In Hülle und Fülle

Seit der Antike galt das Füllen von Tieren als Ausdruck von Überfluss und Dekadenz – vom trojanischen Schwein im alten Rom über das gefüllte Kamel bis hin zum Turducken. Meinrad Neunkirchner vom Freyenstein zeigt moderne Fassungen von gefüllten Klassikern. Und Shalom Bernholtz vom koscheren Restaurant Alef Alef gibt 
eine Einführung in die komplexe Welt des gefillten Fischs.

Text von Klaus Kamolz · Fotos von Sonja Priller

Im Wort Füllung steckt die Fülle. Man spricht von Hülle und Fülle, wenn der Überfluss veranschaulicht werden soll, der wiederum die Völlerei zur Folge hat – aus der Unersättlichkeit geboren. Die Fülle ist die Nährmutter des G’füllten, wie man in Wien beleibte Menschen nennt, bei denen unmissverständlich klar ist, wie sie sich ihren Körperumfang erworben haben. Oder, anhand eines anderen Beispiels illustriert: Warum wohl wurde die Statur des deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl immer mit seiner Lieblingsspeise, dem Pfälzer Saumagen, in Zusammenhang gebracht, mit dem er auf dem Höhepunkt seiner Macht weder die Dicken noch die Dünnen unter den Mächtigen der Welt verschonte? Ein Gericht, bestehend aus reichlich Schweinefleisch, Zwiebeln, Kartoffeln und Gewürzen, die in Magen oder Darm gestopft werden – für politische Beobachter mit küchenpsychologischer Begabung wäre es ein gefundenes Fressen gewesen, zu analysieren, was Kohl mit diesem Leibgericht auch sagen wollte: Seht her, Deutschland geht es gut, wir haben volle Mägen. Aber es kommt nicht immer auf die Größe an. Die der gefüllten Speise innewohnende Dekadenz wird auch im Mikrobereich sichtbar. Wenn kulinarische Analphabeten, die mit Stolz ihren Pelz auf der Zunge tragen, sich über elaborierte Küche zu gehobenen Preisen hermachen, führen sie gerne den gefüllten Schnittlauch ins Treffen, das Speis’ gewordene Gegenteil von Demut und Preis-Leistungs-Verhältnis. Natürlich wäre es lächerlich, in vielen zeitgemäßen Gerichten zwanghaft nach der Dekadenz zu suchen. Es gibt sie nicht mehr; nicht in den wunderbaren, orientalisch gewürzten, gefüllten Karotten im neuen Café Ansari, nicht in den mit Pinienkernen, Parmesan und Bröseln gestopften Sardinen oder Rotbarben der Mittelmeerküche, und auch nicht in vielen Wiener Klassikern – den gefüllten Paprika oder der gefüllten Kalbsbrust, wenngleich diese durch das Untergreifen, mit dem Hohlraum für den Inhalt geschaffen werden muss, schon wieder – honi soit qui mal y pense – eine winzige Spur Verruchtheit birgt.

Die Suche nach exaltierten Gerichten mit reichlich Füllung gestaltet sich schwierig. Lange Zeit waren gefüllte Speisen nahezu ausnahmslos dazu da, eine hybride Oberschicht zu unterhalten; sie waren gleichsam die signature-dishes jeder ordentlichen Orgie. Wir wenden uns also Federico Fellinis „Satyricon“ zu, und zwar der Szene, in der Trimalchio sein berühmtes Gastmahl gibt: grell geschminkte Gesichter, exaltiertes Gelächter, Arroganz in Reinkultur; man wischte sich die fetten Finger an den Haaren der Sklaven ab. Irgendwann wird ein Schwein in den Saal getragen, von dem Trimalchio glaubt, der Koch habe es nicht ausgenommen. Um ein Haar wäre dieser dafür mit Aufhängen und Auspeitschen bestraft worden, doch dann holt der antike Küchenchef gerade noch rechtzeitig mit dem Messer aus und reißt den Bauch des Tieres auf. Heraus quellen Wurstketten, fette Hühner, Schinken, Lebern, Schnecken und alles, was man heute sonst noch im Kochbuch des Apicius an altrömischen Delikatessen findet. Die Attraktion hieß damals „trojanisches Schwein“.

