Fleisch und Lust

Es hatte alles. Fell und Kopf und Klauen. Und es war tot. Der Jäger hatte das Wildschwein gebracht und gemeint, wir wollten das so. Weil er offenbar davon ausging, dass man beim Buchinger alles mögliche Seltsame will.

Text von Eva Rossmann Foto: Lukas Gansterer, Glow Images

Wahr war, dass wir für ein Magazin und den Jagdverband vorführen sollten, wie man ein Wildschwein zerlegt. Und was man daraus zubereiten kann. Nicht wahr war, dass das mit dem Fellstadium beginnen muss. Und schuld war eigentlich ich. Weil ich die E-Mail des netten PR-Typen nicht genau genug gelesen hatte. Und weil mir nicht klar war, dass er auch Jäger ist. Und weil ich von der Jägersprache nur das Wenige weiß, was ich mir von Joschi gemerkt habe.

„Morgen um 10 Uhr wird Herr Schöfberger in der ,Alten Schule‘ ein Wildschwein anliefern, mit Schwarte“, hat er mir geschrieben. Und dass ein Schwein, wenn es – egal ob wild oder nicht – grob zerteilt zu uns kommt, noch seine Schwarte hat, das ist normal. Aber Schwarte heißt in diesem Fall offenbar Fell. Und so ein Viech mit Fell darf erstens aus verständlichen hygienischen Gründen nicht in die Küche und zweitens ist es eine ziemliche Arbeit, ihm Selbiges abzuziehen. Zum Glück ließ sich der Jäger erweichen und ich durfte das nette Tier drei Stunden später so abholen, wie wir es gerne sehen.

„Wenn er keine Augen hat, dann schon!“, sagt die Dame am Tisch 11 und spielt mit ihren zahlreichen Armbändern. Einige scheinen aus Horn zu sein. Sie trägt eine Bluse im Leoparden-Look. Ist immer wieder modern. Was weiß ich warum. Wir reden über einen Fisch. Weil eigentlich will sie keinen, Tiere zu essen bringe sie nicht übers Herz. Weil sie habe Hunde. Und eine Katze. Und außerdem … Bevor sie mir die Fische im Aquarium aufzählt, empfehle ich ihr unsere vegetarischen Gerichte. Haben wir natürlich auf der Karte. Keine, auch keiner muss immer Fleisch essen. Tue ich auch nicht. Sie entscheidet sich doch für die Bachforelle. Wenn … ja, wenn sie schön ausgelöst und ohne Kopf und Schwanz und ähnliche lebensnahe Details zu haben sei. Ist sie. Quasi Tier minus Tier.

Ich kenne das mit den fleischlosen Anwandlungen ja selbst. Seltsamerweise nicht dann, wenn ich, wie ich es vom Buchinger gelernt habe und wie es auch schon unsere Lehrlinge Kevin und Moritz können, irgendein Tier zerteile. Ich mache das gerne, es hat so etwas … Ursprüngliches. Ich habe sie dann, wenn ich mit Buchingers unbeschreiblich liebem Hund spiele. Oder wenn ich Katzen streichle. Oder mich über die staksigen Lämmer auf der Weide nicht weit vom Gasthaus freue. Oder wenn ich sehe, was für großartige Bocksprünge junge Galloway-Rinder drauf haben. Da frage ich mich: Muss ich das wirklich essen? Niemand kann mir sagen, dass diese Tiere keine Gefühle haben, keine Freude, keine Angst verspüren, dass es ihnen egal ist, was mit ihnen passiert.

Mein mentales Vegetarierinnentum dauert allerdings bloß kurz. Weil da ist der (sorry, ihr echten Aus-Liebe-zum-Tier-fleischlos-Lebenden, ich habe großen Respekt vor euch!!!) unglaubliche Geruch eines kross angebratenen Galloway-Steaks, der Duft einer Lammschulter, die aus dem Ofen kommt, der zarte Geschmack eines gebackenen Ziegenkitzes, das … hm. Das bisweilen in zwei Plastiksäcken geliefert wird und dann noch warm ist. Da setzt es aus bei mir. Noch warmes Fleisch will ich nicht angreifen. Ist mir doch zu nahe am Tod. Genauso, wie ich es wohl nie schaffen würde, ein Tier zu schlachten. Ich bin nicht damit aufgewachsen, habe es nicht gelernt. Und muss vor allem auch nicht davon leben.

