Hummer à l’Armoricaine – ein bretonischer Hammer! (2013/1A

Fernab jeglicher Herkunftsdebatten und Hinrichtungsmethoden bleibt die bese Art Hummer zuzubereiten jene mit Tomaten, Cognac, Weißwein, Schalotten und Estragon.

Text von Andrea Karrer · Illustration von Peter Jani

Dir tönt mein Lied! Grob bist Du freilich, aber von göttlicher Grobheit und anstößig nur für jene Unglücklichen, die sich überhaupt vor jeder mannhaften Erscheinung fürchten und sich gegenüber der Gänseleberpastete und Dir von vornherein dem Tode verfallen fühlen. Allen anderen bist Du hochwillkommen, wenn Du in einfacher Majestät, gesotten mit dem Petersilienkranz, einhertrittst, einem Herrscher gleich, dessen Purpurmantel der grüne Lorbeer des Siegers schmückt.“

Als Robert Habs und L. Rosner, Autoren des berühmten Appetit-Lexikons, im Jahre 1894 diese Zeilen geschrieben haben, war die Welt der Feinschmecker noch in Ordnung – und von allen tierethischen Skrupeln unberührt. Der Hummer war, als älteste Delikatesse der Welt, unangefochten das Lieblingstier der Gourmets und Gourmands, und seine höchste Bestimmung bestand darin, im Kochtopf und danach mit purpurrotem Panzer auf dem Silberteller zu landen.

Heute geht es nicht mehr so sehr um die geschmacklichen Unterschiede der europäischen oder amerikanischen Herkunft des Hummers, auch nicht um dessen optimalen Garpunkt oder die Frage des richtigen Hummerbestecks, sondern wie man den lebenden Hummer in einen zubereitungsfähigen Zustand bringt, wie man ihn also tötet. Unbestritten ist nach wie vor, dass der Hummer aus lebensmittelchemischen Gründen nur lebend verarbeitet werden darf. Im Körper eines toten Hummers bilden sich nämlich, wesentlich schneller als bei anderen Meeresbewohnern, binnen kürzester Zeit Giftstoffe, die zu Lebensmittelvergiftungen führen können. Um solchen vorzubeugen, haben sich Köche schon seit Jahrzehnten allerlei Hinrichtungsmethoden erdacht.

In Frankreich ist es üblich und erlaubt, den lebenden Hummer mit einem soliden Küchenmesser der Länge nach vom Kopf bis zum Schwanz durch einen in Sekundenschnelle gesetzten Schnitt längs zu spalten. Die gesetzlichen Bestimmungen in Österreich lassen dieses Verfahren nicht zu. Hier muss der Hummer mit dem Kopf voran in sprudelnd kochendes Wasser getaucht werden. Die Wassermenge muss dabei so groß sein, dass dadurch die Temperatur nicht nennenswert absinkt – diese Methode gilt als „humanste“.

Die schnellste und treffsicherste Methode, so schwören andere, sei es, den Hummer durch einen perfekt gesetzten Nackenstich ins Jenseits zu befördern, vorausgesetzt der Koch verfügt über anatomische und handwerkliche Kenntnisse.

Aber Hummer ist nicht gleich Hummer, denn es gibt den Europäischen und den Amerikanischen, der oft aus Kanada importiert wird. Letzterer ist weitaus billiger und häufiger, soll aber – so sagen viele überzeugte Hummeresser – längst nicht so aromatisch sein wie der in Europa gefangene. Welcher Hummer ist nun der edlere, aromatischere und geschmacksintensivere? Feinschmecker aus Boston oder Brest wissen die jeweilige Antwort genau.