Übertroffen wird dieses Gericht nur noch durch das gefüllte Kamel, ein angebliches Hochzeitsessen von Beduinen, von dem eigentlich nur reitung existieren. In Bohumil Hrabals burleskem tschechischen Roman „Ich habe den englischen König bedient“ wird so ein Tier anlässlich des Besuches des abessinischen Kaisers Haile Selassie von dessen eigener Entourage in einem Prager Hotel zubereitet. Also schon wieder so ein mit Prunk und Protz gesättigtes Ambiente: „Sie drehten das ganze Kamel über einem Dreibein am Spieß und brieten es, und als sie fast fertig waren, gaben sie in das Kamel zwei Antilopen hinein, in denen die Truthähne als Füllung steckten, und in diesen waren ohnehin schon eine Füllung und auch Fische, und sie stopften den freien Raum mit Eiern aus und streuten dauernd ihr Gewürz dazu und tranken Bier.“ Auch das absolut unnachkochbar. Doch wenn man das Kamel und die Antilopen überspringt und erst beim Truthahn anfängt, gibt es doch noch eine Möglichkeit. Das Gericht heißt Turducken und wird in den USA rund um Thanksgiving tatsächlich in großer Zahl zubereitet. Der Turducken besteht aus einem Truthahn, der mit einer Ente gefüllt wird, in der wiederum ein Huhn steckt: Turkey, duck, chicken; man nennt so was Kofferwort. Alle drei Vögel müssen dazu sorgfältig entbeint werden; bloß die Pute draußen darf ihre Keulen- und Flügelknochen behalten, so sieht der Braten am Schluß besser aus. In seinem Buch „Der Mann, der alles isst“ hat Jeffrey Steingarten das Ding nachgekocht – und vier Tage dafür gebraucht, weil er ewig lang mit den vielen Zusatzfüllungen herumschusselte, die noch in die Zwischenräume kommen. Das geht bitte viel schneller – und auch schlanker, leichter und moderner.

Ich glaube, wir sollten diesen Turducken ein bissl in die Gegenwart holen“, sagt Meinrad Neunkirchner in der Küche seines Gasthauses Freyenstein. Neunkirchner ist in der österreichischen Küche so etwas wie ein Missing Link zwischen hoher alter Schule und zeitgenössischer Leichtigkeit, und darüber hinaus einer der besten Kenner all dessen, was so an Wegesrändern, auf Büschen oder Wiesen wächst, von den Köchinnen und Köchen längst vergessen wurde, und deshalb heute wieder neuartig schmeckt. Dennoch, man darf für einen Turducken heutzutage nicht mehr Urlaub nehmen müssen. „Alles muss schnell gehen“, sagt Neunkirchner ein wenig klagend, während er einer kapitalen Putenbrust den Schmetterlingsschnitt verpasst und sie danach plattiert. „Kein Mensch will mehr stundenlang in der Küche stehen.“ Deshalb ist der Turducken 2.0 ein Turducken, der in weniger als 90 Minuten fertig ist. „Ich hab’ mich da kurz schlau gemacht“, sagt Neunkirchner, „da gibt es ja die wildesten Varianten.“ In der Tat: Die ursprüngliche Heimat des Turducken ist angeblich der Süden der USA. Das behaupten die Cajun-Köche gerne, aber es gibt eine ganze Menge viel älterer Rezepte aus anderen Gegenden der Welt. Aus dem frühen 19. Jahrhundert stammt ein französisches Rezept mit sechzehn ineinandergeschlichteten Vögeln: Truthahn, Gans, Fasan, Huhn, Ente, Perlhuhn, Krickente, Schnepfe, Rebhuhn, Regenpfeifer, Kiebitz, Wachtel, Drossel, Lerche, Ortolan und Gartengrasmücke; in letzterer steckt eine Olive. Es gibt auch noch eine Variante, in der der Außenvogel eine Trappe ist. Den eigentlichen Turducken nennen die Briten Royal Roast, und aus dem viktorianischen Zeitalter ist eine Gans-Huhn-Fasan-Wachtel-Kombi überliefert, die Pandora’s Polster genannt wurde. Da liegt sie jetzt, die geplättete Truthahnbrust. Neunkirchner bestreicht sie mit Löwenzahnsirup und streut etwas Mönchsbart darüber, dann legt er zwei in wildem Thymian gewälzte und gehäutete Entenbrüste darauf. Vom Huhn braucht man für diesen Turducken nur eine längs halbierte Hühnerbrusthälfte – „und ein bisschen eingelegten roten Holler aus dem Wechselgebiet“, wie der Koch vorschlägt. Alternativ darf es wegen der raren roten Beeren auch Sanddorn- oder Hagebuttenpaste sein. Salz, Pfeffer und Tripmadam – „Heißt auch Felsenfetthenne, wächst bis zur Baumgrenze und ist eine klasse G’schicht zu Geflügel“ – drüber und statt des Schweinsnetzes eine Hülle aus Alufolie, damit der Saft im Braten bleibt. Bleiben noch 45 Minuten bei 210 Grad im Backrohr, im Gegensatz zu den zwölf Stunden, die der klassische Turducken aus ganzen Vögeln braucht. Und dazu gibt es ein Bett aus Zucchinichutney, etwas reduzierten Geflügeljus und Lakritzkraut oben drauf. Wenn man will, kann man ja das aromatische Wildkräuterfeuerwerk, das beim Öffnen der Folie zündet, als dekadent ansehen. Muss aber nicht sein. Während der Turducken des 21. Jahrhunderts, von dem vielleicht sechs Personen eine Scheibe abkriegen anstatt wie früher zwanzig, im Rohr schmurgelte, fiel Meinrad Neunkirchners Blick auf ein pudelnacktes Perlhuhn, das da, frisch geliefert, auf der Stahlplatte in der Freyenstein-Küche lag.

