Das Lamm aus Nachbars Garten

Das Lamm aus Nachbars Garten

Es ist schon eine komische Sache mit den Produkten in der Gastronomie: Von ganz nah her sollen sie sein, aber mit allem aus der weiten Welt mithalten können.

Text von Eva Rossmann Illustration: Auge
Das ist ja kein Rückenstück“, sagt die pink gekleidete Dame von Tisch 14 und starrt auf ihren Teller. Zum Glück bin ich ja üblicherweise in der Küche und kann mir solche Gäste-Begegnungen der dritten Art ersparen, aber diesmal eben nicht.
„Das ist unser Pellendorfer DAC-Lamm“, lächle ich freundlich, „ein Stück rosa gebratene Lammrose und geschmortes Lammvögerl. Ganz zart. Und gleich aus der Gegend, aus Pellendorf eben.“
„Das ist ja wohl selbstverständlich“, erwidert die Dame unbeeindruckt und starrt weiter auf ihren Teller, als befände sich dort das Endprodukt dessen, was Lämmer zu sich zu nehmen pflegen.
Service is our success und so, und außerdem gehört Buchingers Gasthaus „Zur Alten Schule“ ja nicht mir, sondern den Buchingers, also verkneife ich mir alle dummen Bemerkungen, lächle und erkläre weiter: „DAC-Lamm heißt es übrigens, weil der Jus – wir machen ihn natürlich selbst – mit Weinviertel DAC einreduziert wird.“
„Haben Sie kein Rückenstück? Kein Filet?“
Ich gebe es auf, schüttle den Kopf und bedaure.
Schon eine dumme Sache, dass einheimische Lämmer nicht nur aus Rücken und Filets bestehen. Noch dazu, wo das bei denen aus Neuseeland oder auch Schottland weitgehend der Fall zu sein scheint. Etwas anderes sieht man ja kaum in den Kühlvitrinen.
Es ist eben so eine Sache mit den Produkten in der Gastronomie: Von ganz nah her sollen sie sein, aber mit allem aus der weiten Welt mithalten können.
Ich rechne hoch, dass unser Pellendorfer Lammbauer zwanzigmal so viele Lämmer halten müsste, damit Gäste wie die pinke Dame nur Rücken und Filet essen könnten – fast schon Massentierhaltung, und das mag auch wieder keiner. Klein, fein, regional: Das gibt es natürlich – vorausgesetzt man nimmt sich die Zeit, danach zu suchen. Denn nicht alles, was einen von selbst in der Gastronomie „findet“, ist immer fein, wenn auch aus der Region.
Was tun mit einem Ochsen, der nicht richtig abgehangen ist? Nicht nur, dass das Fleisch – weil ja ach so nah und bäuerlich produziert – viel teurer ist als ein schönes brasilianisches Edelstück, es bringt auch nicht die Qualität. Und jemand, der sich darüber beschwert, dass das Steak nicht so butterweich wie üblich ist, wird die Antwort: „Dafür ist es von einem Weinbauern gleich aus der Gegend, der bloß einige Rinder hält und seine Tiere liebt“, für nicht besonders gelungen halten. Nicht einmal die Hinweise, dass in Brasilien für neues Weideland Regenwald abgeholzt wird, während hierzulande kein Fall bekannt ist, in dem Kühe und Ochsen Ureinwohner vertrieben haben, und dass lange Frachtwege ökologisch bedenklich und volkswirtschaftlich schwachsinnig sind, werden da helfen.
Wobei auf der anderen Seite: „Unsere“ paar artgerecht gehaltenen und von ihrem Chef, dem Krexner „Musl“, betreuten Galloway-Ochsen …, die sind jedenfalls ein regionales Gedicht (wenngleich auch sie nicht nur aus Steakfleisch bestehen) und die Freilandschweine von den Rutschkas, die in Altlichtenwart zwischen den Weingärten herumsausen, auch.
Man sollte sich bloß von der Idee verabschieden, dass regional alles unbeschränkt verfügbar ist und dass alles, was regional und aus bäuerlicher Landwirtschaft stammt, deswegen schon gut ist.
