Mut zur Distel

Sie sind wunderschön und von einzigartigem Geschmack. Man sagt ihnen gesundheitsfördernde sowie aphrodisierende Wirkung zu. Und: Heimische Artischocken haben jetzt Saison.

Text von Andrea Karrer · Illustration von Peter Jani

Die Artischocke
Ein Liebchen ist der Zeitvertreib,
auf den ich jetzt mich spitze.
Sie hat einen gar so schlanken Leib
und trägt eine Stachelmütze.

Goethe an Frau Martius:
Gegen Früchte aller Arten
Saftig-süßen, schmacklich-zarten
aus gepflegtestem Revier
send ich starre Disteln dir.
Diese Disteln, laß sie gelten.
(Ich vermag sie nicht zu schelten
Die, was uns am besten schmeckt,
in dem Busen tief versteckt.)

Ich finde alles an ihnen schön: die zarten, kleinen, ganz weichen Blätter der Jungpflanzen, die schöne Symmetrie der großen, starken Pflanzen mit ihren harten Blättern und Dornen. Die schweren, prallen Knospen, die man isst, und natürlich die lila Blüte, die sowieso ein Wahnsinn ist. Sie sind von Anfang bis Ende schön – sogar im Winter mit Eis und Reif“, schwärmt Stephanie Theuringer. „Gekommen bin ich auf die Artischocke, weil ich sie so gerne esse – schon als Kind in Italien. Später wollte ich wissen, ob es mir gelingt, sie bei uns im Garten anzubauen, weil man in Österreich einfach fast keine guten Artischocken zu kaufen kriegt.“ Vor rund 15 Jahren hat Juniorchefin Stephanie Theuringer den Artischockenanbau in Raasdorf im Marchfeld begonnen. „Im ersten Jahr habe ich Glück gehabt. Alles ist mir gelungen. Das hat meine Leidenschaft erst so richtig geweckt. Später erst habe ich bemerkt, dass beim Anbau viel schiefgehen kann, bin es professioneller angegangen und habe lange nach geeigneten Sorten fürs Marchfeld gesucht. Mittlerweile haben wir fünf Hektar mit Artischocken.“ Für den Anbau werden Sorten verwendet, die für das Klima Österreichs geeignet sind. Die Kultur ist einjährig, das heißt, dass jedes Jahr neue Pflanzen gesetzt werden. Das Pflanzen erfolgt händisch von Ende April bis Mitte Mai. Auch die Ernte ist Handarbeit, dabei wird direkt auf dem Feld nach vier verschiedenen Größen sortiert. Abhängig vom Wetter beginnt die Artischockensaison Mitte bis Ende Juli. Theoretisch wäre die Ernte bis zum ersten Frost möglich, wird aber meist Anfang bis Mitte ­Oktober beendet, um den hohen Qualitätskriterien zu entsprechen.

In südlichen Gefilden ist der delikate Korbblütler immer wieder ein gern gesehener Gast, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil er auch das eine oder andere über den Durst getrunkene Gläschen Wein verzeiht. Durch den Bitterstoff Cynarin wird der Artischocke nämlich eine äußerst schützende Wirkung auf Leber und Galle bescheinigt, weshalb Profi-Weinkoster oft auch mit einem ganzen Arsenal an Artischockenkapseln ausrücken, um ihr schweres Handwerk mit unbeschadeter Leber zu überstehen. Trotz ­ihrer vielseitigen Heilkräfte wird die Artischocke in ­unseren Gefilden überraschend selten zubereitet.

Kochbücher schrecken den interessierten „Neueinsteiger“ mit unverständlichen Anleitungen, wie die widerspenstige Distel zu schälen und zu essen ist, und warnen, dass sie sich schon während des Putzens auch noch schnell unappetitlich verfärbt. „Die Artischocken gehören zum Hochadel im Reich der Gemüsesorten – und das seit Jahrhunderten. Aus den Küchen der Länder mit großer kulinarischer Tradition sind sie nicht wegzudenken. Was uns fehlen mag, ist wohl dieser Bezug zu einer traditionellen Familienküche oder auch zum eigenen Gemüsegarten“, ist sich Stephanie Theuringer sicher.

Es muss nämlich auch gar nicht unbedingt kompliziert sein. Artischocken lassen sich ganz einfach im Ganzen kochen und servieren. Dazu bricht man lediglich durch Drehen den Stiel ab, wodurch man schon einen Großteil der harten ungenießbaren Fasern vom Boden löst. „Die Artischocke muss reif sein, dann kann man den Stiel gut abbrechen“, erklärt Paul Ivic´ vom vegetarischen Hauben-Restaurant Tian. Anschließend schneidet man die Blattspitzen mit der Schere etwa zu einem Drittel weg und gibt das Ganze für 30 bis 40 Minuten in köchelndes Salzwasser. Ein Emailtopf sei dabei Töpfen aus Aluminium bzw. Eisen vorzuziehen, da sich die Artischocke durch den Kontakt mit Aluminium grau-schwarz verfärben könne. Außerdem nehmen sie schnell einen metallischen Geschmack an. Die Artischocken sind gar, wenn sich die Blätter leicht herausziehen lassen.

