Nur die Reife zählt

Marillen sind so etwas wie das Wahrzeichen der Wachau. Da gerät die Tatsache, dass auch anderswo tolle Früchte gedeihen, ungerechterweise in den Hintergrund. Bei nur wenigen Früchten ist die perfekte Reife so entscheidend wie bei der Marille.

Text von Andrea Karrer Illustration von Kerstin Luttenfeldner

Marillen aus der Wachau sind goldrosige, süß-saftige Früchte mit sinnlich-sanfter Haut, die es nur von Mitte Juli bis Anfang August gibt. In der viel zu kurzen Saison lebt die ganze Landschaft für die Marille: An den Landstraßen blüht der Direktverkauf, in Spitz findet am letzten Juliwochenende der traditionelle Marillenkirtag statt, der die Marktgemeinde in einen einzigen Marillenmarkt verwandelt. In den engen Häuserzeilen herrscht rund um unzählige Stände und Garküchen ein Geschiebe und Gedränge fast wie beim venezianischen Karneval, nur nicht mit Masken, sondern mit Marillen, die längst zu einem der Wahrzeichen der Wachau geworden sind. Da rollen Hunderte Wachauerinnen stundenlang Marillenknödel. Und es herrscht ein so ­gewaltiger Ansturm, dass findige Spitzer sogar einen speziellen Marillenknödelautomaten entwickelt ­haben, um den enormen Ansturm heimischer und internationaler Marillen-Freaks zu bewältigen.

Wie lange diese ursprünglich aus dem Kaukasus, China und Japan stammende Frucht an der Donau schon heimisch ist, lässt sich allerdings nicht so genau sagen. Man nimmt an, dass die Marille über den Pontus und den Donauweg in die Donauländer kam. Damit wäre die alte, bisher geltende Meinung, dass wir unsere Obst- und Weinkulturen von den Römern erhalten haben, überholt.

An den geschützten Hängen der Wachau fanden sie auf alle Fälle einen guten Standort und gedeihen in solcher Perfektion, dass die Wachauer Marillen europaweit als Markenprodukt geschützt sind. Im Nachbarland heißt die Frucht Aprikose – wie viel runder, molliger und fruchtiger hört sich da „Ma­rille“ an. Sogar bei der strengen EU-Kommission hatte man ein Einsehen und ließ uns diese vertraute ­Bezeichnung.

Menschliche Sorgfalt und kontrastreiches Klima sorgen für Spitzenqualitäten. Wein wie Marillen gedeihen hier auf kargem Urgesteinsboden und werden von den kühlen Winden des Waldviertels und den flimmernd heißen Luftströmen Pannoniens umspielt. Dieses Klima lässt die besten Weißweine reifen und verleiht den Marillen eine pikante, ausgewogene Säure und eine nie aufdringliche Süße. Seit 2003 kümmern sich über 200 Wachauer Marillenbauern um die Erhaltung und Vermarktung ­dieser für die Wachau so typischen Frucht. Das Gütesiegel des Vereins dürfen nur Betriebe führen, die sich verpflichten, die seit mehr als 100 Jahren in der Wachau üblichen Sorten von besonderer Qualität zu produzieren. 400 Hektar der Wachau sind Wachauer Marillenland, etwa 100.000 Bäume stehen darauf, und in einem durchschnittlich guten Erntejahr werden etwa drei Millionen Früchte geerntet.

Doch die Primadonna unter den Früchten macht sich immer rarer. Die Marillenbäume, die heuer besonders zeitig geblüht haben, sind – so wie in den vergangenen Jahren – immer mehr von Frostschäden gerade in der Wachau betroffen. Im Kampf gegen den Frost setzen die Marillenbauern in Niederösterreich auf unterschiedliche Techniken: von Windmaschinen über Räuchern bis zu Heizkerzen. Andere Bauern in der Wachau schwören seit einigen Jahren hingegen auf die Heiztonnen. „Ich habe das selbst entwickelt und bin draufgekommen, dass es funktioniert. Die Öfen lassen sich leicht und einfach entzünden, brennen lange, und die Kosten für das Heizmaterial sind in einem Bereich, den man sich noch leisten kann“, erklärt Franz Reisinger, Obmann des Vereins Wachauer Marille. Mit „Wachauer Marille“ dürfen nur Marillen bezeichnet werden, die aus den Gemeinden Aggsbach-Markt, Albrechtsberg, Bergern im Dunkelsteinerwald, Droß, Dürnstein, Furth, Gedersdorf, Krems, Maria Laach, Mautern, Mühldorf, Paudorf, Rohrendorf bei Krems, Rossatz-Arnsdorf, Senftenberg, Spitz, Stratzing, Weinzierl am Walde, Weißenkirchen, Schönbühel-Aggsbach und Emmersdorf stammen.

Zum Handelsgut wurden Marillen aber erst vor etwas mehr als hundert Jahren. Damals zerstörte die Reblaus auch die Weinkulturen der Wachau. Die Bauern suchten nach einer Alternative und fanden sie in der Marille. In Kälteschauern, im Hitzeflimmern entwickelte sich die Wachauer Marille aus den Sorten Ungarische Beste, Klosterneuburger und Mariazeller.

