Herdkünstler „Cum Laude“
In der baskischen Küstenstadt San Sebastián bildet eine einzigartige Koch-Universität eine neue Generation von Spitzenköchen aus. Text von Manuel Meyer Foto: 2010 AFP Eigentlich wollte Alex Villar am renommierten Culinary Institute of America in San Antonio die hohe Kunst des Kochens lernen. Doch nun sitzt der 18-jährige Kanadier in der nordspanischen Küstenstadt San Sebastián in…
In der baskischen Küstenstadt San Sebastián bildet eine einzigartige Koch-Universität eine neue Generation von Spitzenköchen aus.
Text von Manuel Meyer Foto: 2010 AFP
Eigentlich wollte Alex Villar am renommierten Culinary Institute of America in San Antonio die hohe Kunst des Kochens lernen. Doch nun sitzt der 18-jährige Kanadier in der nordspanischen Küstenstadt San Sebastián in einem futuristischen Gebäude, das an übereinander gestapelte Teller erinnert, und lernt erst einmal, richtig Kartoffeln zu schneiden. Schuld daran ist einer der berühmtesten Köche der Welt – der Spanier Ferran Adrià.
„Ich las in einer Zeitschrift, dass er sein Restaurant El Bulli geschlossen hat und als Vorsitzender eines internationalen Beraterstabs einer neuen Koch-Universität vorsteht“, erklärt Alex. Nur ein kurzer Blick auf die Homepage des Basque Culinary Centers (BCC), jener Koch-Universität im fernen Europa, reichte aus, damit sich der Kanadier gegen die amerikanische Kochschule und für die erst vor eineinhalb Jahren eröffnete Universität für Gastronomie und Kulinarische Künste entschied. „Mir wurde ganz schwindelig, als ich sah, welche Spitzenköche im Beraterstab der Uni sitzen“, erinnert er sich.
Tatsächlich liest sich die Liste wie das Who’s who der internationalen Kochelite: Mit Ferran Adrià, Gastón Acurio, Alex Atala, Heston Blumenthal, Yukio Hattori, Massimo Bottura, Michel Bras, Dan Barber und dem Dänen René Redzepi geben die vermeintlich besten neun Köche der Welt – die sogenannten „G9“ – der Universität ihre Leitlinien vor. Und gelegentlich schaut der eine oder andere von ihnen sogar höchstpersönlich in San Sebastián vorbei, um den Studenten von seinen Erfahrungen, Techniken und Visionen zu berichten.
Kaderschmiede im Feinschmecker-Paradies
San Sebastián wurde nicht ohne Grund Standort der neuen Haute-Cuisine-Schmiede. Das Baskenland ist weltweit als Paradies für Feinschmecker bekannt. Gutes Essen hat hier an der nordspanischen Atlantikküste eine lange Tradition, und alleine in San Sebastián vereinen die Spitzenrestaurants 16 Michelin-Sterne. Nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Sterne pro Einwohner als in dem verträumten Küstenstädtchen. „Ich kann hier von den besten Köchen der Welt lernen“, versichert Alex Villar und zählt begeistert die international renommierten Küchenchefs aus dem Baskenland auf, die mit der Privatuniversität Mondragón nicht nur das BCC ins Leben riefen, sondern als Stiftungsmitglieder auch die akademischen Kurse ausarbeiten.
Herdkünstler wie die Drei-Sterne-Köche Juan Mari Arzak, Martín Berasategui und Pedro Subijana halten hier Vorlesungen und bieten den Nachwuchsköchen Praktikumsplätze in ihren angesehenen Sterne-Restaurants an. Nicht weniger ehrfürchtig lauschen die Studenten in den vier Jahren bis zu ihrem Universitätsdiplom in Gastronomie und Kulinarischen Künsten oder im einjährigen Masterstudiengang Spitzenköchen wie Karlos Arguiñano, Eneko Atxa und Andoni Luis Aduriz.
