Herz ist Trumpf

Jetzt suchen wir sie wieder, in möglichst perfekter Form und Reife – die Herzkirschen, vorzugsweise frisch geerntet aus dem Burgenland.

Text von Andrea Karrer / Illustration von Sarah Egbert Eiersholt

Lucullus gilt gemeinhin als jener Mann, der die Kirschen aus ­Kleinasien nach Rom brachte – eine Legende, die hübsch in das Image des berühmten Feinschmeckers passt. In Wirklichkeit verpflanzten bereits die Griechen Kirschen aus Asien nach ­Europa. Ihren Namen verdankt die Kirsche ihrer Herkunftsstadt Kera­sus, respektive dem griechischen Wort für Kirschbaum „kérasos“. Als die Kirsche dann dank dem Feldherrn Lucullus schließlich ihren Weg nach Italien fand, verbreitete sie sich von dort langsam über den gesamten europäischen Kontinent. Heute hat die süße Frucht, die zur Familie der Rosengewächse zählt, fast die ganze Welt erobert – und es haben sich viele Sorten entwickelt. Viele dieser ursprünglichen Sorten sind heute leider wieder verschwunden.

Im nördlichen Burgenland versuchen engagierte Bauern, die einstige Streuobstkultur mit alten Sorten wieder ­aufleben zu lassen: Bolaga, Donners­kirchner Blaukirsche, Frühbraune aus Purbach, Joiser Einsiedekirsche, Hängerte, Schachl, Spätbraune aus Purbach und Windener Schwarze. Jede von ihnen hat einen eigenen Geschmack, und ihre Farben reichen von Hellrot bis ­beinahe Schwarz. An den Hängen des burgenländischen Leithagebirges wach­sen die saftigsten Exemplare dieser kleinen Früchte. Sie sind lang vor ihrer Reife eine Fremdenverkehrsattraktion – in Donnerskirchen und Umgebung lenken Richtungspfeile den Schritt der Ausflügler zur Kirschblüte.

Zur Erntezeit gibt es einen ausgelassenen Kirschenkirtag, bei dem eine Kirschenkönigin gewählt wird und bei dem auch der Wein dieser Gegend zu seinem Recht kommt. Die Weingärten wurden früher mehrfach genutzt, zwischen den Rebzeilen wuchsen einst in fast jedem Weingarten bis zu 15 Kirschbäume. Sie waren es auch, die den Bauern das Überleben sicherten, als Mitte des 19. Jahrhunderts die Reblaus wütete und acht Jahre kein Wein angebaut werden durfte. Die Kirschenernte war ein wichtiges Einkommen nach einem langen, kargen Winter. Für viele Frauen die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen, die Kirschenernte war und ist immer noch – im Gegensatz zur Weinlese – reine Frauensache. „Und die Kinder bekamen ­sogar schulfrei, um mitzuhelfen beim Kirschen­brocken!“, weiß Rosemarie Strohmayer. Die Produzentin und Obfrau des Vereins Leithaberger Edelkirsche setzt sich mit viel Engagement für den Erhalt der alten Kirschbäume und die Vermehrung der alten Sorten ein. „Die alten Leute erinnern sich noch an die Händler, die mit Pferdefuhrwerken kamen, um Kirschen zu kaufen. 60 Händler lebten allein in Jois, wo sogar im Wappen Kirschen verewigt sind“, fährt Rosi Strohmayer begeistert fort. „Die Herzkirschen aus dem Burgenland wurden selbst am russischen Zarenhof geschätzt, und auch Kaiserin Maria Theresia soll stets auf ihre Joiser Lieblingskirschen bestanden haben.“

Unter den vielen verschiedenen Kirschsorten unterscheidet man grob zwischen Süßkirschen, zu denen die bekannten Herzkirschen zählen, Sauerkirschen wie Weichseln und Amarellen sowie Bastardkirschen (eine Kreuzung zwischen Süß-und Sauerkirsche). – Die sogenannte „Piemont­kirsche“ hingegen entspross lediglich den Köpfen findiger Werbefachleute …

In Summe gibt es an die 500 verschiedene Süßkirsch- und Weichselsorten, die sich nicht nur in Form (rundlich, oval, herzförmig) und Geschmack (alle Nuancen von süß und sauer), sondern auch in der Farbe deutlich unterscheiden. Wer also bei Kirschen nur Rot sieht, liegt völlig falsch – das Farbspektrum reicht von Gelb über Hellrot bis nahezu Schwarz. Am besten schmecken die Kirschen frisch vom Baum. „Kirschen reifen nicht nach. Deswegen sollte man beim Kauf auf reife, unversehrte, sortenspezifisch voll ausgefärbte Früchte ohne braune Stiele achten. Sie sollten erst kurz vor dem Verzehr gewaschen und anschließend entstielt werden. Dann halten sie länger und schmecken besser“, weiß Alain Weissgerber. Der im Elsass ge­borene Spitzenkoch führt mit dem Taubenkobel im Burgenland ­eines der besten Restaurants ­Österreichs. Das Entkernen von Kirschen ist etwas zeitaufwendig und kann eine matschige Ange­legenheit sein. Sein Tipp: „Kirschen lassen sich gut entkernen, wenn sie für einige Minuten ins Gefrierfach gelegt werden. Praktisch sind Kirschentkerner.“

Weil die Früchte nicht nachreifen, werden sie ausschließlich reif von Hand gepflückt. Ein Erntehelfer schafft etwa 15 bis 30 Kilogramm pro Stunde. Wenige Stunden nach der Ernte sollten Süßkirschen im Kühlhaus sein – dadurch wird der Zuckerabbau gebremst. Bei knapp über 0 °C halten sie sich ungewaschen bis zu 14 Tage. Im Gemüsefach des Kühlschranks sollten sie maximal zwei bis drei Tage aufbewahrt werden. Beschädigte Früchte müssen vorher aussortiert werden, weil sich ansonsten schnell Schimmel ­bildet. Weichseln hingegen lassen sich weniger gut lagern und transportieren. Wegen ihrer Empfindlichkeit finden sich Weichseln in der traditionellen Küche vorrangig in Kompott, Marmelade und Gelee, Sirup, Aufläufen und Sommerkuchen. Kandierte Weichseln dekorierten früher farbenfroh Pasteten und elegante Desserts.

