Es wird oft spät, spät, spät, bevor er geht, geht, geht …

Der Germteig ist ein heikler Kunde: Er will erst geschlagen und dann zärtlich zugedeckt werden, damit sich bei ihm was rührt.

Es wird oft spät, spät, spät, bevor er geht, geht, geht …

Text von Eva Deissen Illustration: Eva Deissen
Neulich sitz i uma halba zwa im Hawelka, bei a paar Wuchteln und bei an Bier …", sang der Danzer-Schurli, "… und a Nackerter kummt eina bei der Tür." Tja, liebe Freunde, das Nonplusultra der Wiener Jause wird eben nicht unbedingt um fünf am Nachmittag serviert, und die flüssige Labe muss nicht immer eine Kaisermelange sein, wie es die bebilderten Speisenkarten in den Touristenfallen gern suggerieren. Im Café Hawelka gehen die Uhren sowieso anders. Da kommen die frischen Buchteln erst aus dem Backrohr, wenn biedere Bürger schon überlegen, ob sie noch die zweite "Zeit im Bild" anschauen sollen. Und dazu trinken Kenner, wenn schon nicht ein Bier, so doch heiße Schokolade mit Rum.
Es ist so halb zehn vorbei, und Frau Josefine Hawelka verteilt die Abend für Abend sehnsüchtig erwarteten Teller mit ihren berühmten Buchteln auf den Tischen. "Sag, hast du eigentlich schon einmal selber Wuchteln g’macht, mit Germteig und so?", werde ich gefragt. Nein, eigentlich nicht. Zu viel Patzerei. Als Kind habe ich ganz gern zugeschaut, wenn die Großmutter den Germteig im Weitling mit einem großen Kochlöffel bearbeitete, bis er Blasen warf. Aber was war das nicht immer für ein Getue! Tür zu! Renn net immer aus und ein! Schließlich hätte der kleinste kalte Luftzug das Todesurteil für den heiklen Burschen bedeutet.
Nachdenklich betrachte ich das nächtliche Tagwerk der Frau Hawelka. Wie macht sie das nur? Jede Nacht, keine Fünftagewoche, nur Dienstag ist der von Hawelka-Habitués gefürchtete Ruhetag. Unglaubliche 91 Jahre ist sie jetzt alt. Aber immer auf den Füßen, erzählt die schrulligsten Geschichten vom Herrn Curd Jürgens, der oft so einen Liebeskummer gehabt hat, und vom Herrn Onassis (sic!), der nach dem Krieg Bündel von Dollarscheinen nur so aus den Sakkotaschen zog. Und vom Herrn Konrad Bayer, "der so traurig g’schaut hat, i hab g’wusst, der tuat sie was an!" Dazwischen ihre legendäre Umsicht für Neuankömmlinge: "Hamma schon a Platzerl, a Platzerl? Wer ma glei ham!" Und immer wieder verschwindet sie dazwischen in der Küche, um ihre Buchteln zu betreuen. Bis sie, lang nach der Sperrstund‘, um zwei Uhr früh zufrieden ihre Bons zusammenzählt.
Eigentlich geniere ich mich jetzt schon ein bisserl, dass mir das Anfertigen eines Germteiges als unzumutbare Leistung erscheint. Ist doch eigentlich eine Schande. Da ist man Wienerin mit Leib und Seele und hat noch nie einen Germteig gemacht? Den letzten Stoß gibt mir dann der beliebte Fernsehkoch Jamie Oliver, der vor Publikum im Handumdrehen einen Pizzateig zusammenschlägt. Mit Trockenhefe! Allein dieses Wort macht mir Kummer. Schrecksekunde: Kriegt man heute eigentlich noch eine ganz gewöhnliche, frische Germ? Man kriegt sie, keine Angst. Ganz normal im Supermarkt.
Frau Hawelka macht kein Geheimnis aus ihrem Germteig. "Einem Herrn aus Israel hab ich’s einmal aufgeschrieben, für seine Frau, gaaanz genau! Ein paar Monat‘ später ist er wiedergekommen und hat sich beklagt, dass die Wuchteln ganz, ganz schrecklich geworden sind, steinhart! Na ja, da gibt’s sowieso nur eins, die Erfahrung, die Erfaaahrung! No, i nehm schon a Küchenmaschin‘, da hab ich noch eine aus die Fuffzigerjahr‘, die heutigen sind ja gar nix mehr wert."