Alex Villar würde eines seiner vielen obligatorischen Praktika gerne in Aduriz’ Restaurant Mugaritz vor den Toren San Sebastiáns absolvieren, das 2012 erneut mit dem dritten Platz in der Liste des „S. Pellegrino World’s 50 Best Restaurants“ gekürt wurde. Der Kanadier träumt davon, irgendwann einmal selbst ein angesehener Küchenchef mit eigenem Restaurant zu werden.
Nicht alle können ein Blumenthal oder Redzepi werden.
Spitzenkoch Andoni Luis Aduriz warnt seine Studenten vor diesen Träumen: „Alle möchten ein Blumenthal oder Redzepi werden. Aber das funktioniert genauso wenig, wie dass alle Schauspieler Brad Pitt oder Angelina Jolie werden.“ Dennoch haben Alex Villar und die anderen 99 Studenten aus seinem Semester, die aus insgesamt 15 Ländern stammen, am BCC die besten Voraussetzungen, sich ihrem Traum zumindest zu nähern. Dafür sind sie auch bereit, jährlich rund 8.000 Euro an Studiengebühren zu zahlen.
Wie keine andere Koch-Universität konzentriert sich das Basque Culinary Center, Europas zweite Kochhochschule neben der Slow Food Uni im italienischen Piemont, auf die „Haute Cuisine“. Bereits im ersten Jahr erreichen die Studenten in der Küche das Niveau von Schülern mit einer abgeschlossenen Ausbildung an normalen Kochschulen, versichert der akademische Ausbildungsleiter Alex Beitia. Dabei müssen sich die Studenten im sehr praxisorientierten Kochstudium nicht nur von den hochkarätigen Kochlehrern prüfen lassen, sondern auch von zahlenden Gästen im luxuriösen Fakultätsrestaurant.
Die Studenten werden in allen Kochsparten geschult, von der traditionellen baskischen Küche bis hin zur internationalen Avantgarde-Küche. In jedem Semester müssen sie Praktika absolvieren. Den oberen Semestern steht dabei ein Netz von über vierzig Köchen zur Verfügung, um weltweit in Restaurants oder Hotelküchen mit zwei und drei Sternen ihr Praxiswissen zu erweitern.
Man möchte aber nicht einfach nur gute Köche hervorbringen. „Auf dem Niveau, auf dem heute in Spitzenrestaurants gearbeitet wird, müssen Küchenchefs viel mehr als gute Köche sein. Sie müssen innovativ arbeiten und über ein weitgefächertes gastronomisches, geschichtliches, psychologisches und ernährungswissenschaftliches Wissen verfügen“, stellt Spitzenkoch Aduriz klar.
Durch die weltweit zunehmenden Ernährungsprobleme komme den Köchen auch eine immer größere Verantwortung im gesundheitlichen und gesellschaftlichen Bereich zu, sagt der baskische Sterne-Koch. Deshalb sollen die Studenten so ausgebildet werden, dass ihnen hinterher alle nur erdenklichen Wege offenstehen, vom Avantgarde-Koch über Ernährungswissenschaftler bis hin zum Restaurantbesitzer oder Universitätslehrer, verdeutlicht Ausbildungsleiter Beitia die Philosophie der neuen Koch-Uni.
So stehen neben praktischen Kochklassen auch Geschichte der Ernährung und der Produkte, Biologie, Physik, Chemie, Marketing, Personalführung, Ausbildung zum Sommelier und sogar Psychologie für den Umgang mit Gästen und Küchenpersonal auf dem Lehrplan.
Zwei Jahre berieten die Universität und die internationalen Meisterköche über das vierjährige Ausbildungsprogramm. Der dänische Chefkoch René Redzepi setzte sich dafür ein, dass die Studenten lernen, wann welche Lebensmittel gerade Saison haben, wie die biologischen Abläufe der Pflanzen funktionieren und wie sich verschiedene Anbautechniken auf den Geschmack der Produkte auswirken. Unterdessen hielt der Japaner Yukio Hattori die Uni an, mit den Studenten nach Lösungen für das Problem des Hungers in der Welt zu suchen.
