Scharfsinn und Klingenspiel

Kürbisnudelteig, Gänseleberschnee, Bisonpulver: Hightech-Schneidegeräte machen in den Küchen vieles möglich – und erfordern gerade deshalb eine eingehende Betrachtung. Sonst ist das Ergebnis am Teller nur eine Schärfe-Leistungsschau.

Scharfsinn & Klingenspiel

Text von Anna Burghardt 

Fotos von Luzia Ellert

Wäre ich ein guter Japaner?“, formulierte das Schweizer Künstlerduo Fischli/Weiss auf einer Biennale eine von vielen Fragen an das Leben – und ausgerechnet ein Deutscher mit italienischen Wurzeln, der in einem abgelegenen Tiroler Tal kocht, könnte diese Frage guten Gewissens mit Ja beantworten. Raffaele Cannizzaro wäre ein guter Japaner. Zumindest, was die Schneidetechniken in der Küche angeht. Mit diesen hält er es, anders als viele seiner Kollegen, deren Gerichten man ansieht, dass sie die Gäste unbedingt mit ihrem Fuhrpark an scharfen Maschinen beeindrucken wollen. In vielen Restaurants wird weiterhin wahllos hauchdünn aufgeschnitten und dabei übersehen, dass das ewige „Carpaccio von der Roten Rübe“ dem erdigen Charakter dieses Gemüses kaum gerecht wird und mittlerweile denselben Spannungsgehalt hat wie seine Kinder Leonie oder Lukas zu taufen. Es wird noch immer püriert und gepacojettet, was das Zeug hält, egal, um welches Lebensmittel es sich handelt, und egal, ob man schon die drei vorhergehenden Gänge Babybrei am Teller hatte. Man weiß zwar prinzipiell, dass die Schneidetechnik bei Gemüse die Wahrnehmung des Geschmacks verändert, aber dieser Aspekt scheint sofort in Vergessenheit zu geraten, wenn nur eine Aufschnittmaschine ins Blickfeld gerät, die aus allem papierdünne Scheiben zu schneiden vermag. Je höher aber der technische Fortschritt in der Küche, desto mehr Zeit müssten Köche und Köchinnen eigentlich damit verbringen Nachzudenken, welches Gerät welchem Lebensmittel gut tut – oder auch nicht.

Raffaele Cannizzaro also, der deutsch-italienische Schneidepsychologe, geht es japanisch an. Und nicht nur, weil er vorwiegend japanische Messer benützt, die er wie ein guter Japaner jeden Abend einölt. Cannizzaro, den es von seiner letzten Station Berlin nach Tannheim ins Hotel Hohenfels verschlagen hat, bewundert an japanischen Köchen, wie sehr sie mit ihren Zerkleinerungstechniken auf das jeweilige Produkt und dessen Verwendung in einem Gericht eingehen, wie viele Gedanken sie sich darüber machen, was dieser und jener Schnitt bei einer Karotte oder einem Stück vom Thunfisch bewirkt. „Der Japaner glaubt, dass die Schneidetechnik bei Lebensmitteln nicht nur den Geschmack verändern kann, sondern auch die Temperatur.“ Reibung erzeugt schließlich Hitze, und diese wirkt sich auf das Aroma aus. Bei einer Farce denkt man daran, die Zutaten und am besten auch das Zerkleinerungsgerät zu kühlen, weil die Masse sonst gerinnt, aber was den Geschmack angeht, achten viele Köche nicht auf die Wärmeentwicklung. „Wenn man eine Tomatensauce püriert, wird sie etwas wärmer, und allein diese paar Grade sind schon schlecht, besser also, man verwendet eine Flotte Lotte, um den Geschmack frisch zu halten.“ Freilich, das sind Spitzfindigkeiten, aber diese sind in Zeiten der Küchentüfteleien ja wohl erlaubt. Man könnte es auch Subtilität nennen. „Japanische Michelinsternköche kochen viel leiser, Luxus kommt dort viel subtiler rüber“, sagt Cannizzaro. „Und sie sind uns um Jahrhunderte voraus, was das Schneiden angeht.“ Kein Wunder, dass in Japan weit mehr Schnitttechniken zu benennen sind als Brunoise, Julienne und die paar anderen, die zu jeder Kochausbildung dazugehören. Etwa Hangetsugiri – halbmondförmig, Nanamegiri – diagonal geschnitten, Tsubusu – zerdrückt. Nachzulesen etwa bei der japanischen Kochbuchautorin Harumi Kurihara, die in jedem ihrer Bücher darauf hinweist, dass Japaner beim Schneiden viel nachdenken.

