Es werde Kimchi

Geduld ist eine der Tugenden, die es braucht, um mittels Milchsäuregärung aus frischem Chinakohl das kulinarisch-koreanische Kulturerbe herzustellen.

Text von Andrea Karrer · Illustration von Peter Jani

Das Schöne an Kimchi ist, dass es eine Seele zu haben scheint, sich ständig wandelt und in jedem Reifestadium anders schmeckt. Es gilt diesen spannenden ,Weg des Kimchis‘ zu begleiten und zu schmecken“, philosophiert Spitzenköchin Sohyi Kim, die bei uns vor allem als „Kim kocht“ bekannt ist. Am Anfang schmeckt Kimchi zwar vornehmlich pikant, jedoch ist ­eine fruchtig-süßliche Note deutlich zu erkennen. Frisch zubereitetes Kimchi schmeckt den meisten Einsteigern am ehesten. Dann irgendwann nach den ersten Wochen, wenn die Milchsäurebakterien langsam loslegen, jedoch noch nicht zur Höchstform gelangt sind, gibt es eine kurze mediokre Phase. Weder frisch noch sauer, ­weder Fisch noch Fleisch. In Korea sagt man dazu wortwörtlich, das Kimchi sei „verrückt“ geworden. Und niemand isst gerne Kimchi, das gerade durchdreht. Hier hilft nur Warten, ein bis zwei weitere Wochen. Zum Glück ist Geduld eine Eigenschaft, die den Koreanern zu eigen ist. Die dritte und letzte Phase dauert schließlich am längsten. In diesem Stadium kann Kimchi (je nach Sorte, Zubereitungsmethode und Lagerung) viele Wochen, Monate, teilweise über mehrere Jahre gelagert werden. Die Farbe wird immer dunkler und dabei auch transparenter. Einige schätzen bei sehr lange gelagertem Kimchi die spritzige Säure, welche im besten Fall ähnlich wie Kohlensäure zwischen Gaumen und Nase prickelt.

In Korea achtet man sehr auf die Wirkung von Nahrungsmitteln auf die Gesundheit und setzt sie zur Heilung ein. Ginseng, Algen, Sojabohnen – alles hat seine speziellen Anwendungsgebiete. Fermentierte Nahrungsmittel gelten als besonders gesund, weil sie lebende Bakterienkulturen enthalten. Im Laufe der Zeit ist es Wissenschaftlern gelungen, in Kimchi verschiedene Milchsäurebakterien zu identifizieren. Inzwischen hat man sogar eine Variante isoliert, die in keinem anderen Nahrungsmittel vorkommt: den Lactobacillus kimchicus. Milchsäurebakterien sind aus vielerlei Gründen interessant. Sie verlangsamen die Zersetzung von Gemüse, behindern andere, eventuell schädliche Bakterien und machen rohes Gemüse leichter verdaulich. Außerdem enthält Kimchi die Vitamine A, B1 und B2 sowie Kalzium und Eisen, aber auch sehr wenige Kalorien.

Ein einzig gültiges Rezept für Kimchi gibt es nicht. ­Chinakohl ist die Basis für die bekannteste Form. Verwendet werden jedoch alle möglichen Arten von Gemüse, je nach Jahreszeit Rettich, Gurke, Kürbis, Maroni, Radieschen, Schnittknoblauch, Löwenzahn, Lauchzwiebel oder auch Bärlauch. Wobei jede Sorte auch etwas anders zubereitet wird. In Korea gibt es noch viel mehr Varianten, zum Beispiel ein saftig-knackiges Kimchi aus Süßkartoffelstängeln, das man aber auch nur dort findet. Eine milde Variante ist Wasser-Kimchi. Meeresfrüchte und Fischsauce spielen in Küstennähe eine weit größere Rolle als im Hinterland. Zu den regionalen Unterschieden gibt es auch noch die verschiedenen Rezepte innerhalb der Familien. Die Herstellungsprozedur nennt man Kimjang. Von der UNESCO wurden Kimchi und Kimjang 2013 als „immaterielles kulturelles Erbe“ ­anerkannt. Kimjang ermöglicht den Koreanern, den Brauch des Teilens unter Nachbarn zu praktizieren, währenddessen die Solidarität gefördert und ihnen ein Gefühl der Identität und Zugehörigkeit gegeben wird. „Die Aufnahme des Kimjang in die Liste könnte zur Sichtbarkeit des immateriellen Kulturerbes beitragen, indem der Dialog zwischen verschiedenen Gemeinschaften national und international gestärkt wird, die Essgewohnheiten pflegen, die auf ähnliche Weise ­natürliche Ressourcen kreativ verwenden“, sagte das Komitee über seine Entscheidung, Kimchi und Kimjang in die Liste aufzunehmen.

