungserklärung jedem französischen Haushalt versprochen hatte, nicht mehr in mit Wurzelgemüse und anderen Aromastoffen ­angereicherter Brühe, sondern ließ es lieber gleich in einem kräftigen Rotwein vor sich hin köcheln, was ziemlich lange dauern konnte. Denn die „Coqs“ waren oft recht ordentliche Kaliber von drei bis viereinhalb Kilo und brauchten, um einigermaßen zart und weich zu werden, schon an die vier bis fünf Stunden. In dieser Zeit kochte sich auch der mit Pilzen oder Champignons und Speck verfeinerte Rotwein entsprechend ein und musste vor dem Servieren nur noch mit einem mit Mehl verkneteten Stück Butter montiert werden. Aus diesem Grundrezept hat sich, auch wenn man heute oft raffiniertere Reduktionen macht und eher Hühner als Hähne einkocht, nicht allzu viel geändert. Dabei fehlt es an Abwandlungsmöglichkeiten dieses mittelalterlichen Klassikers in keiner Weise (s. Rezept von Toni Mörwald am Ende der Geschichte). Die Elsässer etwa nehmen für ihren Coq au Riesling Weißwein und binden die Sauce statt mit Butter und Mehl mit Crème fraîche, bevor sie das Gericht noch mit etwas Zitronensaft und frischen Kräutern abschmecken. In Portugal hat es sich durchgesetzt, statt des Huhns in Rotwein ein stattliches Kaninchen in gutem Portwein als Coelho à Portuense zu schmoren. Und man übertreibt sicher nicht, wenn man sagt, dass Wein neben Salz und Pfeffer die wichtigste Saucen­zutat der Welt ist. Nahezu jede gute Köchin und jeder gute Koch halten sich etwas auf ihre feine Zweigelt- oder Blaufränkischsauce, ihr Burgunder- oder Rieslingsafterl zugute. Leider glaubt man oft fälschlicherweise, dass es für eine gute Weinsauce ausreiche, einen beliebigen Fleisch-, Geflügel- oder Fischsaft vor dem Ser­vieren mit einem Schuss Wein zu verfeinern. „Bei dieser Methode wird geschmacklich aber nicht viel passieren, außer dass die Sauce mehr Säure ­bekommt“, weiß Spitzenkoch Toni Mörwald und fährt fort: „Wenn eine Sauce den Geschmack eines bestimmten Weins ganz und gar aufnehmen soll, muss der Wein gleich zu Beginn der Saucenbereitung in die Pfanne.“ Der Hauptgrund dafür, überhaupt mit Wein zu kochen, ist, dass er einem Gericht Säure gibt und diese wiederum als Gegenzug andere Aromen hervorholt. Weil aber Wein Alkohol enthält, fügt man ihn am Beginn des Kochens hinzu, damit er die Möglichkeit hat zu verdampfen und nur die gewünschten Aromen bleiben. Wein am Ende hinzuzufügen, hinterlässt einen quasi „rohen“ Weingeschmack, der nur in Ausnahmefällen positiv für das Gericht ist (Beispiel Champagner als Finishing im Risotto, Sherry in der Consommé).