Auch Raffaele Cannizzaro findet: „Man muss sich immer fragen: Schneide ich aus optischen Gründen, aus verarbeitungstechnischen oder aus geschmacklichen?“ Schließlich kann man auch Gemüse falsch schneiden, analog zum zähen Fleisch, das mit der Faser statt gegen die Faser geschnitten wurde, oder zur fauchenden Katze, die man gegen den Strich streichelt. Man müsse sich auch immer fragen, ob es überhaupt notwendig ist, Klingen einzusetzen. Pilze etwa zupft Cannizzaro lieber, anstatt sie, ach so schick, hauchdünn aufzuschneiden. Wenn er aus Muskatkürbis eine Suppe macht, lässt er den Pürierstab Pürierstab sein, „der Muskatkürbis zerfällt beim Kochen ohnehin in längliche Minisegmente, ähnlich wie das Fruchtfleisch von Zitrusfrüchten, es wäre also schade, diese Struktur und die Haptik zu zerstören.“ Er dröselt den Kürbis für die Suppe in diesem Fall lieber einfach mit dem Schneebesen auf, „dann schmeckt man den Kürbis gleich viel stärker“. Karotten gart Raffaele Cannizzaro im Ganzen und schneidet sie erst später auf, „die Karotte braucht das, um den Zucker arbeiten zu lassen“.

Ein guter Japaner wäre der Küchenchef der Tannheimer auch, wenn es um Pürees geht. „In Japan macht man kaum Pürees. Ein Koch ist ja ein Handwerker.“ Man mache es sich immer zu leicht, indem man alles mixt, „Pürees kann ich leicht gestalten, leicht würzen, und sie sind leicht zugänglich“. Die Frage sei nur, ob diese Zerkleinerungstechnik aus jedem Lebensmittel wirklich das Beste heraushole. „Wenn man einen Rettich im Ganzen gart, muss man sich mehr damit auseinandersetzen, wie man ihn gart und wie man ihn schneidet.“

Anmerkung am Rande: Auch Cannizzaro hat natürlich eine Aufschnittmaschine in Verwendung, etwa für Fenchel in einem Dessert. Und auch er macht Pürees. Wenn es wirklich passt. „Aber man möchte doch als Gast nicht das technische Arsenal vorgeführt bekommen.“

Schnitt. Im Restaurant Vincent im zweiten Wiener Bezirk herrscht ein anderer Kochstil, ebenso im Palais Coburg bei Silvio Nickol Die Teller sind, bei diversen Unterschieden, hier wie dort teilweise wie eine Minimundus-Kleingartenschau angelegt, mit vielen diffizilen Elementen. Allein dass Peter Zinter vom Vincent einmal den „ISI Espuma of the Year Award“ gewonnen hat, zeigt, wie spaßfixiert er kocht. Und das geht nicht ohne Klingen in den verschiedensten Formen. Auch wenn Silvio Nickols Mannschaft für das Anrichten eines der kleinteiligen Gänge eine Viertelstunde und mehr braucht, durfte im Vorfeld bereits eine Armee an verschiedenen Klingen ausrücken: ob Aufschnittmaschine, Microplane-Reibe, Pacojet, Trüffelhobel oder Strohhalm. Fortschnitt als Fortschritt, wenn man so will. Übrigens, ja, Strohhalm als Klinge. Damit sticht Peter Zinter Avocadostäbchen aus, die er später am Tellerrand einer Artischockensuppe mit Haselnuss platziert. Immer wieder setzt er in der Küche den Strohhalm auf das cremige grüne Fruchtfleisch und drückt an, sodass am Ende der Strohhalm voll Avocado ist, die schlussendlich als Stab herausgelöst werden kann und dem Gast Rätsel ob der Entstehung aufgibt. Für Kürbiscannelloni verwandelt Peter Zinter einen Quader vom „Langen von Neapel“ mit der Aufschnittmaschine zum Quasi-Nudelteig. „Cannelloni“ oder auch „Ravioli“ von diesem und jenem, etwa aus Ananasscheiben, sind derzeit oft anzutreffen, sie scheinen die Carpaccio-Spielarten abgelöst zu haben. Die Kürbiscannelloni bei Silvio Nickol sind aus dünn geschnittenem Muskatkürbis gemacht, mit Butternusskürbis-Brunoise gefüllt und unter anderem von Hokkaidopüree begleitet. Topinambur bringt Peter Zinter mit dem Trüffelhobel in Form, Silvio Nickol nützt Letzteren für Karfiol und Haselnüsse. Bisontrockenfleisch mahlt Zinter zu einem Pulver, mit dem ein Stück Bisonfleisch dann gewürzt wird – „Bison mit Bison gewürzt, das ist quasi potenzierter Bison“, obwohl, die allseits beliebten Pulver seien eigentlich weniger seine Linie. Auf den Pacojet möchten beide nicht mehr verzichten, „der ist ja eigentlich ein Abschabgerät, so eine feine Creme bekommt man mit dem Mixer nie zusammen“, sagt Peter Zinter. Beide Köche setzen natürlich auch die extrascharfe Microplane-Reibe ein, „mit der wird alles voluminöser“, sagt Nickol. Zinter nützt sie unter anderem, um getrockneten Dotter über Spaghetti zu hobeln, „das hat, glaub ich, der Arzak gemacht. Oder man kann Eis reiben.“ Oder gefrorene Gänseleber, zurzeit in verschiedenen Restaurants als „Gänseleberschnee“ zu haben. Die Reibe hilft Zinter auch bei seiner Parmesankoralle: Parmesan wird gerieben, in Wasser abgekocht, „dann setzt sich eine Molkeschicht ab, eine Feststoffmasse, Käsetalg, könnte man sagen“, dann wird das Ganze gekühlt, geschnitten, getrocknet und frittiert. Das Ergebnis ist styroporähnlich, „so wie Hummerchips, Parmesankoralle halt“. Die Microplane ist eines jener Geräte, das auch ambitionierte Hobbyköche nicht mehr missen wollen, sind doch die Späne wirklich um ein Vielfaches feiner als jene von – wie würde die Werbung sagen – „herkömmlichen“ Reiben. Und sie wird selbst von Küchenpuristen geliebt. Denn das Ergebnis geht über reine optische Effekthascherei à la „Carpaccio von“ hinaus, vielmehr lässt das viel zitierte „Mouthfeeling“ bei Microplane-behandelten Produkten erahnen, warum das Gerät so erfolgreich ist: Die Oberfläche wird enorm vergrößert, die Aromen sind im Mund präsenter.