Ich stamme aus der ersten Supermarktgeneration. Der bei uns am Stadtrand von Graz war zwar noch klein und hatte bei weitem nicht das Angebot der heutigen, aber Fleisch hat man schon schön verpackt als Schnitzel oder dergleichen bekommen. Dass heute viele Fleischesser nicht wissen, wie das Tier aussieht, dessen Teile sie zu sich nehmen, dass sie keine Ahnung haben, woher es kommt und wie es gelebt hat, dass sie das alles auch nicht wissen wollen, ist Tatsache. Und es hat wahrscheinlich auch damit zu tun, wie viel Fleisch ständig weggeworfen wird. Weil das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist und man nicht gelernt hat, der eigenen Nase und den eigenen Augen zu vertrauen. Weil man für die Großpackung weniger zahlt und aber nur die Hälfte davon braucht. Weil es zubereitet leider zäh war. Weil es so gar nix mit dem kessen Schweinchen aus der Werbung zu tun hat, das echt süüüüß ist und das man ebenso wenig essen würde wie das eigene Meerschweinchen. Das ist bloß in Südamerika eine Delikatesse. Unsere Jolanda hat zu einem Geburtstag ein Geselchtes von ihren Verwandten aus Ecuador geschickt bekommen. Ihre Kinder sind aber schon hier großgeworden und haben das eklige Ding, noch bevor sie es retten – und essen – konnte, entsorgt.

Die Sache mit dem praktisch verpackten, quasi abstrahierten Fleisch betrifft freilich nicht bloß Privathaushalte. In vielen Betrieben der Top-Gastronomie kommen die Edelteile exakt zugeschnitten und dekagenau konfektioniert vakuumverpackt vom Händler. So wird jede Portion exakt gleich. Lammfilets, Hirschrückensteaks und Perlhuhnsupreme. Bei uns hat vor einigen Jahren ein wirklich guter Koch aus einem entsprechend ausgezeichneten Wiener Spitzenbetrieb probegekocht. Er hat die Lammschulter, die wir ihm, ohne uns viel dabei zu denken, zum Auslösen hingelegt haben, verzweifelt angesehen. Das habe er schon sehr lang nicht mehr gemacht, hat er dann gemurmelt. Oder auch nie.

Während allerdings doch immer mehr Gastronomen und Köchinnen draufkommen, um wie viel spannender und befriedigender es ist, alles vom Tier zu verarbeiten und das auch selbst vorzubereiten, so ist das bei der sogenannten Systemgastronomie natürlich überhaupt undenkbar. Kann schon sein, dass das doppelt getötete Fleisch (zuerst – klar – das Tier und dann die Fleischmasse, in dem man sie erbarmungslos brät, bis kein Saft mehr drin ist) für die beliebten Billig-Burger tatsächlich aus Österreich stammt. Sicher ist, dass keiner der lieben Zubereiter an seinem Arbeitsplatz je etwas Tierähnliches gesehen hat. Auch den meisten der Gäste würde es grausen, sollten sie den Prozess vom Tier zum Innenleben ihres Brotes vorgeführt bekommen. Und dass beim Sonderangebotsschnitzel zum Superkampfpreis, weil jeder ein Mittagsmenü anbietet und der Chinese sogar ein Büffet, nix mit Tier im annähernd ursprünglichen Fleischzustand ist, sollte jedem einleuchten. Schnitzel gibt’s tiefkühlfrisch aus dem großen Sack. Und Nuggets nach einer beinahe wunderbaren Hühnerfleischvermehrung durch Wasser und ein paar Dinge, die das Wasser binden, ebenfalls.

Manchmal frage ich mich: Was machen die mit dem Rest? Das sind Berge von Tierleichenteilen. Wird alles zur Wurst? Mahlzeit. Oder doch Hundefutter? Gelagert in wahren Kühlhauskathedralen bei extremen Minustemperaturen, Container über Container, bis man die Ware braucht?

Wenn schon Fleisch, dann echt. Josef Zotter, ja, der mit der Schokolade, hat einen „Essbaren Tiergarten“ gebaut. Weil er rund um sein Schokoland noch Platz genug gehabt hat. Und weil es ihm auf die Nerven gegangen ist, wie wenig die Leute noch mit dem zu tun haben, was sie essen. Jetzt gehen dort im Wald alte Schweinesorten spazieren, auf den Hängen weiden besondere Rinder, es gibt Ziegen mit absurden Hörnern und Geflügelarten, die ich noch nie gesehen habe. Und alles, was man in dieser Idylle sieht und teilweise auch streicheln kann, das bekommt man bei ihm im „Essbar“ zu essen. Vegetarisches, das da wächst, übrigens ebenso. „Schau dem Essen in die Augen“, fordert er und hofft, dass viele, auch jetzt noch kleine, Menschen so verstehen lernen, was ein Tier ist und was Fleisch ist und dass man es mit einem gewissen Respekt genießen sollte. Es hat genug Leute gegeben, die ihn (wieder einmal) für verrückt gehalten haben. Kinder würden weinen, Erwachsene nicht wissen wollen. Der essbare Tiergarten geht gut. Und den Tieren dort geht’s auch gut.