Um eine bedeutende Menge Kimchi zu produzieren, erfordert ein Kimjang große menschliche Anstrengungen. Das Kimjang ist nicht nur eine wichtige Familienangelegenheit, für die die Teilnahme aller Familienmitglieder notwendig ist, sondern es ist auch eine bedeutende Veranstaltung in Dörfern, an der sich alle Nachbarn beteiligen. Obwohl die gesamte Familie am Kimjang teilnimmt, wurde die Kimchi-Vorbereitung traditionell den Frauen zugewiesen. Die Art, wie Kimchi hergestellt und gelagert wird, kann sich je nach Region unterscheiden, überall aber – bevor der Winter kommt – stellen Mütter und Schwiegertöchter Kimchi her und geben ­ihre eigenen, individuellen Rezepte weiter, von Generation zu Generation. „Ich bin mit Kimchi aufgewachsen“, erinnert sich Sohyi Kim. Tradi­tionell wird Kimjang-Kimchi (Kimchi, das während des Kimjang hergestellt wird) in Krügen gelagert und konserviert, indem der Krug fast vollständig eingegraben wird. Frauen produzierten das Kimchi, während die Männer das Eingraben übernahmen. Am Kimjang-Tag reichten die Frauen gekochtes Fleisch und bereiteten Geotjeori zu, um es mit anderen zu ­teilen, die ihnen bei der Kimjang-Prozedur geholfen hatten. Geotjeori ist frisches Kohl-Kimchi, das aus Rettich und Kohl gemacht wird, gemischt mit gesalzenem Fisch, Chilis und anderen Gewürzen.

In der Vergangenheit machten die meisten Menschen ihr Kimchi während des Kimjang, da der Großteil von ihnen mit vielen Familienmitgliedern zusammenlebte, oft drei Generationen unter einem Dach. Heute kauft eine steigende Zahl von Menschen ihr Kimchi, da die individuellen Haushalte kleiner geworden sind. Solche Trends sind deutlich in Seoul und anderen Großstadtgebieten zu sehen, wo viele Jugendliche gar nicht mehr unbedingt viel Kimchi essen. Auch sind mittlerweile viele Frauen gut ausgebildet und berufstätig. „Korea ist immer noch sehr hierarchisch, autoritär und patriarchalisch strukturiert, das sage ich jetzt völlig wertfrei, doch man hatte nicht auf dem Schirm, dass, wenn man junge intelligente Frauen fördert, sie in die Schule schickt und ausbildet, man dieses System nicht aufrechterhalten kann“, erläutert ­Sohyi Kim.

So haben viele Frauen heute gar keine Zeit mehr, Kimchi selbst herzustellen. Es gibt bestimmt sogar Frauen, die noch nie selbst Kimchi gemacht haben. Sie bekommen es entweder von der Schwiegermutter oder kaufen es im Supermarkt. Daran kann man erkennen, dass sich die Dinge und Wertigkeiten verändern.

Was Kimchi zu Kimchi macht, erklärt von Sohyi Kim:

Zutaten
1 Chinakohl, 150 g Meersalz;
für die Paste (Dadegi): 150 ml Wasser, 1 EL Reismehl, 1 Karotte, 1 Jungzwiebel, 2 grüne Chilischoten, 3 rote Chilischoten, 3 EL Anchovissauce, 50 g koreanisches Chilipulver, 1 Knoblauchzehe, 1 cm frischer Ingwer, einige Petersilienblätter

Einsalzen und entwässern. Salz ist eine wichtige Zutat beim Kimchi, ­seine Qualität ist nicht unerheblich für das Ergebnis. Gutes Meersalz gibt dem fertigen Kimchi einen „süßlichen“ Geschmack. „Nicht umsonst ­habe ich in meinen Rezepten immer Meersalz angegeben. Zudem sind alle Mengenangaben auf Meersalz ausgerichtet. Bei Verwendung von feinkörnigem Salz sollte man die Salzmenge reduzieren.“ In Korea gilt Meersalz, das mindestens drei Jahre gelagert wurde, als das beste Salz für Kimchi. Das Gemüse in eine große Schüssel legen, salzen, auch zwischen den Blättern, und 24 Stunden bei Raumtemperatur stehen lassen. Es gibt auch Rezepte, bei denen das Gemüse in eine Salzlake ­eingelegt wird. Das Gemüse wird eingesalzen, um die Zellstruktur ­aufzuschließen. Die Blätter fühlen sich nach dem Einsalzen weicher und geschmeidiger an – sie gären dadurch leichter und nehmen die Aromen besser auf.

Nach dem Einsalzen müssen die Blätter abgewaschen werden, sonst wird das Kimchi zu salzig. Danach probiert man pur ein kleines Blatt mit etwas (von der vorbereiteten) Gewürzpaste. Wenn es kräftig würzig-salzig, aber nicht versalzen schmeckt, dann passt es. Wenn es VIEL zu salzig schmeckt, kann man jetzt noch die Gewürzpaste mit Rettich (fein geschnitten –
Julienne) „strecken“.