Sollen wir’s füllen? Keine schlechte Idee, aber wer jetzt denkt, der Koch habe bloß vor, eine flugs angerührte Masse in den Bauch zu stopfen, sitzt schon in der Falle. Für Neunkirchner ist die Turducken-Methode eigentlich die einzig legitime Art, etwas in Vögelrümpfe hineinzustopfen. Da hält er es ganz nach dem Prinzip des legendären französischen „Huhnes in Trauer“, bei dem großzügig Scheiben von der Perigord-Trüffel unter die Brusthaut geschoben werden. „Ein Hendl im Bauch zu füllen“, sagt er, „ist Küchenfaulheit.“ Er greift sich den Vogel, kappt den Bischof und fährt vorsichtig mit dem Zeigefinger zwischen Haut und Brustfleisch. Fingernägel schneiden, so es an der Zeit ist, wäre vor dieser Prozedur nicht schlecht, denn ein einziger winziger Riss würde später im Rohr zu einem Vulkanausbruch führen, bei dem die Füllmasse sich wie Lava den Weg ins Freie bahnt. „Was sehr wohl in den Bauch darf“, sagt Neunkirchner, „sind Aromate: Kräuter und Knoblauch, Salz und Pfeffer. Sonst nichts.“ Für die Füllung eines Perl- oder Haushuhns unter der Haut reichen hundert Gramm Weißbrot – oder, besser noch, ungesüßtes Brioche. Das wird mit Salz, Pfeffer, einer Prise Muskat, einem Ei und etwas warmer Milch, in der eine dicke Scheibe Butter schmelzen durfte, verrührt. Das ist die Basis. Die Möglichkeiten, der Füllung einen aromatischen Drall zu geben, sind unerschöpflich. Man kann Richtung Asien reisen und der Masse Curry oder Ingwer beimischen; klein gehackte Pilze machen sich auch hervorragend. Und wenn man schwarze Trüffeln kurz in Madeira sautiert und unterhebt, trägt der Gockel eben auf diese Art Trauer. Neunkirchner nimmt diesmal einen üppigen Strauß Ringelblumen, spielt eine Weile lang „Das Huhn liebt mich, liebt mich nicht…“ und rührt eine Handvoll Blütenblätter in die Füllung. Von denen muss man ziemlich viel verwenden, sonst können sie ihren würzigen Geschmack nicht entfalten, der aber bitte nur wenig mit dem Odeur zu tun hat, den eine offene Tube Ringelblumensalbe gegen Entzündungen verströmt. Auf dem Weg zum korrekt gefüllten Vogel lauern noch weitere Vogelfallen. Beim Füllen mit Löffel oder Finger darf natürlich auch jetzt kein Hautriss entstehen. Und zu prall darf auch nicht gestopft werden, denn das Ei, das in der Hitze souffliert, könnte die Haut sonst zum Platzen bringen. Aber jetzt: 200 Grad, 50 Minuten. Und der Sommer wird mit einer Scheibe verblüffend saftiger Perlhuhnbrust samt frisch-flaumiger Fülle auf Wildkräutersalat endgültig verabschiedet. Klassische Fülle Nr. 3: Die Farce. „Leider ziemlich aus der Mode gekommen“, sagt Neunkirchner. Und doch so wichtig. Man weiß ja heute gar nicht mehr, was alles eine Farce ist: das Hechtnockerl, der Inhalt eines Raviolo, die Wurst, die Pastete, die