Dass es den Tieren bis zum Schluss gut geht, ist ja gar nicht so einfach. Die Hausschlachtung wurde in den letzten Jahrzehnten so gut wie unmöglich gemacht. Ich hab es noch als Zwanzigjährige erlebt: Das Schwein, das neugierig vom besonderen Futter herausgelockt wird … Was dann kam, war natürlich nicht freundlich, aber es ging schnell und kam sozusagen aus heiterem Himmel. Danach wurde zerteilt und verarbeitet, zu allererst gab es das Bluattommerl – wir waren ja in der Steiermark. Und die im Schmalz eingelagerten geselchten Würste haben, ganz ohne Ablaufdatum, so lange köstlich geschmeckt, bis sie gegessen waren. Mit der EU haben die Einschränkungen der Hausschlachtung übrigens nur zum Teil zu tun. Da war viel mehr die fleischverarbeitende Industrie dahinter und auch die Schlachthöfe, die Auslastung gebraucht haben, und das schon vor unserem Beitritt zur Gemeinschaft.

Einer, der sich damit nicht abfinden kann, hat vor kurzem einen Schlachthof am eigenen Hof gebaut. An der Grenze zu Tschechien bei Wildendürrnbach werden die Galloway-Rinder und auch ein paar besondere Schweindln seither selbst vom guten Leben zu einem schnellen Tod befördert. Ohne Panik der Tiere, ohne sie zu behandeln wie ein Stück Ware, ohne Stresshormone. Auch weil es Fred und Dani und ihren drei Kindern so besser geht. Sie sind ihren Tieren nah. Und die Tiere ihnen. Das ist modern und altmodisch im besten Sinn.

Die Wildsau vom Anfang dieser Geschichte ist inzwischen natürlich längst verarbeitet. Die Fleischteile, aus denen man sonst nicht viel machen kann, werden übrigens grob faschiert und beim Buchinger zur duftenden Bolognaise. Und was die Innereien angeht, so gibt es ja inzwischen fast so etwas wie einen kleinen, feinen Boom. Von Nierndln mit Ingwer bis hin zum alten Katzengschroa oder dem Bruckfleisch zahlt es sich aus, grenzenlos Köstliches zu entdecken.

Apropos Grenzen und exotisch. Als ich in Vietnam war, kamen wir an einem Stand mit Hundefleisch vorbei. Die Hunde waren noch gut erkennbar: Vorderviertel samt einem ziemlich großen, länglichen Kopf, Rücken, Hinterviertel. Ich habe meinen Fotoapparat herausgezogen und die Standlerin hat wütend zu schimpfen begonnen. Klar gibt’s trotzdem ein Foto. Wir sind dann schnell weiter und der weise, weil seit vielen Jahren in Vietnam lebende Führer, hat mir dann erklärt: Sie ist sauer, weil sie glaubt, es gibt nur zwei Gründe, warum Weiße ihre zerteilten Hunde fotografieren: Um sich über das grausame Vietnam aufzuregen. Oder wegen der Sensation. Ich wollte ihn bitten, zurück zu gehen und ihr zu sagen, dass es mich einfach interessiert hat, wie Hundefleisch verkauft wird und wie es aussieht. Ich habe es dann trotzdem nicht getan. Aber ich gebe zu, ich hätte in Vietnam auch Hund gekostet. Weil es Hunde sind, die extra für diesen Zweck gehalten werden. Weil es dort Tradition hat. Weil sie nicht industriell verarbeitet werden. Weil ich neugierig bin.

Buchingers lieber Labradormischling Tuti muss sich trotzdem nicht fürchten. Und vielleicht … ja, wenn ich ihn so ansehe – er kann lächeln, ich schwöre es, und er hat eine unnachahmliche Art, abwechselnd seine Brauen hochzuziehen – dann höre ich irgendwann doch einmal auf, überhaupt Fleisch zu essen, wär ja auch angeblich für die CO²-Bilanz besser und überhaupt …