Selbst ist der Chocolatier

Aus welchem Grund soll man bitteschön selber Schokolade machen? Weil’s geht.

Text von Thomas Maurer · Fotos von Ingo Pertramer

An mir ist entweder kein Handwerker verloren gegangen, oder aber er ist mir schon vor langer Zeit so gründlich verloren gegangen, dass es sich gar nicht erst auszahlt, überhaupt noch nach ihm beziehungsweise seinen sterblichen Überresten zu suchen.

Trotzdem hat es mich immer mit einem gewissen wohlwollenden Neid erfüllt, Leuten, die das nicht beruflich, sondern aus Geiz oder Begeisterung tun, beim Montieren von Sanitäranlagen, Einrichten von WLAN-Netzwerken oder Mopedzangeln zu beobachten.

Nirgendwo wird so fachkundig geraucht, so unerschütterlich selbstbewusst gezweifelt und so kompetent mit dem Schädel gewackelt wie dort, wo sich aus Privatinteresse gespeistes Expertentum an einer Aufgabe manifestiert, die man normalerweise Professionisten überlässt.

Ich persönlich kanalisiere dieses Bedürfnis praktisch exklusiv (obwohl ich, wie ich hier für eine staunende Nachwelt festhalten möchte, unlängst die Kabel eines Lichtauslasses vermittels einer Blockklemme so mit den Kabeln einer Lampe verbunden habe, dass es danach beim Andrehen des Schalters tatsächlich hell wurde) in die Küche.

Sonderlich originell ist das nicht. Die unübersehbare Flut von Büchern, Blogs, Facebook-Gruppen und Magazinstrecken zu Themen wie Einkochen, Brotbacken, Säuern, Vergären, Trocknen, Kandieren und mit Salz überkrusten ist ein deutlicher ­Hinweis darauf, dass mich diese Leidenschaft als herzlich durchschnittlich ausweist.

Trotzdem empfinde ich es als tief befriedigend, mich mit hohem Zeitaufwand und ungewissen Erfolgsaussichen der Herstellung eines Produktes zu widmen, das ich ohne Weiteres und in guter Qualität im direkt unter meiner Wohnung befindlichen Supermarkt kaufen könnte.

Mit anderen Worten: Es war höchste Zeit, einmal selbst Schokolade zu basteln.

Austragungsort des Versuches war allerdings nicht die heimische Küche, sondern die des im nicht nur malerischen, sondern auch noch mit einem so vorbildlich pittoresken wie zumeist menschenfreundlich temperierten Moorsee versehenen Pongauer Ort Goldegg ansässigen, vom hochsympathischen Ehepaar Schellhorn geführten und überhaupt sehr empfehlenswerten Hotelrestaurants Seehof.

(Der guten Ordnung halber sei an dieser Stelle festgehalten, dass ich den heurigen Sommer hier als Nutznießer des sogenannten „Schellhorn-Stipendiums“ verleben durfte. Dieses besteht darin, dass Künstler, die gerade etwas zu schreiben haben (in meinem Fall ein neues Programm) das im Seehof bei ebenso freier wie guter Kost und Logis tun können. Die Auswahl erfolgt ebenso sachkundig wie willkürlich durch die Schellhorns, und es sind ­keinerlei Bedingungen daran geknüpft. Die oben verwendeten Adjektive sind also nicht Folge moralischer Korrumpiertheit, sondern frei gewählt und trotz eines gewissen Überschwanges im Wesentlichen zutreffend.)

Allerdings ist der Seehof ein eigentlich denkbar ungeeigneter Ort, um Schokolade zu fabrizieren, hat man sich hier doch ein strenges und penibel befolgtes „Radius 120 km“-Küchenkonzept auferlegt, und der Markt für Pongauer Kakaobohnen ist bekanntlich denkbar eng.

Diesen an sich schlüssigen Einwand fegt allerdings Sepp Schellhorn pragmatisch beiseite: „Dann dürft i aber Kaffee auch keinen mehr ausschenken.“

Somit gilt es nur noch, ungeröstete Kakaobohnen aufzutreiben.

Über einen Bekannten erwerbe ich ein Kilogramm ecuadoriansche der Sorte Marabou Creolo, deren Importstammbaum sich aber auf den steirischen Schokomogul Zotter zurückführen lässt, was, obwohl auch dessen Stammhaus deutlich über 120 Kilometer weit weg liegt, dem ganzen Unterfangen doch eine Art metaphysischer Slow-Food-Aura zurückgibt.

