Füll den Fuß

Wie mich Marco Pierre White und Christian Petz dazu brachten, ein Pierre-Koffmann-Gericht für Eckart Witzigmann zu kochen.

Text von Thomas Maurer Fotos von Ingo Pertramer

Wenn man um acht Uhr früh damit beschäftigt ist, sorgfältig den Schienbeinknochen aus einem rohen Schweinsfuß herauszufieseln, ist man entweder ein bisserl deppert oder Fleischhacker oder freier Mitarbeiter des A la Carte-Magazins. Wenn man sich, wie ich zum Beispiel, damit auch noch einen langjährig, wenn auch nur halbherzig ­gehegten Wunsch erfüllt, ist man vermutlich zumindest kein Fleischhacker.

Eingetreten habe ich mir diesen Wunsch in den frühen Neunzigerjahren, ich war noch ein Knabe im lockigen Haar und studierte mit Fleiß und Ehrgeiz die Grundbegriffe des verfeinerten Weintschecherns, bevorzugt in der Vinothek, die mein Freund Gerald Bayer damals gegenüber der Piaristenkirche betrieb. Wie fast alle freudvollen Zecher war und ist Gerald auch ein hingebungsvoller Fresser und ehrgeiziger Koch, und wie fast alle hingebungsvollen Fresser und ehrgeizigen Köche ein in seiner Stammbuchhandlung gern gesehener Gewohnheitskäufer kostspieliger Kochbücher. Und eine Zeitlang lag in diesem idyllischen Refugium, dessen betont zweckmäßige Innenraumgestaltung auch einer Kurzwarenhandlung oder Romantauschzentrale gut angestanden wäre, Marco Pierre Whites in jeder Hinsicht opulentes Werk White Heat herum.

Wikipedia weiß über dieses Werk zu vermelden, dass es von einem Kritiker als „possibly the most ­influential recipe book of the last 20 years“ bezeichnet wurde, was in meinem Fall zumindest teilweise zutrifft. Ein Rezept daraus blubbert nämlich, in seiner Kombination aus gelinde verstörenden Zutaten, pompöser Luxuriosität und appetitanregender Wirkung, seither immer wieder einmal in meinem Bewusstsein hoch: der entbeinte Schweinsfuß samt Klauen, mit einer Füllung aus Hühnerfarce, Morcheln und Kalbsbries ausgestopft und in Begleitung eines opulenten Erdäpfelpürees in einer nicht minder opulenten Sauce serviert. Der Begriff „Food Porn“ war ­damals noch recht jung, einige Jahre davor waren Gerichte in Koch­büchern noch überwiegend so fotografiert, dass man sie sich, um Gusto zu kriegen, lieber anhand des Rezepts vorstellte, aber in meiner Erinnerung hatte das Bild des Schweinsfußes genau diese Mischung aus sehr anziehend und leicht abstoßend, die typisch für große Pornografie ist. Leider war ich damals zu knausrig, mir den Band selbst zuzulegen, weshalb ich weder das Rezept noch das Foto nachschlagen kann (von diesem Internet, von dem es ja heißt, dass dort alles zu finden ist, bin ich diesbezüglich schwer enttäuscht); ich b­egebe mich also mit der Erinnerung daran, dass da obendrein noch Trüffeln in der Füllung waren, aufs schlüpfrige Parkett des Gedächtnisses.

Natürlich wurde ich sofort vom Wunsch heimgesucht, mich auch einmal an diesem kulinarischen Wahnwitz zu probieren. Aber irgendetwas, möglicherweise einfach schiere Feigheit angesichts der Tatsache, dass ich, vor ein Messer und einen rohen Schweinsfuß gestellt, keine Ahnung gehabt hätte, was zu tun wäre, hielt mich davon ab, das zeitnah zu versuchen. Irgendwann war dann auch das Buch vergriffen, und außerdem ist ja überhaupt immer sonst auch noch was zu tun. Und kein Restaurant, das ich seither betreten habe, hatte je Briesmorchelschweinsfuß auf der Karte. Aber so zwei, drei Mal im Jahr fiel mir dieses höchst kultivierte und doch leicht obszöne Gericht wieder ein, und ich gefiel mir in der Vorstellung, jemand zu sein, der so etwas eines Tages wirklich kochen würde.