Und noch etwas: Frittfett wächst nicht auf unseren Bäumen. Szene vor dem Metro, als leidenschaftliche Einkäuferin war ich für das Gasthaus unterwegs. Ein Ehepaar, sie kommen mir beide bekannt vor, ich grüße sie. Sie grüßen freundlich zurück, geben sich als begeisterte Buchinger-Gäste zu erkennen. Der Mann starrt auf meinen hochbeladenen überdimensionalen Einkaufswagen und sagt: „Ehrlich gestanden hätt‘ ich mir nicht gedacht, dass der Buchinger da einkauft.“
„Sie waren doch auch hier einkaufen, oder?“
„Na ja, privat …, weil manches eben recht günstig ist. Aber für ein Haubenlokal …, sagt er nicht immer, dass er die Produkte bei den Bauern rundum kauft?“
„Klopapier produzieren unsere Bauern nicht und das Frittfett auch nicht.“
„Öl gibt es schon auch bei uns.“
Deswegen verwenden wir auch viel heimisches Rapsöl, während in ihrem Einkaufswagen eine 5-Liter-Dose (billiges) Olivenöl war. Ich wünsche den beiden einen schönen Tag und mache mich aus dem Staub. Klar haben die beiden gesehen, dass ich auch einige Steigen Salat aufgeladen habe – aber: Wo bekomme ich regional so viel Salat, wie wir brauchen? Und schon gar die Sorten, die wir wollen? Und das frisch?
Natürlich wäre es auch ein gastronomisches Konzept, sich ausschließlich auf das zu beschränken, was es in der näheren Umgebung und zu der jeweiligen Jahreszeit gibt. (Wer es auf die Spitze treiben möchte, könnte seinen regionsbesessenen Gästen auch noch mit großen Rhabarber-Blättern in den WC-Anlagen entgegenkommen. Vielleicht ein Stück „Erlebnisgastronomie“, die liegt ohnehin im Trend.)
Im Winter wird die Sache gastronomisch dann allerdings etwas eintönig, vor allem, wenn es um Obst und Gemüse geht. Gut möglich, dass einem Kohl und Karotten und gelbe Rüben und Kürbis irgendwann einmal bei den Ohren herauswachsen und einer der neuen männlichen Diätschnösel um knackigen grünen Salat oder einen Paradeiser von weit her fleht.
Von weit her – das war früher etwas Besonderes: Orangen und Bananen, südamerikanische Steaks, Ananas. Jetzt, wo die meisten von uns schon wie selbstverständlich in die Länder reisen, wo das alles herkommt, hat sich einiges verändert: Wir haben gelernt, dass Bananen in der Karibik unvergleichlich besser schmecken als wochenlang in einem Container übers Meer geschifft. Und wir haben gelernt, dass oft die Umgebung, die Stimmung, zu einem unvergleichlichen Genuss beiträgt.
Ich bleibe ein Fan des regionalen Konzepts – egal, ob Wien, Burgenland oder „mein“ Weinviertel – schon allein, damit nicht alles ununterscheidbar wird. Und es ist schon etwas Besonderes, im Frühling, an einem der ersten warmen Tage, nach einer Fahrt durch die Weinhügel auf der Terrasse zu sitzen und Marchfelder Spargel zu essen, der am selben Tag gestochen wurde. Der ist nämlich wirklich einzigartig und da sollte man den Gästen auch zumuten, sich darauf freuen zu müssen (und nicht irgendwelche südlicheren Produkte schon drei Wochen früher vorgesetzt zu bekommen). Und wenn der Schinken vom Freilandschwein aus ist, dann muss man es eben erwarten können, bis der nächste reif ist. Und der Rögner aus Obersdorf macht jetzt ja ohnehin schon durchgehend Käse.