Besonders die Spitzengastronomie, allen voran jene wachsende Gemeinde an Küchenchefinnen und -chefs, die nachhaltig hergestellten Lebensmitteln immer mehr den Vorzug geben, schätzt die Artischocken aus dem Marchfeld über alle Maßen. In fast jedem Top-Lokal steht inzwischen ein Artischockengericht auf der Karte. Die Gäste nehmen es durchwegs gut an. „Je kleiner die Artischocken sind, desto weniger ,Abfall‘ verursachen sie. Kleine Artischocken schält man so lange, bis das weiche Innere erreicht ist. Dann bereitet man sie zu, indem man sie kurz blanchiert oder gleich in Olivenöl röstet. Während man die Artischocken putzt und die Blätter entfernt, verhindert man die Bräunung der Artischocke, indem man sie in Zitronenwasser legt oder in perlendes Mineralwasser, denn beides verzögert den Effekt der Oxydation“, weiß Paul Ivic´, warnt aber davor, es zu übertreiben: „Man muss sich entscheiden – will man ein schneeweißes Produkt oder eines, das nach Artischocke schmeckt und nicht nach Säure!“

Apropos Zitrone: Die Bitter­stoffe der Artischocke harmonieren besonders gut mit der Säure von ­Zi­trone, aber auch mit der Fruchtigkeit von Olivenöl und dem Duft der Petersilie. Auch etwas Knoblauch darf sein.

Ein Gericht für geschmorte Artischocken mit diesen wunderbaren Aromen hat mir mein so gern kochender Mann Hanno Pöschl verraten. Wenn es nur um die Distel geht, ist dies meiner Meinung nach eine der ­besten Varianten: Junge Artischocken samt Stiel verwenden. Artischocken putzen, Stängel schälen, Artischo­cken längs halbieren (sie garen schneller und nehmen den Würzsud besser auf), Heu – falls vorhanden – mit einem Teelöffel herauskratzen. Für die Ästhetiker: Die Schnittflächen mit Zitrone abreiben. In einen Topf reichlich Olivenöl gießen, die Artischocken mit der Schnittfläche nach unten hineinlegen, die Zwischenräume mit geschälten, geviertelten Erdäpfeln auslegen und mit reichlich klein gehacktem Knoblauch sowie sehr viel (!) Petersilie und Salz bestreuen. Anschließend mit so viel heißem Wasser übergießen, bis die Artischocken knapp 1 cm unter dem oberen Rand bedeckt sind; zudecken, zum Kochen bringen und zugedeckt bei geringer Hitze etwa 10 Minuten schmoren ­lassen. Dann Deckel entfernen und bei großer Hitze kochen lassen, damit das Wasser weitgehend verdampfen kann. Vor dem Servieren noch mit restlicher gehackter Petersilie bestreuen und mit Baguette anrichten. Es gibt kaum ein einfacheres Gericht „Die speckigen Erdäpfel nehmen das Aroma der Artischocken an – schmeckt unvergleichlich köstlich!“, schwärmt Pöschl.

Die Frage „Wie isst man Artischocken?“ lässt sich ganz leicht beantworten, nämlich: möglichst furchtlos, und zwar mit den Händen. Aus diesem Grund wird die gekochte Artischocke meist auch immer im Ganzen – beispielsweise in ­Begleitung verschiedener Dipsaucen – serviert. Man nimmt die Artischocke einfach in die Hand und arbeitet sich, ein Blatt nach dem anderen abzupfend, allmählich von außen nach innen. Jedes dieser Blätter tunkt man ­dabei kurz in Vinaigrette oder eine andere Sauce und führt es dann zwischen die Zähne, um auch noch das letzte bisschen Fruchtfleisch genüsslich auszu­zuzeln, bis man schließlich zum zarten Artischockenherz vordringt. Das sieht zwar nicht wirklich nach guter Kinderstube aus, wird aber von Knigge & Co durchaus toleriert. Es ist ein Essen, das lange dauert und vielleicht nur entspannten Freunden ähnlich zeitraubender Angelegenheiten wie Fondue, Raclette & Co etwas bringt. Wer nicht gerne mit den bloßen Fingern isst und weniger geduldig veranlagt ist, wird sich Artischockenherzen kaufen, die eingelegt fix und fertig in Dosen und Gläsern zu haben sind. Doch damit bringt man sich um den Genuss taufrischer Arti­schocken und um ein schönes Esserlebnis. Außerdem verpasst man das Finale des langsam fortschreitenden Entblätterns, bei dem am Ende das ­Blüteninnere mit dem Heu übrig bleibt, das man fein säuberlich wegschneiden muss (für dessen Bewältigung greift man nun sinnigerweise zu Messer und ­Gabel), um zum Allerbesten, wofür viele jedes Herz liegen lassen, zu ­kommen: dem Boden. Der ist eine Mischung aus Fest und Weich, sehr aromatisch mit leichten Sauer- und Bitternoten und kann in kleinen Stücken wie ein besonders zartes Stück Fleisch genossen werden.

