Lasst tausend Gurken blühen
War es nicht Michelangelo, der sagte: „Die Chrysantheme steckte von Anfang an im Radieschen, ich habe nur entfernt, was nicht dazugehörte“? Nein? Hm. Eventuell war es ja doch nicht Michelangelo. Also gut, es war definitiv nicht Michelangelo. Ich war’s.
Gemüseschnitzen ist vollkommen überflüssig.
Wenn Sie diesen Satz lesen können, ohne geistig automatisch ein „aber“ dranzuhängen, können Sie an dieser Stelle bereits zu lesen aufhören, und ich gratuliere Ihnen herzlich zur so gewonnenen zusätzlichen Lebenszeit, die Ihnen damit wieder uneingeschränkt für unverzichtbare Tätigkeiten wie Fußballschauen, Autowaschen oder Würfelpokern zur Verfügung steht.
Leichten Stand hat die heitere Kunst der skulpturalen Vegetabilien-gestaltung hierzulande allerdings keinen, weil erstens ist der Österreicher, wie wir nicht erst seit Haders und Dorfers Indien wissen, „ka Beilagen-esser in dem Sinn“, zweitens haben wir ja früher alle nix g’habt und schon gar nicht Zeit für so was, drittens versündigt man sich durch ästhethische Zweckentfremdung doch irgendwie an der Gottesgabe Lebensmittel, und viertens kann ja, wer glaubt, so was echt zu brauchen, eh zum Chinesen gehen.
Tatsächlich ist das Gemüseschnitzkunstähnlichste, was in österreichischen Traditionshaushalten gepflogen wird, der von Vätern und Müttern so regelmäßig wie vergeblich unternommene Versuch, durch penibles Legen von Erbsen-Emojis oder das Basteln von aus Salatpletschen, Paprikaststreifen und Kohlrabikugerln zusammenkomponierten Clownsgesichtern
den Nachwuchs in eine versehentliche Vitaminaufnahme hinein-zutheatern.
Dazu kommt, dass die klassische österreichische Küche tatsächlich nicht gerade nach plastischer Gestaltung schreit. Wir alle haben schon Vulkane aus Erdäpfelpüree geformt und für die dazugehörigen Sauceneruptionen gesorgt, aber schon als Halbrelief gestaltete Bratkartoffeln wären wohl mehr Irritation denn Innovation. Auch Semmelknödel – die im Kontext der heimischen Rezepttradition durchaus als Gemüse zu gelten haben – gewönnen durch raffinierte Ornamentierung vermutlich ebensowenig wie Kohlsprossen, die im Schmuck eines kunstfertig von ihren äußeren Blattschichten gebildeten Spitzentutu gehüllt zu Teller kämen.
Aber es ist doch ein wenig erstaunlich – zumindest außerhalb der Nachfolgestaaten der Sowjetunion –, dass traditioneller Gourmet-Pomp so ganz auf der roten Liste gelandet zu sein scheint.
Wo sind die Butterschwäne geblieben? Wo die Eisskulpturen?
Finde nur ich es erstaunlich, dass in der gegenwärtigen Hochleistungs-Hochküche, wo ja die Karotte zum Kaviar und der Kaviar zur Eiscreme wird, wo Salate mit Pinzette, Wasserwaage und Senkblei zu subtil austarierten Installationen in der gestalterischen Tradition von Calder-Mobiles arrangiert und fragile Schäumchen von ätherischen Schwämmchen bekrönt werden, die Küchenposition des Fruchtbildhauers konsequent unbesetzt bleibt?
Vielleicht kommt ja, das Pendel schwingt ja stets auch zurück, nach der verwichenen Ära der phantastisch-realistischen Speisekartenprosa („Menage a trois von Edelfischen auf Wildkräuter-Demi-Glace an Fenchel-Yuzu-Mesalliance und Quinoa-Dreadlock“) und der gegenwärtigen des brutalistischen Reduktionismus („Hirsch. Blut. Wald.“) ja eine auf uns zu, die den Fokus justament auf Dekoration legt: „Gotischer Filigranturm von der Petersilienwurzel nebst Essen.“
Sollte es tatsächlich dazu kommen, gedenke ich, gerüstet zu sein.