„Die alten Sorten sind einander sehr ähnlich – und viel empfindlicher als die neuen. Darum werden sie im Wachauer Marillenzistel gesammelt, das ist ein unten spitz zulaufender Weidekorb aus gespaltenen, innen flachen Ruten, die die zarte Haut der Marillen nicht verletzen. Das Ernten der Marillen ist anspruchsvoller als bei anderen Obstsorten, denn einen Baum erntet man nicht auf einmal. Während der zweiwöchigen Ernteperiode Mitte Juli wird jeder Baum mehrmals angegangen, also täglich kontrolliert, und die reifen Früchte werden abgeerntet“, erklärt Obstbauer Harald Aufreiter. „Die Früchte brocken wir mit dem Auge, gemeint ist damit, dass der Pflücker an der Farbe die Reife der Marille erkennt.“

„Ich koche Marillen dann ein“, sagt Lisl Wagner-Bacher, die Grande Dame der österreichischen Küche, „wenn man sie mit zwei Fingern zerdrücken kann, um den Kern zu entfernen.“ Schon seit vielen Jahren zählt das mittlerweile von Schwiegersohn Thomas Dorfer erfolgreich geführte Landhaus Bacher in Mautern zu den kulinarischen Aushängeschildern Österreichs. Seit sie den Betrieb 1979 von ihren Eltern übernommen hat, verfeinerte sie Konzept und Küchenstil – heute ist das Restaurant eines der höchstdekorierten Österreichs.

„Ich finde es nicht notwendig, Marillen zu schälen, aber falls die zarte Haut doch jemanden stören sollte: Marillen kreuzweise einschneiden, in ­kochendem Wasser blanchieren, kalt abschrecken und schälen“, sagt Lisl Wagner-Bacher. „In meiner Küche ist die Wachauer Marille immer schon eine wertvolle Begleiterin, abseits von Marillenpalatschinken, Marillenknödel und -röster. Ich kombiniere sie gerne mit Leber, Wild und auch Fisch, achte dabei auf den Reifegrad, denn es macht einen großen Unterschied, ob ich die Marille zu einem Braten oder für die Marmelade verwende.“ Nachsatz: „Aber die Marillenknödel sind auch nach wie vor sehr, sehr beliebt. Im Juli verkaufen wir fast nur Knödel!“ Kein Wunder, ihre Marillenknödel gelten völlig zu Recht als die besten im Land. Wobei nach Meinung vieler Kenner nicht zuletzt den dazu servierten Bröseln ein Teil des Ruhms gebührt. —

Marillenknödel
Rezept von Lisl Wagner-Bacher

Zutaten für 12 Stück

12 reife Marillen
12 Stk. Würfelzucker
Salz, Schuss Rum, Vanille

Topfenteig
70 g Butter
1 Ei
250 g Topfen
70 g Weizengrieß
70 g glattes Mehl
Salz

Butterbrösel
100 g Butter
120 g Semmelbrösel
1 EL Kristallzucker
1 TL Vanillezucker

Staubzucker zum Bestreuen
zerlassene Butter zum Servieren

Zubereitung

Topfenteig: Butter schaumig rühren, Ei beifügen (Hinweis: „Schaut zerronnen aus, macht aber nichts“), Topfen leicht unterrühren, Grieß und Mehl sowie 1 Prise Salz mit der Hand unterrühren.

Teig zu einer Rolle mit 7 cm Durchmesser formen, in Frischhaltefolie wickeln und mindestens 3 Stunden im Kühlschrank rasten lassen.

Marillen mithilfe eines Kochlöffelstiels entkernen und mit je einem Stück Würfelzucker füllen. Teig in 12 etwa 5 mm dicke Scheiben teilen, jede Portion mit einer Marille belegen und mit nassen Händen zu Knödel formen. Knödel in das mit einem Schuss Rum und Vanillezucker versetzte kochende Salzwasser einlegen und bei geringer Hitze 20 Minuten köcheln lassen.

(Wichtig: „Also Knödel in kochendes Wasser einlegen und dann sofort schauen, dass sie nur köcheln!“)

Für die Brösel die Butter in der Pfanne zergehen lassen, Brösel beifügen, unter mehrmaligem Umrühren rösten, etwas später Zucker und Vanillezucker unterrühren und bei geringer Hitze goldbraun rösten.

Hinweis: Man kann die Brösel auch bei 170 °C ins Rohr schieben und unter mehrmaligem Umrühren goldbraun rösten.

Die Knödel mit einem Lochschöpfer aus dem Wasser ­heben, gut abtropfen lassen, in den Butterbröseln wälzen
und anrichten. Noch etwas Butterbrösel drüberstreuen, bezuckern und nach Wunsch mit etwas zerlassener Butter servieren.

Infos & Adressen

Obsthof Reisinger
Mitterndorf 1, 3620 Spitz/Donau
T 02713/28 55
wachauermarille-reisinger.at

Weinhof Aufreiter
Dorfstraße 34, 3506 Krems-Angern
T 02739/22 05
weinhof.at