Tatsächlich sind alle Rezepte für Buchteln einander sehr ähnlich. Die Standardzutaten sind nun einmal Mehl, Germ, Milch, Butter, Zucker, Vanillezucker, Zitronenschale, Schuss Rum (nach Belieben), Prise Salz, Marmelade zum Füllen. Aber wie man diese schlichten Ingredienzen so auf die Reihe kriegt, dass zum Schluss die ersehnten flaumigen Teufelchen herauskommen, ist eine andere Frage. Allein beim so genannten "Vorteig", der in Wien "Dampfl" heißt, scheiden sich die Geister. Man kann, wie meine Mutter das gemacht hat, in das gesiebte Mehl ein Grübchen hineinmachen, die Germ hineinbröseln, mit lauwarmer Milch begießen, mit Mehl leicht bestäuben, das Ganze mit einem Geschirrtuch zudecken und "an einem warmen Ort rasten lassen", wie das Zauberwort heißt. Warten, bis sich das Dampfl wölbt und die Oberfläche Risse zeigt, dann alle restlichen Zutaten, die lauwarm sein sollten, dazumischen und mit dem Knetwerk beginnen. Oder man macht das Dampfl extra in einem Häfer, wartet, bis die Oberfläche feine Risse zeigt und gibt es dann dazu.
Der oberste Großmeister der französischen Patisserie, Gaston Lenôtre, mahnt streng: "Hefe niemals in direkten Kontakt mit Salz oder Zucker bringen!" Und auch die Wiener Altmeister Ziegenbein und Eckel warnen: "Der Hefe Zucker zuzusetzen, ist nicht gut, da das Aufgehen des Teiges dadurch verhindert wird." Frau Hawelka wiederum flüstert verschwörerisch: "Net vergessen, a bisserl an Zucker dazugeben, der macht die Germ erst gehert!" Als Praktikerin wird sie das kaum interessieren, aber auch im Internet ist man ihrer Meinung: "Bei der Zersetzung des Zuckers entstehen Alkohol und Kohlensäure, dadurch geht der Teig auf und wird gelockert."
Schon schwirrt mir der Schädel vor lauter Theorie, und noch ist keine einzige Buchtel meinem Backrohr entsprungen. Diesem Zustand des Zweifels macht ein entschlossener Freund des Hauses ein energisches Ende. Er erscheint am Sonntagnachmittag mit einer Tupperwareschüssel in der einen und mit einem handgeschriebenen Buchtelrezept seiner Mutter in der anderen Hand. Die Tupperwareschüssel muss er ihr wieder zurückgeben, sonst ist er enterbt. Wir fangen an. "Wo ist der Rum? Meine Mutter hat gesagt, der ist ganz wichtig." Ein großzügiger Schwapp ergießt sich in den entstehenden Germteig. Nicht so viel, keife ich, wer weiß, ob der Alkohol nicht die Germ am Aufgehen hindert! Beleidigt nimmt er einen Schluck Inländer.
Der ziemlich fertige Germteig hockt in seiner Wunderschüssel, Deckel drauf, und nun wird sie in warmes Wasser gestellt. Wie die Blöden sitzen wir nun in der Küche und starren die Schüssel an. "Meine Mutter hat gesagt, wenn der Deckel ,plopp‘ macht und aufspringt, ist der Teig fertig." Aber der Deckel macht nicht plopp. "Siehst es, der Rum ist schuld!", klage ich. Der Freund nimmt beleidigt einen weiteren Schluck seines geschmähten Mitbringsels. Schließlich ist der Teig doch irgendwie aufgegangen, ich schlage ihn noch einmal mit dem Kochlöffel zusammen. Wieder warten wir auf ein "Plopp!", das nicht und nicht kommen will. Der Freund schwingt vergnügt das Rumfläschchen in der Faust und singt: "Der alte Sünder, der kennt sich aus! Es wird oft spät, spät, spät, bevor er geht, geht, geht …" Bevor wir uns totlachen, verrühre ich rasch den Powidl mit dem Tropfen Rum, der noch übrig geblieben ist, und fülle die Buchteln.