Ein Teil der Produzenten ist mit den gestiegenen Anforderungen der Gäste (und der Gastronomie) mitgewachsen. Ein anderer Teil freilich meint, es reicht schon, dass sie ums Eck wohnen. Und das ist – sorry – zu wenig. Da gäbe es einen Betrieb mit wunderschönen munteren Freilandhühnern, die sich idyllisch auf einer riesigen Wiese tummeln. Gute Hühner zu bekommen, ist ohnehin extrem schwierig. Beinahe hätte ich unser ständiges Hühnerproblem (meist gibt es deswegen gar keine auf der Karte) als gelöst betrachtet, aber dann habe ich erfahren: Klar verkaufen sie uns Hühner, sogar sehr günstig, aber nur, wenn wir sie selbst abstechen und rupfen. Weil die Zeit haben sie nicht. Verständlich, vielleicht. Aber: herzlichen Dank, dann.
Und wenn mir jemand eingeschrumpelte rote Rüben anbietet, ich möglichst höflich ablehne, worauf dann beleidigt zurückkommt: „Die sind aber biologisch“, dann hab‘ ich auch schon gegessen. Bio ist großartig, dann, wenn Obst, Gemüse, Tiere mit Sorgfalt betreut werden, im Einklang mit der Natur. Das schmeckt man – und mir. Aber wer miese Qualität und schlampige Lagerung hinter dem Wort „Bio“ tarnt, der sollte … na ja, vielleicht dazu gezwungen werden, die tausenden EU-Formulare seiner engagierten Kollegen auszufüllen.
Übrigens: Allzu Regionales kann dem Geschäftsgang auch schaden. Ein Lokal mit angeschlossenem „Streichelzoo“ ist nur so lange für Kinder und Eltern entzückend, als man Tiere derselben Art nicht auf der Speisekarte wieder findet, wie mir ein engagierter Wirt zu erzählen wusste. Da verweigerte nämlich vor kurzem ein Kind jegliche Nahrungsaufnahme, nachdem ihm ein anderes, weit abgebrühteres, berichtet hatte, dass die liiiieben Kaninchen und Hühner und Enten und Lämmer und Ziegen bald schon in den Kochtopf wandern.
Man will wissen, dass das Lamm aus der Gegend ist, am liebsten würden es viele mit Brief und Siegel notariell beglaubigt haben, aber wer will schon sehen, wenn sie zur Schlachtbank geführt werden? Und ich gebe zu: Tiere zu essen, die ich persönlich kenne, damit hab ich auch so meine sentimentalen Probleme. Bin eben in der Stadt aufgewachsen.
Apropos frisch, regional und fast zu nah: Es ist noch nicht lange her, als ein älterer Mann aus dem Dorf mit zwei großen vollen Plastiksäcken bei uns auf der Terrasse stand. Er drückt sie mir in die Hand, sagt: „Chef weiß schon, hat auch bezahlt“ – und verschwindet wieder.
Ich schaue ins Sackerl und sehe ein halbes Ziegenkitz. Im anderen Sackerl die andere Hälfte. Ich schlucke, gehe in die Küche, habe gerade Zeit. Du bist jetzt ein Profi, sage ich zu mir (und ich liebe gegrilltes und gebackenes Kitz, gar nicht zu reden von der karibischen Ziege in Limetten-Rum-Sauce), ziehe ein passendes Messer zum Zerteilen ab und will die erste Ziegenhälfte auf das Brett legen, zucke wieder zurück. Die Ziege war noch warm. Was macht das für einen Unterschied? Es macht einen Unterschied, basta. Nach einem tiefen Atmenzug habe ich trotzdem begonnen, das regionalste und frischeste Kitz zu zerlegen, das mir je begegnet ist. Die Leber übrigens war ein Gedicht, haben vier Gäste geschwärmt. Mehr Portionen gibt so ein Ziegenkitz nicht her.
Vielleicht sollte ja zum gepriesenen Regionalen noch etwas kommen: die genießerische Besinnung darauf, dass man nicht alles, und das sofort und immer, haben kann. Man bekommt dafür mehr: nämlich ab und zu etwas ganz Neues, etwas Unerwartetes, etwas aus vergangener Zeit, das schon fast verschollen war, nicht nur Lammrücken, sondern auch Lammbeuscherl und hin und wieder auch ein schottisches Salzlamm (auch die sind ja mit regionalem Stolz gepflegt worden) oder das Muskatkürbisgemüse ausnahmsweise mit Ingwer und Chili.
– Damit der Regionalismus nicht in provinzielles Sektierertum ausartet.