Dem grundsätzlichen Amateur-Ansatz dieser Reportagenserie ist es im Übrigen sehr zuträglich, dass nicht nur ich und Fotograf Ingo Pertramer, sondern auch der ansonsten kulinarisch flächendeckend beschlagene Sepp Schellhorn punkto Schokoladenherstellung absolute Rookies sind.

Und so stehen wir zunächst rings um den Kakaobohnensack, knabbern kritisch an Bohnen, rauchen fachkundig und wackeln kompetent mit den Schädeln, ehe wir uns darauf verständigen, behufs Kom­petenzerwerbes ein wenig durchs Internet zu gurken.

Achtet man dabei darauf, augenscheinlich haarsträubende Rezepte, die beispielsweise Benco und Margarine beinhalten, weiträumig zu meiden, erweist sich das Internet einmal mehr als sehr praktische Erfindung, was man ja angesichts des Überangebots an Hasspostings und in usbekischen Bastelkellern gefälschten Potenzmitteln immer wieder einmal zu vergessen droht.

Unseren übereinstimmenden Recherchen folgend, beginnen wir am nächsten Tag die Bohnen zu rösten, und zwar, wie das arithmetische Mittel unserer Detailrecherchen ergibt, fünfzehn bis dreißig Minuten zwischen 110 und 130 Grad. Es wird beschlossen, diesen Prozess im Backrohr zu absolvieren, was zwar weniger fotogen ist als konzentriert in einer idealerweise kupfernen Pfanne zu rühren, aber für Röstdebütanten absehbarerweise auch weniger pannenträchtig.

Nach Ablauf einer guten Viertelstunde macht sich ein deutlicher Duft bemerkbar, so intensiv schokoladig, dass man ihn als appetitanregend und appetitdämpfend gleichzeitig empfindet.

Kurz fühle ich mich in meine späte Jugend zurückversetzt, als ich im olfaktorischen Wirkungskreis der Wiener Manner-Fabrik wohnte, wodurch ich manche dort verlebten Tage wie von in der Früh weg mit Kuvertüre überzogen in Erinnerung habe.

Mit der beiläufigen Autorität des geborenen Chefs erklärt Sepp Schellhorn den Röstvorgang für beendet, stellt das Blech auf die Arbeitsfläche und damit uns vor die im Vorfeld nicht wirklich gründlich durchdachte Frage, wie genau man denn nun mit den gerösteten Bohnen weiter verfährt.

Denn die sind zwar insoferne geschält, als sie nicht mehr in ihren Schoten stecken, tragen aber Häute, die sich ähnlich anfühlen wie jene, die lästigerweise an aus der Schale gebrochenen gerösteten Maroni haften.
Grundsätzlich könnte man diese Schalen durchaus mit Geduld und Penibilität abkletzeln, und auch der Umstand, dass dabei die meisten Bohnen zerbröseln, wäre Angesichts der Tatsache, dass sie demnächst ohnehin vermahlen werden, eigentlich wurscht. Aber wir habe schlicht keine Ahnung, ob das die richtige Herangehensweise ist, schließlich könnte es ja auch sein, dass in diesen dünnen, brüchigen Häutchen das eigentliche Aroma steckt.

Nachdem mehrere Versuche, dieses Problem telefonisch mit schokoladenkundigen Bekannten abzuklären, daran gescheitert sind, dass kein Schwein abhebt, lösen wir es intuitiv.

Einerseits sind wir alle tendenziell Nose-to-Tail-Apologeten und gewohnt, Schalen und Kerne nicht wegzuwerfen, sondern zumindest zu Fonds oder Suppen zu verkochen.

Andererseits droht sich das Schälen sämtlicher Bohnen zu einer deprimierend langwierigen und öden Beschäftigung auszuwachsen, an deren Ende dann womöglich erst wieder die Einsicht steht, dass man gerade mit viel Geduld und Mühe den Geschmack aus dem Produkt entfernt hat.

Bei professionell hergestellter Schokolade werden an diesem Punkt des Herstellungsprozesses die gerösteten Bohnen in aufwendige, viele Stunden bis mehrere Tage arbeitende Conchiermaschinen überstellt. Der ambitionierte Schoko-Heimwerker aber steckt nun den Cutter an.