Ungekocht unterscheiden sich Hummer aus Europa und aus Übersee deutlich: Der Europäische Hummer ist oft tiefblau mit schöner Sprenkelung auf dem Panzer, der Amerikanische hat eine dunkelbraungraue Schale. Liegen sie beide zubereitet auf dem Teller, sind sie nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Bei Vergleichsverkostungen haben schon viele Europäer, aber auch viele Amerikaner gewonnen. Der kanadische Hummer ist beim Scherenfleisch süßer, sein Fleisch etwas weicher. Der bretonische ist fester und härter, muss häufiger gekaut werden und schmeckt etwas nussig. Tatsache ist zweifellos, dass man in der New Yorker Grand Central Station Oyster Bar an einem Maine-Hummer mindestens ebenso viel Freude haben kann wie an einem blauen Hummer aus St. Malo im Pariser Fischtempel Le Dôme. Dass der „Bretone“ unter Gourmets dennoch bis heute den Ruf genießt, im Zweifelsfall die Nummer eins zu sein, liegt daran, dass der Europäische Hummer zunehmend vom Aussterben bedroht ist, während der Amerikanische in noch größeren Mengen vorhanden ist und vor allem der kanadische zuweilen höchst inflationär ausgebeutet wird. Im US-Bundesstaat Maine und den kanadischen Provinzen Nova Scotia und New Brunswick krabbeln den Fischern je nach Jahr 60.000 bis 80.000 Tonnen Homarus americanus in die Körbe – gegenüber maximal 3.000 bis 4.000 Tonnen an Europas Küsten. Versuche, Hummer im großen Stil zu züchten, scheiterten bisher aus Kostengründen: Der König wächst viel zu langsam.

Der amerikanisch-europäische Hummerkonflikt hat übrigens eine gewisse Tradition: Schon lange gibt es einen erbitterten Streit, ob das – neben dem „Hummer Thermidor“ – wohl klassischste Hummerrezept „à l’américaine“ oder „à l’armoricaine“ heißt. Während die Amerikaner bis heute davon überzeugt sind, dass die Zubereitung des Hummers mit Tomaten, Cognac, Weißwein, Schalotten und Estragon von einem in die USA ausgewanderten Franzosen stammt, wissen es die Bretonen besser: Sie schwören nämlich, dass diese Zubereitungsart auf Armoricaine, den keltischen Namen für die Bretagne, der so viel wie „Land am Meer“ bedeutet, zurückgeht. Und das liegt nun einmal nicht im fernen Amerika …

Ganz gleich, wer nun Recht hat, die gehaltvolle Sauce à l’armoricaine ergänzt das feste, süße Fleisch des Hummers auf das Beste.

Zutaten für 4 Portionen

2 Hummer (à 1 kg) oder 4 Hummer (à 500 g)
Salz
ca. 20 g weiche Butter für die Corailbutter
2 Schalotten
½ Knoblauchzehe, geschält
je 50 g Stangensellerie, Sellerie, Karotte, Fenchel und fest kochende Erdäpfel
2 große Paradeiser
1 Estragonstängel
2 Kerbelzweige
100 ml Olivenöl
20 g Butter
1 Prise Cayennepfeffer
100 ml Weißwein (trocken)
300 ml Fischfond
100 ml passierte Paradeiser aus der Dose
4 EL Cognac
Petersilie, sehr fein gehackt

Die Hummer werden nacheinander nur kurz (jeder etwa 30 Sekunden) in kochendem Salzwasser getötet und dann in Stücke zerlegt:

Den Hummer am Rückenpanzer festhalten und mit der Hand die erste Schere abdrehen; die zweite Schere ebenfalls mit einer drehenden Bewegung vom Körper lösen. Anschließend mit einem stabilen (!) Messer in die Körpermitte einstechen und den Kopf durchschneiden. Die austretende Flüssigkeit auffangen und nur den Magensack entfernen. Leber und den grünlichen, paradoxerweise Corail (oder Rogen, sofern es sich um ein Weibchen handelt) genannten Teil behutsam entnehmen und mit der weichen Butter vermengen. Hinweis: Um die exakte Buttermenge zu bestimmen, Corail abwiegen und mit der doppelten Menge weicher Butter mit einer Gabel vermengen und kalt stellen.