Sowohl Süßkirschen als auch Weichseln harmonieren mit Zimt(-blüten), Gewürznelken, Koriandersamen, Basilikum, Dille, Thymian, Lavendel, Kakaobohnen, Rotwein, Cognac, Nüssen, Pilzen und Käse. „Sie schmecken zu pikanten Gerichten wie Wildterrinen, Rehmousse, Enten-Rillettes, Gänseleber, zu Schwein oder Ente Montmorency (ein großer französischer Klassiker!), Krustentieren, Geflügel, Wild, Leber und auch Nieren.“ Alain Weissgerber fährt fort: „Kirschen haben in meiner Patisserie einen hohen Stellenwert: als Rhabarber-Kirsch-Kaltschale zum Beispiel oder Topfenknödel auf Herzkirschenragout oder als Kompott zu Grießstrudel oder zu einem flaumigen Omelette, Kirschenstrudel und natürlich die weltbekannte Schwarzwälder Kirschtorte.“ —

HÖRENSWERT
„I liassert Kirschen für di wachsen ohne Kern“ zählt wohl zu den schönsten Liebesliedern, die je in Wien entstanden sind. Dem Text von Walter Pissecker hat Karl Hodina musikalisch Leben eingehaucht.

KIRSCHEN-GENUSSQUELLE STROHMAYER
Prangerstraße 49, 7091 Breitenbrunn, T 0664/506 14 59, office@genussquelle.at genussquelle.at

TAUBENKOBEL
Hauptstraße 31–33, 7081 Schützen, T 02684/22 97, restaurant@taubenkobel.at taubenkobel.com

Klassische Wachtel im Heu mit Saturnpfirsich und Gänseleberkirsche
Rezept von Alain Weissgerber, Taubenkobel

Zutaten für 4 Portionen
100 g Weißbrotwürfel, entrindet
150 g Gänseleberwürfel (1 x 1 cm)
100 g Apfelwürfel (1 x 1 cm)
2 EL Petersilie, gehackt
1 EL Thymian und Rosmarin,
gehackt
1 Dotter
4 Wachteln
Salz
weißer Pfeffer aus der Mühle
Butter
24 Donnerskirchner Herz­kirschen
500 g passierte Gänseleber
Rindsuppe, Süßwein, Cognac, Madeira für die Reduktion
½ Blatt Gelatine
dunkle Kuvertüre und Kakao­butter (im Verhältnis 70:30)
4 Saturnpfirsiche
Ascorbinsäure
Läuterzucker
Birnenbrand
4 Bögen Backpapier (30 x 30 cm)
Küchengarn
Heu
Vakuumbeutel

Zubereitung
Die Weißbrotwürfel in 1 Esslöffel Butter goldgelb rösten und auskühlen lassen. Die Apfelwürfel und die Gänseleberwürfel beigeben und vorsichtig unterrühren. Mit Salz, Pfeffer und den Kräutern würzen, danach den Dotter untermengen; aus der Masse 4 Knödel formen.

Die Wachteln hohl auslösen und die Innenseite mit Salz sowie Pfeffer würzen. Die
Knödel daraufsetzen und die Wachtel darüber zusammenschlagen. Die Hautseite mit halbflüssiger Butter bestreichen und salzen. Die Papierbögen auflegen und das Heu in die Mitte setzen. Die gefüllte Wachtel hineinsetzen und das Papier darüber zusammenschlagen. Mit Küchengarn zusammenbinden und auf dem Gitterrost im vorgeheizten Rohr bei 225 °C etwa 25 Minuten braten.

Den Kern von den Kirschen von unten so auslösen, dass der Stängel dranbleibt. Kirschen leicht anfrieren lassen.

Passierte Gänseleber mit etwas Reduktion von Rindsuppe, Süßwein, Cognac und Madeira mixen; leicht salzen. ½ Blatt Gelatine in kaltem Wasser einweichen, gut ausdrücken und vorschriftsmäßig in 200 g dieser Gänselebercreme über Dampf auflösen und dickflüssig rühren. Die angefrorenen Kirschen darin tunken und mit einer Wäscheklammer im Kühlhaus aufhängen. Kuvertüre mit Kakaobutter über Dampf schmelzen, gut verrühren. Wenn die Kirschen angezogen haben, durch die Kuvertüre ziehen, wieder aufhängen und die Kuvertüre trocknen lassen.

Pfirsichmousse: Saturnpfirsiche schälen, vierteln, entkernen und in einem Vakuumbeutel mit ­Ascorbinsäure und wenig Läuterzucker weich kochen.

Sofort in Eiswasser abkühlen, aus dem Beutel nehmen und im Thermomixer zu Mousse
verarbeiten. Mit Läuterzucker und Birnenbrand abschmecken.

Die Wachteln auf Tellern mit Pfirsichmousse anrichten. In die Mitte der Pfirsichmousse ­jeweils 6 Kirschen setzen.