Siziliens Antwort auf Hitze

Granita ist wie das Leben, flüchtig. Man kann es nicht festhalten, sondern nur im Augenblick genießen … Frisch. Pur. Genial.

Text von Andrea Karrer · Illustration von Peter Jani

Kennst du das Land, in dem die Menschen zum Frühstück ein Eis naschen? Ein feines Wassereis, das Granita heißt und aus Walderdbeeren, Jasminblüten oder Maulbeeren, Espresso, Mandeln oder Pistazien gemacht wird? Oder Zitronen natürlich! Ach, Sizilien!

Ist das wirklich wahr? „Selbstverständlich!“, bestätigt Signor Francesco im Schatten der Sonnenschirme vor dem Caffè del Corso in Acireale. Er lehnt sich vertrauensvoll über den Tisch: „Und stellen Sie sich bitte vor: Meine Schwester, die frühstückt Granita sogar im Winter.“ Der alte Herr im Anzug und mit grauen Stoppelhaaren lässt seine Worte einen Moment wirken, dann wirft er die Arme in die Luft und ruft: „Unglaublich, nicht? Das ganze Jahr!“ Jeden Morgen Granita. Ein Schlaraffenland!

So erfrischend, so nahrhaft, so gesund. Was kann es Besseres am Morgen geben? Signor Francesco findet allerdings, im Winter gehöre sich keine Granita zum Frühstück. „Ts, ts – non si fa!“, schnalzt er, das macht man nicht. In vielen Cafés denkt man genauso und stellt die Produktion Ende September ein. Zum Frühlingsanfang löffelt der feine Signor dann wieder morgens Granita. Vorzugsweise aus Mandeln, aber bitte „macchiato“, also „befleckt“, mit einem Klecks Granita al caffè. Ein Klassiker. Und wenn dann der Himmel über Sizilien so blau ist, wie man ihn sich in seinen Träumen vorstellt, kann Signor Francesco in Acireale dabei sogar den Ätna sehen.

Auf Sizilien wurden die ersten Frucht­sorbets fabriziert. Diese Kunstfertigkeit lernten die Sizilianer von den Arabern, die die Insel lange Zeit besetzt hatten. Sie speicherten Schnee in den Grotten des Ätna. Wenn es wärmer wurde, pressten sie ihn zu Eis und trugen die Blöcke nach Catania und zum Hafen. So diente der Vulkan, der ob seiner kochenden Lava gefürchtet war, zugleich als Kühlschrank. Die Araber brachten auch den Zucker mit und begannen damals, den Schnee mit Zitrone und Zucker zu mischen. Diese Vorform des Speiseeises lebt bis heute in der sizilianischen Granita fort. Vor allem an der Costa Orientale, der Ostküste mit ihrem Zen­trum Catania, ist die Granita ein alltäglicher, unverzichtbarer Genuss.

Diese frühen Fruchtsorbets waren ausschließlich reichen Patrizierfamilien vorbehalten. Heute kann sich die süße Sünde jeder leisten. Serviert wird das „sizilianische Frühstück“ in kleinen Glaskelchen. Granita wird schnell gegessen, fast schon getrunken: Sie schmilzt ­unter der heißen Sonne Siziliens wie Schnee, am Schluss löffelt man den kalten Saft. Dazu gehört noch eine Brioche, mit der man die schmelzende Granita auftunkt.

Natürlich gibt es Granita heute überall in Italien, aber Vorsicht: Eine normale Granita hat mit einer sizilianischen Granita so viel zu tun wie eine Packung Miracoli mit einem Sugo aus frischen Paradeisern! Auf dem Festland werden Eissplitter mit Sirup übergossen, vermischt und fertig. Auf Sizilien dagegen wird ein Mus aus frischem Obst oder Nüssen mit Zucker und Wasser gemischt. Diese Flüssigkeit wird gekühlt, es entstehen Eiskristalle, und die werden gerührt und gerührt und gerührt.

Erst Jahrhunderte nach der Erfindung des Speiseeises hat ein italienischer Pasticciere 1822 den Sammelbegriff Sorbetto differenziert und ein für alle Mal das Sorbetto gelato vom Sorbetto granito getrennt: das sahnige Speiseeis vom „körnigen“. Im Unterschied zum Eis hat Granita neben 40 bis 50 Prozent Fruchtessenz nur 20 Prozent Zucker, der Rest ist Wasser. Keine Milch, kein Obers, keine Luft! Was die Granita ausmacht, ist die feste Konsistenz und die Frische. Die Masse darf nicht mit Luft aufgeschlagen werden, sondern muss kompakt bleiben. Das Passieren der Früchte, das regelmäßige Umrühren der Granita, damit sich Fruchtfleisch und Eis nicht trennen – all das braucht viel Sorgfalt in der Zubereitung. Und man muss sie jeden Tag frisch zubereiten! Frisch. Pur. Genial. Fruchtiger als die Frucht selbst, eine Art Idealkonzentrat, das einem die Frucht in ihrer Bestform überhaupt erst bekannt macht. Daher ist konfektionierte Granita schwer vorstellbar. Das ist vielleicht der Grund, warum die Granita – anders als das Gelato – Sizilien nie verlassen und eine Weltkarriere gemacht hat. Sie ist die direkte Antwort auf Siziliens extreme Hitze … Man musste sie einfach erfinden, um sich in Sizilien das Leben zu erleichtern.

