Ein Lob auf die Trockenheit

Was macht amerikanische Steaks so gut und die österreichische Ware vergleichsweise so durchschnittlich? Alles deutet darauf hin, dass mit der "Dry Aging"-Reifung das Fleisch um einiges besser wird.

Ein Lob auf die Trockenheit

Text von Christian Grünwald Fotos: Philipp Horak
Österreichisches Rindfleisch hat einen untadeligen Ruf, wenn es im Kochtopf landet, aber bei kurzgebratener Zubereitung schwächelt es im Vergleich zur internationalen Konkurrenz. Warum eigentlich? Es sind verschiedene Faktoren, die die Fleischqualität beeinflussen: Rasse, Futter, Alter und Reifung. Die Genetik einiger Fleischrassen bestimmt unter anderem die Dimension des Muskelfleischs und auch den Fettanteil. Idealerweise sehen wir Fett in Form von kleinen Fettäderchen im Muskelfleisch. Je mehr Marmorierung, desto mehr Geschmack.
Das Fett kann manchmal nach dem Futter des Tiers schmecken. Fleisch von Rindern, die auf hochalpinen Weiden stehen, schmeckt anders als jenes aus einer Mais-Intensivmast. Natürlich spielt auch die Bewegung des Tieres eine wesentliche Rolle, wie überhaupt bei der Aufzucht gilt: Output durch Input. Logisch auch, dass das Fleisch eines jungen Tiers zarter schmeckt als jenes von einem zweieinhalbjährigen Ochsen, der aber vielleicht vergleichsweise ein volleres Geschmacksbild vorweisen kann.
Fleischhauer Manfred Höllerschmid weiß, was Spitzenköche wollen und brauchen: geschmackvolles, perfektes Fleisch, das es einer Küche leicht macht, erlesene Speisen zu kreiern. Mit seinem "Kamptaler Fleischwaren"-Betrieb beliefert er Gastronomen vom Rang einer Lisl Wagner-Bacher oder Toni Mörwald, die seiner kontinuierlichen Qualität vertrauen. Ein Vertrauen, das auch Höllerschmid gegenüber seinen Lieferanten hat. "90% des von uns verarbeiteten Fleisches kommt aus Österreich, der Großteil davon aus unserer näheren Umgebung in Niederösterreich. Wir kaufen vorzugsweise bei bäuerlichen Betrieben sowie bei Züchtern und Schlachthöfen, die wir gut kennen, mit denen wir schon lange zusammenarbeiten."
Den wohl größten Einfluss auf den Geschmack hat die Lagerung. Üblicherweise wird Rindfleisch hierzulande im Vakuum gereift. Das bedeutet, dass das Fleisch einige Tage nach der Schlachtung, portioniert in handelsübliche Teilstücke, in Vakuum verpackt wird und so zwischen 20 und 30 Tage reift. Manfred Höllerschmid meint, dass 10 Tage für Kochfleisch reichen, zumindest drei Wochen sollten für die Edelteile zum Kurzbraten vorgesehen sein. Was passiert in dieser Zeit? Sehr vereinfacht gesagt: Während des Reifeprozesses brechen die Enzyme die Eiweißstruktur des Fleisches auf, es wird zart.
Nach 20 bis 30 Tagen Vakuumreifung ist der Geschmackszenit erreicht. Besser und zarter wird das Fleisch danach nicht mehr, eher schon wieder schlechter. Mit der Reifezeit steigt aber auch die Keimbelastung, was einen Koch vor allem dann zu interessieren hat, wenn das Fleisch bei niedrigen Temperaturen zubereitet werden soll – oder gar recht "rare" zu Tisch kommt.
Das Reifungsverfahren im Vakuum wird oft auch als "Wet-Aging" bezeichnet. Wer einmal eine Vakuumverpackung aufgeschnitten hat, weiß angesichts des ausfließenden Flüssigkeitsgemisches aus Blut und Wasser, warum man von "wet" spricht.