Diesem geruhsamen Leben im Konjunktiv wurde unlängst durch einen Anruf von Christian Petz ein Ende gesetzt, in dessen Verlauf er mich fragte, ob ich Lust hätte, mit ihm gemeinsam und unter anderem für Eckart Witzigmann gefüllte Schweinsfüße zuzubereiten.

„À la Pierre Marco White?“, fragte ich und bekam „À la ­Pierre Koffmann“ zur Antwort. Und tatsächlich: Kreiert wurde diese Speise, wie Mr. White offenbar damals schon respektvoll anmerkte – „you can’t reinvent the wheel“ – und ich zwischendurch lediglich vergessen hatte, von der französischstämmigen und im Vereinigten Königreich zu Ruhm gelangten Küchen­legende Pierre Koffmann.

Mir blieb jedenfalls nur noch zu fragen: „Wann?“

Zur Vorbereitung schaute ich mir auf YouTube ein Video an, in dem Pierre Koffmann eine Schweinspratze in knapp über einer Minute entbeinte, was mich aber auch nicht mit viel mehr Zuversicht erfüllte, als ich, vor der Aufgabe stehend, einen weißen Tiger verschwinden zu lassen, aus einem Siegfried-und-Roy-Video gezogen hätte. Immerhin aber schien es mir ausgeschlossen, dass Monsieur Koffmann gewohnheitsmäßig mit Spiegeln und doppelten Böden arbeitet, das Problem sich also möglicherweise doch dadurch lösen ließe, indem ich die Koffmann’schen Verrichtungen in mehrfacher Zeitlupe nachzuvollziehen versuche. Zusätzliche Nahrung erhielt diese Hypothese durch den Anblick Christian Petz’, der mir zu Anschauungszwecken zunächst einmal einen Lehrfuß auslöste – nicht ganz so schnell wie Koffmann, aber vielleicht hielt er sich ja aus didaktischen ­Erwägungen heraus zurück – und dann mich mit dem nächsten beauftragte. Ich will meine – zu diesem Zeitpunkt meines kuli­narischen Bildungsromans vermutlich bereits atemlos auf den Stuhlkanten balancierenden – Leser nicht länger auf die Folter spannen: Es geht.

Man muss, nachdem man die Pfote auf der Rückseite längs aufgeschlitzt hat, einfach penibel darauf achten, die Schneide immer am Knochen entlang zu führen, und Sorge dafür tragen, dass man sich dabei keinen Finger absäbelt oder – schlimmer noch – ein Loch in die Schwarte sticht, durch das dann später die Füllung quellen könnte. Wirklich haarig wird es dann am Knöchel, wo die Knochen und Sehnen so sinnreich verschachtelt ineinander greifen, dass man kurz versucht ist, zum Küchenbeil zu greifen und kurzen Prozess zu machen. Letztlich ist es aber wie beim Auseinandersortieren einer Ladung frisch gewaschener schwarzer Socken: Was zunächst unmöglich erscheint, kann mit ausreichend sturer Ausdauer doch bewältigt werden. Wenn alles geklappt hat, hat man dann etwas vor sich liegen, das an einen etwas bizarren, in einen Schweinehuf auslaufenden Handschuh erinnert.