Will man sich also mit der künstlerisch ambitionierten Obst- und Gemüsegestaltung auseinandersetzen, tut man gut daran, den Blick nach Fernostasien zu richten, in unserem Fall konkret nach Gastein im Salzburgerland. Dort nämlich, inmitten von Skiliften und Holzbalkonhäusern, betreibt das Ehepaar Alexander und Angkana Neumayer sein Kochen & Kunst-Projekt. Alexander Neumayer blickt auf eine eindrucksvolle Reihe von Chefkochposten in diversen 5-Sterne-Hotels zurück: 3½ Jahre Hawaii, 1½ Jahre Hongkong, 7 Jahre Thailand. In Thailand lernte er dann Angkana kennen, ihres Zeichens vielfach ausgezeichnete professionelle Obst- und Gemüseschnitzerin. Es folgte die im Grunde immer wieder gleiche, immer wieder schöne, vielfach verfilmte Geschichte: Boy meets girl, sie bringt ihm das Obst- und Gemüseschnitzen bei, sie heiraten und gewinnen im Weiteren jede Menge Goldmedaillen bei internationalen Speisenschnitzbewerben. Dann macht ein Kind das Glück komplett, und als dieses ins schulpflichtige Alter kommt, ziehen alle nach Gastein. Happy End, Abblende.
Nach einem zweijährigen Intermezzo Alexanders als Kochlehrer an der Tourismusschule („Das war nix für mich“) konzentrieren sich die beiden nun seit etlichen Jahren auf ihre Kernkompetenzen. Das heißt, man kann sie als Köche bzw. Dekorationsprofis für asiatische Festessen oder Buffets beliebigen Aufwendigkeitsgrades engagieren oder diese Fertigkeiten in Kursen und Semnaren von ihnen beigebracht bekommen, wobei dem selbst entwickelten Thema AlpenZushi – nach allen klassischen Regeln der Sushi-Kunst bereiteter Reis in Kombination mit heimischen Zutaten vom Saibling bis zur Blunzen – eine Sonderrolle zukommt.
Daheim kocht man übrigens ungefähr halbe-halbe Gerichte aus beiden kulinarischen Kulturen, Angkana Neumayer versteht sich inzwischen auf Kaspressknödel ebenso gut wie auf Currys.
Eine Rückkehr in die klassische Gastronomie ist derzeit nicht geplant („Wir haben überlegt, einen Thai-Food-Truck zu bespielen, aber nur, bis wir uns nach den behördlichen Auflagen erkundigt haben“), Alexander Neumayer geht in den letzten Jahren verstärkt seinem Hang zum Karikaturistischen nach, wenn auch im unorthodoxen Medium Schokolade: Die edelknittrigen Büsten der Rolling Stones etwa gibt es zu sehen, einen sehr kleinen Sarkozy, der sich einer sehr großen Merkel an die Brust wirft oder einen ebenfalls schokoladenen Berlusconi, der gerade vergnügt dem italienischen Stiefel aufreitet.
In die Grundtechniken des Gemüseschnitzens wird mich aber Frau Neumayer einweisen, und so betreten wir den nüchtern eingerichteten Seminarraum. An den Wänden hängen Bilder exemplarisch geglückter Werke sowie zwei große, mit einer schwindelerregenden Vielzahl an Lebensmittelschnitzwerkzeugen bestückte Tafeln. Es kann losgehen.
Und prompt schlägt eine warme Welle regressiver Entmündigung über mir zusammen. Es muss wohl im Volksschul-Bastelunterricht gewesen sein, als mir zuletzt Werkzeuge, die ich noch nie gesehen habe, von einer freundlichen, von einem Air mütterlicher Strenge umwehten Frau erklärt wurden. Schnitzmesser. Kerbmesser. Schnitzmeissel. Aha. Einfach so halten, nein, doch so. Ah ja.
In diese Kohlrabischeibe kerben wir, nach dem wir der Einfachheit halber die Mitte mit einem Zahnstocher markiert haben, acht Rillen, um gleich große Segmente zu erhalten. Na ja, wenn sie nicht ganz gleich groß sind, ist es auch nicht schlimm, wir üben ja nur einmal. Und jetzt nehmen wir das gerillte Kerbmesser, nein, nicht das, das, genau. Und machen schnipp! Nicht so flach, bisschen steiler. Ja, genau so.