Bei der "Dry-Aging"-Methode reift das Fleisch am Knochen hängend unter kontrollierten, optimalen Bedingungen an der Luft. Während der Trockenreifung am Knochen verliert das Fleisch 15 bis 20 Prozent seines Gewichts. Was da rausgeht? Vor allem Wasser. Es verdunstet im auf 2 Grad temperierten Kühlhaus. Entscheidend ist das Zusammenspiel von Temperatur, ständiger Luftzirkulation und optimaler Luftfeuchtigkeit. Wenn nur einer der Faktoren nicht passt, droht der Totalverlust. Weil das Fleisch möglicherweise zu schimmeln beginnt, oder ganz einfach verdirbt. Das Risiko gehen mitteleuropäische Fleischer nur ungern ein und packen daher ihre Ware lieber in das sichere Vakuum – noch dazu, wo ja das gleiche Stück früher reif ist und daher mehr Gewicht (= Geld) bringt. Schließlich muss man nicht nur den Wasserverlust, sondern auch das Mindergewicht durch das Wegschneiden des Knochens (an dem ja das Fleisch reift) und den Zuschnitt angetrockneter Fleischteile miteinberechnen.
"Dry-Aging" ist in den USA etwas völlig Selbstverständliches, wenn es um das perfekte Steak geht. So wie bei uns Käse in einem perfekt konditionierten Kühlraum lagert und reift, so geschieht Gleiches in den Kühlkammern der New Yorker Steakhauslegenden wie Peter Luger, Strip House, Keen’s, Gallagher’s oder Mortons.
Salopp gesagt herrscht dort ein perfektes Mikroklima, das das Fleisch innerhalb von vier bis sechs Wochen perfekt reifen lässt und ungemein geschmackvoll macht. Nur die Rücken, die dazu auch noch mit entsprechend guter Muskelmasse und ausreichend Fettanteil ausgestattet sind, lohnen das aufwendige Verfahren.
Es muss aber offenbar mehr sein, als nur die Reifungsmethode: Viele Stücke vom US-Fleisch können aufgrund der hohen Qualität auch kurz gebraten oder gegrillt werden, während die hiesigen Pendants nur als Schmorfleisch oder Kochfleisch taugen. Rinderrassen wie Angus und Hereford ergeben offenbar, in Verbindung mit intensiver Mast und sorgfältiger, bewegter Haltung eine Fleischqualität, die der europäischen enorm überlegen scheint. Trotzdem darf man dem heimischen Fleckvieh nicht unrecht tun: Zumindest bei unserer Verkostung präsentierte sich die hierzulande übliche Doppelnutzungsrasse als tadelloser Fleischlieferant.
Eine Extra-Kategorie nehmen in dieser Hinsicht Wagyu-Rinder ein. Die schwarzen Rinder wurden in Japan über Jahrhunderte in kleinen Herden gehalten, wurden durch die legendären Masten und Massagen mit Bier und Sake in der Region Kobe zu absolutem Kult.
In Europa sind Züchtungen aus den USA, Südamerika und Australien erhältlich. Japan selbst exportiert nicht. Wie auch bei herkömmlichem Rindfleisch gilt für Wag-yu ebenfalls der Problemkreis "Rasse-Futter-Alter-Reifung", wodurch nicht automatisch Topqualität gegeben ist. Auch muss man erwähnen, dass Wagyu zum Teil so absurd fett sein kann, dass es mit einem Rindersteak im landläufigen Sinn nur noch wenig zu tun hat.
Bis in die 1960er Jahre war die Trockenreifung am Knochen bei Fleischhauern allgemein üblich. Erst in der Zeit danach hat sich die Vakuummethode, bei der das Tier nach dem Auskühlen direkt in die einzelnen Zuschnitte zerlegt und in den Plastikbeuteln versiegelt reift, durchgesetzt. Gegner der Methode meinen, dass vakuumgereiftes Fleisch mitunter säuerlich-metallisch schmeckt. "Stimmt nur dann", findet Manfred Höllerschmid, "wenn es sich um überlagerte Ware handelt oder auch wenn das Fleisch nach dem Öffnen falsch behandelt wird." Man sollte das Stück mit kaltem Wasser abspülen und danach abtrocken. So kehrt auch wieder ein appetitlicher roter Farbton zurück. Die während der Reifung entstandene Flüssigkeit macht das Fleisch unansehnlich braun. Und dass so manche Ware aus Uruguay, Argentinien oder auch den USA mit enorm langen Haltbarkeitsdaten ausgestattet ist, wundert Höllerschmid hin und wieder schon. Er selbst nimmt es mit den Fristen für den optimalen Konsumzeitpunkt übervorsichtig genau. "50 Tage nach der Schlachtung ist bei uns die Haltbarkeitsfrist. Noch wichtiger aber ist: Ab dem Moment, in dem die Packung angeschnitten wird, verändert sich alles. Mit Luftkontakt schreitet die Reifung enorm schnell voran."