Terrine. In seinen Tagen im Grand Hotel Oslo, erinnert sich Neunkirchner, habe er jede Woche dreißig Pasteten oder mehr gemacht; wenn er über Farcen doziert, kann man ihm also getrost zuhören und Glauben schenken. Die Farce führt im Übrigen noch einmal zurück zu den frivolen Aspekten des Themas Füllen. Eigentlich steht das Wort ja für einen Streich oder Scherz und darüber hinaus für ein derbes Lustspiel samt all den Verwirrungen, Verwechslungen und Überraschungen. Und weil man sich früher einmal darüber zerkugeln konnte, wenn man jemandem Huhn oder Fisch kredenzte und plötzlich war da noch was drin, wurde die Farce zur Fülle. Der Austro-Aspekt dabei: Auch das Wort Faschieren leitet sich davon ab. Für Neunkirchners Farce, die in einem Karree vom Hällischen Hausschwein landen soll, wird Schweinefleisch zweimal durch die feinste Lochscheibe faschiert. Dann wird es gewürzt: mit Salz, Pfeffer, Kümmel und ein paar Esslöffeln Brennnesselpaste, die sich auch jetzt noch frisch herstellen lässt, weil die verwelkten Pflanzen sehr spät noch einmal ins Kraut schießen und junge frische Triebe hervorbringen. Die Masse kommt dann in den Cutter. Tierisches Material für Farcen – eine Farce aus Pilzen heißt Duxelles – muss immer eiskalt verarbeitet werden, weil sonst das darin enthaltene Eiweiß koaguliert. Haushaltscutter bewältigen Faschiertes ohne zusätzliche Kühlung; bei Profigeräten muss man etwas Eis beifügen, weil deren Reibungswärme die Farce gerinnen lassen könnte. Während des Mixens gießt Neunkirchner nach und nach Obers an. Durch ein feines Drahtsieb muss er diese Farce dann doch nicht treiben; das ist nur nötig, wenn man die fleischliche Grundmasse nicht sorgfältigst von Flachsen und Knorpeln befreit. „Noch eine Spur heikler ist das beim Fisch“, sagt Neunkirchner, während er seine Farce auf das aufgeschnittene Karree streicht, ein paar Steinpilze drüberstreut, das hübsche Grand Pièce wieder zuklappt und in Folie wickelt. „Fisch enthält noch mehr Eiweiß. Man sollte so eine Masse nicht zu lange cuttern und jedenfalls Eiswürfel dazugeben.“ Mal sehen, wie die das machen, die den mit Fisch gefüllten Fisch praktisch im kleinen Finger haben. Ab in die Wiener Innenstadt, ins koschere Restaurant Alef Alef. Es gibt, tadah!, gefillten Fisch. Betreiber Shalom Bernholtz hat zu diesem Zweck einen Karpfen im Ganzen besorgt. Und dass das jetzt keine Platitüde ist – was nimmt man sonst für gefillten Fisch? –, sondern sehr wohl erwähnenswert, hat laut Bernholtz mit den jungen Leuten von heute zu tun. „Die sind schon verloren“, sagt er, „die wollen nicht mehr mit Gräten und Knochen spielen. Sushi, Maki, alles wollen sie, aber einen gefillten Fisch im Ganzen? So etwas gibt es nur an den ganz wichtigen Feiertagen.“