Zubereitung der Kimchi-Gewürzpaste (Dadegi): Wasser mit Reismehl aufkochen und abkühlen lassen, danach Knoblauch, Chili, Ingwer, Anchovissauce und Chilipulver im Mixer grob pürieren. Karotten und grüne Chilis fein nudelig schneiden, Petersilie abzupfen. Dadegi mit Karotten, grünen Chilis und Petersilie gut vermengen. Kohl mit Kimchi-Paste gründlich vermengen, etwas Paste auch zwischen die Chinakohlblätter reiben. (Unbedingt Einweghandschuhe verwenden!) Man kann dieses Kimchi sofort genießen. Oder gären lassen: Den Chinakohl zusammenrollen und dicht, aber doch locker in ein Gefäß mit fest schließendem Deckel geben und bei Zimmertemperatur 24 Stunden stehen lassen. Danach in den Kühlschrank stellen. Kimchi kann man bis zu drei Jahre fermentieren lassen oder auch länger.

Falls noch Kimchi vom letzten November übrig ist, stellt sich unweigerlich die Frage: Was tun mit sehr saurem Kimchi? „Gereiftes Kimchi verwenden Koreaner als ­Zutat in warmen Gerichten wie Kimchi-Eintopf, Kimchi-Zucchini-Puffer, Kimchi-Mandu, Kimchi-Pfannkuchen, Kimchi-Kimbab (koreanische ­Makirollen), Kimchi-Ramen oder … Die Liste ließe sich unendlich fortsetzen“, die Spitzenköchin ist kaum zu stoppen. „Kimchi ist einfach großartig und mehr als nur eine Beilage, es ist Soulfood.“

Koreanische Grammelknödel mit gebratenem Kimchi-Bauchfleisch
Von Sohyi Kim, Restaurant Kim kocht, Wien

Zutaten für Ca. 8 Stück

Füllung
100 g Grammeln, klein gehackt
1 EL Bibim Chilisauce (Kim Shop)
½ TL Sesamöl
½ TL Knoblauch, gehackt

Teig
200 g mehlig kochende Kartoffeln
2 Eidotter
50 g griffiges Mehl oder Kartoffelstärke
Prise Salz
Stärkemehl zum Ausarbeiten

Gebratenes Kimchi
100 g Bauchfleisch, in dünne Scheiben geschnitten
½ Zwiebel, gehackt
100 g saures Kimchi (Rezept siehe Text), gehackt
1 TL dunkles Sesamöl

Zubereitung
Füllung: Grammeln mit restlichen Zutaten bei mittlerer Hitze ca. 4 Minuten rösten; auskühlen lassen.
Teig: Kartoffeln kochen oder dämpfen, abseihen, schälen und durch die Kartoffelpresse drücken; mit Dottern, Mehl oder Kartoffelstärke sowie Salz rasch zu einem Teig verarbeiten.
Den Teig auf einer mit Stärkemehl bestreuten Arbeitsfläche zu einer Rolle formen und diese dann in 8 Stücke teilen. Teig­stücke mit den Händen flach drücken, jedes Teigstück mit 1 TL Spicy-Grammeln belegen und zu einem Knödel formen. Die Knödel in kochendes Salzwasser einlegen und bei geringer ­Hitze ca. 10 Minuten ziehen lassen.
Inzwischen Bauchfleisch mit Zwiebel und Kimchi in Sesamöl ­unter Rühren bei mittlerer Hitze braten.
Knödel mit einem Lochschöpfer aus dem Wasser heben, gut ­abtropfen lassen und auf dem gebratenen Kimchi anrichten.

Bei der von Sohyi Kim organisierten „KimChi-Challenge“ am 21. Oktober 2018 stellten sich 12 Kimchi-Köche der Herausforderung, da­runter ein erst 11-jähriger Koch. In die engere Auswahl kamen fünf Teilnehmer, die ihre ­Kimchi-Kreationen live vor Ort zubereiteten. Das Rezept des Gewinners, Kimchi mit ­hausgeräucherter Entenbrust, kann man auf der Website von Sohyi Kim abrufen.

Im Kim Shop ist auch eine Kimchi-Produktpalette erhältlich:
Währinger Straße 44, 1090 Wien
Tel.: 0664/425 88 44
Mo.–Fr. 11–18 Uhr
www.sohyikim.com

Im kleinen Pulmuone Kimchi Field Museum ­erfährt man alles, was man über das geliebte ­Nationalgericht von Korea wissen muss, von der Zubereitung über Rezepte bis zur Verkostung der verschiedenen Kimchi-Arten. www.kimchikan.com
Lesenswert:
Kimchi – Die Seele der koreanischen Küche
von Byung-Hi & Byung-Soon Lim