Schlag mich

Wie die Arme des Oktopus verführerisch weich werden, beschäftigt Köche rund um den Erdball. Ohne kräftiges Schlagen ist eine Gummikonsistenz jedenfalls mehr als wahrscheinlich.

Text von Andrea Karrer · Illustration von Peter Jani

I’d like to be under the sea in an octopus’s garden in the shade“ – ob Ringo Starrs Wunsch jemals in Erfüllung gehen wird? Wer weiß. Schattig ist es jedenfalls im Garten von Meister Pulpo. Sein Zuhause sind abgründige Felsspalten und Unterwasserhöhlen. Den Großteil seiner Tage verbringt der Oktopus in einer Höhle am Meeresboden und wartet auf Beute. Fängt der Räuber einen Krebs, so hält er ihn bis zum Ende der Mahlzeit umklammert. Die Arme des Kraken arbeiten viel länger als die Muskeln eines Fisches, der immer nur kurz schnappt oder flüchtet. Gleichzeitig fehlt dem Kraken jedes stützende Skelett, er hat nicht einmal einen Schulp wie seine zehnarmigen Verwandten die Sepien und Kalmare. Deshalb haben Krakenarme eine Art Eiweißgerüst aus sehr elastischen langen und verzweigten Proteinen, die dem Kollagen von Landtieren ähneln. Dieses Eiweiß muss richtig behandelt werden.

Die eine – traditionelle – Methode dafür ist Schlagen, und zwar heftig und lange! Entweder gegen einen Felsen, wie man es in Griechenland noch manchmal sieht, oder mit einem massiven Holzprügel bzw. Fleischklopfer. Bis zu einer Stunde und mehr kann diese Prozedur in Anspruch nehmen, dann sei er weich, sagen die Fischer und hängen die Kraken anschließend auf einer Wäscheleine zum Trocknen auf. Sicher ist, dass fernab der Küste das Schlagen auf Asphalt wohl kaum in Frage kommt, zumal beim Fischhändler kaum frischer Oktopus angeboten wird. Was beim Fischhändler auf Eis liegt, ist praktisch immer aufgetaute Tiefkühlware. Und das ist gar nicht mal schlecht, denn dabei wird die zähe Zellstruktur ebenfalls perfekt aufgebrochen.

Roh ist das Fleisch fest, dünn aufgeschnitten aber durchaus zart, es hat einen intensiven, fleischigen Eigengeschmack. Man kann es auch kurz braten, allerdings ist das ein riskantes Geschäft: Ab einer Temperatur von etwa sechzig Grad zieht sich das Kollagen, aus dem das Bindegewebe besteht, zusammen und der Oktopus wird zäh. Da hilft dann nur lange kochen, damit sich das harte, wasserunlösliche Kollagen zu weicher Gelatine verwandelt.

In der Regel wird der Pulpo also in einem Sud weich gekocht. Etwas Salz und einige Gewürze sorgen dafür, dass er nicht zu sehr auslaugt, denn die Kochzeit kann drei bis vier Stunden betragen. Wichtig ist, ihn bei möglichst kleiner Flamme zu simmern, es sollten gelegentlich ein paar Bläschen aufsteigen, nicht mehr. Die Konsistenz wird durch Einstechen mit einem spitzen Messer an den Ansätzen der Tentakeln, dort wo sie am dicksten sind, geprüft. Ist er weich, dreht man die Hitze ab und lässt den Oktopus noch etwa 20 Minuten im Kochwasser ziehen.

Manchmal wird vorgeschlagen, einen Korken mit ins Kochwasser zu geben, das würde perfekte Ergebnisse quasi garantieren. Wer dran glaubt, soll das tun. Beweis, dass es funktioniert, gibt es definitiv keinen.

Die wohl berühmteste Zubereitungsart von Oktopus stammt aus dem nordspanischen Galicien: Pulpo alla gallega (mit Kartoffelscheiben). Weit über die Provinz hinaus ist diese Speise in praktisch allen Tapas-Bars in ganz Spanien verbreitet. Der Berufsstand der Pulpeiros oder Pulpeiras ist bis heute lebendig. Diese ­Köche und Köchinnen sind nur auf die Zubereitung von gekochtem Oktopus spezialisiert. Oft sind es Marktfahrer, die bei Messen, Volksfesten und anderen öffentlichen Veranstaltungen ihre Spezialität anbieten. Traditionell werden die Tiere in großen Kesseln gekocht, mit der Schere geschnitten und lauwarm mit Paprikapulver (­pimentón), Olivenöl und grobkörnigem Salz auf Holzbrettern serviert. Das Salz muss grobkörnig sein, das ist ein wesentlicher Bestandteil der Speise, es soll beim Essen unbedingt spürbar sein, nicht nur aromatisch, sondern auch haptisch! Häufig ist zu lesen, dass nur die Fangarme verwendet werden sollen, die natürlich durch ihre Saugnäpfe besonders schön aussehen. Der Mantel kann ebenfalls gegessen werden und hat das gleiche Aroma wie die Fangarme! Die ­Textur des Mantels ist oft noch zarter als die der Fangarme. Die Nose-to-tail-Idee darf also durchaus auch hier angewendet werden.