Wer das Aroma des Weins in seiner Sauce verspüren möchte, muss dafür sorgen, dass Sauce und Fett sich miteinander verbinden, und das geht so: Man erhitzt Pflanzenöl, Butter oder Schmalz in einer Pfanne und lässt entweder klein gehackte Zwiebeln, Schalotten oder ein anderes, möglichst saugfähiges Gemüse glasig anrösten; wenn das Gemüse dann schön goldgelb ist, sozusagen „zusammenhält“, wird mit Wein aufgegossen. Wenn es ein Gericht für größere Portionen ist, in mehreren Etappen arbeiten, dabei den Wein fast zur Gänze bei relativ hoher Hitze einkochen lassen. Er verbindet sich mit dem Fett, und das Aroma ist im Gemüse ein für allemal festgesetzt. Durch das Einkochen verflüchtigt sich der Alkohol großteils, zurück bleibt sein konzentriertes Aroma. Am besten einen weiten Topf dazu verwenden, denn je größer die Oberfläche, desto schneller verdampft die „überflüssige“ Flüssigkeit – sofern kein Deckel drauf ist. Nun kann man Fleisch, Fisch oder weiteres Gemüse beifügen, mit Suppe aufgießen und hat schon eine Saucengrundlage; der typische Geschmack des Weins ist auch nach stundenlangem Schmoren aus der Sauce kaum zu vertreiben. Beachten sollte man allerdings, dass sich der Weincharakter nicht 1:1 auf die Speisen über-trägt. „Ich will ja keinen Glühwein“, erklärt Toni Mörwald. Durch das Mitkochen verdampft der Alkohol fast zur Gänze, Konsistenz und Aroma verdichten sich. Deshalb gilt Wein als geschmacksintensive Zutat, bei der ­weniger meist mehr ist. Eine klare Antwort auf die Frage, ob und wie viel Alkohol in einer Sauce oder in ­einem Gericht noch enthalten ist, gibt es leider nicht, da dies von sehr vielen Faktoren abhängt.

Faustregel: Ein Glas Rotwein in einem großen Topf Bolognese mit eineinhalb Stunden Kochzeit ist kein Problem. Bei zwei Litern Rotwein in der Sauce sollte aber länger geschmort oder bei offenem Deckel reduziert werden, damit der Alkohol auch völlig verdampft. Die bekannte Regel, zum Kochen tunlichst den Wein zu verwenden, der dann zum Essen serviert wird, hat ihre „natürlichen“ Grenzen. Es wird wohl kaum jemand auf die Idee kommen, seine edelsten und sündteuren Kreszenzen bedenkenlos über einem Rindsbraten verdampfen bzw. einkochen zu lassen. Wer etwa einen Riesling ­Smaragd aus der Wachau als Begleitung zur Bachforelle vorgesehen hat, dem wird sicher kein Stein aus der Krone fallen, wenn die Sauce dazu mit einem einfachen Riesling Steinfeder oder einem preisgünstigeren Welschriesling zubereitet wird. Oder, wer sich lange auf seinen, wie einen Schatz gehüteten Bordelais freut, der tut gut daran, ihn bis zum letzten Tropfen auszutrinken, nur sollte man dann die Sauce nicht mit einem Zweigelt, sondern mit einem Wein aus Bordeaux-Reben, also Cabernet Sauvignon oder Merlot, zubereiten. „Grand-Cru-Weine machen den Braten nicht besser. Hochkomplexe Weine sind fürs Kochen zu schade, weil die Hitze die feinen Aromen abtötet“, weiß Toni Mörwald. Egal ob Rot, Weiß oder Rosé, junge Weine mit ausgeprägten Fruchtnoten sind in der Regel die beste Wahl fürs Kochen mit Wein, denn diese bringen auch die besten Aromen in die Speisen. Zudem sollte beachtet werden, dass gerade Weißweine mit einer recht intensiven Säure aufwarten können. Wer mit Wein kocht, sollte Essig und Zitrone weglassen, ansonsten schmeckt das Gericht nach nichts anderem mehr als der Säure. In Rotwein hingegen sind Gerbstoffe enthalten, die der Speise einen zu bitteren Geschmack verleihen können. Schlagobers oder andere fettreiche Zutaten fangen diese Noten ab.

