Mrs. Bean

Ihren Ursprung hat die Sojabohne in China. Was kaum jemand weiß: Die vom Keimling bis zur Bohne verwertbare Hülsenfrucht mit asiatischen Wurzeln wächst auch gerne auf österreichischem Boden und wird im Burgenland zu Milch, Joghurt und Tofu verarbeitet.

Mrs. Bean

Text von Claudia Schemerl-Streben Fotos: Corbis, Getty Images
In der Küche des chinesischen Restaurants "On" wird sieben Tage die Woche nonstop geschnitten, gehackt, gebraten, gedämpft und frittiert. Wirt und Küchenchef Simon Hong Xie vermengt Seidentofu mit Frühlingsgemüse, frischem Koriander, Chili und Sojasauce zu einem Tatar, formt die Tofuhaut Yuba mit Gemüse zu Frühlingsrollen und schneidet Baumwolltofu, den er in unregelmäßigen Abständen exklusiv von der Taiwanesin Chuang Shu-Chen bezieht, für den Wok. Ihr Tofu wird nicht per Luftfracht von China nach Österreich importiert. Wenn Shu-Chens Ware im Lokal in der Wiener Wehrgasse eintrifft, hat sie drei Autostunden hinter sich. Shu-Chens Anbaugebiet: das Südburgenland.