Im 16. Jahrhundert führte die italienische Mutter der französischen Küche, Katharina de Medici, das Speiseeis aus Wasser und pürierten Früchten am französischen Hof ein.

Als der Sizilianer Francesco Procopio dei Coltelli 1662 in Paris vis-à-vis der Comédie-Française – mit Genehmigung des Königs – die erste allgemein erhältliche Eiscreme verkaufte, begann die Demokratisierung des feudalen Genusses. Aus ganz Europa reisten Menschen ins Pariser Café Procope, um sich die eiskalte Verführung zu gönnen. Auch Marie Antoinette soll im Kreise ihrer Hofdamen gerne im Pariser Café Procope handspannengroße Eisstangen aus dem Becher gelöffelt haben. Und da sie, wie zeitgenössische Chronisten berichten, dazu neigten, statt des dafür vorgesehenen Löffels das Eis lieber mit der Zunge zu schlecken, war besagtes Café bald Lieblingsziel der galanten Pariser Männerwelt. Marie Antoinettes gestrenge Frau Mama, Maria Theresia, hatte für solche „Eskapaden unterm Gefrierpunkt“ keinen Sinn und ließ die Züchtigkeit des öffentlichen Eisschleckens durch ihre ins Leben gerufene Keuschheitskommission streng überwachen. Schließlich lebte man anno dazumal in einer Zeit, in welcher der alte Aberglaube, dass der Schwanz des Teufels mit süßem Leim überzogen sei, der wie Eis schmecke, noch tief verwurzelt war.

Mandel-Granita

Zutaten für 4 Portionen

Mandelmilch:
250 g geschälte Mandeln (3 davon Bittermandeln)
600 ml Wasser
75 g Zucker
2 Tropfen Mandelextrakt

Granita:
½ l Mandelmilch
350 g Wasser
100 g Zucker
1 TL Glukose
(Wir verwenden Glukose, damit das Sorbet nicht kristallisiert. Sollten Sie lieber auf die Glukose verzichten wollen, erhöht sich die Zuckermenge auf 300 g.)

Mandelmilch: Die Mandeln zusammen mit 200 ml Wasser mit dem Stabmixer pürieren. 2 bis 3 Stunden ruhen lassen, danach die Masse in eine Schüssel seihen.
Die Masse in ein Mulltuch wickeln und in Form eines Beutels zusammenknoten. Den Beutel auswinden und die gefilterte Flüssigkeit in einer Schüssel auffangen. Danach den ausgewundenen Beutel in der Flüssigkeit tränken und 15 Minuten ziehen lassen. Diesen Vorgang 2 bis 3 Mal wiederholen und zum Schluss den Zucker und das restliche Wasser zur Flüssigkeit hinzufügen. 5 Minuten lang kochen. Den Herd abschalten und die Masse abkühlen lassen. Mandelextrakt untermengen und Mandelmilch tiefkühlen.

Granita: Um den Sirup zuzubereiten, das Wasser mit dem Zucker und der Glukose verrühren. Einige Minuten bei kleiner Flamme kochen lassen. Den Herd abstellen und den Sirup abkühlen lassen. Dabei darauf achten, dass der Zucker und die Glukose vollständig aufgelöst sind. Sobald der Sirup abgekühlt ist, die Mandelmilch beimengen. In das Tiefkühlfach geben, bis die Mischung gefriert. Ab und zu umrühren, damit die Mischung nicht kristallisiert.

Mandel-Granita aus dem Tiefkühler ­nehmen und in Gläsern servieren.

Tipps: Gläser am besten einige Stunden vor dem Servieren in den Tiefkühler legen. Wegen der sommerlichen Hitze wird Granita traditionell mit relativ wenig Zucker hergestellt. Wer es süßer mag, kann die Zuckermenge natürlich erhöhen.

Adressen

Continella Caffe’Del Corso Giuseppe
Corso Umberto I 165
95024 Acireale, Provinz Catania
Tel.: +39/095 60 46 26

Caffè del duomo
Berühmt für Granita, im Sommer aus Maulbeeren
Piazza Duomo 11, 12, 13
95124 Catania
Tel.: +39/095 715 05 56
www.caffedelduomo.com