Die Schweinsfüße selbst hat Christian Petz vom punkto Fleischqualität und Tierhaltung mustergültigen Biohof Labonca bezogen. Seiner Anweisung, wirklich nur die Füße zu liefern, hat der dortige Fleischer allerdings nicht entsprochen und die untere Stelze drangelassen, was Christian mit „Wahrscheinlich hat er’s net glauben können“ kommentiert, um pragmatisch zu verfügen: „Na gut, dafür haben wir dann ein bissl mehr Haut zum Füllen, der Sauce wird das zusätzliche Fleisch auch net schaden, und wenn’s dann gar ist, lös ma’s aus und ham gleich a Jausen.“ Ein Grund, warum sich dieses Gericht nicht als kleiner Snack für zwischendurch eignet, ist, dass die fertig gefüllten und dann à la Dürüm-to-go eng in eine doppelte Lage Alufolie gewickelten Füße circa zweieinhalb Stunden in einer Sauce köcheln müssen, zu deren Herstellung man allerdings die zuvor ausgelösten Knochen braucht, die ihrerseits wieder eine Kochzeit von nicht unter zwei Stunden haben. Dafür ist es aber dann ideal, wenn man beispielsweise die letzte Staffel Game of Thrones noch nicht gesehen hat und eine Ausrede braucht, dafür Zeit zu erübrigen.

Das bereits erwähnte üppige Püree als Beilage ersetzt Christian Petz übrigens in diesem Fall durch selbst gemachten „Salzspargel“, also Spargelstangen, die wie Salzgurken fermentiert wurden. Tatsächlich liefern die dann einen eleganten, salzig-gemüsigen Kontrast zum forciert fleischig-opulenten Hauptgericht, wenn sie sich auch zum Auftunken der Sauce nicht sonderlich eignen, aber dafür gibt es schließlich Weißbrot oder, wenn man eine gesunde Galle hat, den klassischen Suppenlöffel. Und auch sonst weicht er in einigen Details vom klassischen Koffmann-Rezept ab, aber dafür ist er ja schließlich auch Christian Petz.

Schwer mit Schweinsfüßen beladen, treffen wir schließlich in der Orangerie von Schloss Schönbrunn ein, wo gerade unter dem Motto „Die Erdung der Avantgarde“ das Eckart Foodlab #1 zelebriert wird. Vormittags wurden hier unter Beteiligung von Koryphäen wie Wolfgang Puck und Ewald Plachutta Themen wie „Koch sucht Bauer – Bauer sucht Koch“ diskutiert, jetzt aber haben alle schon Hunger und beginnen, die zahlreichen Stände mit exquisitem Käse, exzellentem Wein, erlesenem Honig oder exklusiven Probierhappen von erstklassigen Restaurants zu umschwärmen. Der Labonca-Stand befindet sich direkt neben unserem, Labonca-Gründer Norbert Hackl freut sich sichtlich, sein Erzeugnis wiederzusehen, und sichert sich gleich eine Portion. Im Gegenzug dürfen wir uns bei ihm davon überzeugen, dass auch das viel geschmähte Schweinskarre nicht zwang­s­läufig staubtrocken und fad sein muss, sondern im Gegenteil hin­reißend saftig und geschmackvoll sein kann, wenn Schweinehaltung und ­Zubereitung passen.

Das Aufkommen kulinarischer und önologischer Prominenz der zwischen den Labestationen flanierenden Menge ist nicht unbeträchtlich, doch als dann Eckart Witzigmann beginnt, den Parcours abzuschreiten, teilt sich die Menge wie das Rote Meer vor Moses. Also, nicht ganz, denn das Rote Meer hat Moses, soweit wir wissen, nicht nach jedem zweiten Schritt angehalten, um ein Autogramm zu bekommen, ein Foto oder Selfie zu machen oder ganz allgemein seine Ehrerbietung zum Ausdruck zu bringen. Endlich ist er auch bei uns, ist lässig, freundlich, scherzt und fachsimpelt mit Christian Petz („Ah, herrlich, so was haben wir früher auch gern auf die Karte gesetzt“). Letztlich nimmt er sich eine Portion, und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sogar Christian Petz ein bisserl nervös ist, ob’s eh schmeckt. Und, pfuh, es schmeckt. Wir freuen uns natürlich. Und dann machen natürlich auch wir Fotos. Und natürlich werd ich mir meins daheim aufhängen.

Biohof Labonca
Hauptplatz 6, 8291 Burgau
Tel.: 0664/432 16 39
www.labonca.at