Aber auch ohne die Microplane zu kennen, kann man die Bestenliste eines Bundeslandes anführen. Wie Elisabeth Grabmer, die für ihre Küche in der Waldschänke in Grieskirchen mit vier Sternen ausgezeichnet wurde – und sagt: „Microplane, was ist das? Hab ich noch nie gehört.“ Überhaupt wird ihrer Meinung nach zu viel zerschnitten (obwohl, Ravioli mit Ananasscheiben als Nudelteig stehen sommers auch bei ihr auf der Karte). Grabmer findet, dass man sich in Sachen Schneiden schon auch an die heimischen Kochtraditionen halten sollte, „und wir sind eben nicht in Asien, wo man für den Wok alles ganz klein und dünn schneiden muss, wir sind ein Land der Schmorer, und dafür sind große Stücke unumgänglich“. Es braucht aber nicht unbedingt eine Schmorkultur, damit man vom Kleinfitzeln wegkommt, „in Skandinavien schnipselt man ja gar nichts mehr, was ich so seh“. „Und heimische Bauern“, fällt ihr ein, und sie lacht auf, „die liefern mittlerweile schon so kleines Gemüse, da braucht man fast nicht mehr schneiden“. Elisabeth Grabmer scheint eine Köchin zu sein, die oft mehr ihre Erfahrung und ihren Instinkt einsetzt als die hintersten Tüftlerhirnwindungen, Kraut müsse man halt für Salat schon sehr fein schneiden, „sonst wird’s nichts“, und für Stöcklkraut hingegeg kaum. „Kraut bleibt aber Kraut, Fenchel bleibt Fenchel, egal wie ich schneide.“

Schnitt. Wenn Maiskolben zu Bienenwaben werden, Babymaiskörner zu Couscous, Brombeeren zu Kaviar oder Brokkoli zu Panierbröseln, sind wieder anders gepolte Köche am Werk. Heinz Reitbauer etwa (oder auch Ferran Adrià, dessen vielleicht meistunterschätzte Errungenschaft es war, Lebensmitteln eine neue Identität zu geben, ganz abseits von Schäumchen und Stickstoff, etwa indem er Brombeeren zu Kaviar zerteilte) scheint zuerst auf das Gemüse, die Frucht oder ein anderes Produkt zu schauen, verinnerlicht sich die Struktur und hält dann erst nach einem passenden Schneidegerät Ausschau. Maiskolben also kamen im Steirereck schon als Bienenwabe auf den Teller – eine völlig neue, dem Mais zu Wertsteigerung verhelfende Optik – , gerebelter Brokkoli dient durchaus einmal als Panier für Fisch.

Solche Verarbeitungsarten können das Interesse an vielgeschmähten Gemüsesorten heben, für deren Image ist nämlich ein anderer Blick auf Schnittmöglichkeiten zuträglich, wie in den letzten Jahren zu sehen war – je nach Gutdünken zum Erkenntnisgewinn. Karfiol etwa, in der Spitzenküche lange Jahre ungeliebt, hatte irgendwann wieder seinen großen Auftritt – in rohen Scheiben, als Koralle.