Der gefillte Fisch besteht deshalb in den meisten Fällen nur noch aus der Fülle; er ist gewissermaßen ein Fischpflanzerl ohne Hülle, dargereicht mit der obligaten Karpfensulz und der so ungemein erfrischenden Mischung aus geriebenen roten Rüben und Kren.

Im Alef Alef wird gefillter Fisch ausnahmslos aus Karpfen hergestellt, aber es gibt auch andere taugliche Fische, wie Bernholtz erklärt. Musht zum Beispiel, auch galiläischer Tilapia oder Petrus fisch genannt. Er vermehrt sich besonders gut – jetzt muss Bernholtz kurz nachdenken: „Wie heißt noch schnell der See, auf dem Jesus spazieren gegangen ist?“ – im See Genezareth. Für das Gericht, eine traditionelle und sogar verpflichtende Sabbatspeise, ist im Alef Alef Henryk Dzieza zuständig, ein polnischer Koch, der jeden Mittwoch Dutzende Karpfen in Fischlaibchen verwandelt, die Bernholtz zuvor mit einem Rabbiner besorgt hat. Koscherer Karpfen muss beim Erwerb noch leben; zahlreiche Anekdoten von Karpfen, die in Badewannen Festen wie Pessach oder Sabbat entgegentümpeln, zeugen davon.

Und jetzt also das Rezept. Shalom Bernholtz lacht nur. „Henryk kann Ihnen kein Rezept geben. Er wiegt nichts ab, er kann es einfach, er hat’s im kleinen Finger.“ Henryk Dzieza grinst, seine Hände fuhrwerken in einer riesigen Schüssel voller faschierter Karpfenfilets, denen er zuvor mit leichthändig geführten Schnitten die Haut abgezogen hat. Kartons von Eiern, Salz, Pfeffer, Zucker, massenhaft Zwiebeln, eingeweichte Brotzöpfe, die Challot genannt werden, kommen dazu. Matzenmehl in diesem Fall auch, über dessen Verwendung ist man sich im Judentum aber nicht wirklich einig. „In der chassidischen Tradition fehlt es“, sagt Bernholtz, „weil es nicht mit Wasser in Berührung kommen soll. Ich war schließlich auch mal Religionslehrer.“

Der gefillte Fisch an diesem Tag ist ein Kompromiss zwischen Tradition und Moderne. In klassischen Rezepturen wird die Füllung tatsächlich in den ganzen Karpfen gegeben; genauer: in die Haut, deren Fleisch vorsichtig entfernt wurde, sodass der später pochierte Fisch seine Form mit Hilfe der Fülle behält. Dzieza schneidet den Karpfen quer in Koteletts, bohrt mit einem spitzen Messer Köcher in die knorpeligen Bauchlappen und verbindet sie mit Zahnstochern. Dann füllt er die abgeschmeckte Masse in den Hohlraum. Auf dem Herd köchelt derweil ein Fond aus Gemüse, Karpfenköpfen, Karkassen und aus Fisch gewonnener und somit koscherer Gelatine. Am nächsten Tag wird sie kalt sein und als wabbelndes Gelee mit dem Fisch serviert werden. Gefillter Fisch wird nämlich durchwegs kalt genossen, weil er vor dem Sabbat zubereitet werden muss.

Zwanzig Minuten später sind die gefillten Karpfensteaks im Fond gar; gemeinsam mit bereits gestocktem Gelee vom Vortag und rotem Rübenkren wird gekostet; und Henryk Dzieza darf zurecht zufrieden sein. Draußen im Restaurant schaut inzwischen Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg vorbei, klopft Shalom Bernholtz mild ironisch auf die Schulter und sagt: „Ich hab’ ihm gesagt, er soll sich seinen Bart kürzer schnei den, sonst werden wir immer verwechselt und die Leute fragen mich nach dem gefillten Fisch und ihn nach der Religion.“

Aber im Judentum ist es ohnehin so, dass Essen und Glaube eng miteinander verwoben sind. Deshalb kann Shalom Bernholtz auch beim gefillten Fisch noch einmal die Verbindung zu Fülle und Reichtum herstellen: „Am Sabbat gibt es mindestens drei Mahlzeiten, zu denen einmal gefillter Fisch gegessen werden soll. Im Talmud steht nämlich auch geschrieben, dass am Sabbat gut gegessen werden soll. Mit gutem Wein und Süßigkeiten für die Kinder. Und nichts davon wird beim jüngsten Gericht in die Abrechnung miteinbezogen.“

Adressen

Freyenstein
Thimiggasse 11
1180 Wien
Tel.: 0664/439 08 37
www.freyenstein.at

Alef Alef
Seitenstettengasse 2
1010 Wien
Tel.: 01/535 25 30