Wir werfen also die wenigen geschälten und vielen un­geschälten Bohnen in einen solchen, genauer gesagt: in den Thermomix. Dieses so nützliche wie schweineteure Gerät findet sich natürlich in so gut wie keiner Privatküche, allerdings wird – sagt zumindest das Internet, das sowas eigentlich wissen sollte – die angestrebte Temperatur von 50 bis 80 Grad auch von herkömmlichen Haushaltsgeräten durch die schiere Reibungswärme erreicht; sogar der ganz normale Zauberstab kann bei entsprechender Geduld verwendet werden.

Wir aber lassen den Thermomix seine wohltemperierte Arbeit verrichten, bei der wir ihn nur gelegentlich unterbrechen, um die zunächst matt bröckelige, dann aber zunehmend glänzender und viskoser werdende Masse mit dem Gummispatel von Wand und Deckel zurück auf den Boden zu scheren.

Während dieses angenehm kontemplativen Vorgangs erreicht uns der Rückruf eines zuvor vergeblich kontaktierten Schokoladenauskenners: Die Schalen wären selbstverständlich vorher zu entfernen gewesen.

Da nun aber nichts eine Gruppe ausgewachsener Männer so unweigerlich zu einer solidarischen Blutsgemeinschaft verschweisst wie unbegründeter Trotz, bedürfen wir praktisch keiner Worte, um den einstimmigen Beschluss zu fassen, das Experiment weiterlaufen zu lassen und halt in Gottes Namen Vollkornschokolade zu produzieren.

Die nach wie vor etwas körnige Konsistenz der ­ansonsten bereits schulbuchmäßig feuchtglänzenden Kakaomasse beschließen wir genauso diskussionslos zur besonderen Qualität unserer Kreation auszurufen, langweilig glatte Schokolade ohne Struktur kann schließlich jeder Depp herstellen. Folgerichtig schreiten wir munter im Herstellungsprozess voran und fügen nun Kakaobutter hinzu, die ­davor auf die gleiche Temperatur gebracht wurde wie die Masse. Unsere Quellen schwanken bei den Mengenangaben zwischen siebzig und neunzig Prozent der verwendeten Kakaobohnenmenge, wir entscheiden uns für ein intuitives Herangehen.

Und weil wir uns eh schon im Intuitionsmodus befinden, folgt auch gleich der Beschluss, dem Radius-120-Konzept des Seehofs dadurch in die Schokolade zu helfen, dass wir statt ordinärem Kristallzucker hochwertigen, ebenfalls auf die richtige Temperatur gebrachten Pongauer Löwenzahnhonig hinzufügen. Die Masse allerdings verweigert sich arrogant dem Slow-Food-Gedanken und klumpt umgehend, lässt sich aber immerhin durch eine bußfertig spendierte Gabe ordinären Kristallzuckers umgehend wieder besänftigen.

Die Entscheidung, „richtige“ Schokolade zu machen und auf die Zugabe von Milch zu verzichten, fällt – wir sind inzwischen praktisch miteinander verwachsen – einhellig und ohne Diskussion.

Wir kosten, bestärken uns noch einmal ­gegenseitig darin, die Mitverarbeitung der Kakaobohnenschalen als eine glückliche, richtungsweisende und für interessante Konsistenz sorgende Entscheidung zu betrachten und schmecken noch mit ein wenig Salz ab.

Dann wird der braune Segen in Silikonformen geschöpft und zum langsamen Abkühlen in den Gemüsekeller gebracht.

Es folgen zwei, drei der Zerstreuung und Gewissenserforschung („Hätt ma die depperten Bohnen doch schälen sollen?“) gewidmete Stunden, und dann kommt der große Moment.

Der optische Eindruck ist einmal erfreulich: Es hat sich beim Abkühlen so gut wie kein unattraktives weißes Kakaofett abgesetzt, und die kompakten kleinen Pyramiden glänzen einladend schokoladig.
Am schönsten aber ist, dass der erste Probebissen alle unsere – oder zumindest meine – kleinmütigen Zweifel zerstreut: Das schmeckt nach Schokolade, und zwar nach ziemlich guter, komplexer, hochprozentiger Qualitätsschokolade.

Und, was zumindest ich nicht wirklich zu hoffen gewagt hatte: Die kruspeligen kleinen Schalenstücke stören tatsächlich nicht, sondern wirken eher wie vorsätzlich hinzugefügt, um ein strukturierteres Gaumengefühl zu erzeugen.

Sage ich jetzt einmal, und Sie werden mir wohl oder übel glauben müssen.

Oder das Experiment selbst nachvollziehen.

Es ist natürlich vergeudete Zeit. Aber es lohnt sich.

Hofmark 8
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