Seit zehn Jahren produziert die gebürtige Taiwanesin in Rotenturm Tofu. Über seine Herstellung wusste Shu-Chen, die 15 Jahre lang in der Kosmetikbranche tätig war, damals nichts. Am Feldweg in der Nähe von Güssing entdeckte sie zufällig ein Sojabohnenfeld, pflückte ein paar Bohnen, kochte sie und aß sie wie in ihrer Heimat üblich mit einer Schale Reis. "Heute gibt’s die grünen Bohnen in jedem Supermarkt im Tiefkühlregal, früher kannte sie niemand. Die Nachbarn haben mich ausgelacht und meinten, dass sie nur für die Tierfütterung verwendbar sind." Besessen davon, ein Stück Heimat nach Österreich zu transferieren und als One-Woman-Unternehmen ein besonderes Produkt herzustellen, wurde der eigene Garten zum Experimentierfeld umfunktioniert, Saatgut eingekauft und gesetzt. Kurz darauf stieg Shu-Chen in den Flieger nach Taiwan, machte sich bei drei verschiedenen Tofuproduktionsfirmen mit der Herstellung des Sojakäses vertraut, kaufte eine Sojamühle und begann, in ihrer Küche Tofu herzustellen.
Ihr eigenes, einen halben Hektar großes Sojabohnenfeld bewirtschaftete Shu-Chen fünf Jahre lang – händisch. Heute wird sie von einem Biobauern aus Großpetersdorf beliefert, der die Hülsenfrucht für sie kultiviert. Das Saatgut wird nach dem letzten Frost im Frühling ausgesetzt und mutiert innerhalb mehrerer Wochen von einem zarten Keimling zu einem unscheinbaren, staudenartigen Gewächs mit maximal 80 Zentimeter Höhe, das kleine weiße und violette Blüten trägt. Anfang Juli entstehen an dieser Stelle Hülsen, die sich über die Sommermonate zu einer braunen, pelzartigen Schutzhülle für die Bohnen entwickeln. Die Hülsen werden bis zu zehn Zentimeter lang, ihr Inhalt – fünf Samen – ist braun, grün und schwarz, kugel- bis nierenförmig und trägt eine kleine schwarze Narbe. Im Herbst wirft die Sojapflanze ihre Blätter ab, die Bohnen reifen aus, werden geerntet, von Erde gereinigt und in einer Scheune kühl und trocken gelagert. Zwei Jahre könnte das Basismaterial für Shu-Chens Tofu ohne Geschmacksverlust aufbewahrt werden. Sie verarbeitet die eiweißreiche Bohne aber innerhalb eines Jahres. Einmal wöchentlich holt sie sich 15 Kilogramm Bohnen aus der Lagerhalle und weicht sie über Nacht in Granderwasser ein (der gesamte Hof wird mit dem "belebten Wasser" versorgt). Am nächsten Tag werden die Bohnen abgeseiht und gemeinsam mit frischem Wasser in der Sojamühle zerkleinert, wodurch zwei Zwischenprodukte entstehen: einerseits die aus den Bohnen gewonnene Sojamilch, andererseits der Rückstand Sojakleie, auch Okara genannt. "Die Kleie besteht aus wertvollen Fasern und ist sehr ballaststoffreich. Im europäischen Raum wird sie aber nicht wie in Asien üblich weiterverwendet."
150 Liter Sojamilch gewinnt Shu-Chen aus 15 Kilogramm Bohnen. Sie erhitzt die Flüssigkeit stufenweise so lange in einem Käsekessel, bis sie kocht. Drei Stunden lang bleibt die Milch in dem Gefäß und wird mit einem Gerinnungsmittel versetzt, damit störende Bitterstoffe abgebaut werden und Eiweiß ausflocken kann. Die heiße Masse gießt die Bäuerin durch ein Baumwolltuch. Eine Technik, die dem Tofu auch den Namen Baumwolltofu oder Momen-Tofu verleiht. Sobald sich hellgelbe Molke absetzt, schöpft Shu-Chen die Tofumasse ab und presst sie in rechteckige Formen. Wie traditionelle Käser in ihren Berghütten behilft sich auch Shu-Chen ganz simpler Methoden, um ihren Tofu zu pressen. Sie legt Kunsstoffplatten (in China wird Holz verwendet, hierzulande ist es aus Hygienegründen verboten) auf den Tofu und beschwert diese mit Kübeln, die sie mit Wasser füllt. Bis zu drei Stunden braucht der Tofu, bis er abkühlt. "Während dieses Prozesses muss er gepresst werden, damit er seine Form nicht verliert. Im Winter mache ich einfach das Fenster auf, um den Vorgang ein wenig zu beschleunigen." Im Sommer greift Shu-Chen zum Ventilator. Den erkalteten, schnittfesten Tofu schneidet sie in Rechtecke. Verpackt wird er als Naturtofu, in Würfel geschnitten rext sie ihn mit Kräutern in Öl ein oder lässt ihn von einem benachbarten Fleischhauer räuchern. Selbst für die Abschnitte, die beim Zuschneiden ihres Sojakäses entstehen, hat die umtriebige Bäuerin Verwendung gefunden. "Am Anfang habe ich sie immer gegessen. Irgendwann habe ich mir gedacht, ich mache einfach Tofuaufstrich daraus." Verkauft werden Shu-Chens Produkte (sie stellt nicht nur Tofu her und pflanzt noch immer Sojasprossen an, sondern züchtet auch essbare Taglilien, deren Knospen sie in einer Marinade einlegt) ab Hof und in allen Bauernläden im Südburgenland. Ausgeliefert wird von der Sojabäuerin persönlich. Durch die Qualität ihres Produkts und mit viel Hand- und Überzeugungsarbeit hat sie sich mit ihren Sojaprodukten in ihrer Region durchgesetzt: "Früher haben sie meinen Tofu in die Mülltonne geschmissen, heute ist es der beste Tofu, den es gibt. Darauf bin ich stolz."
Stolz kann auch Matthias Krön sein, ein erfolgreicher Geschäftsmann, dem die Umstellung der konventionellen Molkerei "Mona" auf eine Sojaproduktion gelungen ist. Bis vor neun Jahren packten die Maschinen in Oberwart noch Milch und Joghurt von der Kuh ab, seit 2008 werden diese beiden Produkte ausschließlich aus einem pflanzlichen Rohstoff hergestellt: der Sojabohne. Im Gegensatz zu den meisten Mitbewerbern setzt "Mona" nicht auf Bohnen aus aller Welt, sondern ausschließlich auf gentechnikfreie Bohnen aus Österreich. Beliefert wird die Sojamolkerei von 450 konventionellen und 200 Biolandwirten aus mittlerweile sieben Bundesländern (Hauptanbaugebiete sind das Burgenland und Oberösterreich mit insgesamt 19.062 Hektar Sojafeldern). "Wir wollen nicht irgendwo auf einem Spotmarkt einkaufen, sondern gemeinsam mit unseren Bauern Qualität erzeugen. Ein gutes Produkt bekomme ich nur dann heraus, wenn ich schon am Feld anfange und nicht erst in der Fabrik. Das ist nicht für jeden Produzenten selbstverständlich", gibt sich der geübte Smalltalker überzeugt, "weil die meisten Sojabohnen auf der Welt für Tierfutter gezüchtet werden." Vier Sojabohnensorten bauen die Vertragsbauern – darunter auch der mit 70 Jahren älteste Sojabauer Österreichs, Leopold Pischinger – für "Mona" an, im Herbst werden sie in regionale Sammelstellen gebracht und nach Bedarf mit Lkws nach Oberwart gekarrt: Cardiff, Daccor, Gallec und Platters Gelbe. "Zu Beginn waren zehn im Einsatz. Wir haben aber herausgefunden, welche Sorten gut schmecken. Bei einer einzigen konnten wir nicht bleiben, weil man die unterschiedlichen Klimabedingungen und die Bodenbeschaffenheiten in den Bundesländern berücksichtigen muss.
Der Erstversuch, ein Sojajoghurt abzufüllen, misslang: "Es war wahnsinnig viel Arbeit, weil niemand wusste, wie man Sojajoghurt herstellt. Zu Beginn hat es gut geschmeckt, aber dann hat die Rezeptur plötzlich nicht mehr gepasst, das Joghurt wurde bröckelig und bitter." Die Konsequenz: Krön begann zu forschen, kaufte eine neue Sojaanlage und setzte sich intensiv mit der Sortenauswahl auseinander. Zwei Jahre lang wurde experimentiert, bis die richtige Mixtur unter dem Markennamen "Joya" in den Becher und damit ins Kühlregal im Supermarkt kam. Heute sind nicht nur Joghurt pur und Joghurt in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen gelistet, sondern auch cremige Sojashakes und -milch. Bekehren will Krön, der auch Gründer des Vereins "Soja aus Österreich" ist, aber niemanden: "Viele Sojaproduzenten sind Vegetarier oder religiös motiviert. Ich bin kein Fundi, ich trinke auch gerne einmal ein Glas Kuhmilch."