Dann sitzen wir wie die Idioten vor dem Backrohr und starren hinein: "Jöh, schau, wie schön’s aufgehen!" Es wird oft spät, spät, spät … Schließlich haben wir tatsächlich wunderbare Buchteln. Ich beiße hinein und könnte nun nicht sagen, was mich enttäuscht. Es sind einfach ganz banale, stinknormale, wenn auch ganz ausgezeichnete Wuchteln. Aber ich hatte irgendeinen Traum von etwas ganz Überirdischen.
In stiller Einkehr mache ich mich heimlich am nächsten Sonntag in aller Früh noch einmal ans Werk. Ich halte mich jetzt mehr an Lisl Wagner-Bacher, in deren von ihrer Mutter ererbten Rezept für "Wachauer Buchteln" vorgeschlagen wird, die Germ in einem lauwarmen Gemisch von Milch und Obers aufzulösen. Auch sie nimmt übrigens, das scheint der weibliche Weg zu sein, etwas Zucker für das Dampfl. Ach was, denke ich mir, die Pflicht habe ich vorigen Sonntag gemacht, jetzt kommt die Kür. Die Buchteln sind schließlich beim letzten Mal eh was geworden. Jetzt werde ich ein bisschen Gas geben. Ich nehme mehr Obers als Milch und zwei Eidotter mehr als im Rezept angegeben, juble ich heimlich auch noch dazu, juchu! Allerdings nehme ich mir Lisl Wagners einzigartigen Vorschlag, die Eier schaumig zu schlagen, sehr zu Herzen. In diesen duftigen Eierschaum gebe ich auf eigene Faust die Schale von – Verzeihung, große Meisterin! – zwei Zitronen statt nur von einer, denn sauer macht lustig sowie der auch von Gerer vorgeschlagene Rum, und kippe ihn samt dem Dampfl ins Mehl. Meine seit 20 Jahren so gut wie nie benutzte Küchenmaschine hole ich eingedenk der Worte der Frau Hawelka aus dem hintersten Winkel der Kredenz und lasse den Germteig darin kreisen, bis er die heiß ersehnten Blasen wirft und sich vom Gefäßrand löst. Freudig sehe ich ihn aufgehen wie einen goldenen Luftballon und schlage ihn nun doch mit dem Kochlöffel zusammen, damit wenigstens irgendetwas von der Tradition der Großmutter auch dabei ist. Nochmals geht er prächtig auf. Der fertige Teig ist so weich, dass ich Angst habe, ob er sich wohl formen lässt. Er lässt! Er greift sich mit den bemehlten Händen so gut an, so seidig glatt, weich und doch dem Druck der tastenden Finger elastisch widerstehend, dass die strenge Domina ganz zärtliche Gefühle für diesen sensiblen Liebhaber des Abgeschlagenwerdens entwickelt.
Die fertigen Buchteln sollen nun noch einmal aufgehen. Schwupps! Nach wenigen Minuten ragen die vorhin noch so kleinen Wuzis eineinhalb Zentimeter über den Rand der Pfanne. Nun schalte ich auf 175 Grad. Wieder sitze ich wie gebannt vor dem Backrohr. Die fertigen Buchteln sind schließlich genau so, wie ich sie mir in meinen kühnsten Träumen ausgemalt habe.
Trotz meines Eifers, das Geheimnis des Germteiges zu lüften, habe ich ja in diesem Leben keine Chance mehr, dem Rekord der Frau Hawelka, die ihren täglichen Output von Buchteln so rund um die 80 Stück einschätzt, und das seit mehr als einem halben Jahrhundert, in irgendeiner Weise Paroli zu bieten. Wenn ich also irgendwann wieder einmal Lust auf Buchteln bekommen sollte, dann werde ich dieselbe mit Sicherheit in der Dorotheergasse stillen. Dort ist es halt doch viel spannender, plaudernd und sehnsüchtig abzuwarten, bis die Buchteln aus Frau Hawelkas winziger Zauberküche kommen. Die archaische Gier nach diesem urbanen Abendmahl kann man in den eigenen vier Wänden nicht entwickeln, darum schmeckt es auch so unvergleichlich. Und der Schmäh, der da rennt, ist mit der stummen, wenn auch spannenden Zwiesprache mit dem Backrohr, diesem wahrlich herben Schicksal der züchtigen Hausfrau, nicht zu vergleichen.
Drum wird’s oft spät, spät, spät …