„Ich würde sicher keine Flasche Wein extra zum Kochen öffnen“, erklärt Dorli Muhr, Winzerin und Gründerin der Agentur Wine & Partners. „Kochreif“ ist auch übrig gebliebener Wein im Kühlschrank. „Eine wichtige Grundregel beim Kochen mit Wein ist: Schlechter Wein verliert seine negativen Eigenschaften nicht, sondern im Gegenteil, sie werden akzentuiert und verstärkt.“
Ob der Korkgeschmack im Wein beim Kochen oder Erhitzen von Wein verschwindet, ist nicht belegt. Er wird durch das Erhitzen sicherlich verringert, aber dadurch verdampft, wie schon erwähnt, in erster Linie der Alkohol und dann erst das Wasser. Die Inhaltsstoffe werden daher durchs Erhitzen vorerst konzentriert und somit auch der Korkgeschmack.
Die Meinung, dass sich der Korkton beim Erhitzen verflüchtigt, ist in der Praxis meist von der Empfindlichkeit des Kochs, den hinzugefügten Gewürzen und vom Verseuchungsgrad des Korks abhängig. Dorli Muhrs Empfehlung: „Finger weg von gekorkten Weinen, auch in der Küche.“ Im Zweifelsfall empfiehlt sich, den Korkwein aufzukochen, bevor damit ein Fond oder eine Sauce angesetzt wird. Schmeckt er dann noch nach Kork, muss er entsorgt werden. Grundsätzlich gilt: Der zum Kochen verwendete Wein soll in jedem Fall so gut sein, dass man davon gerne ein Glas trinken möchte. —

Coq au Vin
vom Wagram

Rezept von
Toni Mörwald

Zutaten für 4 Personen
1 Freilandhenne oder Junghahn von bester Qualität (ca. 1,5 kg) bzw. nur Brust- oder Haxerlteile, nach Belieben
1 EL edelsüßes Paprikapulver
1 TL Kreuzkümmel
1 TL Currypulver
½ TL Cayennepfeffer
Salz, Pfeffer
10 g zerlassene Butter
20 g Butter
2 EL Olivenöl
4 Knoblauchzehen, gehackt
1 Lorbeerblatt
½ Flasche Grüner Veltliner
(idealerweise vom Wagram)
300 g festkochende Erdäpfel
100 g Perlzwiebeln oder
Schalotten, geschält
4 Karotten, geputzt, in dicke
schräge Scheiben geschnitten
1 Stange Sellerie, geputzt, in dicke schräge Scheiben geschnitten
300 g braune Champignon,
geputzt, grob geschnitten
150 g Zuckerschoten,
schräg geschnitten
Muskatnuss, frisch gerieben
1 Bund Zitronenthymian,
Blättchen abgezupft und gehackt
Selleriegrün, geschnitten

Zubereitung
Das Huhn in Stücke teilen: Flügel abtrennen, Haxerl abtrennen und in Ober- und Unterteil trennen. Brust entlang des Brustknochens mit der Haut vom Brustkorb lösen und vierteln.
Zerlassene Butter mit Paprikapulver, Kreuzkümmel, Currypulver, Cayennepfeffer, 1 TL Salz und Pfeffer verrühren und die Hühnerstücke damit einreiben.

Butter und Öl in einem Schmortopf erhitzen, Hühnerstücke darin auf der Hautseite bei starker Hitze 2–3 Minuten goldbraun braten. Knoblauch und Lorbeer zugeben, Hühnerstücke wenden und auf der Fleischseite weitere 2 Minuten braten. Mit Wein ablöschen und den Wein ­vollständig einkochen lassen; mit ¼ l Wasser aufgießen und zugedeckt im vorgeheizten Rohr bei 170 °C Umluft ca. 35 Minuten schmoren.

Inzwischen Erdäpfel schälen, vierteln und in kaltes Wasser legen, danach abseihen. Erdäpfel, Perlzwiebeln, Karotten und Sellerie unter die Hendlteile mischen und weitere 30 Minuten zugedeckt garen. 20 Minuten vor Ende der Garzeit die Champignons und Zuckerschoten untermengen und offen fertiggaren.

Coq au Vin mit Salz, Muskatnuss und Pfeffer abschmecken und mit den Kräutern bestreut servieren. Die Franzosen essen Baguette dazu. Am Wagram darf es auch ein schönes saftiges Holzofenbrot sein.