Einen Fleischer wie Höllerschmid interessieren natürlich andere Zeitabläufe als etwa einen Privatkonsumenten: "Ich habe Interesse daran, dass mein Fleisch auch beim Konsumenten noch einige Tage in Form ist und nicht auf der Stelle verbraucht werden muss." Je gereifter das Fleisch ist, desto kleiner ist dieses Zeitfenster. Perfekte Lagerung vorausgesetzt: "Null bis zwei Grad sind optimal, mehr als sechs Grad gehen überhaupt nicht. Eine auch nur kurz unterbrochene Kühlkette ist fatal, bei Dry-Aged-Beef sowieso, aber auch für vakuumierte Ware. Diese Temperaturschwankungen bewirken im schlimmsten Fall Aussaftung und einen unangenehmen Geruch."
Recht traurig erscheint, was Tag für Tag mit an sich sehr tollem Rindfleisch in Österreich passiert. Es kommt frisch geschlachtet nach ganz wenigen Tagen direkt in den Verkauf. Von Reifung ist da gar nicht die Rede. Und selbst wenn: Dass bei hochgelobten Vermarktungsprojekten in der Selbstdarstellung stolz auf eine Mindestreifungsdauer bei Edelteilen von neun (!) Tagen hingewiesen wird, klingt wie ein Hohn. Wirklich schade, dass letztlich so unreife und zähe Ware die Regel ist. Mit mehr Sorgfalt müsste das definitiv nicht sein.
Dass "Dry-Aging" generell die beste Reifemethode für das Fleisch ist, darf man als einigermaßen gesichert behaupten. Es wäre unrealistisch zu fordern, dass Fleischhauer deshalb das Vakuumieren bleiben lassen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn sich überhaupt die Erkenntnis durchsetzt, dass es völlig freudlos ist, fades, zähes, ungereiftes Fleisch zu essen. Wenn sich dann noch einige Spezialisten über die permanente Dry-Aging-Methode drübertrauen würden, also diese Qualität in nennenswertem Ausmaß regelmäßig anbieten, könnte aus dem so genannten Austria-Steak noch was werden.
Es muss ja der Reifebegriff nicht gleich so extrem wie in den USA definiert werden. Dort hängen in den Kühlkammern der traditionellen Steakhäuser Rinderrücken, die während der Trockenreifung locker ein Drittel des ursprünglichen Gewichts verloren haben, deren äußere Fleischschichten violett-blau verfärbt sind und wo auch schon mal deutlich sichtbare Schimmelschichten sichtbar sind. Natürlich wird das alles vor der Verwendung großzügig weggeschnitten, trotzdem sorgt vor allem der Schimmel für Diskussionen. Edelschimmel wie bei Käse oder Salami ist ja harmlos, ob er tatsächlich das Fleisch veredelt, ist allerdings äußerst fraglich. Noch fraglicher ist, ob es sich dabei in Wahrheit nicht um Wildschimmel handelt. Und auch, wenn der großzügig weggeschnitten wird, gewisse Bedenken bleiben, weil ja in dem jeweiligen Kühlmilieu in jedem Fall sehr spezielle Bakterien und Keime unterwegs sind. Umgekehrt: An einem so gereiften US-Prime-Beef ist offenbar noch keiner gestorben, so what …? Für Manfred Höllerschmid wären derartige Stücke im eigenen Kühlhaus aus der heutigen Denke heraus ein Horrorszenario. Und was die zuständige Lebensmittelbehörde dazu sagen würde, möchte er sich gar nicht ausdenken: "Weil wir diese Art der Reife ohnehin nicht anstreben."
Die Steakspezialisten in New York braten ihr Fleisch dann übrigens auf Herden mit einer Flammentemperatur von 800 °C, wodurch eine einzigartige Kruste entsteht. Dagegen wirkt die mächtige Feuerstelle für einen hier üblichen Wok wie ein Energiesparherd – aber das ist dann schon wieder eine ganz andere Geschichte.