„Wir haben uns die besten Kochschulen angeschaut und von jeder das Beste übernommen“, erklärt Drei-Sterne-Koch Pedro Subijana. Dabei habe man sich bemüht, die beste Kombination aus Theorie und Praxis zu finden, um eine neue Generation von Köchen auszubilden. „Ich glaube, es gibt weltweit keine gastronomische Fakultät, die vom Studienumfang und von den Abschlusskriterien mit dem BCC mithalten kann“, ist sich der baskische Meisterkoch sicher.
Weltweit einzigartige Kombination
Weltweit einzigartig ist vor allem aber die Kombination aus Fakultät und Forschungszentrum. Gleich neben den nagelneuen Hörsälen und Küchen befinden sich die Labors des Zentrums für Forschung und Innovation, das sich in den kommenden Jahren unter den fünf besten im weltweiten Ranking etablieren will. Hier werden hauptsächlich Studien für Restaurants und private Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie durchgeführt.
Neue Präsentationsformen von Produkten gehören im Forschungszentrum genauso zum Arbeitsbereich wie die Suche nach neuen Kochtechniken und Technologien, die Erforschung von Essgewohnheiten, Analyse von Ernährungsproblemen, innovative Geschäftsführungsmodelle oder die Erforschung neuer Geschmacksrichtungen und gesunder Speisen.
Derzeit entwickelt das Forschungszentrum beispielsweise neue Anbautechniken für die nahrhaften, ansonsten aber geschmacklosen Süßwasseralgen, um ihnen den Geschmack von Bananen und Himbeeren zu geben, erklärt Joxe Iñaki Álava, Leiter der Forschungsabteilung. Gleichzeitig arbeitet das Zentrum im Auftrag von Lebensmittelherstellern an neuen Techniken in der Molekularküche und produziert einen Käse zur Alzheimerbehandlung.
Für die angehenden Köche ist es eine außergewöhnliche Gelegenheit. Die Studenten erhalten bei ihren mehrmonatigen Praktika im Innovationszentrum nicht nur Einblicke in die Erforschung neuer gastronomischer Techniken und Trends. „Wir halten die Studenten auch an, eigene Forschungsprojekte zu präsentieren, die wir finanzieren und umsetzen“, erklärt Álava. So setze man gerade das Projekt eines Studenten um, der Teller mit extrem flüssigkeitsabweisenden Oberflächen entwickeln will, damit gewisse Produkte sich während des Essens auf dem Teller bewegen und so eine ungewohnte Esserfahrung entsteht.
Auch José Francisco Pelaez möchte später in der Lebensmittelforschung arbeiten. Der 19 Jahre alte Kolumbianer träumt davon, die vergessenen Produkte und kulinarischen Traditionen seines Landes wiederzuentdecken und aufleben zu lassen. Er wünscht sich eine kulinarische Revolution, wie sie in den letzten Jahren auch Peru erlebt hat. Um seinen Traum zu verwirklichen, möchte der Kolumbianer im Forschungszentrum vor allem mehr über die biologischen, physischen und chemischen Aspekte der Produkte lernen.
Ob Alex Villar und José Francisco Pelaez ihren Traum jemals verwirklichen können, bleibt abzuwarten. Die erste Hürde ist zumindest überwunden. Nur knapp jeder vierte Bewerber wurde im vergangenen Jahr an der Fakultät aufgenommen. Dabei war es jedoch nicht wichtig, ob es sich bereits um erfahrene Köche, Schüler mit einem Abschluss an einer anderen Kochschule oder um junge Enthusiasten handelte. „Hauptsache, sie sind diszipliniert und motiviert“, sagt Pedro Subijana.
Der Beruf des Kochs sei wunderbar, abwechslungsreich und kreativ. „Wir haben das enorme Glück, etwas machen zu dürfen, was zuvor unser Hobby war und mit dem wir Menschen glücklich machen können. Einige werden sogar berühmt. Doch dafür muss man hart arbeiten“, versichert Subijana. Wie bescheiden und fleißig man wirklich sein muss, um ein Spitzenkoch zu werden, lernen Alex und José Francisco bereits im ersten Semester. Schon seit Stunden schneiden, schälen, kochen und frittieren sie Hunderte von Kartoffeln.