Ich konzentriere mich und kerbe und schnitze mit zwischen die Zähne geklemmter Zungenspitze, schließlich will ich ja, dass die Frau Lehrerin sieht, dass ich mich bemühe.
Und prompt habe ich wenig später die erste Gemüseblumendekoration meines Lebens erschaffen, und sie ist obendrein erst auf den zweiten Blick deutlich verhatschter als die von Meisterinnenhand geschaffene Vorlage.
Dafür werde ich gelobt (positive Verstärkung ist pädagogisch ganz wichtig!) und löse im Weiteren auch die Aufgabe, eine Art Radieschenrose auf eine Art Kohlrabi-Chrysantheme zu setzen, ganz passabel. Fachgerecht arrangiert, sehen meine Artefakte dann tatsächlich annähernd aus wie sie sollen, und ich gestatte mir eine Aufwallung albernen Stolzes.
Dann nimmt es Alexander Neumayer auf sich, mich im Kürbisschnitzen zu unterweisen. (Frau Angkana erzeugt einstweilen in einem unerhörten Tempo eine Ziermelone, deren Ziselierung uns hochkomplex erscheint, die aber nach ihren Standards gestalterisch nicht viel ehrgeiziger ist, als ein Petersilsträußerl zum Schnitzel zu legen.)
Herr Neumayer hat zwar einen eklatanten Routinevorsprung, aber ich halte mich ganz wacker. Als sich der untere Teil meines Exemplars als extrem dünnwandig erweist und bricht, mache ich geistesgegenwärtig aus der Not eine Tugend und lasse den Kürbis ein paar Kürbiskerne herauswürgen, wofür ich, finde ich, zumindest einen guten Zweier verdient hätte.
In der Zwischenzeit haben mich ein paar der Werkstück-Fotografien aus dem Neumayerschen Oevre in ihren Bann geschlagen, darunter ganz besonders die verrückt aufwendige Butterskulptur einer schwerelosen Szene mit einem Taucher-Paar. That’s the spirit! Umgehend nimmt ein vehementes Butterskulpturenhervorbringbedürfnis mein Bewusstsein in Beschlag, und ich frage, ob wir nicht noch bitte, bitte einen Butterschwan modellieren können.
Herr Neumayer gibt zu bedenken, dass dafür die Zeit nicht mehr reichen werde, lenkt aber, als er meine schimmernden, traurigen Augen sieht, ein: „Anfangen können wir ja einmal, die Feinarbeit wird sich nimmer ausgehen.“
Zunächst wird erläutert, dass Butterskulpturen eigentlich nicht aus Butter, sondern, der weitaus besseren Handhabbarkeit wegen, aus Ziehmargarine gefertigt werden, was ich aus irgendeinem Grund als stark enttäuschend empfinde.
Aber mit Enttäuschungen kann ich umgehen, ich bin ja schon groß, und so knete und wuzle und forme ich fröhlich vor mich hin, bis ich tatsächlich einen noch etwas groben, aber schon recht schwanenähnlichen Fettklumpen erzeugt habe.
Dafür, das Ding dann noch einmal zu kühlen und mit geeignetem Werkzeug einem Feinschliff zu unterziehen, ist dann aber tatsächlich nicht mehr Zeit, und mein Butterschwan bleibt, wie ja Michelangelos berühmter Atlas-Sklave auch, unvollendet.
Ehe wir dann tatsächlich gehen, erwerbe ich noch ein günstiges Fruchtgestaltungs-Basiswerkzeugset für Einsteiger. „Das bring ich meinen Kindern mit“, erkläre ich, aber natürlich ist das gelogen. Ich brauche dieses Werkzeug. Auch wenn ich mich wundern würde, sollte ich es jemals tatsächlich benutzen.
Bücher von
Angkana & Alexander Neumayer:
Tischdekorationen aus Obst und Gemüse zum Selbermachen
Heel Verlag
ISBN 978-3-86852-004-0
Kunstvolles Seifenschnitzen
Verlag Christophorus
ISBN 978-3-8388-3360-0
AlpenZushi
Isa Verlag
ISBN 978-3-9811970-5-1