Wenn Artischocken in sehr jungem Zustand geerntet und im Ganzen gekocht werden, sind sie ein ein­ziges kleines Herz. Die oben beschriebene Methode funktioniert nur bei größeren, älteren Pflanzen. Man kann die Böden solch großer Pflanzen aber auch fertig mariniert kaufen, allerdings haben sie wegen der ­säuerlichen Flüssigkeit, in die sie eingelegt werden, oft einen etwas störenden Beigeschmack.

In Frankreich sagt man sogar über jemanden, der ein weiches Herz hat, er habe ein Artischockenherz. Caterina de’ Medici, die einst samt ihrem Küchenstab von Florenz nach Frankreich an den Pariser Hof übersiedelte, um dort König Heinrich II. zu ehelichen, wusste um die aphrodisierende Wirkung der Artischocke. Binnen kurzer Zeit war die ursprünglich aus Arabien stammende Vitalknolle zum schicken Gemüse der Pariser Hautevolee avanciert. – Und Goethe, der große Frauenheld, eroberte die Herzen (der Frauen!) auch mal mit einem Bund selbst gezogenen Spargels oder mit einem Korb frischer Artischocken …

Marchfelder Artischocken – Kürbis –Sommer-Trüffel
Paul Ivic´: Marchfelder Artischocken

Zutaten für 4 Portionen
Saft von 2 Zitronen
4 kleine Marchfelder Artischocken (Poweraden)
ca. 4 EL Olivenöl zum Braten
20 g Schalotten, klein würfelig geschnitten
1 cl Riesling
Gemüsefond
Pfeffer, Salz, Zitronensaft
Zitronenthymian
1 Kräuterseitling
100 g Kürbisfleisch
4 Stück Babymais
Maisöl
10 g Sommer-Trüffel, in feine Scheiben gehobelt

Gratinierkruste:
500 g Kräuterseitlinge
Olivenöl
750 ml roter Portwein
250 g Butter, zimmerwarm
2 Eier, zimmerwarm
Mie de pain, nach Wunsch

Marchfelder Artischocken von den Blättern befreien.
2 Stück in kleine Stücke schneiden und mit den Schalotten in Olivenöl anbraten. Mit Riesling ablöschen, mit ein wenig Gemüsefond aufgießen und das Gemüse weich kochen.
Artischocken pürieren und durch ein feines Sieb streichen. Mit Pfeffer, Salz und Zitrone abschmecken.
Die restlichen Artischocken gut abtropfen lassen, in feine Brunnoise (klein würfelig) schneiden, in Olivenöl anbraten, Zitronenthymian beifügen und bei geringer Hitze schmoren lassen.
Kräuterseitlinge und Kürbis in 5 mm dicke Scheiben schneiden. Babymais in etwas Maiskeimöl und ein paar Esslöffel Fond langsam bissfest dünsten.
Wie bei einer Lasagne abwechselnd die vorbereiteten Zutaten schichten. Beginnend mit Kräuterseitlingen,
dann Artischockenpüree, darauf Kürbis, Artischocken­würfel, Babymais, zuletzt die Trüffel. Gratinierkruste gleichmäßig auftragen und im vorgeheizten Rohr bei 200 °C ca. 10 Minuten überbacken.
Gratinierkruste: Kräuterseitlinge in kleine Würfel schneiden und in Olivenöl anbraten. Immer wieder mit etwas Portwein ablöschen und vollständig einkochen lassen. Überkühlen lassen.
In der Zwischenzeit die Butter schaumig rühren und die Eier hinzufügen.
Pilze hinzufügen und mit Mie de pain stabilisieren.

Betriebsgemeinschaft Theuringer
Altes Dorf 31
2281 Raasdorf
Tel.: 02249/892 06
www.artischocken@airwave.at
www.theuringer.at

Restaurant Tian
Himmelpfortgasse 23
1010 Wien
Tel.: 01/890 46 65
www.taste-tian.com

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Mandelbaums kleine Gourmandise Nr. 7
ISBN 978385476-515-8
www.mandelbaum.at