Den Schwanzteil mit einem Küchenmesser vom Rumpf abtrennen. Die beiden Untergelenke der Scheren mit einem Messer seitlich etwas anschneiden. Die Untergelenke jeweils im Drehpunkt von den großen Scheren abschneiden. Jetzt die beiden großen Scheren mit einem kräftigen Schlag mit dem Messerrücken aufklopfen. Den Hummerschwanz quer in etwa 2 cm große Scheiben schneiden. Und zum Schluss die Beine von den Vorderhälften abtrennen.

Mit den restlichen Hummern ebenso verfahren.

Schalotten schälen, kleinwürfelig schneiden, Knoblauch fein hacken. Gemüse in ½ cm große Würfel schneiden. Paradeiser blanchieren, kalt abschrecken, schälen, vierteln, entkernen und das Fruchtfleisch in kleine Würfel schneiden. Estragon und Kerbel waschen, gut abtrocknen, Blättchen abzupfen und fein hacken. Das Olivenöl in einer tiefen Pfanne erhitzen und die Hummerstücke auf der Schalenseite darin scharf anbraten, salzen und pfeffern; Hummerstücke wenden, bis sie rundum eine tiefrote Farbe bekommen haben. Hummerstücke herausnehmen und zugedeckt im vorgeheizten Rohr bei 80°C warm stellen.

Butter im Bratrückstand aufschäumen, Schalotten, Knoblauch sowie Gemüsewürfel beifügen, mit Cayennepfeffer würzen und weich dünsten; mit Weißwein ablöschen und diesen fast zur Gänze verdampfen lassen. Mit Fischfond und passierten Paradeisern aufgießen, 2 EL Cognac dazugeben, gut verrühren und alles bei starker Hitze aufkochen lassen; Hitze reduzieren und etwa 5 bis 7 Minuten dünsten lassen. Hummer darauflegen und zugedeckt bei geringer Hitze etwa 20 Minuten ziehen lassen. Hummerstücke aus der Sauce nehmen und auf einer vorgewärmten tiefen Schüssel anrichten. Die Sauce auf die halbe Menge einkochen lassen. Paradeiserwürfel, Estragon und Kerbel beifügen und die Sauce durch Einrühren der kalten Corailbutter binden (der Rogen färbt sich beim Erhitzen rot). Und genau das ist der besondere Reiz dieses Gerichtes – die Corailbutter gibt der eingekochten Sauce Körper, Glätte und Aroma! Jetzt nur noch mit dem restlichen Cognac aromatisieren. Ja nicht mehr kochen! Die Sauce über die Hummerstücke gießen und mit fein gehackter Petersilie bestreuen.

Zu Hummer à l’armoricaine am besten nur einen Pilaw-Reis und Baguette reichen.

Hinweis: In vielen Rezepten wird der Hummer mit Cognac flambiert – Eckart Witzigmann rät davon ab, die zarten Fühler würden zu leicht verbrennen und bitter werden.

Bon appétit!

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Als Robert Habs und L. Rosner, Autoren des berühmten Appetit-Lexikons, im Jahre 1894 diese Zeilen geschrieben haben, war die Welt der Feinschmecker noch in Ordnung – und von allen tierethischen Skrupeln unberührt. Der Hummer war, als älteste Delikatesse der Welt, unangefochten das Lieblingstier der Gourmets und Gourmands, und seine höchste Bestimmung bestand darin, im Kochtopf und danach mit purpurrotem Panzer auf dem Silberteller zu landen.

Heute geht es nicht mehr so sehr um die geschmacklichen Unterschiede der europäischen oder amerikanischen Herkunft des Hummers, auch nicht um dessen optimalen Garpunkt oder die Frage des richtigen Hummerbestecks, sondern wie man den lebenden Hummer in einen zubereitungsfähigen Zustand bringt, wie man ihn also tötet. Unbestritten ist nach wie vor, dass der Hummer aus lebensmittelchemischen Gründen nur lebend verarbeitet werden darf. Im Körper eines toten Hummers bilden sich nämlich, wesentlich schneller als bei anderen Meeresbewohnern, binnen kürzester Zeit Giftstoffe, die zu Lebensmittelvergiftungen führen können. Um solchen vorzubeugen, haben sich Köche schon seit Jahrzehnten allerlei Hinrichtungsmethoden erdacht.