Man muss den Oktopus nicht einmal in Wasser kochen, er selbst enthält genügend Wasser und gibt ohnehin davon ab. Den gewaschenen Oktopus einfach in einen komplett leeren Topf geben, Deckel drauf und die Hitze hochdrehen. Binnen weniger Augenblicke tritt aus dem Muskelgewebe genügend Flüssigkeit, sodass der Krake langsam im eigenen Saft dämpfen kann. Nach dem ersten Aufkochen die Hitze auf ein Minimum reduzieren. Diese Methode hat den Vorteil, dass das Oktopusaroma viel stärker zur Geltung kommt als beim Kochen in Wasser. Außerdem wird er dabei von selbst salzig, denn sein eigener Saft ist schließlich Salzwasser, das beim Kochen konzentriert wird.

In der italienischen Küche wird die Kunst des Schmorens hochgehalten. Die Basis dabei bildet fast immer ein Soffritto aus klein gewürfelten Zwiebeln, Karotten und Stangensellerie, mit etwas Wein aufgießen und den Oktopus auf allerkleinster Flamme drei Stunden schmoren. Wer kein Problem mit Fleisch hat, tut auch noch etwas Speck dazu. Das funktioniert zuverlässig, lässt aber keine weitere Verwendung des Pulpos zu. Die Lösung: Man legt den Pulpo bei neunzig Grad für mehrere Stunden in den Ofen. Dabei tritt eine nicht unerhebliche Menge Flüssigkeit aus, die in diesem Fall aber nicht verloren ist: Der Sud schmeckt intensiv fleischig nach Pulpo und nach Meer, er kann vorzüglich eingekocht und nach belieben gewürzt als Grundlage für eine Saucenzubereitung verwendet werden. Einfacher kann man Oktopus nicht zubereiten. Das wirklich optimale Ergebnis erzielt man mit der Sous-vide-Methode.

Dafür wird der Pulpo mit etwas Olivenöl in einen Vakuumbeutel eingeschweißt und zehn Stunden lang bei siebzig Grad gegart. Dabei tritt nur wenig Saft aus, weil die Temperatur hoch genug ist, damit das Collagen sich in Gelatine umwandelt, aber nicht so hoch, dass es sich zusammenzieht und die Flüssigkeit aus dem Fleisch drückt. Der gegarte Pulpo kann anschließend wunderbar weiterverarbeitet werden, zum Beispiel kurz gebraten mit verschiedenen Gemüsen im Wok oder eingelegt als pikanter Salat.

Oktopus
4 Oktopustentakel (je ca. 130 g)
1,5 l Wasser
1 Thymianzweig
2 Wacholderbeeren
1 Lorbeerblatt

Oktopussud
500 g Oktopuswasser
½ Lauch
½ Fenchel
1 Petersilienzweig

Geklärtes Olivengelee
Olivensud:
1 Bananenschalotte
20 grüne Oliven (Sizilien)
1 l Gemüsefond
40 g weißer Portwein
50 g Olivenwasser
1 Thymianzweig
10 g Olivenöl

Klären des Suds:
1 l Olivensud
250 g Oktopus
100 g Lauch
10 g Petersilie
20 g Eiweiß

Gelieren des Suds:
6 g Gellan
Kritharaki
100 g Kritharaki
1 Zwiebel
1 Knoblauchzehe
40 g roter Portwein
15 g Tomatenmark
500 g Oktopuswasser
10 g Olivenöl

Oktopus: Den Oktopus im Wasser mit den Gewürzen 1 Stunde leicht köcheln. Dann herausnehmen und das Kochwasser beiseitestellen. Die Saugnäpfe von den Tentakeln schneiden und ebenfalls beiseitestellen.
Kurz vor dem Anrichten im Oktopussud anwärmen.
Oktopussud: Den grob geschnittenen Lauch und Fenchel mit der Petersilie im Oktopuswasser eine Stunde lang köcheln. Dann abseihen und den Sud zur Hälfte reduzieren.
Geklärtes Olivengelee: Die Bananenschalotte schälen, würfelig schneiden und in Olivenöl glasig anrösten. Die Oliven klein schneiden, beigeben und mit Portwein ablöschen. Den Thymianzweig dazugeben, mit Gemüsefond und Olivenwasser aufgießen. Alles eine Stunde köcheln lassen, abseihen und kalt stellen.
Oktopus mit Lauch und Petersilie fein faschieren, mit dem Eiweiß vermischen und in den abgekühlten Olivensud einrühren. Alles langsam am Herd ziehen lassen, bis sich der Sud vom Eiweiß trennt. Durch ein Passiertuch seihen.
250 g vom geklärten Sud mit dem Gellan 3 Minuten verkochen, die Masse dünn auf ein Blech gießen und kühl stellen. Danach das Gelee mit einem runden Ausstecher (Durchmesser je nach Schüsselgröße) ­ausstechen, sodass es beim Anrichten das Kritharaki bedeckt.
Kritharaki: Zwiebel und Knoblauch würfelig schneiden und im Öl glasig anschwitzen. Danach tomatisieren, mit Portwein ablöschen und mit dem Oktopuswasser aufgießen. Auf die halbe Menge reduzieren, passieren und dann die Kritharaki 5 bis 10 Minuten lang darin bissfest kochen.
Anrichten: Die Kritharaki in eine Schüssel geben und einige Stängel vom gezupften Olivenkraut ­darauflegen. Dann das ausgestochene Olivengelee ­darüberlegen und den Oktopussud eingießen. Die Oktopussaugnäpfe auf dem Gericht verteilen.

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