In Frankreich ist es üblich und erlaubt, den lebenden Hummer mit einem soliden Küchenmesser der Länge nach vom Kopf bis zum Schwanz durch einen in Sekundenschnelle gesetzten Schnitt längs zu spalten. Die gesetzlichen Bestimmungen in Österreich lassen dieses Verfahren nicht zu. Hier muss der Hummer mit dem Kopf voran in sprudelnd kochendes Wasser getaucht werden. Die Wassermenge muss dabei so groß sein, dass dadurch die Temperatur nicht nennenswert absinkt – diese Methode gilt als „humanste“.

Die schnellste und treffsicherste Methode, so schwören andere, sei es, den Hummer durch einen perfekt gesetzten Nackenstich ins Jenseits zu befördern, vorausgesetzt der Koch verfügt über anatomische und handwerkliche Kenntnisse.

Aber Hummer ist nicht gleich Hummer, denn es gibt den Europäischen und den Amerikanischen, der oft aus Kanada importiert wird. Letzterer ist weitaus billiger und häufiger, soll aber – so sagen viele überzeugte Hummeresser – längst nicht so aromatisch sein wie der in Europa gefangene. Welcher Hummer ist nun der edlere, aromatischere und geschmacksintensivere? Feinschmecker aus Boston oder Brest wissen die jeweilige Antwort genau.

Ungekocht unterscheiden sich Hummer aus Europa und aus Übersee deutlich: Der Europäische Hummer ist oft tiefblau mit schöner Sprenkelung auf dem Panzer, der Amerikanische hat eine dunkelbraungraue Schale. Liegen sie beide zubereitet auf dem Teller, sind sie nicht mehr voneinander zu unterscheiden. Bei Vergleichsverkostungen haben schon viele Europäer, aber auch viele Amerikaner gewonnen. Der kanadische Hummer ist beim Scherenfleisch süßer, sein Fleisch etwas weicher. Der bretonische ist fester und härter, muss häufiger gekaut werden und schmeckt etwas nussig. Tatsache ist zweifellos, dass man in der New Yorker Grand Central Station Oyster Bar an einem Maine-Hummer mindestens ebenso viel Freude haben kann wie an einem blauen Hummer aus St. Malo im Pariser Fischtempel Le Dôme. Dass der „Bretone“ unter Gourmets dennoch bis heute den Ruf genießt, im Zweifelsfall die Nummer eins zu sein, liegt daran, dass der Europäische Hummer zunehmend vom Aussterben bedroht ist, während der Amerikanische in noch größeren Mengen vorhanden ist und vor allem der kanadische zuweilen höchst inflationär ausgebeutet wird. Im US-Bundesstaat Maine und den kanadischen Provinzen Nova Scotia und New Brunswick krabbeln den Fischern je nach Jahr 60.000 bis 80.000 Tonnen Homarus americanus in die Körbe – gegenüber maximal 3.000 bis 4.000 Tonnen an Europas Küsten. Versuche, Hummer im großen Stil zu züchten, scheiterten bisher aus Kostengründen: Der König wächst viel zu langsam.

Der amerikanisch-europäische Hummerkonflikt hat übrigens eine gewisse Tradition: Schon lange gibt es einen erbitterten Streit, ob das – neben dem „Hummer Thermidor“ – wohl klassischste Hummerrezept „à l’américaine“ oder „à l’armoricaine“ heißt. Während die Amerikaner bis heute davon überzeugt sind, dass die Zubereitung des Hummers mit Tomaten, Cognac, Weißwein, Schalotten und Estragon von einem in die USA ausgewanderten Franzosen stammt, wissen es die Bretonen besser: Sie schwören nämlich, dass diese Zubereitungsart auf Armoricaine, den keltischen Namen für die Bretagne, der so viel wie „Land am Meer“ bedeutet, zurückgeht. Und das liegt nun einmal nicht im fernen Amerika …

Ganz gleich, wer nun Recht hat, die gehaltvolle Sauce à l’armoricaine ergänzt das feste, süße Fleisch des Hummers auf das Beste.